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Jüngst haben auch die PR-Strategen der SPD verlauten lassen, daß ihre immer noch unter dem Label »sozial« firmierende Partei in zwei Jahren mit dem Thema »Mindestlohn nicht unter 7,50 Euro die Stunde« in den Wahlkampf ziehen will. Ihr Arbeitsminister Müntefering allerdings verficht in der Koalition mit der CDU/CSU ein etwas anderes Konzept, nämlich das der Branchentarifverträge. Was die Tarifparteien ausgehandelt haben, könnte anschließend von der Regierung als Mindestlohn für verbindlich erklärt werden. Das kann dann dauern und ist schön flexibel auch nach unten. So ist geplant, für die inzwischen mehr als eine halbe Million Beschäftigten der Zeitarbeitsbranche den 2006 im Tarifvertrag vereinbarten Mindestlohn von 6,10 im Osten und 7 im Westen für alle Firmen vorzuschreiben was deswegen nötig ist, weil immer mehr Firmeninhaber aus den Arbeitgeberverbänden austreten und nach Gutsherrenart ihrer Belegschaft je nach vorgeblicher Geschäftslage Dumpinglöhne oktroyieren oder vielleicht auch mal ein kleines Zubrot gewähren. Die Gewerkschaften in Deutschland anders als ihre Kollegen in vielen Nachbarländern standen lange Zeit einer einheitlich von der Regierung bestimmten Mindestlohnregelung kritisch gegenüber. Sie fürchteten nicht nur eigenen Bedeutungsverlust (die Tarifpolitik würde ja teilweise von der Regierung oder den Parlamenten übernommen), sie warnten auch vor der Gefahr einer schleichenden Absenkung aller Löhne durch einen unter Umständen unzureichend ausgestatteten gesetzlichen Mindestlohn. Doch die Mißstände in all den Branchen ohne Tarifbindung traten immer schreiender zu Tage. So berichtete das Hamburger Abendblatt von einer Putzfirma, die im vornehmen Fünf-Sterne-Hotel der Dorint-Kette für 1,92 Euro Stundenlohn die Zimmer reinigen ließ. Die Aufregung war groß, dies könne doch nicht die feine Art eines Hamburger Kaufmanns sein Aber bald wurde bekannt, daß hier kein Einzelfall mit illegal Beschäftigten vorlag, sondern in vielen Fällen im Reinigungsgewerbe auch tariflich vereinbarte Löhne in der Praxis durch nicht zu erfüllende Akkordvorgaben auf zwei Euro abgesenkt werden. Und die Gewerkschaften mußten sich vorwerfen lassen, daß sie trotz ihrer oft wohl nur noch gefühlten Verhandlungsmacht in vielen Fällen Tariflöhne für den unteren Bereich akzeptiert haben, die nicht einmal einem Alleinstehenden genügen, seiner Armutsfalle zu entkommen. Wenn gegenwärtig im Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen im ersten Jahr nach der Ausbildung brutto 4,93 oder im Bewachungsgewerbe in Thüringen 4,60 als gültige Tariflöhne gezahlt werden, wären das ohne Überstunden netto etwa 50 oder 90 weniger als die gültigen Hartz-IV-Sätze. Eine Kleinfamilie oder eine »Bedarfsgemeinschaft« könnten in solchen Fällen ohne staatliche Alimentierung gar nicht auskommen. Die Zahl derer, die trotz Vollzeitarbeit Leistungen aus dem Arbeitslosengeld II beanspruchen müssen, ist denn auch innerhalb eines Jahres auf das Doppelte gestiegen, sie beträgt derzeit gut 500 000. Die Einsicht, daß die Gewerkschaften längst nicht mehr in der Lage sind, die weitere Ausbreitung von Hungerlöhnen zu verhindern, war dann wohl auch der Grund, weshalb der DGB auf seinem Bundeskongreß im Mai 2006 die Forderung nach einem Mindestlohn von 7,50 (mit allmählich steigender Tendenz) übernommen hat. Allerdings spricht sich die IG Bergbau, Chemie, Energie mit ihrem Vorsitzenden Hubertus Schmoldt immer noch vehement dagegen aus. Ähnlich ablehnend sind momentan noch die Positionen der meisten Arbeitgeberverbände obwohl inzwischen von dort auch andere Töne zu hören sind, wonach ein verbindlicher Mindestlohn Planungssicherheit und Schutz vor Billigkonkurrenz für die Betriebe bedeuten könne. Aufschlußreich war eine Alarmmeldung von Spargelbauern im Münsterland: Es kämen zu wenige der gewohnten Saison-Spargelstecher aus Polen, weil viele von ihnen inzwischen weiterzögen nach Holland, Belgien oder Frankreich, wo es so um die 8 € Mindestlohn gebe, während sie hier nur 5 € zahlen könnten. Noch schreien diese Bauern nicht nach Einführung eines Mindestlohnes, sondern nur danach, daß der Staat mit Zuschüssen und mehr Druck auf deutsche Arbeitslose (mit vorherigen Spargelstechkursen durch die Arbeitsagentur) helfen soll. Die CDU und FDP, unterstützt von ihren neoliberalen Politikberatern, lehnen in gewohnter Weise einen von Staats wegen festgesetzten Mindestlohn ab allerdings kommen von der CSU, namentlich von Stoiber, leise gegenteilige Signale. Die Grünen wären nur unter strengen Bedingungen dafür: Ein Mindestlohn dürfe nicht bestehende Arbeitsverhältnisse gefährden oder entwerten und die Tarifautonomie nicht antasten. Offenbar meinen diese Ökoliberalen damit die Autonomie der Kapitalseite. Die sich als »Die Linke« konstituierende PDS-WASG tritt schon länger für einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Zunächst wurde in den Gliederungen noch über einen armutsfesten Monatsmindestlohn von 1400 bis1500 € debattiert. Inzwischen ist doch wieder der Mindest-Stundenlohn Beschlußlage: In Solidarität mit den Gewerkschaften fordert man zumeist wie sie 7,50 € als Einstieg; zunehmend werden 8 € gefordert. Damit bleiben aber selbst diese Linken teilweise noch unter dem Niveau, das in den Nachbarländern Gesetz ist: In den Niederlanden gilt ein Mindestlohn von 8,13 €, er wird alle sechs Monate der Wirtschafts- und Preisentwicklung angepaßt. In Frankreich müssen 2007 mindestens 8, 27 € gezahlt werden, in Luxemburg 9,08 €. Der erste große Fehler der meisten bisherigen Forderungen nach Mindestlohn ist das Fixiertsein auf den Stundenlohn, ohne die Arbeitszeit pro Woche oder Monat mit zu problematisieren. Die Holländer zum Beispiel schreiben außer dem Stundensatz zugleich einen Monatsmindestlohn von 1300 €, die Luxemburger von 1400 € vor. Die jetzt hierzulande von DGB, SPD und Teilen der Linkspartei geforderten 7,50 € würden bei 38,5 Wochenstunden im Monat 1250 € erbringen, netto könnte ein Alleinsteher damit jedoch nur 928 € (in Steuerklasse 1, ohne Kirchensteuerabzüge) verdienen. Das läge noch 57 € unter jener Grenze, die die Gerichte als pfändungsfreies Einkommen definieren, und brächte nicht viel mehr, als 1-Euro-Jobbern nach Hartz IV zusteht. Doch wo bleibt die notwendige Mitversorgung der Kinder? Sind wir so weit, daß Niedriglöhner sich nicht mehr reproduzieren sollen in die nächste Generation? Die Löhne insgesamt verstärkt im unteren Bereich konnten nur deshalb derart in die Abwärtsspirale geraten, weil die Massenarbeitslosigkeit alle auf Arbeitseinkommen Angewiesenen in verschärfte Konkurrenz untereinander getrieben hat, was die Unternehmen ausnutzen. Daher ist der zweite Fehler aller heute nach »Mindestlohn« Verlangenden, daß sie nicht zugleich die altbekannten Forderungen nach gesetzlicher Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sowie den Ausbau des Öffentlichen Sektors mit einfordern. Bei einer Arbeitszeit von 28 Wochenstunden, wie sie dem technischen Fortschritt in den Betrieben entspräche, müßten die Stundenlöhne entsprechend höher ausfallen. Eine Fata Morgana vom Mindestlohn, die uns vorgaukeln will, mit einem Bruttostundenlohn von 7 oder 8 € sei ein menschenwürdiges Leben gewährleistet, erweist sich als eine fatale Schönspiegelung: Der Weg dahin ist noch lang und die einstige Oase bei Ankunft schon halb verdorrt. Doch wenn man liest, daß ein Mindestlohn von 7,50 € für mindestens 4,6 Millionen der heute im Niedriglohnsektor Beschäftigten eine z. T. erhebliche Verbesserung wäre, ist trotzdem Eile geboten. Es kann sich allerdings nur um ein sehr vorläufiges Etappenziel handeln.
Erschienen in Ossietzky 8/2007 |
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