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April 1945 eines der grausamsten Verbrechen des Faschismus vollzog. In der Nacht vor ihrer Befreiung, wenige Stunden vor dem Eintreffen der alliierten Streitkräfte, wurden hier brutal und unmenschlich 1016 internationale Widerstandskämpfer gegen den Faschismus bei lebendigem Leibe verbrannt.« So weit sei diese Inschrift kaum umstritten gewesen, erklären uns Freunde aus Sachsen-Anhalt. Doch folgenden Satz hätten die neuen Geschichtsschreiber nicht dulden wollen: »Sollte Euch jemals im Kampf gegen Faschismus und imperialistische Kriegsgefahr Gleichgültigkeit und Schwäche überkommen, so holt Euch neue Kraft bei unseren unvergessenen Toten.« Nun sind die schlimmsten Zeiten der restaurativen Denkmalstürmerei auch in Sachsen-Anhalt hoffentlich vorbei. Die Inschrift blieb wie auch der Friedhof, den die US-Truppen gleich im April 1945 ganz im Stile ihrer Soldatenfriedhöfe für die Ermordeten anlegten: ein weißes Holzkreuz für jedes der über tausend Einzelgräber. »Sie werden mit uns verrecken.« Mit diesen Worten hatte Heinrich Himmler im März 1945 die Verbrechen angekündigt und befohlen, denen in der Endphase des Krieges nicht nur in Gardelegen, sondern auch in der rheinischen Wenzelnbergschlucht, im oberbayerischen Penzberg, im Dortmunder Rombergpark und an mehr als 50 weiteren Orten insgesamt Tausende Nazi-Gegner noch zum Opfer fielen – während Nazi-Obere insgeheim mit dem Westen über eine Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion verhandelten. Die Nazis fürchteten, den Antifaschisten könne es gelingen, sich die Früchte des Sieges über den Faschismus durch gemeinsames Handeln für eine Zukunft in Frieden und Demokratie zu sichern und den Nazismus »mit der Wurzel« zu beseitigen, wie sie es einander in jenen Tagen in Buchenwald schworen. Der von der SS angestrebte, aber vom Westen (noch) abgelehnte Frontwechsel spukte in jener Zeit in den Köpfen vieler Nazis herum. Nach einem amtlichen deutschen Stimmungsbericht, über den die FAZ 60 Jahre später berichtete, »war am 6. Mai 1945 die Information der Öffentlichkeit so schlecht, daß die zweifellos überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sich noch nicht vorstellen kann, daß die militärische Niederlage des Reiches schon endgültig ist. Man sieht im gegenwärtigen Zustand eine ausgesprochene Übergangssituation und erst dann das Endstadium des Krieges erreicht, wenn der Kampf gegen die Sowjetunion mit oder ohne fremde Hilfe zu unseren Gunsten entschieden ist.« Der angestrebte Frontwechsel mit »fremder Hilfe« gegen den Osten hätte die Widerstandskämpfer und die ausländischen Antifaschisten als Hindernisse und wie 1918 als mögliche bewaffnete Gegner vorgefunden. Deshalb der Massenmord an vielen Orten. Die Ermordeten waren sowohl die letzten Opfer des zweiten Weltkrieges als auch die ersten des neuen Kalten Krieges. Sie standen der Wiederherstellung der alten Besitz- und Machtverhältnisse im Wege. Daß ein späterer hoher CDU-Politiker wie Hans Filbinger noch nach Kriegsende als Militärjurist mit Genehmigung der Engländer gegen einen deutschen Marinesoldaten in einem Kriegsgefangenenlager vorgehen durfte, der nicht mehr gegen den Osten mitmachen wollte, gibt einen Ausblick auf die spätere Entwicklung: Filbinger, der furchtbare Jurist, wurde Ministerpräsident, die Widerstandskämpfer wurden politisch ausgeschaltet. Und Filbingers Nachfolger Günther Oettinger machte das NSDAP-Mitglied sogar zum Hitlergegner und Widerstandskämpfer. Die Erschießung von 30.000 Deserteuren hat man hierzulande stets für gerechtfertigt gehalten, bis die Bundesregierung eine halbherzige Erklärung dagegen abgab – wovon aber in Baden-Württemberg noch nichts bekannt zu sein scheint. Nicht nur Filbinger, der in Teilen der CDU noch immer als Lichtgestalt gilt, blieb für seine Verbrechen unbestraft. In Gardelegen-Isenschnibbe haben NSDAP-Kreisleiter Gerhard Thiele und die fanatischen Nazis Walter Biermann und Arno Brake und zahlreiche Unbekannte den Massenmord organisiert, die KZ-ler verbrannt oder »auf der Flucht« erschossen. Thiele ging unter anderem Namen in den Westen und wurde erst nach seinem Tod enttarnt. Biermann und Brake wurden von den Sowjets zu Haftstrafen verurteilt und in Torgau inhaftiert, wo sie in den fünfziger Jahren verstarben. Nach der Wende zu »Opfern des Stalinismus« ernannt, kamen sie im vergangenen Jahr in einem Ehrengrab auf dem Hallenser Gertrudenfriedhof unter. Vorher fand für sie und andere Häftlinge der Roten Armee in Torgau eine Gedenkveranstaltung statt, in der sie von Pastor Joachim Gauck, einst wurden. Viele Gardelegener haben sich im Laufe der Zeit mit dem damaligen Geschehen auseinandergesetzt. Sie sahen die Todesmärsche an ihren Häusern vorüberziehen. Sie haben nicht vergessen, daß sie nichts dagegen taten oder sogar halfen, die Unglücklichen in die Scheune zu bringen. »Man wußte ja nicht, was dort geschehen sollte,« sagten die einen. Es sei »besser, wenn man die Gefangenen tötet, bevor die irgendetwas Schlimmes anstellen,« hatten die Nazis gesagt. Jene, die es wußten und die angeregt hatten, die Feldscheune grausam zweckzuentfremden, waren geflohen. US-Propagandaoffiziere haben die schrecklichen Szenen in Gardelegen, derer sie am 14. April 1945 ansichtig wurden, in einer Broschüre festhalten – zusammen mit Szenen aus Buchenwald, Bergen-Belsen, Nordhausen und Ohrdruf sind sie in einer Broschüre »KZ – Bildbericht aus fünf Konzentrationslagern« enthalten, die unlängst im Archiv des verstorbenen Antifaschisten Heinz Junge wieder aufgetaucht ist. »Herausgegeben vom Amerikanischen Kriegsinformationsamt im Auftrag des Oberbefehlshabers der Alliierten Streitkräfte«, so lautet das karge Impressum der in Kupfertiefdruck in einer der eroberten Großdruckereien produzierten und vermutlich bereits im April 1945 erstellten Schrift. »Dieses Heft enthält vor allem Photographien, denn das gedruckte Wort kann keine Vorstellung davon geben, welche Verbrechen dort in Ihrem Namen begangen worden sind,« wendet sich das Vorwort an die deutsche Bevölkerung, und zwar an jene vielen Deutschen, denen es »nicht möglich ist, ein KZ zu besichtigen«. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) hat die Schrift jetzt der Allgemeinheit wieder zugänglich gemacht. Sie wurde unter www.nrw.vvn-bda.de ins Internet gestellt. Man findet darin erwähnt, daß Oberst Hayden Sears in einer Ansprache vor einer Gruppe Deutscher, die die Leichen bergen mußten, sagte: »Hier sehen Sie, warum wir nicht Ihre Freunde sein können.« Das war 1945. Später hatten die US-Oberen viele Nazis zu Freunden.
Erschienen in Ossietzky 10/2007 |
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