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Aus der Ferne leuchtet von Osten, Süden und Westen der Schnee von über 2000 Meter hohen Felsmassiven. Es ist Ostersonntagmorgen. Man könnte sich kein friedlicheres, freundlicheres Bild vorstellen, wenn man nicht wüßte, daß die Weinhänge von Stacheldrahtrollen durchzogen sind. Und wenn man nicht auf einem Hügel den großen Wach- und Schießstand sähe, auf dem die Fahnen mehrerer fremder Länder aufgezogen sind. Es ist eine Stellung der Kosovo Forces (KFOR). An die 700 Serben leben hier noch in einer Enklave, und auch in der vier Kilometer entfernten Stadt Orahovac (albanisch: Rahovec) besteht noch ein serbisches Wohnviertel. Es sind zwei der letzten serbischen Enklaven in einer Region, die völkerrechtlich nach wie vor zu Serbien gehört, aber nach dem Willen der NATO und des finnischen Diplomaten Ahtissari unabhängig werden soll. Der österreichische Dichter Peter Handke nennt diese Enklaven den »Elendstrichter Europas«. Den noch hier lebenden Menschen – »beschützt und bewacht von jenen Staaten, den westeuropäischen, die ihnen mit Bombengewalt den eigenen Staat = Jugoslawien geraubt, geraubschatzt haben« (Handke) – hat er die 50.000 Euro zugedacht, mit denen der Berliner Heinrich-Heine-Preis dotiert war. An diesem Ostersonntag überreichen wir ihm das Preisgeld, und er reicht es weiter an den Bürgermeister des Ortes, Dejan Baljoševic. Der Ortsname Velika Hoca bedeutet: viele Väter. Handke wünscht dem Dorf viele Kinder. Zukunft. Eigentlich sollte Handke im vergangenen Dezember, an Heines Geburtstag, den Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preis erhalten. Eine unabhängige Jury von Literaturkennern hatte ihm diese Auszeichnung zuerkannt. Aber gleich nach der Entscheidung erhob sich Geschrei bei der Mehrheit der Kommunalpolitiker, bei Christdemokraten, Freidemokraten und vor allem auch bei Sozialdemokraten und Grünen, denn im Winter 1998/99 hatten diese beiden Parteien die Bundesregierung gebildet, und ihr Kanzler Gerhard Schröder war noch nicht vereidigt worden, als er dem damaligen US-Präsidenten Clinton schon zusagte, Deutschland werde sich am Krieg gegen Jugoslawien beteiligen. Daß dies ein Verbrechen war, wollen sie bis heute nicht eingestehen, sondern halten sich an den Lügen und Greuelmärchen fest, die damals von den Kriegspropagandisten in Bonn und Brüssel ersonnen wurden. (In Washington sprach man einfach von dem »Kommunisten« Milosevic, der weg müsse.) Handke, der den Krieg in Jugoslawien unmittelbar miterlebte, das Land schon vorher gut kannte und auch seitdem immer wieder besuchte, worüber er in mehreren Büchern anschaulich berichtet, wurde in Heines Geburtsstadt Düsseldorf als »Serbenfreund« diffamiert, vor allem weil er es gewagt hatte, den früheren serbischen und jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic in der Haftanstalt in Den Haag zu besuchen und später sogar Abschiedsworte an dessen Grab zu sprechen. Er forderte bereits 1996 »Gerechtigkeit für Serbien« und machte sich damit verhaßt. Nicht nur in Deutschland. Auch in Frankreich, wo er meistens lebt. Die Comédie Française setzte ein Handke-Stück vom Spielplan ab. Das Gezeter der Düsseldorfer Kommunalpolitiker, verstärkt durch Tiraden in den Medien, machte es Handke unmöglich, den dortigen Preis anzunehmen. Daraufhin kamen Käthe Reichel, Rolf Becker und ich überein, den Berliner Heinrich-Heine-Preis zu initiieren. Wir übernahmen die Kriterien des Düsseldorfer Preises, mit dem Persönlichkeiten geehrt werden sollen, »die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten«. Mehr als 500 Menschen unterschrieben unseren Aufruf und spendeten für den Preis – unter ihnen bekannte Theaterleute, Schriftsteller, Wissenschaftler und auch zwei Mitglieder des Düsseldorfer Stadtrats. Unser Ziel war, 50.000 Euro zusammenzubringen – genau so viel, wie die Stadt Düsseldorf für ihren Preis ausgeben wollte. Und wir erreichten es. Viele Ossietzky- Leser halfen. Die größte Einzelspende betrug 5.000, die kleinste 5 Euro, gemeinsam überwiesen von zwei Eheleuten, die von Sozialhilfe leben. Alle Spender wußten von vorn herein, daß Peter Handke das Preisgeld nicht für sich behalten, sondern an die Menschen im »Elendstrichter« weitergeben wollte. * Bogoljub Stasic heißt der Weinbauer in Velika Hoca, bei dem Rolf Becker und ich Unterkunft gefunden haben. In der Frühe des Ostersonntags bringt er uns nach Landessitte gefärbte Eier ins Zimmer. Seine Frau Vidosava hat feine alte Muster mit Wachs aufgetragen, die Eier dann mit roter Farbe bestrichen und schließlich das Wachs entfernt. Jedes Ei ein Kunstwerk. Bogoljub und sein behinderter Sohn Vladica bringen uns auch frisches Wasser, Kaffee und Halva, rot und süß. Weil Vladica Englisch lernt, können wir uns verständigen. Wir erfahren: Bogoljub und Vidosava hatten etwa neun Hektar Land, bevor der Krieg begann. Das reichte ihnen. Aber nun liegt etwa ein Drittel dieser Fläche in dem Gebiet, das die Albaner besetzt haben; die haben inzwischen Häuser darauf gebaut. Das verbliebene Land reicht den Stasics nicht mehr. Das Leben ist schwerer geworden. Für den Verlust ihres Eigentums wurden sie nicht entschädigt. Die beiden älteren Söhne, Stanislaw und Dalibor, die in Belgrad studieren sollten, versuchen jetzt, sich dort irgendwie durchzuschlagen. Wir wollen uns waschen, aber aus der Leitung kommt kein Tropfen Wasser. »Die Albaner haben es abgestellt«, klagt Bogoljub. »Immer wieder. Es ist eine Katastrophe.« Für ihn hat alles Unglück im Leben nur noch einen Namen: »die Albaner«. Er hat keinerlei Kontakt zu ihnen. Viele von ihnen hat er auch früher nicht gekannt, nicht kennen können: Sie sind neu angesiedelt worden. Zu Hunderttausenden sind sie aus Albanien zugewandert. Die Besatzungsmächte haben es geschehen lassen. So sieht Bogojub nun für sich und vor allem für seine Söhne hier im Heimatort keinerlei Perspektive mehr. Er bittet Rolf Becker und mich: »Helft uns, Asyl in Deutschland zu finden. Die ganze Familie will auswandern.« Er hat sich schon an die deutsche Botschaft in Belgrad gewandt, wurde aber mit der Bemerkung zurückgeschickt, er habe nicht die richtigen Papiere. Überall im Kosovo sehen wir die albanische Nationalfahne wehen. Auf Werkstätten, auf Läden, über zahlreichen Helden-Denkmälern, allerorten der schwarze Adler auf rotem Grund. Die militärischen Machthaber dulden diese Demonstration, obwohl auch die Regierungen der NATO-Länder wissen, daß sie von Rechts wegen Kosovo als Teil Serbiens zu respektieren hätten. Sie dulden auch die allmähliche Verdrängung der Serben, die seit langem im Gange ist. Vor allem die deutsche Besatzungsmacht steht fest zu den Albanern, deren UCK in den 1990er Jahren eine ähnliche Rolle gegen die Serben übernahm wie im Zweiten Weltkrieg die albanische SS-Division Skanderbeg. Zu Beginn des vorigen Jahrzehnts machten die Serben noch etwa 25 Prozent der Bevölkerung des Kosovo aus, jetzt sind es keine zehn Prozent mehr. Nirgendwo standen so viele serbisch-orthodoxe Heiligtümer aus dem Mittelalter wie im Kosovo. Viele dieser Bauwerke, die zum Weltkulturerbe gehörten, wurden bei albanischen Übergriffen Ende der 90er Jahre, manche im Jahre 2004 in Brand gesetzt. Der letzte Beschuß des weltberühmten Klosters Dekani fand wenige Tage vor Ostern 2007 statt. Aber in Westeuropa, vor allem in Deutschland, glaubt das Publikum ganz fest zu wissen, »die Serben«, unter dem »neuen Hitler« Milosevic hätten die Albaner vertrieben, zu deren Schutz dann die NATO habe Bomben werfen müssen. * Nach der feierlichen doppelten Preisgeldübergabe – von uns an Handke, von Handke an die Ortsbevölkerung, die das Geld hoffentlich in Handkes und unserem Sinne vor allem für die Kinder verwenden wird – werden wir üppig mit allem bewirtet, was das Dorf zu bieten hat; wir wundern uns, daß der schwere, aber leicht über die Zunge gehende Wein uns nicht müde macht. Vielleicht liegt es an unseren angeregten Gesprächen, in denen wir viel voneinander erfahren. Zum Abschied am nächsten Morgen küßt jeder jeden dreimal: zweimal auf die eine, einmal auf die andere Wange, wie es hier Sitte ist. Rolf Becker und ich haben mit der Fotografin Gabriele Senft verabredet, uns weiter im Kosovo umzusehen. Wir fahren nach Prizren. In dieser Stadt im Süden Kosovos hat die deutsche Bundeswehr ihr Hauptquartier. Seit der Besetzung durch die NATO-Truppen ist sie hier und in den Nachbarorten für die Sicherheit der Bevölkerung verantwortlich. Das von den noch verbliebenen Serben bewohnte Viertel an einem steilen Hang nahe dem Zentrum hatten die Deutschen mit Stacheldrahtrollen umgeben. An der einzigen Zufahrt standen Panzer. Oberhalb des Viertels, auf dem Vorplatz einer kleinen Kirche, hatte die Bundeswehr einen Schießstand eingerichtet, von dem aus die Soldaten alles überblicken und jederzeit eingreifen können. Vor unserer Osterreise ersuchte Rolf Becker beim Bundesverteidigungsministerium in Berlin um Zutritt zu der Enklave. Antwort: »In Prizren gibt es keine serbische Enklave mehr.« Die Bewohner seien wegen albanischer Angriffe evakuiert und auf Bundeswehrgelände »sicher und gut untergebracht« worden, inzwischen lebten sie in Flüchtlingslagern in Serbien. Am Eingang zu dem früheren Ghetto treffen wir zwei Bundeswehrsoldaten, die diese Auskunft bestätigen. Angeblich, sagt einer, lebe noch ein alter Serbe irgendwo in den Trümmern, aber er wisse das nicht genau, er habe ihn nie zu Gesicht bekommen... Wir gehen hoch, schauen in einige Trümmergrundstücke hinein: verkohlte Balken, herausgerissene Fenster, drinnen Reste von Möbeln, ein Frauenschuh, ein Kinderschuh. An den Straßen Schilder, die dort schon vor 2004 angebracht waren: »KFOR-Area. Betreten verboten. Vorsicht, Schußwaffengebrauch« in vier Sprachen: deutsch, englisch, albanisch, serbisch. Als aber Albaner anrückten und die ersten Häuser in Brand setzten, sah die Bundeswehr ihre Hauptaufgabe darin, die Opfer abzutransportieren; nicht alle überlebten den Pogrom. Damit war die ethnische Säuberung Prizrens abgeschlossen. Oben am Schießstand vor der Kirche, erinnern wir uns an Bilder aus dem Fernsehen: Viele deutsche Politiker haben sich hier zwischen 1999 und 2004 filmen lassen, gemeinsam mit Soldaten, und sie versicherten jedesmal, Deutschland und seine Streitkräfte garantierten die Sicherheit der Bewohner. Und wozu sind die Soldaten jetzt noch an dieser Stelle? Einer sagt uns: »Wir sind quasi zur Dekoration hier. Manchmal fahren wir noch Patrouillen, aber das übernimmt mehr und mehr die hiesige Polizei. Zur Zeit ist es hier friedlicher als in Berlin-Kreuzberg. Im ganzen südwestlichen Kosovo gibt es nur noch einzelne Serben, das sind solche, die in die albanische Gesellschaft eingebettet sind, zum Beispiel durch Heirat.« An die Toten, die der Pogrom von 2004 forderte, erinnert nichts. Ein serbisch-orthodoxer Priester in Velica Hoca hat uns eine Broschüre mitgegeben. Sie enthält viele Bilder von den Überfällen auf mittelalterliche Kirchen. Zwei dieser Kirchen sehen wir unten in der Innenstadt. Beide werden jetzt mit Mitteln der europäischen Union wieder aufgebaut. Aber wer wird hier jemals wieder Gottesdienst feiern? Auch diese Kirchen waren damals von Panzerwagen der Bundeswehr bewacht worden. Doch genau das, was die Bundeswehr vorgeblich leisten sollte, leistete sie nicht: Sicherheit. In Deutschland weiß man davon nichts. Die Medien haben sich nie dafür interessiert. Für sie – fast ohne Ausnahme – ist der Name Kosovo ein Synonym ihres Stolzes, daß Deutschland endlich »wieder normal sein«, wieder »Verantwortung übernehmen«, wieder Krieg führen durfte. Schröder rühmte sich der »Enttabuisierung des Militärischen«. * Die größte serbische Enklave im Kosovo ist der Nordteil der Stadt Kosovska Mitrovica. Unter den rund 25.000 Serben leben hier auch etwa 3.000 bis 4.000 Albaner. Südlich des Flusses Ibar wohnen nur Albaner, keine Serben. Öffentliche Einrichtungen, die früher in der Provinzhauptstadt Pristina bestanden, zum Beispiel Hochschulen, sind jetzt hier neu errichtet worden. In Kosovska Mitrovica fühlen sich die Serben etwas sicherer, aber auch hier klagen sie über die Enge und Perspektivlosigkeit. Es gibt keine Arbeit. Seit dem Krieg rosten die Werkshallen und Maschinen der Trepca-Werke, die seit dem 19. Jahrhundert der größte Arbeitgeber weit und breit gewesen waren. In den Bergen des nördlichen Kosovo lagern wertvolle Erze, ein großer Reichtum. Die Trepca-Werke waren Eigentum des serbischen Staates, sind es noch. Wem sollen sie künftig gehören? Politiker fremder Länder beraten darüber. Die United Nations Mission in Kosovo (UNMIK) zahlt den unbeschäftigten Angestellten monatlich 30 Euro. In einem Zweigwerk im Norden der Stadt können immerhin 1.000 Menschen noch arbeiten. Ihr Monatslohn beträgt zwischen 80 und 130 Euro. Für das Bildungs- und das Gesundheitswesen kommt Serbien auf. Wir besuchen ein Flüchtlingsheim in einem alten Schulgebäude. 40 Familien oder Einzelhaushalte sind auf 40 Zimmer verteilt, teilweise durch schlichte Holzwände voneinander getrennt. Die UNMIK liefert für jeden Haushalt jährlich zwei Kubikmeter Holz zum Heizen. Das Holz lagert auf den Fluren. Wasser gibt es nur am Ende des Flurs im Erdgeschoß; eine japanische Hilfsorganisation spendete vier Boiler, eine große Hilfe. Die fünfköpfige Familie Amusi ist seit 1999 in dem Heim untergebracht. Mutter Sevdiga (56) und ihre Kinder leben von 50 Euro Witwenrente. Ihr Heimatort Vuctren liegt nicht weit entfernt, aber für sie unerreichbar. Ilinka Petkovic (39) war mit ihrem Mann und zwei Söhnen nach Deutschland geflüchtet. Vor drei Jahren wurde die Familie von den deutschen Behörden abgeschoben – unerwünscht. Gibt es wirklich keine Perspektiven? Wenn nach dem Ahtissari -Plan die ganze serbische Provinz Kosovo für unabhängig erklärt wird, »bleibt uns hier nichts mehr«, meint Dubravka G., eine gebildete Frau, die uns mit ihren Deutschkenntnissen behilflich ist. »Man möchte doch in Ruhe leben, nachts in Ruhe schlafen können.« Andere können sich vorstellen, daß der Norden des Kosovo abgetrennt wird und bei Serbien bleibt – »möglichst mit einer hohen Mauer nach Süden geschützt«. Blazo Milosawljevic, führender serbischer Gewerkschafter im Kosovo, kennt viele Albaner und hält Kontakt mit ihnen. Er argumentiert: »Die Trepca-Minen und -Werke können nur in Betrieb genommen werden, wenn serbische und albanische Arbeiter sich darüber verständigen. Man soll endlich uns selber darüber verhandeln lassen, statt aus der Ferne über uns entscheiden zu wollen. Auch die Albaner sind größtenteils arbeitslos. Auch ihre Perspektive ist düster, wenn wir nur immer weiter auseinanderdividiert werden.« Ähnlich hören wir es von anderen: Die Invasoren sollen sich heraushalten, unter den einfachen Menschen sei zwar viel Angst verbreitet, aber die Scharfmacher und Terroristen seien in der Minderheit und daß jedem nachdenklichen Menschen sei klar: »Eine Zukunft gibt es nur im Miteinander.« Heimweh nach Jugoslawien wird selten eingestanden, ist aber weit verbreitet. Wie reich, wie zukunftsträchtig könnte der Balkan sein, wenn er nicht immer weiter zerstückelt würde. Aber die Sieger des Krieges gegen Jugoslawien hatten und haben genau das im Sinne: Teile und herrsche. * Unsere Osterreise führt uns zum Abschluß über Kragujevac nach Belgrad. Kragujevac war seit dem 19. Jahrhundert der Mittelpunkt des Maschinenbaus in Serbien. In der Zastava-Automobilfabrik arbeiteten früher zeitweilig über 50.000 Menschen. Im NATO-Bombenkrieg wurde das Werk zerstört, die Teilung Jugoslawiens schnitt die Verbindung zu den Absatzmärkten ab. Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit auch hier. Daß deutsche Truppen in dieser Stadt im Oktober 1941 das größte Massaker des Zweiten Weltkrieges auf dem Balkan anrichteten, innerhalb weniger Stunden 7000 Menschen umbrachten, Schulklassen mit dem Lehrer zur Erschießung antreten ließen – wer in Deutschland weiß das? Wer weiß, daß 1999 die Gedenkstätte am Ort dieses Verbrechens von NATO-Geschossen getroffen wurde? Wem ist bewußt, daß Serbien im vergangenen Jahrhundert dreimal von deutschen Truppen überfallen wurde? Das ist – wie sagt man heute – kein Thema. Serbien, das Hauptopfer des Krieges gegen Jugoslawien, soll als Hauptschuldiger gelten, dem Strafe gebührt. So will es die NATO. Die Sieger forderten die Auslieferung des Präsidenten Slobodan Milosevic, dem sie jahrelang vor einem Sondertribunal in Den Haag den Prozeß machten. Er verteidigte sich souverän, indem er alle Anklagepunkte widerlegte. Aber die Medien in den NATO-Staaten berichten darüber nicht. Er muß der Schurke bleiben, auch als Toter. Zwar hat vor einigen Wochen der Internationale Gerichtshof Serbien von diversen Beschuldigungen freigesprochen, mit denen die antiserbische Propaganda bis heute operiert. Der Richterspruch wurde in der deutschen Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen und schnell vergessen. Seit fünf Jahren sitzt Dragoljub Milanovic in Haft und soll nochmals fünf Jahre hinter Gittern bleiben. Nachdem die NATO völkerrechtswidrig die Zentrale des Senders in der Belgrader Innenstadt bombardiert und dabei 16 Beschäftigte getötet und 130 verletzt hatte, kamen ihre Juristen auf die an Freisler erinnernde Idee, Milanovic für das Verbrechen verantwortlich zu machen: Er hätte ja den Sendebetrieb einstellen, die Beschäftigten nach Hause schicken können. Ebenso wie Serbien erpreßt wurde, Milosevic nach Den Haag auszuliefern, wurde es gezwungen, Milanovic schuldig zu sprechen – als Vorbedingung für künftiges westliches Wohlwollen. Wir treffen uns mit seiner Frau (die ebenfalls beim Fernsehen beschäftigt war, aber entlassen wurde, weil sie seine Frau ist) und seiner Tochter. Sie berichten uns unter anderem von einer Petition, die namhafte Kulturschaffende des Landes im vergangenen Jahr unterschrieben hatten. Premier Kostunica weigerte sich, die Delegation zu empfangen, die sie ihm überbringen wollte. Die Medien berichteten nichts. Die führenden Zeitungen des Landes gehören seit Jahren deutschen Medienkonzernen. Und was berichteten deutsche Medien über die Preisverleihung im Kosovo? Wenn überhaupt, dann kaum ein Wort über unsere Begründung. Dem Spiegel war es wichtiger, über Handkes vorübergehendes Problem mit einem Handy zu berichten. dpa wußte, daß im Kosovo durch »die ständige Militärpräsenz erträgliche Bedingungen« geschaffen worden seien. Und der deutsche Botschafter in Belgrad, Andreas Zobel, drohte auf einem »Forum für internationale Beziehugen der Europabewegung in Serbien«: Das Kosovo-Problem sollte schnellstmöglich im Sinne einer überwachten Unabhängigkeit gelöst werden, anderenfalls könnten Probleme in der Vojvodina und im Sandschak »eröffnet« werden. Zur Verdeutlichung, wer Herr im Hause ist, fügte er hinzu, Serbien habe »eine bessere politische Elite verdient«.
Erschienen in Ossietzky 8/2007 |
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