Friedliche Aufforderung

Lothar Kusche

An den Mauern älterer, ruhig und friedlich wirkender zweigeschossiger Wohnhäuser in der kleinen Straße eines Viertels von geringer Bedeutung (im Südosten Berlins) befinden sich Inschriften aus der Endzeit des hoffentlich letzten Weltkrieges. Text, Datum und Signatur in russischer Sprache und kyrillischen Buchstaben. Der Text wurde, offensichtlich unter Zuhilfenahme von Papp- oder Blech-Schablonen, mit dauerhaften Farben aufgetragen: »In diesem Haus befinden sich keine Minen.« Und: »Das hiesige Gebäude ist frei von Sprengstoff, Granaten und anderer Munition.« Das Haus und seine Mauern stehen unter Denkmalschutz.

Nun folgt unsere friedliche Aufforderung:

1. Hiermit werden die Inschriften unter Denk-Schutz gestellt.

2. »Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!« (Schiller, Don Carlos) In Anspruch genommen wird für jedermann und mit sofortiger Wirkung die Freiheit – das heißt: die garantierte Befreiung – von Minen. Die Freiheit von Sprengstoff. Die Freiheit von Granaten. Die Freiheit von Granatsplittern. Die Freiheit von Fliegerbomben. Die Freiheit von Raketen. Die Freiheit von Schüssen aus Handfeuerwaffen, Maschinengewehren, Geschützen und Kanonen aller Art. Die Freiheit von allen Gesundheitsschäden, welche durch Waffen und Munition verursacht werden. Die Freiheit von den Spätfolgen solcher Gesundheitsschäden.

3. Alle Mitglieder der Bevölkerung, gleich welchen Alters oder Geschlechts, sind unverzüglich zu befreien von militärischen oder zivilen Personen, die uns mit Minen, Sprengstoffen, Granaten, Granatsplittern, Fliegerbomben, Giftgasen zu patriotisieren beabsichtigen.

4. Zu dem unter Nr. 3 genannten Personenkreis gehören auch Leute, welche die Patriotisierung bislang unbescholtener Bürger berufsmäßig mit Hilfe von Redensarten verüben. Sofern man sie nicht unter Quarantäne stellen kann, sollten sie regelmäßig beobachtet und mit Abführer-Pillen und Spülungen der Marsch-Drüsen beruhigt werden. Falls verhärtete Kampf-Adern oder eine auswuchernde Vaterlands-Libido auftritt, empfehlen sich sehr trockene Umschläge mit fein granuliertem Schiffszwieback der quallenresistenten Kapitän-Ahab-Qualität.

5. In den alten Waffen-Arsenalen sind künftig nur noch entschärfte und zerbrochene Waffen auszustellen sowie die Wachs-Nachbildungen irregeleiteter Karnevalisten, welche die Ehre der Bundeswehr in Afghanistan, auf den Oster-Inseln oder unterhalb des Tafelbergs in höchster Gefahr sehen und deshalb zum Kampf um diese Ehre nicht etwa selbst ihre ministerialen Sessel verlassen, sondern junge Landsleute in die Krisengebiete abkommandieren.

6. Die großen Zapfenstreiche jedweder Art sind nunmehr zu streichen, und zwar mit Fliegenleim.

7. Man schütze das Leben der Kinder vor den Plänen vergreister Kindsköpfe und verwahre das Generalstabs-Lametta in Weihnachtsmänner-Depots.

PS. Ausdrücklich sei versichert, daß hiermit nicht das Geringste gegen wirkliche Weihnachtsmänner gesagt werden sollte.

Erschienen in Ossietzky 8/2007