Jubel und Hohn

Werner René Schwab

Der Vormarsch des Raubtier-Kapitalismus hat, wie Marx und Engels vor über 150 Jahren voraussagten, »kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose, bare Zahlung«. Wir erfahren es tagtäglich. Zu der Gefühllosigkeit, mit der den Armen und Abhängigen begegnet wird, zu Ausbeutung und Unterdrückung kommt die Schamlosigkeit, mit der sich die herrschenden Profiteure öffentlich ihres Triumphes und Reichtums rühmen und die einfachen Leute verhöhnen. Viele führende Unternehmer und Manager haben den Rest bürgerlichen Anstands verloren. Am gleichen Tag verkünden sie Gewinne ihrer Unternehmen und Entlassungen zahlreicher Beschäftigter; am gleichen Tag längere Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und Erhöhung der eigenen Bezüge um zweistellige Prozentzahlen; am gleichen Tag jubeln sie über den Kursgewinn ihrer Aktien und drohen den »Mitarbeitern« mit Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, wenn sie nicht für weniger Geld länger arbeiten; am gleichen Tag fordern sie die »Solidarität« der Angestellten und Arbeiter mit ihrem Betrieb und schmieren korrupte Betriebsräte und unternehmensnahe »Arbeitnehmervertreter«. Wenn es gelungen ist, Betriebe und Betriebsteile an Investitionsgesellschaften zu verkaufen, die bald darauf ein paar tausend Menschen arbeitslos machen werden, lassen sie in aller Öffentlichkeit die Sektkorken knallen.

Die Einkommen der Top-Manager stiegen im Jahr 2006 um 15 bis 20 Prozent, die Gewinne der Unternehmen um 18 Prozent. Geradezu bescheiden wirkt da der bisherige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der nur 11 Prozent mehr bekam und sich nun mit 13,2 Millionen Euro Gehalt für dieses Jahr begnügen muß. Aber natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit. Denn seine Gesamtvergütung liegt wie auch die anderer Spitzenmanager weit höher. Laut Manager-Magazin betrug sie schon im vergangenen Jahr mehr als 30 Millionen Euro. Die große Koalition senkt die Unternehmenssteuern und greift zugleich den Kranken, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Rentnern und auch den Beschäftigten immer noch tiefer in die Taschen (dokumentiert in Ossietzkys regelmäßig erscheinender »Chronik des Sozialabbaus«). Selbst der neoliberale Chef des von der Bundesregierung eingesetzten und alimentierten Rats der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, hat erkannt: »Das ist ein gesellschaftliches Problem.« Nur scheinen die verantwortlichen Politiker das nicht zu begreifen. Eilfertig erfüllen sie weiterhin die Wünsche der Wirtschaft.

Und dabei werden die Kapitalbesitzer, Großaktionäre, Bankiers und Topmanager noch von den Medien unterstützt. Nur ein Beispiel: Nachdem der Chemieriese Bayer das Berliner Pharmaunternehmen Schering gekauft hatte, klingelten kurz darauf bei Bayer die Kassen besonders laut, und der Vorstand sagte weitere Gewinne voraus. Nur so nebenbei wurde bekannt, daß 6100 Beschäftigte entlassen werden. Und die Badische Zeitung jubelte, dies sei notwendig für die »Zukunftssicherung«. Die deutsche Chemie habe damit bewiesen, daß sie ihre Weltbedeutung gut verteidigen könne. Denn es sind auch die Provinzzeitungen und nicht nur Blätter wie die FAZ oder Financia l Times , wie Stern und Spiegel , die die Gemeinheiten der Herrschenden unterstützen und daran mitwirken, das Volk zu verdummen.

Vergangen sind die Zeiten, als man wenigstens nicht demonstrativ zeigte, wie man seine Gemeinheiten genießt. Heute gibt es dafür sogar öffentliches Lob.

Erschienen in Ossietzky 8/2007