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Die hessische Nachbarin bleibt hartnäckig: Ich bin sicher, daß Sie doch vorbeikommen, meine Besucherin war nämlich lange Zeit Hobby-Züchterin für Chow-Chows! Das ist mein Stichwort, wie Frau B. genau weiß. Für diese Hunde und für Menschen, die sich damit auskennen, laufen wir meilenweit, nicht nur zum Haus an der nächsten Ecke. Zwar ist Billy, unser Chow, schon 1990 gestorben, doch zwölf Jahre lang war er da und wie – eine Passion für die ganz besonders geschätzten Tiere hält lebenslang an. Der erste Vertreter dieser Rasse, den wir näher kennenlernten, gehörte zu Walter Boehlich, damals Cheflektor im Suhrkamp Verlag, sein Chow war ihm Kind, Bruder, Freund, Partner, ein kleiner rötlich-kupferfarbener Löwe. Boehlich brachte unsere gemeinsame Begeisterung auf die Formel: »Wir lieben die roten Hunde.« Das ließ sich weiträumig interpretieren. Gegen 16 Uhr mache ich mich auf zur Kurzvisite, die wird dann aber etwas länger. Eine zierliche ältere Dame sitzt schon bei Kaffee und Kuchen, mir wird auch serviert, die beiden Offenbacherinnen rekonstruieren ihre Vergangenheit. Als kleines Mädchen bist du meistens bei uns gewesen, sagt Frau B. zu ihrer Freundin, du hattest nur einen kurzen Weg aus dem Haus gegenüber, wir waren drei Geschwister und du als Einzelkind … Ich war nie ein Einzelkind, protestiert Frau E., ich hatte zwei große Brüder. Jetzt ist die Gastgeberin verblüfft, wieso sind die mir nie begegnet? Ich weiß, die beiden Frauen trafen sich lange Zeit nicht, aber diese familiären Unklarheiten sind sehr verwirrend. Der ältere lebte weit weg in einer anderen Stadt, erklärt die Besucherin, und der jüngere ist 1935 verhaftet worden, von der Gestapo … Kommunist? frage ich, und bin mir der Antwort schon sicher. Das haut einen um, erwartet habe ich Neues und Vertrautes über rote Chows und bin plötzlich mitten drin in der Geschichte des einst roten Offenbach. Im Gedächtnis sind einem Opferzahlen und Biographien, doch hier rückt ein Fall unerwartet ganz nahe heran, mitten in die Kaffee-und-Kuchen-Idylle. Frau B. ist vor Schreck verstummt, außergewöhnlich für die sonst unermüdliche hessische Babbelgusch. Tagsüber sammelten sie Brombeeren, mein Bruder Ludwig und ein paar andere junge Leute, abends druckten sie Flugblätter gegen Hitler, die sie in der Nacht verteilten, erinnert sich Frau E. Eingesperrt war Ludwig im Zuchthaus Butzbach, zwischendurch im Jugendgefängnis Rockenberg. Die längste Zeit saß er in Butzbach, ein paar Mal war ich mit, wenn wir ihn dort sehen durften. Da habe ich meinen Bruder kaum wiedererkannt, immer hatte er ausgeschaut wie aus dem Ei gepellt, bügelte seine Hosen und Hemden selbst, sowas von penibel, und nun stand ein blasser, erschreckend dürrer Junge vor uns, in geflickter, abgerissener Gefängniskluft, so wie er aussah fühlte er sich auch – gedemütigt und verzweifelt. Wie schlecht man ihn behandelte, deutete er nur an, ein Beamter saß immer dabei und spitzte die Ohren. 1935 wurde er eingesperrt, 1939 hatten sie es geschafft, da war Ludwig tot. Unser Vater wurde nach Butzbach bestellt, der Sarg stand bereit zum Abholen, durfte nicht geöffnet werden, das mußte Vater unterschreiben. Vor der Beerdigung konnte er den Bestatter mit viel Mühe überreden. Gemeinsam hoben sie den Sargdeckel ab. An der Schläfe von Ludwig fand sich eine blutverkrustete Wunde und am Hals sahen sie Würgemale – kein natürliches Ende, Mord. Frau E. schweigt erschöpft, zuvor wirkte sie frisch und jugendlich, jetzt merkt man der Offenbacherin ihre 88 Jahre an. Sich des Bruders Schicksal zu vergegenwärtigen, bedrückt sie auch nach der langen Zeit über jedes Maß. Ich erinnere mich vieler politischer Häftlinge, die von den Nazis so getötet wurden. Zu bedenken bleibt, Butzbach war kein Konzentrationslager, sondern ein Zuchthaus, doch brachte man offenbar auch dort sozialistische und kommunistische Häftlinge bereitwillig um. Mein Vater, sagt Frau E., hat den Verlust des Sohnes nie verwunden, er legte sich ins Bett und redete nicht mehr, wenige Wochen darauf starb er über Nacht. Nicht nur im Gedächtnis der Schwester hat Ludwig Degenhardt seinen Platz, der Name des jungen ermordeten Kommunisten ist auf Gedenktafeln der Region verzeichnet – eine Würdigung, an der es in Offenbach wie in anderen deutschen Städten vielen jüdischen und kommunistischen Opfern des Dritten Reiches noch fehlt.
Erschienen in Ossietzky 8/2007 |
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