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Als jugendlicher Freiwilliger beteiligte er sich am Aufbau eines Pestalozzi-Kinderdorfes für Kriegswaisenkinder aus Europa, was den Blick für das Ausmaß des politisch verschuldeten Elends und Unglücks schärfte. Die begeisterte Lektüre von Kisch-Büchern motivierte ihn, sich als Volontär beim Zürcher Volksrecht, einer sozialdemokratischen Zeitung, zu bewerben. Schon bald schickte sein Chef ihn als Reporter über Italien ins gerade gegründete Israel. Doch statt eines Honorarschecks erwartete ihn bei seiner Ankunft dort ein Kündigungsbrief: Seiner Berichterstattung aus dem in Streiks und soziale Kämpfe verwickelten Italien sei zu entnehmen, daß er »was für die Kommunisten übrig« habe. Vollkommen mittellos nahm er 1949 eine Tischlerlehre in einem Kibbuz an. Dort gab ihm ein deutscher Jude einige ziegelrote Heftchen, ein »Auferstehungswunder aus der Russenzone«, die einst von den Nazis verbotene Weltbühne. Erstmalig las er Tucholsky, Ossietzky, Brecht. Und beschloß, dieser Zeitschrift die vom Volksrecht abgelehnten Artikel anzubieten. Der Postbusfahrer hielt ihn für meschugge, einen Brief nach »Deitschlond« zu schicken. Doch nach einiger Zeit teilte das Berliner Blatt schicksalhaft mit, daß man gern Weiteres drucken würde. Seiner künftigen ersten Frau wegen kehrte Villain zurück nach Italien, von wo aus er nun unter anderem für die Weltbühne schrieb. Doch schon nach wenigen Monaten brachte ihm das die Ausweisung ein (»Ausschaffung in seinem Schweizerdeutsch). Wegen »unverantwortlicher kommunistischer Geisteshaltung« hatte er Italien zu verlassen, und auch in der Schweiz wurde es immer schwieriger, seine Familie schreibend zu ernähren. Da bot ihm die Weltbühne einen Vertrag an. Er arbeitete als Reporter in Westeuropa und Afrika; das Reisegeld mußte er sich selbst beschaffen. 1961 zog er schließlich als DDR-Korrespondent des Schweizer Vorwärts nach Ostberlin, wo er weiter für die Weltbühne schrieb. Die Autobiografie erhellt manch unbekannte Details aus der Frühzeit unter Chefredakteur Hans Levysohn-Leonard, welche die engste redaktionelle Vertraute, Ursula Madrasch, Villain später zu Protokoll gab. Eine Zeit voller Aufbruchstimmung mit Hindernissen, wie ein verbotenes Wehner-Interview belegt. Der Schweizer Staatsbürger wurde, begünstigt auch durch seine Reisemöglichkeiten, um die ihn mancher DDR-Bürger beneidete, nicht ohne Konflikte zum Nestor der klassischen Reportage. Und begann für Verlage in der Schweiz und der DDR Bücher zu schreiben: Reportagebände aus aller Welt, die autobiographischen Romane »Damals in Allenwinden« und »Junger Mann aus gutem Hause«, sein Wirbel machendes Indien-Buch »Fenster zur Welt«, die zur Wendezeit entstandenen Tagebücher und eine Biographie seiner Urgroßtante Johanna Spyri, der Autorin der »Heidi«-Bücher. Villain schildert nachempfindbar, wie dem mit großen Hoffnungen Gekommenen die realsozialistische Desillusionierung nicht erspart blieb. Immer wieder kamen ihm Zweifel, ob man nicht ein »ohnmächtiger Wortemacher« sei. Was allein durch dieses Buch widerlegt wird. Obwohl in einer Außenseiterposition, hatte er trotz aller Behinderungen dennoch zum ersten Mal im Leben das Empfinden, angekommen und zu Hause zu sein: in dem uckermärkischen Dorf Dreesch. Im Kulturverein der nahegelegenen Stadt Prenzlau initiierte er die Reihe »Literatur intim«, in die er über viele Jahre prominente Autoren aus dem In- und Ausland einlud. Durch das ganze Buch ziehen sich Episoden, in denen sich Geheimdienste aus allen Himmelsrichtungen für den Mann mit den vielen Kontakten interessierten. Er verschwieg ihnen nicht seine Ansichten über die Welt, aber er verbat sich unter Berufung auf seine Ideale Anwerbungen zur Spitzelei. Seine Integrität und Glaubwürdigkeit konnte er sich bewahren, Verdächtigungen schmerzten dennoch. Man spürt, wie ihm die Jahrhundertniederlage einer, seiner Utopie zu schaffen machte. Doch er neigt nicht zu Verbitterung, auch nicht gegen Ende, von Krankheit gezeichnet. Der Reporter schreibt aus der Perspektive eines erfüllten Lebens. Die letzten Kapitel verraten den Zeitdruck, unter dem er sie schrieb. Über die DDR-Jahre läßt er zu einem wesentlichen Teil seine Tagebücher sprechen, das ist authentisch, aber dabei bleiben Lücken. Was in anderen Büchern ausführlich behandelt wurde, wie die Nachwendezeit in »Die Revolution verstößt ihre Väter«, erscheint hier nur noch im Zeitraffer. Den knapper werdenden Reflexionen zur »Hinterfragung meines Lebens« ist die letzte Kraftanstrengung anzumerken. Und doch – die Zielgerade wird schreibend erreicht. Chapeau. Ein aufrichtiges, respektgebietendes Leben. Jean Villain: »Reisen ohne Rückfahrkarte. Ein Reporterleben«, Zytglogge Verlag, 445 Seiten, 26 € Zum Gedenken an den im vergangenen Herbst verstorbenen Jean Villain und zur Vorstellung seiner posthum erschienenen Autobiographie (Ossietzky veröffentlichte Vorabdrucke daraus) laden das Anti-Eiszeit-Komitee, der Kleine Buchladen und die Redaktion Ossietzky gemeinsam ein. Ort: Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte. Zeit: 31. Mai, 19 Uhr. Mitwirkende: Ingrid Brun, Walter Kaufmann, Sabine Kebir, Lothar Kusche, Landolf Scherzer, Eckart Spoo.
Erschienen in Ossietzky 10/2007 |
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