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Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. Und doch wird nichts mich davon überzeugen, daß es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind. Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.« Dieser Text – Brecht schrieb ihn 1952 – hat 50 Jahre später seine furchtbare Gültigkeit wiedererlangt. Gnadenlose Kriege um Öl und Gas, Märkte und Handelszonen, Umsatz und Absatz, Gewinne und Surplusgewinne sind wieder Alltag. Diese Kriege werden aber von einem noch ganz anderen Krieg begleitet: dem Krieg der Mächtigen gegen die Wahrheit. Unaufhörliches Verbreiten von Unwahrheiten soll die Menschen dazu bringen, das Unfaßliche als Normalität hinzunehmen. Als wären Kriege wie Naturereignisse, kommend und gehend wie der Wechsel des Wetters oder der Wechsel der Jahreszeiten; man kann es bedauern, aber nicht ändern. Darum heißen Kriege heute auch nicht mehr Kriege, sondern »Sanktionen zur Friedensgewinnung« oder »Präventivschläge zur Bewahrung westlicher Werte« oder einfach »Kampf gegen Terrorismus«. Überfälle auf andere Länder, einst Angriffskriege genannt, heißen jetzt, da Angriffskriege von der UNO-Charta und dem Grundgesetz strengstens verboten sind, »punktuelle Militäreinsätze gegen Verletzung der Menschenrechte«. Besatzungsregime, die man errichtet, sind Hilfeleistungen bei der Einführung von Demokratie und beim Brunnenbau. Und immer geht es um Freiheit, um jene »enduring freedom«, was wohl am besten mit »Freiheit zum Dauerschlag« zu übersetzen ist, und zwar weltweit. Denn Terrorismus droht immer und überall. Da man die Terroristen im einzelnen nicht kennt, muß man sie suchen. Zu diesem Zweck schickte der Deutsche Bundestag gegen den Willen von 77 Prozent der Deutschen deutsche Kampfflugzeuge in die umkämpften Gebiete, um sie landschaftlich aufzuklären. Fallen dann Bomben auf die aufgeklärte Landschaft, sind unsere Flieger längst wohlbehalten in ihre Luftwaffenbasis im friedlichen Norden zurückgekehrt. Sicher, es sterben auch Zivilisten, im Irak sind es inzwischen 650.000. Doch das ist unvermeidlich, wie eben auch beim Hobeln Späne fallen. Woher sollen die Bomberpiloten wissen, ob sich unter den Terroristen auch Zivilisten aufhalten? Das Mittelalter ist zurückgekehrt. Aber was damals Folter hieß, mit der man Geständnisse erpreßte, heißt heute im militärischen Dienstgebrauch »Manipulation des Befragungsumfeldes«. Wenn deutsche Konzerne, Weltmeister im Export, auch Waffen in die Kriegsgebiete exportieren, geschieht das immer nur, um in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen, und sei es um Billiglohn. Denn allen geht es nur um den »Standort Deutschland«, was nur ein anderer Ausdruck für »Deutsche Heimat« sei, und »Sachzwang« ist heute das, was man früher Schicksal nannte. Sang man einst zu Kaisers Zeiten von der »Wacht am Rhein«, die fest und treu steht, damit das deutsche Vaterland ruhig schlafen kann, sind es heute »unsere Jungs«, die Deutschland am Hindukusch verteidigen, damit Deutschland weiterschlafen kann. Dieser, wie Ernst Bloch sagen würde, »reale Nebel«, der sich tagein, tagaus verklärend über die Gehirne der Menschen legt, hat einen klaren Zweck: die Menschen an Barbarei zu gewöhnen. Sie mögen, und sei es zu Ostern, dagegen demonstrieren, aber sie sollen wissen, man kann nichts dagegen tun. Tut man es trotzdem, führe das nur zur Verschlechterung. Denn selbst die fehlende Arbeitslosigkeit in dem untergegangenen deutschen Staat war – wie einer Wirtschaftszeitschrift zu entnehmen ist – nichts als Ausdruck verordneter Unfreiheit, da die Stasi die Vollbeschäftigung rücksichtslos erzwang. Also Hände weg! Es gibt ja genug andere Möglichkeiten, ein bewegtes Leben zu führen. Billigflüge und Aldi-Reisen, Gottschalk und Beckmann. Und da ist die totale Spaßgesellschaft. Ihre Events sollen vor allem vergessen machen, daß eine andere Welt möglich ist. Heute lautet die bei Mächtigen so beliebte und für die Leute so gefährliche Zauberformel, von Bildschirm, Kanzel und Katheder verkündet wie eine neue Religion: Es gibt keine Alternative. Ob das Volkswagenwerk trotz bejubelten »Anspringens der Konjunktur« 6000, Daimler-Chrysler 13.000 und Airbus 20.000 Arbeitsplätze streicht; ob die Deutsche Bahn, um sich für den Börsengang fit zu machen, die Zahl der Hochgeschwindigkeitszüge erhöht und dafür durch »Verschlankung« im Nahverkehr ganze Gegenden lahmlegt; ob der Bundestag, obwohl es für Arbeitssuchende über 50 keine Arbeit gibt, wiederum gegen den Willen von zwei Dritteln der Bevölkerung die Lebensarbeitszeit von 65 auf 67 heraufsetzt – bei allen Unternehmungen findet man das kleine Wort »alternativlos«. In seiner Harmlosigkeit läßt es vergessen, daß damit ganze Zeitalter der Menschheit rückgängig gemacht werden. Denn der Mensch wurde und wird zum Menschen, indem er Alternativen, die es immer und überall gibt, erkennt und nützt. Verkündend das Ende aller Ideologie, ist die Behauptung der Alternativlosigkeit die größte aller Ideologien, behauptet sie doch nichts Geringeres als das Ende der Geschichte. 1948 kam ein junger Zuschauer, der »Mutter Courage« gesehen hatte, zu Brecht und fragte, warum selbst Leute, denen der Krieg Unglück gebracht hat, so wenig über den Krieg gelernt hätten. Brechts Antwort: »Im Kapitalismus ist es ungeheuer schwierig für den einzelnen einzusehen, daß der Krieg nicht nötig ist, denn im Kapitalismus ist er nötig, nämlich für den Kapitalismus. Dieses Wirtschaftssystem beruht auf dem Kampf aller gegen alle, der Großen gegen die Großen, der Großen gegen die Kleinen, der Kleinen gegen die Kleinen. Man muß schon erkennen, daß der Kapitalismus ein Unglück ist, um zu erkennen, daß der unglückbringende schlecht, also unnötig ist. Kampf um Frieden ist Kampf gegen Kapitalismus.« Ich weiß, ich bin bei einem heiklen Thema angekommen: der Kapitalismuskritik. Wie schnell wird man heute dafür vom Verfassungsschutz als Verfassungsfeind beobachtet! Allein schon der Gedanke an Vergesellschaftung von Produktionsmitteln reicht, wie wir sahen, daß selbst die Rechtsprechung, nach der vor dem Gesetz alle gleich sind, nur für den gilt, der sich zum kapitalistischen Wirtschaftssystem bekennt. Ich glaube, dem Verfassungsschutz muß zu unser aller Sicherheit dringend der Hinweis gegeben werden, auch die Verfassung auf Verfassungstreue hin zu beobachten. Denn im Grundgesetz, Artikel 15 steht: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum und in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.« Noch verdächtiger scheint mir ein anderer Text zu sein, und auch er sollte beobachtet werden. Da steht sogar: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Inhalt und Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben sein.« Das stammt nicht von Marx, auch nicht von Brecht, nicht einmal von Christian Klar, sondern von der CDU. Sie schrieb den Text 1947 in ihr Grundsatzprogramm (unter »www.ahlenerprogramm.de« im Internet). Doch zurück zu Brecht. Von ihm gibt es einen Text, der mir gut zum Abschluß des diesjährigen Ostermarsches zu passen scheint. Er entstammt dem Gedicht »Lob der Dialektik« und enthält Vorschläge, wie man trotz auftretender Ermüdung und verständlichem Zweifel und trotz mancher Niederlage Wissen, Kraft, Hoffnung und Lust findet, um mit dem täglichen Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Erde nie aufzuhören. Es ist nur ein Satz: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein!«
Erschienen in Ossietzky 8/2007 |
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