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Widerstand leistet Ligna eine kleine Gruppe von Medientheoretikern, Radiomachern und Theaterkünstlern (Ole Frahm, Michael Hueners, Torsten Michaelsen). Seit zehn Jahren erkunden sie mit Radiowelle FSK durch Passanten den öffentlichen Raum, um zu zeigen, wie er schwindet. Sie provozieren streng im Rahmen des Gesetzes. 2002 verteilten sich im Hamburger Hauptbahnhof an die dreihundert Menschen (später in Leipzig waren es noch mehr) und vollführten seltsame Gesten, gesteuert durch die Kopfhörer ihrer kleinen Radioempfänger, aus denen Vorschläge kamen nicht Befehle , sich ungewöhnlich zu verhalten, nonkonform. Ligna nennt das »Radioballett«. Die Deutsche Bahn AG klagte. Doch das Oberlandesgericht wies ab. Denn eine »Versammlung« war das nicht, eher eine »Zerstreuung«. Regeln nicht einfach hinzunehmen und sie, wenn sie fast schon verinnerlicht sind, außer Kraft zu setzen, ist das Anliegen der Gruppe auch auf Kampnagel, in der Kulturfabrik, die einst aus der Maschinenfabrik Nagel und Kaemp hervorging. Gabelstapler, Kräne und Waffen wurden dort produziert. Willi Bredel arbeitete dort als Dreher, wurde in den Betriebsrat gewählt und entlassen. Sein erster Roman »Maschinenfabrik N & K« schildert den wilden Streik 1929. Zwei Wochen stand die Fabrik still, bis mit Hilfe von Streikbrechern, auch vom SPD-nahen Betriebsrat eingeschleusten der Streik niedergeschlagen wurde. Zwei Drittel der Arbeiter wurden entlassen, einer erschossen. Die Gruppe Ligna versucht in Form einer »Radiowanderung«, dieses Geschehen nachempfindbar zu machen. Parallelen zur Arbeitsplatzvernichtung heute? Bredel schreibt über eine Rationalisierungswelle. Begründung: Man müsse auf dem Weltmarkt bestehen können. In »Odyssee N & K« durchwandert das Publikum, das gleichzeitig Akteur ist, das Gelände der Fabrik, geleitet durch die Kopfhörer. Eingespielt werden Aufforderungen, wohin es gehen soll, was zu tun ist, beispielsweise eine rote Tüte mitzunehmen. Streikaufrufe auf schmalen roten Streifen sind darin, aber auch Verzweiflungssätze oder solche der Ratlosigkeit. Alles wird später als langes Band an eine Wand geklebt. Es geht den Kanal entlang. Eine Kreideschrift auf einem Container: »Armut killt.«. Auf der Brücke verwirren Akteure die Passanten mit gleichartigen Gesten. Alle geben sich die linke Hand oder rufen ans andere Ufer: »Laßt das Arbeiten sein.« Eingespielt werden auch Zitate aus Bredels Roman. Und ein Satz, der immer wiederkehrt: »Wir stehen am Beginn des Weges, und dieser Weg führt, keiner weiß wohin.« Ein paar Schnipsel aus Homers Odyssee, dann die Aufforderung, in die Tiefgarage zu gehen. Hier sollen »geheime Gesten« eingeübt werden, die später noch eine wichtige Rolle spielen werden. »Versteckt Euch irgendwo.« Hinter den Autos, den Säulen? Der Empfang bricht ab, nichts ist zu hören. Oben geht es vor einen Neubau mit Büros, die zum großen Teil leer stehen. Vor Scheiben, die Spiegel sind. Wer steckt dahinter? Kameras verstehen »geheime Gesten« nicht. Was in der Hades-Garage, im Untergrund, ausgetauscht wurde, hilft, sich untereinander zu verständigen. Es geht in die Jarre-Stadt gegenüber, in einen lichten Wohnhof. Rote Backsteinhäuser, niemand am Fenster. Sehen sie fern? Die Akteure sind leise. In einer engen Einbahnstraße funktioniert das Prinzip der Volksverunsicherung. »Ihr werdet zu einer Demonstration«, spricht der Kopfhörer. Auf der Straße gehen alle mit ihren roten Tüten vorwärts, versperren die Fahrbahn. Dann plötzlich langsam rückwärts. Die Autofahrer, irritiert, erbost durch das Wartenmüssen, preschen los, als die Straße endlich wieder frei ist, als wären sie gerade dem Teufel entflohen. Zum Schluß dürfen sich die Teilnehmer auf einer Isoprenmatte ausruhen. »Sucht Euch ein schönes Plätzchen« auf dem Kampnagel-Gelände. Es ist ein kalter Abend. »Schließt die Augen.« Ich denke an Obdachlose, an geschützte Eingänge und an die Odyssee, die heute von Arbeitssuchenden verlangt wird. Was kommt auf die EADS-Beschäftigten in Finkenwerder zu? Ein Satz, den ich mir notiert habe: »Die Fabrik ist heute überall.« * Zum vierten und wohl letzten Mal: das »Polyzentral-Festival« auf Kampnagel unter der Leitung von Honne Dohrmann. Noch bis zum 12. Mai. Südasien steht im Mittelpunkt. Den Anfang macht Indien mit der Aditi Mangaldas Dance Company, 1991 gegründet. In »Timeless« (Europapremiere) versucht die Gruppe die Strenge des klassischen Kathak-Tanzes mit modernen westlichen Formen zu verbinden. Kathak heißt vor allem Fußarbeit. Das Schlagen der nackten Sohlen auf den Boden und die Glöckchen an den Fußgelenken unterstreichen den Rhythmus, der von Tabla und Pakhawaj-Trommeln vorgegeben wird. Manchmal erinnert es an Flamenco-Tanz. Aber die Hände bleiben oft unbeschäftigt in diesem klassisch-modernen Amalgam. Aditi Mangaldas zeigt im Solo, daß es nicht so sein muß. Hier verwandeln sie sich in Schlangenhände, Schmetterlingshände oder Umschlinghände, die einen Geliebten suggerieren. Merkwürdig, wenn die Gruppe, fünf Frauen und zwei Männer, am Schluß Armbewegungen macht, die wie ein Durchstreichen, Durchkreuzen oder gar Durchschneiden wirken. In dem zweiten Stück »Uncharted Seas« (Deutschlandpremiere) beweist die Gruppe leider nur an einem Abend die Vielfalt des Kathak-Tanzes in einer hinreißenden Aufführung. Die Kostüme, der Schmuck der bei »Timeless« fehlte und die klassische indische Musik mit Trommeln, Geige, Harmonium und Gesang erzeugen eine besondere Stimmung. Als wäre etwas Lähmendes von den Tänzern abgefallen, wagen sie zu lächeln. Aditi Mangaldas kann nun ohne selbst gewählte Schranken die differenzierten Bewegungen der Hände und die Ausdruckskraft ihres Gesichts dem Publikum öffnen. Die unglaublich schnelle Fußarbeit auf der Stelle erzeugt ein Zittern, das durch den ganzen Körper läuft, wie elektrischer Strom. Traumszenen gleich, wenn eine Tänzerin, nur undeutlich sichtbar hinter einem Vorhang, die Bewegungen der Tänzerin vorn auf der Bühne imitiert. Wie ein Spiegelbild. Am Beifall gemessen steht das Publikum auf der Seite der indischen Tanztradition. * Aus Thailand kommt Pichet Khunchun, der siebzehn Jahre lang das traditionelle Maskentheater studiert hat und sich dann in Europa auch an westlichen Tanzformen orientierte. In der Tanzperformance »I am a Demon« zeigt er weniger die Geschichte eines Yak, einer Figur des klassischen Thai Khon-Tanzes, sondern minutiös und ganz ohne Masken und Kostüme den Werdegang eines Tänzers. Bekleidet nur mit einer fast farblosen Badehose, beginnt er seine Vorführung, die wie Exerzitien wirkt, meditativ. Hinten im Lichtkreis sein Schatten, riesengroß. Die Stille unterbricht er durch Händeklatschen, buddhistischen Trommelschlägen ähnlich. Er massiert oder massakriert sein Gesicht, daß es wie eine Maske wirkt. Alles entwickelt sich sehr langsam. Die Haltung mit gespreizten Beinen und leicht gekrümmten Knien, so wie sie als Relief auf Tempelwänden dargestellt ist. Ein Krieger ohne Waffen. Der Tänzer demonstriert das Anlegen eines blauen Tuches zum traditionellen Gewand. Die Strenge des höfischen Tanzstiles mit den bis in winzige Feinheiten festgelegten Bewegungen. Dann ein Stampfen, das nicht aufhören will. Störend wirken die Einblendungen aus dem Lautsprecher. In Englisch und der Thai-Sprache werden Erläuterungen seines Meisters und Vaters wiedergegeben. Riesengroß wird der Verstorbene im Video wiedererweckt, gibt dem Schüler von der Wand herab Unterricht. Pichet Klunchun steht, real, ganz klein vor dem Riesenvater. Aber er will sich weiterentwickeln. Im eigenen Land gilt er als Abtrünniger.
Erschienen in Ossietzky 9/2007 |
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