Vom Fluch der Indoktrinierten

Matthias Biskupek  

Es ist ein schlimmes Schicksal, inmitten totalitärer Mediensprache aufzuwachsen. Nie mehr findet der so Beeinflußte zur gesunden Volkssprache zurück. Ich will zwei winzige Beispiele aus jenem Zeitungssprachenstaat nennen, der verharmlosend »Zweite deutsche Diktatur« oder ganz und gar weichgespült lediglich »Unrechtsrepublik« genannt wird. Ich wuchs darin auf. Ich muß es wissen.

Damals, vor zig Jahren, tobte in Zypern der Kampf zwischen Griechen und Türken. Die offizielle Organ-Sprache im Unrechtsstaat kannte nur »griechische Zyprioten« und »türkische Extremisten«. Griechische Extremisten gab es rein sprachlich nicht und natürlich auch keine türkischen Zyprioten. Der Erzbischof Makarios, ein Grieche, war nämlich einer der ersten Anerkennungsfreunde der »Zweiten deutschen Diktatur«.

Heute, wo die Insel längst zum überwiegenden Teil ein überwiegender Teil der Europäischen Unionsdemokratie ist, ist es dort überaus friedlich, ruhig und zypriotisch. Absolut unextremistisch.

Wenn während meiner frühen Mediensozialisation (dieses Wort gab es damals nicht, gewiß war es verboten) ein amerikanischer Präsident in die Welt reiste, wurde er dort laut verbindlich-totalitärer Sprachregelung von mutigen Patrioten mit Eiern beworfen. Hingegen randalierten aufgeputschte Elemente gelegentlich – also ganz am Rande irgendwo in der Welt – gegen demokratische, also sozialistische Repräsentanten.

Wer so indoktriniert aufwuchs, reibt sich dann seine undemokratisch verblendeten Augen, wenn die »orangene Revolution« in Kiew von mutigen Patrioten angeführt wurde, während kaum zwei Jahre später randalierende aufgehetzte Elemente, in schreiendes russisches Blau gewandet, den demokratisch gewählten Präsidenten stürzen wollen. Oder wollen sie einen scheindemokratisch an die Macht gekommenen Ministerpräsidenten unterstützen? Karl Valentin schrieb 1934 »I kenn mi nimmer aus!«. Auf seinem Faschingswagen führte er damals ein Schild mit »Nach Dachau«.

Natürlich wundert es den einst Indoktrinierten heute auch, daß es immer nur »linke Chaoten« gibt – er las noch nie von »rechten Chaoten«. Hingegen ist die Sprachregelung völlig klar, wenn Nazis marschieren. Dann ist die demokratische Öffentlichkeit in höchstem Maße besorgt gegen den von links – beiseite gesprochen: und rechts – ausgehenden Extremismus.

Wenn demnächst beim Weltgipfel wieder ein amerikanischer Präsident auftaucht, ist unsereiner völlig verunsichert. Sind es Patrioten, die ihn mit Eiern bewerfen wollen? Oder sind das – zum Glück an den Rand, hinter den antifaschistischen Schutzzaun gedrängte – volksfeindliche Elemente, die das Rad der Geschichte nicht verstanden haben, den Lauf der Welt mit Sand im Getriebe versehen wollen und als Ewiggestrige ein kümmerliches Dasein von den Brosamen der Tische der Alleinherrscher führen müssen?

Mir wird wohl nur Karl Valentins Spruch bleiben.

Allerdings weiß ich noch nicht, welches Richtungsschild ich auf einem Faschingswagen mitführen müßte. Die demokratische Mediensprache wird es mir nicht vorgeben.

Erschienen in Ossietzky 10/2007