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Er sagte, Kündigungsschutz, Mitbestimmung, Versicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte müßten eingeschränkt, ein subventionierter Niedriglohnsektor müsse flächendeckend eingeführt werden. Auf dem Gebiet der Sozialpolitik forderte Rogowski, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich zu reduzieren, das Rentenalter zu erhöhen, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu senken. Auch das Niveau der gesetzlichen Rente fand er, nachdem es schon gesenkt worden war, noch viel zu hoch. In der Steuerpolitik forderte er weitere spürbare Entlastungen für die Unternehmen. In der Umweltpolitik wandte er sich gegen gesetzliche Auflagen, die investitionshemmend seien. In der Bildungspolitik propagierte er mehr Konkurrenz und die Erhebung von Studiengebühren. Auch eine deutliche Erhöhung des Wehretats gehörte zu seinem Programm, weil dadurch, wie er sagte, »Qualität und Quantität« deutscher Militäreinsätze »für eine weltoffene Gesellschaft« gewährleistet würden. Zugleich wandte er sich gegen den, wie er schamlos behauptete, viel zu großen politischen Einfluß der Gewerkschaften und gegen das Streikrecht, denn, so sagte er, Streiks seien »martialische Instrumente aus dem vorletzten Jahrhundert«. Wahlpolitisch machte Rogowski kein Geheimnis aus seiner Präferenz für die CDU/CSU, er fügte aber gleich hinzu, daß es »auch in der SPD Politiker mit großem wirtschaftlichem Sachverstand« gebe, die sich im Falle eines Wahlsiegs durchsetzen würden. Ein Jahr später waren viele dieser Forderungen entweder schon erfüllt, oder die geforderten Gesetze waren in Vorbereitung. Jetzt, nach fünf Jahren, ist der Katalog großenteils abgearbeitet – was aber nicht etwa bedeutet, daß Rogowski und sein Nachfolger Thumann zufriedengestellt wären. Längst haben sie neue, weitergehende Forderungen erhoben. Alle Erfahrung lehrt: Je mehr das Kapital zu fressen bekommt, desto hungriger wird es. Die Öffentlichkeit hat das Rogowski-Programm zur durchgreifenden Gesellschaftsveränderung nie als solches wahrgenommen; die Blätter und Sender der großen Medienkonzerne griffen vielmehr die einzelnen Forderungen auf, ohne deren Herkunft und Zusammenhang zu erwähnen; sie sprechen nicht von Kapitalinteressen, sondern tun so, als handelte es sich um objektive Notwendigkeiten. Und die Politiker? Wenn sie die Forderungen des Großen Geldes erfüllen, dann geht das nicht einfach so vor sich, daß sie strammstehen und sagen: Jawoll, wir setzen jetzt unverzüglich das Programm des BDI um. Sondern dann berufen sie erstmal eine Kommission, zum Beispiel die Hartz-Kommission, benannt nach dem damaligen Personalchef des VW-Konzerns. Die Kommission tagt ein paarmal und tut geheimnisvoll, damit wir gespannt sind, was der Kommissionsvorsitzende schließlich vor unzähligen Mikrophonen und Fernsehkameras präsentiert, als wär's der Stein der Weisen. Der Kanzler, damals Gerhard Schröder, nimmt das Programm zum zweiten Mal entgegen, nun aber öffentlich und feierlich, und es ist kein BDI-Programm mehr, sondern eben der Stein der Weisen; der Kanzler bedankt sich und verspricht, es 1:1 umzusetzen. Das heißt: Der Bundestag soll nichts daran ändern. Ein plötzlich berühmt gewordener Professor namens Rürup erhielt damals sogar gleich in zwei Kommissionen den Vorsitz; die eine war für die Gesundheit, die andere für – nein, gegen die Rente. Als Rürup die sogenannten Kommissionsberatungsergebnisse präsentierte, nämlich Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, Abschaffung des Krankengeldes und so weiter, sagte der Kanzler nicht, die Empfehlungen würden 1:1 umgesetzt. Diesmal sagte er, sie würden Punkt für Punkt umgesetzt. Und drohte allen Abgeordneten seiner Koalition, die etwa nicht bereit wären, sich an dem sogenannten Reformwerk zu beteiligen. Basta. Nach seinem ersten Bundestagswahlsieg 1998 hatte Schröder sofort, noch bevor er vereidigt war, sein Ja zum Bombenkrieg gegen Jugoslawien gesprochen. Ähnlich stellte er nach der Wahl 2002 die Weichen für den dauerhaften Sozialabbau. Indem er die ganze Fraktion der eigenen Partei und den Koalitionspartner mit der Androhung seines Rücktritts erpreßte, durch den sie alle ihre schönen Posten und Privilegien verlieren würden, stellte er klar – klarer, als seine Amtsvorgänger und seine Nachfolgerin es je getan haben –, daß er seine Hauptaufgabe darin sah, das Rogowski-Programm zu befolgen, nicht das Programm seiner Partei und die Wahlversprechen der Koalition. Und wir erlebten dann die Entmachtung des Parlaments: Den Abgeordneten blieb nur die Funktion, Punkt für Punkt und 1:1 die Pfoten zu heben beziehungsweise an ihrem Sitzpult den Ja-Knopf zu betätigen. In dem sogenannten Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit und in der Hartz-Kommission ließen sich Gewerkschaftsvertreter zunächst noch einbinden. Später bei Rürup gaben sich Ursula Engelen-Kefer und Klaus Wiesehügel nicht mehr dafür her, eine Politik des brutalen Sozialabbaus mit Konsenssoße zu übergießen. Aber haben die Gewerkschaften inzwischen zu ihrem Auftrag zurückgefunden, gegen die Daueroffensive des Kapitals – die längst zur Folge hat, daß das Leben von Millionen Armen immer schwerer und kürzer wird – Widerstand zu leisten? Erwartet überhaupt noch jemand, daß die Gewerkschaftsvorstände ähnlich selbstbewußt wie der BDI die Interessen der Mitgliedschaft vertreten? Ihre Mitgliedschaft schrumpft, ihre Geldmittel, ihre Veröffentlichungen, ihre Bildungsarbeit, alles geht zurück. Um die Jugendlichen kümmert sich derweil die NPD, die hier und da auch schon versucht, sich den 1. Mai anzueignen. Oder beginnt jetzt der große Aufbruch nach links durch die Partei, die sich »Die Linke« nennen will? Ich bin aus mehreren Gründen skeptisch: wegen ihres starken Dranges zum Mitregieren (Sozialisten müßten gegen die reale Kapitalherrschaft und deren parlamentarische Vertretungen opponieren), wegen der schnellen, kampflosen Aufgabe eigener Positionen zugunsten sozialdemokratischer Koalitionspartner, wegen des dreisten »Weiter so« nach dem Verlust der halben Wählerschaft in Berlin, auch wegen ihrer Neigung zu opportunistischer Geschichtsklitterung und vor allem mangels klarer, allgemein verständlicher, auch und besonders die Jugend überzeugender Schlüsselforderungen. Mein Vorschlag ist, sich auf zwei vordringliche gesellschaftspolitische Forderungen zu konzentrieren: Vollbeschäftigung durch Verkürzung der Arbeitszeit auf 28-Wochenstunden an vier Wochentagen und Demokratisierung der Medien. Wenn die Linken – darunter »Die Linke«, die bitteschön keinen Monopolanspruch erheben möge – nicht wagen, für diese beiden Schlüsselforderungen zu kämpfen, ist ihre weitere Marginalisierung abzusehen. Keinesfalls dürfen linke Gewerkschafter künftig von der Partei »Die Linke« erhoffen, was sie bis Schröder vergeblich von der SPD erhofft haben: Erfüllung ihrer Forderungen auf parlamentarischem Wege. Die unabhängigen, überparteilichen Gewerkschaften haben ihren eigenständigen Auftrag: die Interessen der Lohnabhängigen (der Erwerbstätigen, von Arbeitslosigkeit Bedrohten und der Arbeitslosen) laut und deutlich zu artikulieren; die Opfer der realen BDI-Herrschaft zu mobilisieren; nicht zuzulassen, daß der technische Fortschritt in Fabriken und Büros fast ausschließlich dem Kapital zugute kommt; die wachsende Ungleichheit und systematische Ungleichmacherei (auch in der Schule oder im Gesundheitswesen) zu bekämpfen; sich dem akuten Wahnsinn der Arbeitszeitverlängerung zu verweigern, statt ihn per Tarifvertrag zu sanktionieren, wie es neuerdings geschieht. Noch gilt das Streikrecht, gegen das Rogowski vor fünf Jahren in seinem Forderungskatalog polemisierte. In diesem Sinne: Heraus zum 1. Mai! Auf zum Kampf um Vollbeschäftigung, das heißt um gleiche Rechte! Ein utopisches Ziel? Der Kampf wird gewiß nicht zu gewinnen sein, wenn wir ihn aus Furcht zu verlieren gar nicht erst aufnehmen – auch nicht, wenn wir der Gegenseite entscheidende Waffen überlassen und hinnehmen, daß 99,9 Prozent der Presse und ein wachsender Teil des Rundfunks den Konzernen gehören, die dem Volk weismachen, das Programm des BDI sei das beste Regierungsprogramm.
Erschienen in Ossietzky 8/2007 |
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