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Am Anfang der siebziger Jahre tröstete sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Kommentar zur Apartheid in Südafrika damit, daß wenigstens alles streng rechtsstaatlich vor sich gehe. Damit wurde dieser Begriff ad absurdum geführt. Denn er meint nicht nur die Rechtsform des Verfahrens, sondern auch den Inhalt, zu dem mindestens die Menschenrechte gehören.« (Uwe Wesel: »Fast alles, was Recht ist«, Frankfurt am Main 1991) Interessant ist dennoch, was sich alles mit dem Begriff Rechtsstaat verträgt. Rolf Bossi, ein Star-Verteidiger, wie man weiß, hat Beispiele dafür aufgezeigt. So wird in den Verfahren, die schwerste Straftaten zum Gegenstand haben, kein Wortprotokoll geführt. Bossi sagt dazu: »Weil es vor dem Schwurgericht kein Wortprotokoll gibt, können Richter in ihrer Urteilsbegründung den Verhandlungsverlauf und die Zeugenaussagen nach eigenem Gusto so wiedergeben, wie es ihrer Urteilsfindung entspricht. Widerspruch ist damit chancenlos.« Bossi schlußfolgert: »Im Prinzip ist damit der Willkür Tür und Tor geöffnet. Richter können Zeugenaussagen ignorieren, mißverstehen, verdrehen und in einzelnen Fällen sogar bewußt verfälschen, ohne daß es ihnen nachzuweisen wäre. ... Es gibt praktisch keine Möglichkeit, diese schriftliche Darstellung einer Schwurgerichtskammer in Zweifel zu ziehen oder gar zu widerlegen.« (Rolf Bossi: »Halbgötter in Schwarz. Deutschlands Justiz am Pranger«, Frankfurt am Main 2005) So war das im deutschen Rechtsstaat schon immer seit Einführung der Strafprozeßordnung im Jahr 1878. Das lag und liegt nicht allein am fehlenden Wortprotokoll. »Zum folgenreichen Justizskandal wird das Urteil aber erst, da die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen durch keine weitere Instanz mehr überprüfbar sind. Das wahre Problem ist demnach nicht die Fehlbarkeit der einzelnen Gerichte, sondern die Struktur des Rechtsweges im bundesdeutschen Schwurgerichtsverfahren. Schwere Justizirrtümer sind nicht allein ein individuelles, sie sind auch ein institutionelles Problem.« ( Bossi) Das institutionelle Problem wurde nicht erst durch Bossi bekannt. So schrieb der Nestor des deutschen Strafrechts, Hans Dahs, unter Berufung auf einen Artikel von Schweling in der Monatsschrift für Deutsches Recht aus dem Jahr 1967: »Die Revision gilt daher allgemein als ein höchst unbefriedigendes, selbst für den überdurchschnittlichen und folgerichtig denkenden Juristen schwer verständliches, wenig sinnvolles Rechtsgebilde.« (Hans Dahs: »Handbuch des Strafverteidigers«, Köln 1971) Wenn das »Rechtsgebilde« auch wenig sinnvoll und schwer verständlich ist, so ist es doch rechtsstaatlich. Ein Ossi, so er hinterhältig ist, fragt: Wie war das in der DDR? Bossi ist kein Ossi und stellt die Frage nicht. Für Wessis ist die DDR kein Thema, nicht im Fragen der Schule, der Kinderkrippen und schon gar nicht in denen der Justiz. Nach Schweden sieht man, eventuell auch nach Holland und Finnland, aber was in dem anderen deutschen Staat, was jenseits der »innerdeutschen Grenze« geschah, interessiert nur, wenn es gemein und gruselig gewesen sein soll. Aber gemein und gruselig war es nicht, daß in jedem Strafverfahren, wie es Bossi verlangt, ein Wortprotokoll geführt wurde und die zweite Instanz anhand des Protokolls auch die Tatsachenfeststellung überprüfte. Was im »Unrechtsstaat« rechtens war, kann schließlich nicht für den Rechtsstaat zum Vorbild werden. Schon Christian Morgenstern wußte, daß »nicht sein kann, was nicht sein darf«. Wo käme der Rechtsstaat schließlich auch hin, wenn er Rechtsinstitute des »Unrechtsstaates« übernähme? Der dreistufige Gerichtsaufbau etwa, der jetzt in der Bundesrepublik diskutiert wird, existierte in der DDR schon seit 1952. Die Freiheit von Gerichts- und Haftkosten im Strafrecht leistete sich die marode DDR auch schon eben so lange. Wer aus dem Knast kam, war schuldenfrei, hatte meist sogar eine Summe des in der Haft verdienten Geldes zur Verfügung und erhielt – auch wenn es ihm manchmal nicht recht war – eine Arbeitsstelle. Das ginge natürlich in der BRD nicht, denn dafür ist der Staat nicht zuständig. Deswegen muß er auch die Arbeitslosigkeit nicht wie in der DDR verdecken, und für die Obdachlosigkeit kann er auch nichts. Die Würde des Menschen wird schließlich den Betroffenen garantiert. Wer das ändern wollte, müßte den Kapitalismus abschaffen und den Sozialismus einführen, da bleiben wir doch lieber bei dem Recht von Kaiser Wilhelm. Sein Schloß wird ohnehin bald wieder aufgebaut, und seine Enkel stehen schon auf der Matte, wie unlängst in seiner Gedächtniskirche zu be- oder verwundern war. Mit diesem Beitrag setzt der Berliner Jurist Friedrich Wolff die Ossietzky- Serie fort, in der wir daran erinnern, daß es für etliche Probleme im heutigen Deutschland einmal Lösungsansätze gegeben hat, die teilweise mit Erfolg ausprobiert wurden: in der DDR. Die Serie begann mit Beiträgen über das Bildungswesen (Heft 5/07), über das Sammeln und Wiederverwerten von Abfällen (6/07) und über die Sportförderung.
Erschienen in Ossietzky 9/2007 |
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