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Die DDR-Bezeichnung vom freien Buch war auf andere Weise prekär: Zwar gab es keine öffentliche Bücherbrennung, aber verboten war einiges, was zum Kanon des Welt-Weisheit gehört. Hießen die Verfasser Franz Kafka, George Orwell oder Leo Trotzki, wurden deren Bücher mit spitzen Fingern, um nicht zu sagen, mit glühenden Zangen angefaßt. Über die Zensur in der DDR ist andererseits so viel geschrieben und geforscht worden wie über kaum eine Epoche in der deutschen Geistesgeschichte, und manch heute wie auch in der ehemaligen BRD Ignorierter würde sich freuen, hätte er nur ein Bruchteil der Aufmerksamkeit, den jeder in der DDR Nichtgedruckte für sich einfordert. Doch Verbrennen von Büchern war und ist degoutant. Als ich in den Achtzigern davon hörte, daß bei der Deutschen (DDR-)Post Taschenbücher, die den Zeitungskiosken als Remittenden galten, im Heizungskeller landeten, schrieb ich darüber. Natürlich durfte keine Tageszeitung das drucken – ein satirisches Magazin allerdings veröffentlichte »Des Heizers neue Bücher«. Heute machen große Texte kleine bis keine Wirkung, damals bewirkten winzigste Bemerkungen manchmal Änderung. Fürderhin wurden Bücher gelegentlich, wie heute massenhaft, nur mehr makuliert. Denn das schlechte Gewissen ob verbrannter Bücher ist geblieben – drum wurde das dummdreiste Sonnenwendfeuer mit dem Tagebuch der Anne Frank in einem Dorf bei Magdeburg zu Recht bundesweit angeprangert. Doch wie kann das Andenken an den 10. Mai 1933 heute produktiv gemacht werden? Vor Jahresfrist lasen an diesem Datum sechs Schriftsteller in der Bibliothek der thüringischen Stadt Suhl Texte der Verbrannten: Mühsam, Kästner, Seghers. Dabei kamen Honorare und Spenden zusammen, und einer hatte die Idee: Wie wäre es, wir nutzten die Gelder für ein Buch? Mit Texten derer, die sonst kaum zu Wort kommen? Und präsentieren es in einem Jahr zu eben dem »Tag des freien Buches«? Wie wäre es mit einem Wettbewerb für Jugendliche, die gegen Gewalt schreiben? Ein anderer wandte ein, daß dann wieder nur übliche Duldungspoesie geschrieben würde, zur Selbstverständigung aller, die ohnehin gegen Gewalt sind. Wie sei es hingegen mit der selbst ausgeübten Gewalt bestellt? Und deren Gegenpol, der Zärtlichkeit? »Gewalt und Zärtlichkeit« hieß schließlich der Wettbewerb für Leute von 14 bis 20 Jahren, wohl wissend, daß ein DDR-Bestseller, inzwischen vergessen, diesen Namen trug. Es kamen weit über zweihundert Texte aus allen Teilen Thüringens und angrenzenden hessischen Zipfeln. Verschiedene mildtätige wie informelle Einrichtungen halfen beim Sichten, Jurieren, Lektorieren und Drucken der Einsendungen: der Friedrich-Bödecker-Kreis, der Verband deutscher Schriftsteller, die Friedrich-Ebert-Stiftung, DGB, ver.di, die Zeitungen Freies Wort und Thüringische Landeszeitung . In einem mehrtägigen Seminar für die dreißig besten Teilnehmer wurden Texte verbessert und verkürzt, und dem werdenden Buch wurde ein Gesicht gegeben: Jeder Nachwuchs-Autor (die große Mehrheit weiblich) beschrieb sich in einer Übung. Aus diesen authentischen Texten wurden dann – nahezu demokratisch – in Schreib-Gruppen jene zwei, drei Sätze ausgewählt, die für den einzelnen als Motto stehen könnten. Die Texte selber handeln von dem, was zwar lautsprecherisch medial verwurstet, seltener aber von Betroffenen ausgesprochen wird: Schulhofgewalt, die »Ritzen« genannte Selbstverletzung, körperlicher und seelischer Mißbrauch, Magersucht, Familien-Bande, auch die Last der deutschen Geschichte, indem KZ und Judenhatz in Geschichten gefaßt wurden. Manchmal taucht mitten in einem solchen Text wie Kai aus der Bücherkiste die Liebe auf – die Zärtlichkeit, mochten sich die Einsenderinnen gedacht haben, gehört ja auch zu unserer Schreibaufgabe. Doch ob nun literarisch mehr und oft weniger gelungen - viele der Texte zeugen von einer sozialen Intelligenz, die bei Entscheidungsträgern im Lande wenig entwickelt ist. »Von Gewalt und Zärtlichkeit – Geschichten und Gedichte junger Thüringer« wird am 9. Mai im Erfurter Rathaus seine Buchpremiere haben und am 74. Jahrestag der Bücherbrennung in der Bibliothek Suhl zu hören und zu kaufen sein; zum Selbstkostenpreis von fünf Euro ist es beim Friedrich-Bödecker-Kreis für Thüringen e.V. erhältlich (www.fbk-thueringen.jetzweb.de).
Erschienen in Ossietzky 9/2007 |
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