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Jahrhunderts blickten sie gealtert und evaluiert zurück, sollten sich schämen, Schuld empfinden, als wäre da Fehler auf Fehler akkumuliert worden. Zu ihnen gesellten sich ausgestoßene Schlesier, Ostpreußen, Sudetenländler, manche auch aus dem bürgerlich restaurierten saturierten Westen, andere mit KZ-Erfahrungen, entronnene Wehrmachtssoldaten – sie alle traten der neuen Lehre bei: Alles, was sie getan und für richtig gehalten hatten, sollte jetzt falsch, wenn nicht kriminell gewesen sein, vergleichbar der verhängnisvollen Entscheidung der vielen im Jahre 1933. Ich verteidige meine Genossen und Ex-Genossen, denn schuldbegründende Entschlüsse fallen in den oberen Gremien. Das betrifft Bonn wie Ostberlin. Wenn Borniertheit, Charakterlosigkeit, Feigheit, Eigensucht aufeinanderfolgender Eliten zu strukturbildender Geschichte gerinnen, haben nicht die Völker versagt, sondern Intellektuelle, die der politischen Klasse abgestandene, nicht mehr zeitgemäße Ideen zuliefern statt revolutionärer Impulse, zuviel Luther und zu wenig Münzer. In verlorenen Bauernkriegen werden Bauern zu Opfern, in Bürgerkriegen gehen Bürger zuschanden, nach der proletarischen Revolution von Lenin und Trotzki führte die Diktatur des Proletariats zur Diktatur über das Proletariat, bis es als Klasse verschwand. In China freilich experimentieren inzwischen circa 70 Millionen Parteimitglieder, angeleitet vom Politbüro, mit dem Kapitalismus im eigenen Lande. Falls die Koexistenz von Kapital und Kommunismus mißlingt, werden beide zum Teufel gehen. Sollte es glücken, könnten die Sachsen von den Chinesen lernen. Ihre Emsigkeit, Bescheidenheit, Klugheit, Erneuerungsfähigkeit ließen es zu, falls ihre Vordenker nicht wie ihre vielfachen Verhinderer sind. Die Chemnitzer Freie Presse erregte Ärger in Plauen, wo Sachsens Kulturminister Stefan Flath der Karl-Marx-Gesamtschule einen Namenswechsel nahegelegt und bei Verweigerung mit Entzug der Fördermittel gedroht haben soll. Flath dementierte, er habe »nur einen Witz gemacht«, über den die »offenbar roten Vogtländer« jedoch nicht lachen konnten. Wie Augenzeugen versichern, lachte stattdessen der Karl-Marx-Kopf in Chemnitz. Es gibt noch mehr Grund zur Heiterkeit. Nehmen wir nur das international bekannte sächsische Bad Schlema. Die wegen Uranabbau nahezu verschwundene Kleinstadt ist auferstanden und könnte eine große Zukunft haben. Hat sie aber nicht, weil sie schrumpft. Zwar schrumpfen auch im Westen Dörfer und Städte, im Osten aber ist das Staatsprogramm. Fabriken verrotten, Kindergärten und Schulen schließen. Handelsketten geben auf. Das Verkehrsnetz dünnt aus. Die Jugend geht weg. Der Rest ist Melancholie. Auch das eine Folge von Verordnungen. Immer mehr Einwohner wünschen sich die DDR zurück. Leise. Denn wer es laut sagt, kriegt die freiheitliche Demokratie zu spüren. In Bad Schlema verschwand der letzte größere Lebensmittel-Laden mangels Kunden, weshalb 185 Bürgerinnen und Bürger mit jeweils 150 Euro Einstand eine Genossenschaft gründeten. So klein hatte der Konsum auch mal angefangen, bevor er wuchs und aufgekauft wurde. Vielleicht wird das Soziale neu entdeckt? Gar das Sozialistische? Das dürfte es schwer haben. Denn die Sieger herrschen in den Medien, Parteien, Ämtern. Die Mini-Rente, mit der jene Frau abgespeist wurde, die als Küchenhilfe bei der Stasi gearbeitet hatte, ist noch nicht Geschichte geworden, obwohl die Vereinigung nun schon ins achtzehnte Jahr geht. Im Goldenen Westen lief das anders. Am 11. 5. 1951 wurden in der 1949 gegründeten Bundesrepublik 730.000 wegen nazistischer Verstrickungen entlassene Beamte wieder eingestellt und rehabilitiert. Da lag 1945 gerade mal sechs Jahre zurück. Ein Jahrzehnt nach Kriegsende war aus Hitlers Generalsriege Heusinger, Speidel, Gehlen, Foertsch blütenweißes Adenauer-Militär geworden und Globke des Kanzlers Staatssekretär. Hatten die Herren Gehaltseinbußen, Rentenkürzungen, Rufschädigungen zu erleiden? Keine Spur. Immanuel Kants Kategorischer Imperativ lautet: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann.« Adenauers Wille zur Macht wurde Gesetz und die Hitler-Generalsgefolgschaft glänzend bedient. 1990 galten andere Maßstäbe. Laut Lenin sollte jede Köchin den Staat lenken können, laut Nachwende-Obrigkeit ist eine Köchin, die bei der Stasi kochte, lebenslang Bürgerin zweiter Klasse. Hätte sie in Pullach am Herd gestanden, wäre ihre Rente ungekürzt geblieben. So will's die deutsche Gleichheit in Freiheit. Hierzulande blüht und gedeiht ein sich selbst fortzeugender Geschichtsmythos: Stalin überfiel Hitler, die Wehrmacht kämpfte tapfer und sauber, Nazi-Generäle sind die Ritterkreuzträger der Demokratie. Seit 1989/90 erhält das Ensemble vordem umstrittener historischer Verdrehungen die Weihen staatstragender Werte. Stoiber geht als Botschafter nach Prag und Frau Steinbach wird Botschafterin in Warschau. Das mehrwertgeile Kapital aber entdeckt seine Zukunft im roten China der Sonderwirtschaftszonen, nachdem es die weiland DDR als Runterwirtschaftszone plattgemacht hat. Seitdem liegt der Osten darnieder, wird verachtet und keiner will ihn haben. Denn das Kapital ist heilig und unsere Eliten sind seit 1848 Gefangene ihrer konterrevolutionären Ängste. 1968 wollte eine junge Generation etwas ändern, die Jahreszahl gilt noch heute als Kinderschreck und Gottseibeiuns, wer daran rührt, muß sich bekreuzigen. Im staatstragenden Fernsehen vernahm ich innerhalb weniger Stunden dreimal die Botschaft, Kanzlerin Merkel mußte Oettinger wegen Filbinger zur antitotalitären Ordnung rufen, weil sie vor einer möglichen Koalition von SPD und PDS (Linke) warnen wolle. Wozu doch ein Mordkommandeur und sein nachfolgendes trauerredendes Lügenmaul alles gut sind, hat man sich erst auf die Medienlogik des 3. Weltkriegs eingelassen. Filbingers Beerdigungsstaatsakt war eine Scheintotenfeier. Das Grab wird von Bundeswehr-Feldjägern bewacht. Wenn der alte Kamerad aufersteht, will man ihn für die Verteidigung der Freiheit am Hindukusch abstellen. Kriegsjuristen werden gebraucht. Wenn ich mir das so überlege und auf mein sächsisches Heimatland zurückblicke, erscheint es mir samt der großsächsischen DDR fast als Gesamtkunstwerk, das man uns erst von oben sabotiert und dann vom Westen geklaut hat.
Erschienen in Ossietzky 9/2007 |
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