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MairedeMaikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin auf der Straße des 17. Juni: Keine Nelken. Keine Lieder aus der Tradition der Arbeiterbewegung. Dumme Sprüche des Moderators, zum Beispiel über die Lehrer… Hauptrednerin ist DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Jeder Satz stimmt. In fast jedem Satz ermahnt sie Unternehmer und Politiker: »Man darf nicht…«, »Sie dürfen nicht…« Was dürfen sie nicht? All das, was sie seit langem tun: hohen Profit einstecken, Arbeitsbedingungen verschlechtern, die Armen, Alten, Kranken belasten. Aber wie sollen sie daran gehindert werden? Sie dürfen die Lebensarbeitszeit nicht auf 67 Jahre verlängern, beispielsweise. Aber sie tun es. Und nun? Notwendig ist eine drastische Arbeitszeitverkürzung. Vollbeschäftigung. Aber Annelie Buntenbach vermeidet jedes Wort, das dafür mobilisieren könnte. Die Rednerin verweist auf die Bundestagswahl 2009. Das ist lange hin. Und warum sollen wir inzwischen Gewerkschaftsbeiträge zahlen, wenn wir alle Hoffnung auf die Parteien setzen sollen? Auf welche eigentlich? Doch nicht auf die, die immerzu das tun, was sie nicht dürfen… Pünktlich zum 1. Mai erschienen Zeitungsanzeigen der SPD zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, unterschrieben von den Vorsitzenden des DGB und seiner Einzelgewerkschaften. Daß die SPD just am 27. April mit ihren Stimmen im Bundestag eine Abstimmung zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns – genau wie von ihr in der Unterschriftenaktion formuliert, aber als Antrag von der Linksfraktion eingebracht – aus Rücksicht auf den Koalitionspartner CDU/CSU verhindert hatte, blieb unerwähnt. Kein Wort gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Kein Wort gegen die Aufrüstung. Nicht einmal die gewohnten Worte »Sie dürfen nicht…« Der DGB-Vorstand sagt den Gewerkschaftsmitgliedern nicht, was sie tun müssen. Da werden es sich die Mitglieder wohl selber ausdenken müssen. Rita Rosmarin
Sozial, sozialer, am sozialsten ...Unsoziale Politik wolle sie sich »nicht länger vorwerfen lassen«, verkündete jetzt die nordrhein-westfälische FDP auf ihrem Landesparteitag und mischte ein bißchen Rosa in ihr Politvokabular: »liberal« reime sich doch auf »sozial«. Als neue Idee empfahl sie ein »Bürgergeld«. Unter diesem wohlklingenden Namen will sie die bisherigen Sozialleistungen zusammenfassen und auf »wirklich Bedürftige« begrenzen; dabei müsse der »nötige Abstand zu Einkünften aus Erwerbsarbeit« gesichert werden. Von Mindestlohn und von Kündigungsschutz aber hält die FDP gar nichts, so daß man, wenn's nach ihr geht, mit folgendem zu rechnen hat: Das Lohnniveau geht weiter runter, das Niveau des »Bürgergeldes« ebenfalls – Abstand muß sein. Die Versicherung sozialer Risiken soll nach dem Willen der Freidemokraten zur Pflicht gemacht werden – was auch wieder fürsorglich klingt; aber gleichzeitig soll Schritt für Schritt das gesamte System der sozialen Sicherung, einschließlich der Rente, in die Hände privater Versicherungsunternehmen übergeben werden. Schluß ist dann mit dem sozialen Ausgleich und mit allen Non-Profit-Konstruktionen, die in Zeiten des Sozialstaats entwickelt wurden – freie Bahn für das pure Geschäftsinteresse! Muß ich dieses neue Rosa in der FDP-Fassade nun auch noch als »sozial« bewundern? Wer an der Farbe ein wenig kratzt, stößt auf die Grundsubstanz: Da kommt eine parteipolitische Lobby für die Versicherungswirtschaft zum Vorschein. Marja Winken
Selbstmitleid des Weißen MannesWie es in den Zeiten des Kolonialismus für das Ergehen der »Eingeborenen« sensible Kolonialbeamte oder Missionare gab, so finden sich heute im Neoimperialismus gelegentlich Angestellte der Weltbank oder EntwicklungshelferInnen, die sich ehrlich darum bemühen, den Menschen in den Elendsregionen der vom Kapitalismus globalisierten Welt wirksame Hilfe zu bringen. Einer von ihnen ist William Easterly. Er zieht in seinem im Campus Verlag erschienenen Buch eine bittere Bilanz: »Wir retten die Welt zu Tode«. Dieser in der deutschen Übersetzung etwas reißerisch aufgemachte Haupttitel, der eigentlich nur die Folgerung zuließe, dann doch besser auf jegliche Form von Einflußnahme zu verzichten, wird schon im Untertitel zurückgenommen: »Für ein professionelleres Management im Kampf gegen die Armut«. Derartige Ambivalenzen sind charakteristisch für das ganze Buch. Letztlich geht es Easterly um neue Management-Strategien zur Vermeidung früherer Fehler. Statt auf große Programme allwissender »Planer« will Easterly auf viele kleine Hilfsinitiativen von »Suchern« setzen, die die bedürftigen Menschen zum Beispiel mit Kleinkrediten oder anderen finanziellen Hilfen für Schulbesuche befähigen sollen, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen. Letztlich geht es ihm um bessere Integration der Armen in die Mechanismen von Markt und Wettbewerb. William Easterly war bei der Weltbank zunächst für afrikanische und asiatische Länder zuständig. In den 1990er Jahren war es seine Aufgabe, die Länder des implodierten sowjetischen Machtblocks auf den kapitalistisch-markwirtschaftlichen Weg zu bringen. Seit einigen Jahren lehrt er als Professor für Ökonomie und Afrikastudien an der New York University und sieht sich die Folgen der »Strukturanpassungsprogramme« von Weltbank und Internationalem Währungsfonds genauer an. Wer die katastrophalen Ergebnisse westlicher Einflußnahme in Afrika, Asien oder Teilen des implodierten Sowjetblocks kennen lernen will, kommt bei Easterly auf seine Kosten. Bei aller mit beißender Schärfe vorgebrachten und fundamental klingenden Kritik stellt Easterly in keiner Weise das von den Zentren der G 8-Staaten aus herrschende System eines global agierenden kapitalistischen Weltmarktes in Frage. Er schreibt, daß letztlich »Hilfe nicht die Armut beenden kann. Das kann nur eine eigenständige Entwicklung von Einzelnen und Unternehmen in freien Märkten« (S. 342). Ein Markt-Gläubiger also aus dem liberalen US-Wissenschaftsestablishment, der seinem Buch im Original den keineswegs ironisch gebrochenen Titel: »The White Man's Burden« (Die Bürde des Weißen Mannes) gab – das berühmt-berüchtigte Poem von Rudyard Kipling zitierend, der 1899 der britischen Oberschicht ihr schweres Werk der Durchkolonisierung der Welt verklären half. Offenbar hat der Weiße Mann seither moralisch nichts dazugelernt. Otto Meyer William Easterly: »Wir retten die Welt zu Tode. Für ein professionelles Management im Kampf gegen die Armut«, Campus Verlag, 388 Seiten, 24.90 E
BlödeMister Bush jr. sagt, er ist betroffen. Mister Bush blickt betroffen. Blickt Bush betroffen, blickt er blöde. Seit dem 11. September 2001 immer wieder dieser blöde Blick. Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika blöde-betroffen, betroffen-blöde blickt, darf man auf so dumm-dreiste Bemerkungen gefaßt sein wie die, daß die Waffe in der Hand der Bürger ein Menschenrecht ist. Insbesondere ein Menschenrecht der Bürger der USA. Die Waffe in der Hand eines Irakers, Iraners, Afghanen ist nach Bushs Rechtsauffassung das Unrecht der Bösen. Mister Präsident richtig verstanden, gibt es gute Menschen mit guten Waffen. Und es gibt schlechte Menschen mit schlechten Waffen. So schlicht ist die Welt zu sehen und zu erklären. Was aber sagen, wenn die guten Waffen im besten Land der Erde für schreckliche Untaten benutzt werden? Auf gar keinen Fall zugeben, daß keine Waffe eine gute Waffe ist. Und darum eben einfach blöde dreinblicken. Bernd Heimberger
60 Jahre Anwalt für die FreiheitAm 15. Mai wird der Pariser Rechtsanwalt Pierre Kaldor 95 Jahre alt: Protagonist der deutsch-französischen Freundschaft, Teilnehmer der Resistance, Befreier des französischen Justizministeriums von Nazi-Besatzern und Vichy-Kollaborateuren, Aktivist der Solidaritätsbewegung mit den afrikanischen Befreiungsbewegungen, Strafverteidiger von Befreiungskämpfern aus allen französischen Kolonien, Star aufsehenerregender Strafprozesse vor Militärgerichten während des Algerienkrieges, Kommunist, juristischer Berater vieler linksregierter Kommunen, Übersetzer der Briefe Dimitroffs aus dessen Haft als Beschuldigter wegen des Reichstagsbrandes, Beistand in zahlreichen Berufsverboteverfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten, Sachverständiger im Berufsverbote-Untersuchungsverfahren vor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf und vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, Redner auf nationalen und internationalen Anti-Berufsverbotekonferenzen und -demonstrationen, Gründer und Organisator des französischen »Komitees für die Meinungsäußerungsfreiheit in der BRD« , Initiator von Ferienaufenthalten und Geschenkpaketen für die Kinder der vom Berufsverbot Betroffenen. Die Liste seiner Aktivitäten ist lang. Aber immer war er – seit 1935 als Anwalt zugelassen – Anwalt für die Freiheit der Menschen. Und immer hat er sich um das persönliche Ergehen der Menschen gekümmert. In dem von Pierre Kaldor übersetzten Brief Dimitroffs vom 16. 8. 33 aus dem deutschen Gefängnis zitiert dieser Goethe: Gut verloren – etwas verloren; Ehre verloren – viel verloren; Mut verloren – alles verloren. In diesem Sinne ging es Pierre Kaldor stets darum, den »kleinen Leuten« Mut zu machen. In allen Verfahren war sein erstes Bestreben, sie subjektiv in die Lage zu versetzen, daß sie sich selber wehren wollen und können. Daß sie den politischen Zweck des Gerichtsverfahrens erkennen. Daß sie und ihr soziales Umfeld für die Auseinandersetzung gerüstet werden: durch Solidarität, durch kleine und größere Gesten, auch durch materielle Hilfe. Das persönliche Dabei-Sein, das Zur-Seite-Stehen verkörpert Pierre Kaldor wie kein Zweiter. Dabei war es auch sein rechtspolitisches Ziel, abstrakte Völkerrechtsnormen wie die Meinungsfreiheit zur Meinungsäußerungsfreiheit, das Koalitionsrecht zum Recht auf kollektive Interessenwahrnehmung, das Recht der Völker auf Frieden und Entwicklung zum Recht auf eigenständige emanzipatorische Gesellschaftsentwicklung zu erweitern. Das bezeugen seine Plädoyers in all den vielen Verfahren, an denen er mitwirkte. Seine leise Stimme, sein eloquenter Charme, sein verschmitzter, hintergründiger Humor sind allen in Erinnerung, die ihn je in einem Verfahren oder einer Diskussion gehört haben. Damit gewann er Respekt. Und so machte er Mut, wissend, daß Mut das Ergebnis eines solidarischen Prozesses ist und messerscharfe Analyse des Sachverhaltes und der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordert. Er bewies auch persönlichen Mut. So, als er mit einer von seiner Frau Charlotte besorgten Strickleiter über eine sieben Meter hohe Gefängnismauer ausbrach – noch heute im Resistance-Museum bei Paris ausgestellt. So, als er den arroganten Vertretern der Bundesregierung vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof entgegentrat und sich nicht das Wort abschneiden ließ. Seinen Partnern, Achselkämpfern und GesinnungsgenossInnen hat er mahnend viel abverlangt: Pierre Kaldor fragt immer konkret nach Name, Adresse und Hausnummer derjenigen, die Freiheit und Demokratie einschränken oder aufheben. Und unerbittlich hakt er bei denen nach, die Hilfe und Solidarität vermissen lassen, obwohl sie sie leisten können, im Kleinen wie im Großen. Das zwingt jeden dazu, aus der Anonymität der allgemeinen Repression herauszutreten. Die Feststellung allein, daß das kapitalistische System eben auf Ausbeutung und Entrechtung der Menschen durch den Menschen beruht, genügt ihm nicht, stimuliert sie doch weder Mut noch Widerständigkeit oder Veränderungswillen. Wenn viele afrikanische Befreiungskämpfer später zu großen Staatsmännern ihrer Länder wurden, wenn 80 Prozent der vom Berufsverbot Betroffenen nach langem, bis zu 22 Jahre währendem zähem Kampf inzwischen erfolgreich ihren erstrebten Beruf ausüben können, wenn Unzählige heute wissen, was Völkerfreundschaft ist, welchen erlebbaren und erlernbaren Wert sie hat, ist all das auch ein Verdienst des Jubilars. An Pierre Kaldor denkt man mit Dankbarkeit und Freude. Horst Bethge Der Autor war jahrelang Sprecher der »Initiative weg mit den Berufsverboten«
Es war eine gastfreundliche StadtOshpitsin – gastfreundliche Stadt – nannten Juden die polnische Stadt Oswiecim. Mehr als fünf Jahrhunderte lang lebten hier Juden und Katholiken im besten Einvernehmen zusammen wie sonst nirgendwo in Polen. Vor dem zweiten Weltkrieg waren in dieser Stadt, die heute weltweit unter ihrem eingedeutschten Namen Auschwitz zum Synonym für den Nazi-Genozid an den europäischen Juden gilt, von den 12.300 Einwohnern 7000 Juden. »Mich bedrückte es als ungemein makaber, ja als wahrhaft teuflisch, daß die Nazis ›Oshpitsin‹ – und in diesem ›zweiten Jerusalem‹ just jene Transitstation für jüdische Pogrom- und Hungerflüchtlinge auf dem Weg in Gottes eigenes Land – als Mordstätte für jenen Genozid wählten, den sie in ihrer unmenschlichen Sprache als ›Endlösung der Judenfrage‹ cachierten«, beschreibt der Sozialhistoriker und Publizist Hans G Helms seine Eindrücke. Der zuerst als Artikelserie in der jungen Welt veröffentlichte Essay »Oswiecim – Oshpitsin – Auschwitz« wurde jetzt um zahlreiche Bilder und Karten sowie eine Auswahlbibliographie zu einer Broschüre erweitert. Helms' Reisebericht ist aufklärerische Geschichtsschreibung und nachdenkliche Reportage. Er schildert, wie aus dem Refugium für jüdisch-russische Flüchtlinge die zentrale Mordstätte der Nazis wurde, in der bis zu 1,5 Millionen Menschen in den Gaskammern oder als Sklavenarbeiter der deutschen Industrie starben. Zugleich fragt Helms nach dem Umgang des heutigen Oswiecim mit der Last der Vergangenheit und sieht genau darin eine Chance für die Stadt. Während der Stadtrat von Oswiecim immer noch auf Industrieansiedlung für eine Zukunft der von Arbeitslosigkeit geplagten Stadt hofft, macht Helms die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, die wieder errichtete Synagoge und die internationale Jugendbegegnungsstätte als Anknüpfungspunkte für einen Aufschwung aus. »Als ich das erste Mal hier war, dachte ich, Oswiecim sei eine sehr traurige Stadt, in der man nicht lacht und nicht spielt«, zitiert er ab-schließend eine polnische Schülerin, die dann aber erfuhr, »daß man lernen kann, damit zu leben: an bestimmten Plätzen ernst sein und in anderen Situationen lachen«. Das stets präsente Totenreich wird von der jungen Generation in Oswiecim mit Lebenselan überwunden, ohne in Vergessenheit zu geraten. Ulla Jelpke Hans G Helms: »Oswiecim-Oshpitsin-Auschwitz«, Verlag 8. Mai (Bestellungen an: verlag@jungewelt.de), 28 Seiten, 1.50 E (plus Porto)
Ich wurde nicht gefragtIn Berlin wird für eine Ausstellung »Antisemitismus in der DDR« geworben. So wird die DDR geschmäht. Und die BRD erfährt dadurch eine wundersame Verwandlung – als hätten wir im Osten darauf gewartet, daß sie uns vom Antisemitismus befreit. Ausgerechnet die BRD, die den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze zum obersten Beamten im Kanzleramt gemacht hatte. Die Veranstalter und Macher dieser Ausstellung haben mich nicht gefragt, wie es mir in der DDR ergangen ist, wie ich mich gefühlt habe. Mario Keßler hat in seinem Buch »Die SED und die Juden – zwischen Repression und Toleranz« (Akademie-Verlag 1995) über die Zeit bis 1967 geschrieben, daß zur Regierung der DDR sieben Juden gehörten und zum Zentralkomitee der SED acht. Gemessen an den damals 17 Millionen Einwohnern der DDR waren die Juden eine verschwindende Minderheit, aber Keßler macht »deutlich, daß sie die DDR in ihren verschiedenartigen Facetten stärker mitprägten, als es ihrem geringen zahlenmäßigen Anteil der Bevölkerung entsprach«. Und die Zahlen erhalten noch mehr Gewicht, wenn man ihnen gegenüberstellt, daß an der Regierung der BRD kein einziger Jude beteiligt war. Ich habe von Anfang bis Ende in der DDR gelebt. Mir war klar, daß unsere Mörder nicht vom Erdboden verschluckt worden waren. Viele waren in den Westen gegangen, andere waren in ihr Mauseloch gekrochen oder hatten sich ein neues Mäntelchen umgehängt. Bei Einzelnen spürte ich manchmal eine Distanz mir gegenüber, eine Wand zwischen uns. Aber nie erlebte ich eine Zurücksetzung. Ich habe mich in der DDR sicherer gefühlt als heute. Brigitte Rothert Die Autorin ist die letzte Überlebende der Familie Tucholsky
Ein Diplomat erinnert sichDer Bogen der Ereignisse, über die in diesem Buch berichtet wird, überspannt ein halbes Jahrhundert, beginnend 1946 mit der Rückkehr des Autors nach Deutschland. Dieses Land hatten die Eltern und der damals Elfjährige 1934 verlassen. Eine wohl lebensrettende Entscheidung für die Familie. War doch der Vater Mitglied der Kommunistischen Partei und jüdischer Herkunft. Nach der Machtübernahme der Nazis deshalb in doppelter Gefahr. Die Tschechoslowakei bot das erste Exil. Dort fand der Junior – sein Name: Horst Brie – bereits Kontakt zur in der Emigration gegründeten Freien Deutschen Jugend. Er blieb ihr verbunden, als die Familie nach Großbritannien weiterwanderte. Ein Jahr nach der bedingungslosen Kapitulation der Nazi-Wehrmacht kehrte der Sohn von London über Jugoslawien nach Berlin zurück – mit der Einstellung, »Entbehrungen auf mich zu nehmen, um am Aufbau eines antifaschistischen, demokratischen Deutschlands teilzunehmen«. Zu Beginn in Mecklenburg. Dort wie überall fehlten Menschen mit einer antifaschistisch geprägten Grundeinstellung. Mit einer solchen im Gepäck begann im Studio Schwerin des Rundfunks seine berufliche Laufbahn. Brie wurde zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der FDJ berufen. Es schloß sich eine hauptberufliche Arbeit in der SED an. 1950 begannen von Stalin inspirierte Schauprozesse gegen leitende Funktionäre der kommunistischen Parteien in etlichen volksdemokratischen Staaten. Man beschuldigte sie, als »Agenten des Imperialismus« den Aufbau des Sozialismus zu hintertreiben. Die Verleumdungskampagne, die nicht wenige das Leben kostete, erreichte – allerdings in abgeschwächter Form – auch die DDR. Zwar gab es hier keine Todesurteile, doch fast von heute auf morgen galten Hunderte SED-Mitglieder als »unzuverlässige Kader«. Betroffen waren in erster Linie solche, die nach 1945 in freier Entscheidung aus westlichen Staaten in das nicht nur materiell zerrüttete Land zurückgekommen waren. Man schickte Brie in eine der Maschinen- und Traktoren-Stationen, die geschaffen wurden, damit auch die Neubauern, die mit der Bodenreform Land erhalten hatten, die knappen Maschinen nutzen konnten. Die nach Stalins Tod 1953 einsetzende Rehabilitierung erreichte Brie 1955. Man empfahl ihm mit Blick auf seine internationalen Erfahrungen als künftige Arbeitsstätte das Außenministerium. Wenig später wurde er Kulturattaché an der DDR-Botschaft in Peking. Es folgten – mit nur kurzen Unterbrechungen in der Zentrale in Berlin – die Ernennung zum Botschafter in Nordkorea, Japan und schließlich Griechenland. Was er in diesen drei Jahrzehnten erlebt und mitgestaltet hat, darüber berichtet der Autor sehr informativ. Er lernte Menschen kennen, die mit ganz unterschiedlichen Temperamenten, Lebensläufen und Visionen Prozesse in Gang setzten. In China zum Beispiel Tschou Enlai und Mao Zedong, in Nordkorea Kim Il Sung. Die Umwälzungen und ihre Folgen zu beurteilen, überläßt er weitgehend dem Leser. Diplomatische Beziehungen mit Japan waren erst nach der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO 1974 möglich geworden. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik ließ durch seine Diplomaten wissen, fortan wolle man die Welt nicht länger mit den »Querelles allemandes« belästigen. Doch das waren leere Versprechen, wie sich alsbald zeigen sollte. Jahrzehntelang hatte Bonn gemäß der Hallstein-Doktrin viele Staaten unter Druck gesetzt und mit dem Abbruch der Beziehungen zur BRD bedroht, sollten sie die DDR anerkennen. Brie schildert, wie Bonn dann in gleichem Sinne zum Beispiel versuchte, einen Besuch Erich Honeckers in Japan zu verhindern. Selbst in den späten achtziger Jahren, als der Autor die Botschaft in Athen leitete, ließ das Bonner Auswärtige Amt nicht ab von Einmischungen in die Außenpolitik der DDR. Brie und ich werden nicht mehr präsent sein, wenn die Archive der Alt-BRD geöffnet und dadurch genauere Einblicke in die Störmanöver ermöglicht werden. Der Autor berichtet über die führenden DDR-Politiker, mit denen er Kontakt hatte (seine Wertungen kann man akzeptieren oder verwerfen). Selbstverständlich bekam er auch mit Geheimdiensten zu tun. Mancher mag bei diesem Thema gleich schaudernd »Stasi« denken und dabei ausblenden, daß es in den USA über Jahrzehnte einen OSS gab, den Vorläufer der CIA. Oder in der Sowjetunion den KGB. Und in England den MI 5. Mit ihnen hatte Brie Verbindung, außerdem mit einer für die Sicherheit von DDR-Bürgern im Ausland zuständigen Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit, worüber er manches Überraschende berichtet. Zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte sind Institutionen geschaffen worden, die jährlich Millionen-Beträge erhalten, damit sie ihre Interpretationen der Ereignisse zwischen 1945 und 1989 der Gesellschaft als allgemeingültig einpflanzen. Sie sollten Bries Anregung zur Kenntnis nehmen, die Annahme oder »Bewältigung« der Vergangenheit in der DDR könne nur die Sache derer sein, die in der DDR gelebt und gewirkt haben. Alfred Fleischhacker Horst Brie: »Erinnerungen eines linken Weltbürgers«, Karl Dietz Verlag Berlin, 223 Seiten, 16.90 €
Arroganz und IgnoranzDer ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann bekleidete das von Kanzler Schröder für ihn oder von Naumann für sich selbst erfundene hohe Amt nicht lange; sein Nachfolger heißt, damit man sich keinen gänzlich neuen Namen merken muß, Herr Neumann. Herr Naumann also will nun in der vom Herausgeber Enzensberger ins Leben gerufenen, aber nicht herausgegebenen »Anderen Bibliothek« Georg Forsters berühmte Welt-Reise-Bücher neu herausgeben, was wie alles, was er tut, einer Sensation gleichkommen soll, jedenfalls nach seiner Meinung. Enzensberger wird inzwischen vermutlich andere Buchreihen ins Leben rufen, von denen noch nicht feststeht, wer sie dann tatsächlich herausgibt. Die neue Forster-Edition ist, wie der neue Editor findet, längst fällig, weil sie in Naumanns und unsere neue Zeit paßt und so weiter. Endlich Forster, zwar klassisch, aber knallig, modern wie Naumanns alter Hut! Alle werden begeistert sein, besonders die Ost-Leute, denen Forster, seine Reisen, Entdeckungen, Forschungen und Gedanken von ehemaligen Kultur-Bolschewiki der ehemaligen DDR mißgönnt und verboten wurden, weil Forster senior ursprünglich Pfarrer gewesen war. Und in einem Land, das fast alle Pfarrer bekanntlich in Kerkern mundtot gemacht hat, sollte, konnte und durfte es keine Forster-Bücher geben. Abgesehen von »Forster. Ein Lesebuch für unsere Zeit« (1954). Abgesehen von Forster, »Sämtliche Schriften, Tagebücher und Briefe« in der auf 20 Bände konzipierten Akademie-Ausgabe (1958 ff.). Abgesehen von Forster, »Kleine Schriften und Briefe« (hg. von Träger, 1964). Abgesehen von Forsters »Werken in 4 Bänden« (hg. von G. Steiner, 1967/71). Abgesehen von Forsters »Entdeckungsreisen 1772/1775« (hg. von H. Homann, Verlag Neues Leben, 1989). All diese »ostdeutschen« Editionen hat der kulturelle Naumann nicht gelesen und nicht zur Kenntnis genommen. Weil nicht sein konnte, was nicht sein darf. Felix Mantel
Globales MediengeschäftSchon vor über 25 Jahren fanden alljährlich im Hamburger Rathaus, jeweils eröffnet vom Bürgermeister des Stadtstaates, die »Hamburger Medientage« statt. Da trugen wir – an meiner Seite unter anderen der vergnügt kämpferische Greis Axel Eggebrecht, der einst einer der fleißigsten Mitarbeiter an Ossietzkys Weltbühne gewesen war – Argumente gegen die Einführung privaten Rundfunks, gegen Medienmonopole, für Mitbestimmung der Beschäftigten in Medienunternehmen, für gesetzliche Vorkehrungen zum Schutz journalistischer Unabhängigkeit zusammen. Das paßte den Verlegern nicht und auch nicht dem Bürgermeister, der entschlossen war, den Machtansprüchen der Verleger weit entgegenzukommen. Die »Hamburger Medientage« wurden abgesetzt. Jetzt bekam ich die Einladung zum »Internationalen Mediendialog Hamburg 2007« im Hamburger Rathaus. Der Bürgermeister wird ihn eröffnen. Über die Thematik der diesjährigen Veranstaltung steht da zu lesen: »Auf dem Internationalen Mediendialog Hamburg diskutieren führende Repräsentanten des globalen Mediengeschäfts ihre Strategien für die digitale Zukunft.« Nein danke, ich gehöre nicht zu den Repräsentanten des globalen Mediengeschäfts. Früher sprachen zur Tarnung auch die Medienunternehmer noch von Verantwortung und öffentlicher Aufgabe der Medien. Davon steht diesmal nichts im Programm. Vorbei. Die Medienmachthaber haben solche Heuchelei nicht mehr nötig. Eckart Spoo
Bild ist PapstMitte April erschien in deutscher Sprache ein Buch, das sofort als Bestseller galt: »Jesus von Nazareth« von Joseph Ratzinger (alias Benedikt XVI.). Aufgrund der aufwendigen Werbung würde es uns nicht wundern, wenn das 448-Seiten-Werk tatsächlich viel gekauft würde – aber auch gelesen? Anscheinend lesen nicht mal die Rezensenten. Am Erscheinungstag lagen laut publikforum schon 34 Rezensionen vor, die meisten enthielten Vorformuliertes aus der Pressemappe des Verlages. Alle, die ein Rezensionsexemplar erhielten, hatten eine »Geheimhaltungsvereinbarung« unterschreiben müssen – zugunsten der Bild -Zeitung, die vorab Auszüge veröffentlichen durfte. Wie hatte doch das Schmuddelblatt vor zwei Jahren nach der Erhebung Ratzingers zum »Heiligen Vater« getitelt? »Wir sind Papst« – und das war anscheinend zwischen all den Lügen, die das Blatt verbreitet, ausnahmsweise die Wahrheit. E.S.
Die Antwortfrage»Es gilt das gesprochene Wort« – so der Titel einer Reihe von Interviews, die Michel Friedman für die Welt am Sonntag führt. Die Interviewpartner verzichten dabei laut Editorial »auf das sonst weitverbreitete Abstimmen und Glattbügeln, es wird gedruckt, was sie gesagt haben«. Diesmal hat sich Friedman den Chef der Linkspartei vorgeknöpft. Das geht so los: »Michel Friedman: Herr Bisky, Sie sind Vorsitzender der SED, PDS, Linkspartei. Sie wechseln ja Ihre Namen wie andere ihre Hemden. Lothar Bisky: ...« Tatsächlich – da ist der Name des Interviewten gedruckt, aber ihm folgen nur Pünktchen Pünktchen Pünktchen. Hat Bisky den Mund aufgemacht, dann aber nichts rausbekommen, weil Friedman schneller war? Der hätte im weiteren Verlauf des Interviews bei dieser Methode bleiben sollen, denn er hat die Antworten auf seine Fragen sowieso sämtlich selbst parat, wie wir ihn kennen. Da reicht es doch, wenn der Gesprächs-»Partner« den Mund öffnet und gleich wieder staunend schließt, nach dem Motto: Es gilt das gesprochene Wort, das von Friedman. A. K.
Bild und TonEin multimediales Werk ist auf dem Markt, erschienen bei der Edition Büchergilde, nicht nur für Clubmitglieder, sondern in allen Buchhandlungen zu erwerben. Zusammengetan haben sich dafür Konstantin Wecker und Johannes Hans A. Nikel. Der Sänger und Der Zeichner sind seit Jahrzehnten befreundet, was sich als fruchtbar erweist, wie man sehr schön hören und sehen kann. Beigefügt ist dem Gedruckten eine CD, man hat also ein BumM – Buch mit Musik, 38 kongeniale Illustrationen in Blau/Gold nicht zu vergessen, die der ehemalige Pardon-Macher Nikel beisteuerte, heute tätig als bildender Künstler, einst brachte er es mit der größten literarischen Satirezeitschrift Europas auf monatlich mehr als 1,5 Millionen Leser. Apropos Zahlen: da kann Wecker leicht mithalten, bei einem Konzert im Englischen Garten 1989 in München fanden sich 150.000 Leute ein. Konstantin Wecker, dieses Kraftwerk KW, ist seit 30 Jahren in Betrieb, poetisch und politisch, geehrt mit bisher 13 Preisen, hoffentlich ist der Mann nicht abergläubisch, wahrscheinlich gibt's aber demnächst noch ein paar dazu. Gut paßt hier ins Blatt der Kurt-Tucholsky-Preis (1995). An Gemeinsamkeiten fehlt's nicht, bei Tucho in »Das Ideal« (1927) lesen wir: »Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse/ vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße« und bei Wecker locker anempfunden auf Seite 66 »Und hinterm Stadtpark parkte schon das Meer.« Wichtiger jedoch mitten in der sensiblen und heiteren KW-Liebeslyrik die energischen Zeilen: »Das wird eine schöne Zeit,/ wenn Krieger vor Liedern fliehn/ und Waffen Gedichten erliegen.« Das hätte der Militärgegner Tucholsky gemocht, und es entspricht auch Nikel, 1955 Mitbegründer der Kriegsdienstverweigerung in der BRD. Friedlich, anmutig, humorvoll und in Harmonie mit den Wecker-Versen präsentieren sich im 128 Seiten-Band die beschwingten, in ihrer schwebenden Leichtigkeit an Marc Chagall erinnernden Nikel-Bilder. Ingrid Zwerenz Konstantin Wecker/Johannes Hans A. Nikel: »Fliegen mit dir«, Edition Büchergilde, 24,90 E
Walter Kaufmanns LektüreSchriftsteller, die sich auch als Reporter betätigen, gibt es in Amerika häufig, Romane von Reportern seltener, in deutschen Landen bildet Alexander Osang nahezu die Ausnahme. Und vorweggenommen sei: Die Höhen seiner Reportagen erreicht der Roman »Lennon ist tot« nicht. Was besagt das? Lediglich, daß hier einer an sich selbst gemessen wird. Osangs Text liest sich flüssig, besonders junge Leser werden sich dafür begeistern. Leser so um die neunzehn, zwanzig, die neugierig auf die Welt sind, ihre Familienfesseln sprengen und sich erproben wollen. Was alles auf den Erzähler zutrifft, Robert Fischer, den der wohlhabende Vater in New York studieren läßt, der aber das Studium sehr bald schmeißt und sich in Manhattan mit einem dubiosen Posten eine Menge Dollars verdient. Was es so alles gibt in dieser Stadt: fette Prämien für das aufmerksame Beobachten von Mietshäusern und das Enttarnen illegaler Untermieter. Damit beschäftigt sich dieser junge Mann aus Ostberlin, bis der Posten platzt. Und dann? Ist er an Erfahrungen reicher, auch im Portemonnaie, hat Manhattan durchforstet, ein paar Liebschaften durchlitten, und setzt sich ab von seiner Hostfamilie, den plastisch beschriebenen Millers. Es verschlägt ihn auf Fire Island, eine Insel der Reichen unweit von New York, wo er neue Erfahrungen sammelt, merkwürdige Freundschaften schließt, mit Hans aus Berlin, einem abenteuerlichen Weltenbummler, und dem Amerikaner Chuck, der ein Alleskönner und ein wahrer Kumpel ist und ihn unter die Fittiche nimmt. Auch einer Lucy begegnet er, die gut und gern fünfzehn Jahre älter als er ist und ihn aus pragmatischen Gründen verführt – mühelos, das sei bemerkt –, weil sie geschwängert werden will: Als sorgende Mutter nämlich kann sie von der Insel der Reichen, dieser geschlossenen Gesellschaft auf Fire Island, nicht vertrieben werden. Hans indes, der Abenteurer, ist längst verschwunden; und Lucy, in die sich Robert über die Maßen verliebt hat, kommt ihm gleich nach der ersten Liebesnacht abhanden. Nur Chuck bleibt ihm bis hin zur Silvesternacht. In der er aber Reißaus nimmt und sich für 150 Dollar zum Chelsea Hotel chauffieren läßt, zurück nach Manhattan und ins Neue Jahr ... Und was hat das alles mit John Lennon zu tun? Das herauszufinden, werden sich die jungen Leser, die dem Buch vorauszusagen sind, nicht nehmen lassen, nur so viel sei verraten: Auf der Höhe seines Ruhms kampierte einst der Beatle aus Liverpool auf Fire Island, schlief in dem Bett, in dem nun auch Robert nächtigt, in dem Haus, wo sich auf dem Dachboden ein Haufen Lesestoff über die Beatles anfindet. Darin vertieft sich Robert Fischer. Was alles sich zügig lesen läßt und vergnüglich auch: diese jugendfrische Sicht auf New York. Und wie der Erzähler dabei immer wieder seine ostdeutsche Vergangenheit reflektiert. Walter Kaufmann Alexander Osang: »Lennon ist tot«, Verlag S. Fischer, 312 Seiten, 18.90 €
Am Rande der bewohnbaren WeltMakellos beschreibt Sjón die Landschaft Islands, sein Stil ist so makellos wie sie. Wie in Hemingways »Der alte Mann und das Meer« entsteht im »Schatten des Fuchses« Hochspannung. »Der alte Mann und der Fuchs« könnte der Titel dieser feinen kleinen Geschichte sein. Erzählt wird von der Liebe des Naturforschers Fridrik zu einer Frau mit Langdon-Down-Syndrom. Eine außerordentliche Liebesgeschichte vom »Rande der bewohnbaren Welt«. Grenzerfahrung im mehrfachen Sinn. Der Text ist komponiert wie ein Musikstück, sein Rhythmus mitreißend. Poesie in Bild und Sprache. Man taucht ein und unter in die Welt Islands, 19. Jahrhundert, ist verführt, mit den Menschen dort zu leben, mit Fridrik, Pfarrer Baldur Skuggason und dem einfältigen Hálfdán. Wer mühelos nach Island reisen möchte, nehme das schmale Buch und begebe sich auf Zeitreise in das Land aus Wasser (heiß und eisig), Gletscher und Fels. Auf Seite 31 des Buches beschlich mich Zweifel, ob diese Passage dem Witz des Autors zuzuschreiben ist oder einer Unaufmerksamkeit der ansonsten vorzüglichen Übersetzerin Betty Wahl. Ich zitiere: »Er sah gerade noch, wie sie (die Füchsin; A.D. ) sich dreimal um sich selbst drehte, sich an einen Felsbrocken kauerte, zusammenrollte und die Schnauze unter die Schwanzspitze steckte. Und der Mann tat es ihr nach.« Das Ende der Legende ist überraschend, sehr isländisch, mystisch, zudem witzig und weise. Ich werde es nicht ausplaudern. Anne Dessau Sjón: »Schatten des Fuchses«, S. Fischer Verlag, 126 Seiten, 16.90 E
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Press-KohlJoachim Meisner, Kardinal und Kölner Erzbischof, vermutete in seiner Glückwunsch-Epistel zum 80. Geburtstag des Papstes Benedikt XVI. (hier aus der Zeitung Neues Deutschland wegen besonders respektvoller Schreibweise zitiert): »Hei ll ige r Vater, wenn Jesus 80 Jahre alt geworden wäre, dann würde er aussehen wie Du.« Diese fromme Liebeserklärung schickte uns Gaston Linse, über die Grenzen von Kleinmachnow hinaus als Sammler von Meisner Porzellan bekannt, mit dem Zusatz: »Und wenn Jesus 80 Jahre alt geworden wäre, dann würde er aussehen wie Du – und Du und ich ?« Was mich betrifft, so ist es schon Jahrzehnte her, daß ich Jesus zum letzten Mal gesehen habe – als hölzernes Christkind in einer Krippe. Falls ich, was befürchtet werden muß, 80 Jahre alt werden sollte, werde ich vielleicht so aussehen, wie ein liebender Neffe es mal beschrieben hat: »Du hast vielleicht'n Brett vorm Kopp, wat? Macht ja nischt: Holz und Holz vaträcht sich jut.« * Gefühlsmäßig zutiefst berührt las ich, was Herr Kübler (nicht identisch mit dem aus Franz Kafkas Erzählung bekannten Kübelreiter) der Berliner Zeitung gesagt hatte. »Der Sprecher des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Andreas Kübler, sagte: Bis zum Jahre 2011 entsteht auf dem früheren Areal des Stadions der Weltjugend ein Gebäude-Komplex für insgesamt 4.000 Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND).« Die bescheidene Viertausend-BND-Agenten-Hütte entsteht »nach Plänen des Berliner Architekten Jan Kleihues.« Neulich froren wir in der modernisierten Trauerhalle des Krematoriums in Berlin-Baumschulenweg. Es regnete durchs modernisierte Dach. Halle und Dach waren modernisiert worden nach Plänen des Berliner Architekten Jan Kleihues. Bekanntlich müssen professionelle Schnüffler öfter mal im Regen stehen. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 9/2007 |
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