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FriedensmissionenZu den größten Erfolgen der deutschen Regierungen in den letzten acht Jahren gehört es, den Krieg eliminiert zu haben – nicht aus der Wirklichkeit, aber aus der Sprache. War der Golfkrieg 1991 noch als solcher bezeichnet worden, beteiligte sich die deutsche Luftwaffe 1999 mit Bombenangriffen erstmals an einer Humanitären Aktion , nämlich gegen Restjugoslawien. Denn nicht nur das Völkerrecht, sondern auch die eigene Verfassung verbietet dem deutschen Staat, Angriffskriege zu führen. Neulich suchte ich den Krieg auf der Homepage der Bundeswehr – vergeblich. Es gibt aber eine Rubrik Im Einsatz . Hier wird definiert: Was sind Einsätze? Auslandseinsätze der Bundeswehr finden als Internationale Friedensmissionen statt. Dies ist ein Sammelbegriff für Friedenserhaltende Maßnahmen, Friedenserzwingende Maßnahmen, Friedensschaffung, Friedenskonsolidierung, Humanitäre Hilfeleistungen der Bundeswehr. Nicht nur die Regierung verkleistert derart die Begriffe; die Euphemismen haben sich auch fest in der Sprache der Medien etabliert. Gerade sie, die ihrem Anspruch nach die Wachsamsten sein müßten, haben sich als die Gefügigsten erwiesen. George Orwell entwarf in seinem Roman »1984« die Vision eines brutalen Tyrannenstaates, der seinen Bürgern Neusprech verordnet. Die Kriegsministerien heißen Friedensministerien und Kriege sind Friedensmissionen ! Was damals der Leser noch als widersinnig empfunden hat, ist nun amtlich… Stefan Hug
SicherheitsbedürfnisBei seinem zweitägigen Deutschlandbesuch nahm der afghanische Staatspräsident Hamid Karsai in Bochum den Steiger-Preis entgegen (für bisher unbekannte besondere Leistungen in Sachen Toleranz) und steht damit nun in einer Ehrenreihe mit Franz Beckenbauer und der Schah-Witwe Farah Diba. Anschließend sprach er in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und rühmte die Entsendung deutscher »Tornados« nach Afghanistan als »bedeutsamen Beitrag zur Sicherheit«. Wessen Sicherheit meinte er? Daß Karsai selbst, der durch seine Beratertätigkeit für den US-Konzern Unocal und dank guter Verbindungen zur CIA zum Staatsmann wurde, ein großes, noch längst nicht saturiertes Sicherheitsbedürfnis hat, leuchtet ein. Laut einer Umfrage von »Integrity Watch« hält eine große Mehrheit der Afghanen die jetzige Regierung in Kabul für korrupter als die zu Taliban-Zeiten und die Zustände im Land für schlimmer als unter der sowjetischen Besatzung »Am Hindukusch«, so sagen die Berliner Regierungspolitiker, und deshalb entsenden sie die »Tornados«, werde Deutschlands Sicherheit verteidigt. Da kann man nur hoffen, daß nicht demnächst Menschen vom Hindukusch auf die Idee kommen, ihre Sicherheit an den deutschen Alpen zu verteidigen. Peter Söhren
Krieg und GeschäftMilitärmanöver im Persischen Golf, britische Soldaten in iranischer Gefangenschaft, Verstärkung für die US-Truppen in der Krisenregion, Kriegsandrohungen aus Washington – eine Lage, die Angst und Schrecken auslöst? Nicht überall. Viele Ölkonzerne, die im Weltmarkt als Großlieferanten operieren, aber auch manche Giganten der Ölförderung sind bester Stimmung: Jetzt lassen sich die Energiepreise in die Höhe treiben, die Chance für Vorkriegsgewinnler ist da. Und wenn es zum Krieg kommt? Da werden Nachteile und Vorteile durchgerechnet, übrigens auch in der russischen Geschäftswelt. Militärische Verwüstungen im Iran bringen Verluste für dort engagierte russische Firmen – aber die russische Ölwirtschaft könnte durch einen Preisanstieg prächtige Export-Profite machen. Da bewährt sich die vielgerühmte, letztlich manchmal bezweifelte postsowjetische Transformation. Wenn es ums Geschäft geht, schlägt die westliche Wertewelt durch, Iran her, Iran hin. P. S.
Schöne neue SociovisionSoziale Klassen, das weiß man ja, gibt es in unserer Gesellschaft nicht. Jeder Gedanke daran ist zurückzuweisen, denn sonst dächten die Menschen alsbald auch an Profit- und Machtinteressen, an wirtschaftliche Herrschafts- oder gar Ausbeutungsstrukturen, also an allerlei unschöne Erscheinungen, mit denen sie sich auseinanderzusetzen hätten. Das darf nicht sein. Aber auf irgendeine Weise muß in die durchaus nicht egalitäre soziale Wirklichkeit gedankliche Ordnung gebracht werden, und da bietet sich das Modell der Schichtung an. Gewöhnlich ist von Ober-, Mittel- und Unterschicht die Rede. Ganz gefällig hört sich aber auch das nicht an, der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat neulich mit seinen Bemerkungen über eine Unterschicht schlechte Erfahrungen gemacht. Die einen meinten, Unterschichtsangehörige könnten beleidigt sein, wenn sie so genannt werden; andere warnten, die Unterscheidung von unten und oben könne bei denen in der Tiefenlage Unzufriedenheit schüren. Nun stellt uns die Frankfurter Rundschau ein weniger stressiges Konzept für die gedankliche Dreiteilung der Gesellschaft vor, das aus dem Sinus-Institut für »Sociovision« stammt: Im ersten Drittel tummeln sich »Konsum- und Spaßorientierte«, »aufs Hier und Jetzt ausgerichtete Hedonisten«, »Konsum-Materialisten«, ältere »Traditionsverwurzelte« und »DDR-Nostalgiker«. Im zweiten Drittel die materiell abgesicherte »bürgerliche Mitte«, neben ihr eine »neue Bohème«, die »Experimentalisten«. Und im dritten »moderne Performer« (eine »flexible Leistungselite«), »kosmopolitisch-liberale Postmaterielle«, »selbstbewußte Etablierte mit Exklusivitätsanspruch« und »bildungsbürgerlich-wohlhabende Konservative«, die sich »nach unten abgrenzen«. Aber warum ist diese Vielfalt dreigeteilt? Irgendwie muß das wohl doch etwas mit Unterschieden bei Einkommen und Vermögen zu tun haben. Allerdings sind solche profanen Ungleichheiten nun nicht mehr so ärgerlich: Wer kaum Schotter hat, kann dennoch »konsum-materialistisch« fühlen; wer arbeitslos ist, kann sich aufs »Hedonistische« verlegen; wer mit der Rente nicht auskommt, kann in der »Traditionsverwurzelung« Ausgleich finden; und Niedriglöhner haben auch ihre Kompensation: die »DDR-Nostalgie«. Jedenfalls besteht kein Grund mehr, niederen Klasseninstinkten Raum zu geben. Marja Winken
Wer erreicht das Klassenziel?Bedurfte es der UN-Inspektionen und Pisa-Studien? Längst hätte man erkennen können und müssen, daß in unserem Staate mehr noch als in jedem vergleichbaren Land die soziale Lage der Eltern über den (Bildungs-)Erfolg ihrer Kinder entscheidet. Schon beim Eintritt in die Schule werden für die Sechsjährigen die gesellschaftlichen Unterschiede spürbar: Einige der Mitschülerinnen und -schüler kommen eben aus gehobenen Kreisen und lassen das bald alle anderen merken. Sie tragen »Nike«-Turnschuhe für 120 Euro, die Kinder von Alleinerziehenden dagegen Latschen für 19 Euro aus dem Schlußverkauf. Sie haben gut belegte Brote mitbekommen, andere nicht. Sie können nach den ersten großen Ferien von Auslands- und Abenteuerreisen erzählen, und die Kinder von Flüchtlingen, Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern hören staunend zu. Für die, deren Eltern das Geld haben, notfalls Nachhilfelehrer zu bezahlen, ist es leicht, zu den Besten der Klasse zu gehören, und das ist entscheidend für die nähere und fernere Zukunft. Mit den anderen reden sie vielfach von oben herab, denn sie wissen ja – zu Hause wird es ihnen auf diese oder jene Weise beigebracht –, daß sie etwas Besseres sind. Bei Klassenfahrten und Schullandheimaufenthalten verschärfen sich die Gegensätze – und die CDU-Landesregierung von Baden-Württemberg kürzt die Beihilfen für Jugend- und Kinderfreizeiten in diesem Jahr um zwei Millionen Euro. Wer studieren will, soll künftig erst mal pro Semester 500 Euro blechen. Soziale Benachteiligung und sogar Ausgrenzung wird zum Kennzeichen des Schul- und Bildungssystems. Die Wirtschaftsfürsten und die ihnen hörigen Politiker beklagen den Bildungsnotstand in der BRD, tun aber nichts dagegen. Sie schwafeln von Chancengleichheit, denken aber gar nicht daran, sie zu verwirklichen – das widerspräche ja den bei uns herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen. So werden die Sechs- bis Siebenjährigen schon beim Schuleintritt direkt mit dem real existierenden Kapitalismus vertraut gemacht, ohne ihn aber so nennen zu dürfen. Wie ihre Eltern und Großeltern. Vor 74 Jahren beschrieb Bert Brecht mit diesen schlichten Versen, wie es war und nach dem offensichtlichen Willen der Herrschenden auch bleiben soll: »Als ich klein war, ging ich zur Schule / Und ich lernte was dein und was mein / Und als da alles gelernt war / Schien es mir nicht alles zu sein. / Und ich hatte kein Frühstück zu essen / Und andre, die hatten eins: / Und so lernte ich doch noch alles / Vom Wesen des Klassenfeinds.« Jedem Schüler, auf den die weiteren Verse des weisen BB zutreffen: » Und was immer ich auch noch lerne / Das bleibt das Einmaleins: / Nichts habe ich jemals gemeinsam / Mit der Sache des Klassenfeinds« , könnte man ins Abschlußzeugnis schreiben: »Klassenziel erreicht!«. Werner René Schwab
Wer regiert uns wirklich?Nein, sie nennen sich nicht Lobbyisten. Die Lobbyisten nennen sich »Repräsentanten« oder »politische Berater« oder »Public Policy Manager«. In Berlin, so teilt uns Johann-Günther König mit, »agieren ca. 6000 hauptberufliche Lobbyisten im Dienste von Verbänden, Unternehmen und Agenturen, Rund 5000 von ihnen haben einen Hausausweis für den Bundestag. Einen Hausausweis erhält, wer als Lobbyist die Bürgschaft von fünf Abgeordneten oder die eines Fraktionsvorsitzenden vorweisen kann. Der Ausweis ermöglicht auch den freien Zugang in die Fraktionsebenen der im Bundestag vertretenen Parteien sowie in die Ministerien.« Einzuberechnen sind »Experten«, die in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Fernsehsendungen wie Sabine Christiansen , Kapitalinteressen vertreten, darunter solche Geistesgrößen wie Bernd Raffelhüschen, Professor am Institut für Finanzwirtschaft der Universität Freiburg, der bei jeder Gelegenheit für eine weitgehende Privatisierung der Kranken- und Altersversicherung wirbt. Er sitzt, wie wir bei König lesen, im Aufsichtsrat der Ergo-Versicherungsgruppe (Victoria, Hamburg-Mannheimer, Deutsche Krankenversicherung, DAS, Karstadt-Quelle-Versicherungen), ist Berater des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft und Vortragsredner für den Finanzdienstleister MLP sowie wissenschaftlicher Begleiter von Versicherungsstudien. Seine öffentlichen Auftritte und Sachverständigentätigkeiten dienen »immer auch dem Lobbying für partikulare private Interessen« (König). Die Hauptleistung der Lobbyisten besteht darin, Partikularinteressen so zu verkleiden, als wären sie das Gemeinwohl, um sie gegen das Gemeinwohl durchzusetzen. Zu diesem Zweck beliefern sie Politiker und Ministerialbeamte mit Sprachregelungen, Gutachten, Gesetzentwürfen, Redemanuskripten und diversen Annehmlichkeiten, manche auch schlicht mit Geld, einem bewährten Schmiermittel. In jüngster Zeit wurde bekannt, daß Firmenvertreter ihren Arbeitsplatz direkt in ein Ministerium verlegten und dort die Stelle desjenigen Beamten übernahmen, der beauftragt war, ihre Firma zu beaufsichtigen. Ein Beschäftigter der Frankfurter Flughafen AG wurde im hessischen Wirtschaftsministerium zuständig für die Genehmigung von Ausnahmen vom Nachtflugverbot. Er stimmte Hunderten Anträgen zu, lehnte keinen ab. Wenn im Zuge der allgemeinen Privatisierung und Deregulierung das Kapital nach und nach alle zu seiner Zähmung eingesetzten Institutionen selber übernimmt, um sie wirkungslos zu machen (bis hin zu den Betriebsräten, s. VW und Siemens), könnte letztlich der Lobbyismus überflüssig werden. Vorläufig gedeiht er noch immer kräftiger, bietet überall freundlich seine Hilfe an und erdrosselt die Demokratie. König, einer der wenigen Sachbuchautoren in Deutschland, die sich in der kapitalistischen Wirtschaft auskennen, schildert in einigen Kapiteln seines Buches Methoden und Erfolge von Lobbyisten in vergangenen Zeiten, und er zeigt dann, welche Macht der Lobbyismus im heutigen Berlin, in Brüssel und Washington erlangt hat. Er hält sich und die Leser nicht lange damit auf, den Lobbyismus zu verdammen, sondern erklärt dessen Funktion als Herrschaftsinstrument in der Hand des wahren Herrschers: des Kapitals. Und dieser Herrscher ist sehr groß, sehr stark, sehr gefährlich, wie König uns mit vielen Beispielen bewußt macht. Als der Enron-Konzern zusammenbrach, stellte sich heraus, daß zwei Drittel der Mitglieder des US-Senats und rund die Hälfte der Abgeordneten des Repräsentantenhauses von ihm Zuwendungen erhalten hatten. Aber auch Randbemerkungen wie diese prägen sich ein: Für Marketing geben die Pharmakonzerne in Deutschland deutlich mehr Geld aus als für Forschung. Rita Rosmarin Johann-Günther König: »Die Lobbyisten – Wer regiert uns wirklich?«, Patmos Verlag, 320 Seiten, 19.90 €
Recht auf Wohnen – in FrankreichErinnern wir uns: Kurz vor Weihnachten war in überregionalen Zeitungen über die spektakuläre Protestaktion von Obdachlosen in Paris zu lesen: Die »Enfants de Don Quichotte« reihten Zelt an Zelt am Pariser Kanal Saint Martin und gaben jedem die Möglichkeit, am eigenen Leib zu erfahren, wie es ist, wenn man – vor allem im Winter – kein Dach über dem Kopf hat. Mit dieser Aktion sollte aber nicht nur auf die Nöte der über 100.000 Wohnungslosen in Frankreich aufmerksam gemacht werden. Vielmehr verband sich damit die Forderung nach einem Grundrecht auf Wohnung. Sie hatte Erfolg. Bereits in seiner Neujahrsansprache forderte Präsident Chirac ein Gesetz, das dieses Recht festschreibt. Die Nationalversammlung billigte es im Eilverfahren. Das Gesetz sieht vor, daß ab Ende 2008 die Bedürftigen und dann ab 2012 auch der Rest der Bevölkerung ein einklagbares Recht auf Wohnung haben sollen. Ein solches Gesetz gibt es in der Europäischen Union bislang nur in Schottland: Ab 2012 soll dort jeder Bürger dieses Recht einklagen können. In der Bundesrepublik blieb die Forderung nach dem Grundrecht bisher unerhört. Nur eine kleine Meldung im Januar informierte über eine Erklärung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) in Bielefeld, in der Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert wurde, dem französischen Beispiel zu folgen und das Recht auf Wohnung ins Grundgesetz aufzunehmen. Thomas Specht-Kittler, Geschäftsführer der BAG W, mahnte: »Es ist eines modernen Sozialstaats unwürdig, daß Menschen vom Verlust ihrer Wohnung bedroht sind, wenn sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können.« Darüber hinaus fordert die BAG W von der Bundesregierung, daß sie sich im Rahmen der EU-Präsidentschaft für ein Menschenrecht auf Wohnen einsetzt. Als zentrale Regelung mit Verfassungsrang schlägt die Arbeitsgemeinschaft vor, daß Zwangsräumungen nur noch dann vollzogen werden dürfen, wenn zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt werden kann – nicht nur aus sozialen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Denn die Verhinderung von Obdachlosigkeit ist volkswirtschaftlich betrachtet allemal günstiger, als Menschen in die Wohnungslosigkeit zu treiben. Ein schon 1992 der Verfassungskommission unterbreiteter Vorschlag der BAG W lautete: »Der Schaffung und Erhaltung von gesunden Wohnbedin g ungen für alle Menschen gilt die besondere Verantwortung des Staates. Er sorgt für eine vorausschauende, der Bedarfsentwicklung angepaßte Erweiterung des Wohnraumangebots und die Schaffung von Wohnumwelten, die der zentralen Bedeutung der Wohnung für das menschliche Leben gerecht werden. Der Gesetzgeber bestimmt Inhalt und Grenzen der wirtschaftlichen Verwertung von Wohnraum, gewährleistet einen sozialen Kündigungsschutz und sorgt für ein-kommensgerechte Mieten.« Dieser Entwurf – vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Zwangsumzüge von Hartz-IV-Empfängern sowie steigender Zahlen von Wohnungsräumungen aufgrund von Überschuldungen aktueller den je – wurde nie berücksichtigt. Er beruhte auf einem Vorschlag des heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. In Zeiten, in denen auch Teile der Linken vom Privatisierungswahn befallen sind, scheint die Forderung nach einem Recht auf Wohnung nicht zeitgemäß. Klaus Störch
Aus uralten ZeitenIn der ersten der sechs Geschichten wandert der Hirte Seth ein Leben lang durch Steppen und Wüsten, um den Urvater A-dam als Retter aus Unterdrückung und Krieg zu suchen. Gerd Bedszent fand die Stoffe für seine Erzählungen in Mythen und Legenden, in der kollektiven Erinnerung der Menschheit an die utopische Zeit, als Herrschaft noch unbekannt war und die Menschen im Einklang mit sich und der Natur lebten. Scheinbar naiv läßt er sich auf die alten Sagen ein und bringt sie den Lesern nahe: indem er sie kräftig gegen den Strich bürstet. Das Motiv der beschwerlichen Wanderung findet sich in den meisten der Geschichten; dabei erscheint die Wüste als Durchgangsraum zu einem besseren Ort, als Metapher für die Suche nach einer neuen Heimat. Bedszents Geschichten scheinen nicht in die heutige Zeit zu passen: Vor-modern mutet die implizite Aufforderung zu einem kollektiven oder individuellen »Exodus« aus den unerträglichen gesellschaftlichen Verhältnissen an. Aber gerade darum gewinnt das Buch an Originalität, indem es dem Zeitgeist widerspricht. Es hat schließlich nichts mit altbackener Prophetie des Weltuntergangs zu tun, wenn die Erfahrungen von imperialistischer Unterdrückung und Naturzerstörung fast alle Geschichten prägen. Aber keine endet ohne eine auf die Jetztzeit bezogene Geste der Hoffnung. Das Motiv des Aufbruchs wirkt auch als Stachel gegen das heute allgegenwärtige TINA-Prinzip (»There is no alternative«). Joachim Maiworm Gerd Bedszent: »Jenseits der Cherubim«, Legenden und Geschichten, trafo verlag Berlin, 121 Seiten, 11.80 €
Walter Kaufmanns LektüreDem Kölner Dieter Kaufmann, Kenner der spanischen Literatur, den es wegen Übersetzertätigkeiten nach Ostberlin verschlägt, kann zunächst nichts Besseres passieren als die Begegnung mit Anne Willing: Die Frau ist attraktiv, versiert im Bett, weitestgehend unabhängig; und weil selbst künstlerisch tätig, wird sie ihm den Zugang zur Ostberliner Intelligenz erleichtern, zu Künstlern, Akademikern, Politikern. Sein Problem ist: Er verliebt sich. Für Anne Willing ist er bereit, alle Brücken abzubrechen: zu seiner Frau, zum Rheinland, zum dortigen Freundeskreis. Blind gegen alle Eventualitäten wird er in politische Intrigen verwickelt: Honecker und dessen Kurs gegen Ulbrichts alten Kurs. Anne Willing gibt sich ihm mal heiß mal kalt – und beherrscht ihn dabei total. Der Beherrschte taumelt von einer Entscheidung in die nächste, oder genauer: von einer Fehlentscheidung in die nächste. Immerhin aber erhält dieser Dieter Kaufmann, Sohn eines Spanienkämpfers und Mitglied der DKP, aufschlußreichere, gültigere Einblicke ins Ostberliner Leben der siebziger Jahre als ein westdeutscher Normalbürger, der nur zu Stippvisiten in die DDR-Hauptstadt reist. Er arbeitet hier, mietet sich ein, weiß zu schätzen, was im zweiten deutschen Staat schätzenswert ist, und trägt sich mit dem Gedanken, die Staatsbürgerschaft zu wechseln – bis, ja bis er seiner Geliebten auf die Schliche kommt. Er muß erfahren, daß sie ein ziemliches Luder ist, das sich aus Bettaffären stets Vorteile zu schaffen wußte und sich auch weiterhin durch regelmäßige tête-á-têtes mit einem Mitglied des SED-Politbüros ganz oben hält. Kurzum es ist ein Kreuz mit dieser Frau. So treibt es den Kölner schließlich dorthin zurück, wo er herkommt. Was alles auf 463 Seiten unterhaltsam, doch allzu detailliert beschrieben wird – weniger wäre mehr gewesen. W. K. André Müller sen.: »Anne Willing. Die Wende vor der Wende«, Das Neue Berlin, 463 Seiten, 19.90 €
Boris IgnatowitschEr war ein bekannter Bürger der DDR. Ein Dutzend Jahre ihr Außenminister. Und ein eifriger Kunstsammler. Zwei große Ausstellungen verdankte das Alte Museum dem Sammler, dessen Name nie genannt wurde. Einmal wurden Ikonen aus der Sammlung Bolz gezeigt, dann grafische, fotografische, malerische Arbeiten russisch-sowjetischer Kunst. Auch erstklassige Fotografien von Alexander Rodtschenko und El Lissitzky. Jetzt ist ein Band mit Fotos von Boris Ignatowitsch (1899–1976) erschie-nen, dem Dritten im Bunde der Meister des fotografischen Konstruktivismus. Daß sich Ignatowitsch nicht nur auf die sehr bald in der SU angefeindete konstruktivistische Bildkomposition verstand, zeigt dieses Buch. Viele Bilder beweisen, daß der Künstler ein erzählerisches Talent war. Manche seiner Bilder des sowjetischen Alltags, vor allem die der Kriegsjahre sind Abbildungen gefährdeter und geschundener Menschen in bewegten, bewegenden Situationen. Der Kriegsberichterstatter war weniger der fotografische Stilist, er war ein Schilderer des tristen Seins der Soldaten. Obwohl Auftragskünstler, folgte Boris Ignatowitsch stets seinem künstlerischen Auftrag, persönliche Ansichten des Wahrgenommenen möglich zu machen. Diese Fähigkeit und seine handwerklichen Fertigkeiten ließen aus dem Abhängigen einen Unabhängigen, aus dem Verpflichteten einen freien Künstler werden. Boris Ignatowitsch hat ins Archiv der fotografischen Weltkunst Aufnahmen gegeben, die nicht nur aufzubewahren sind. Sie sind vorzuzeigen. Eine Entdeckung. Bernd Heimberger »Kunst im Auftrag. Boris Ignatowitsch. Fotografien 1927–1946«, Ch. Links Verlag, 96 Seiten, 24.90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
An die LokalpresseIn meinem Magen- und Darmblatt habe ich gelesen, daß in Kirgisien die Vielweiberei wieder eingeführt wird. Dadurch sollen die Sitten und Gebräuche der kirgisischen Altvorderen neu belebt, und, so begründete es der Justizminister, die totalitären Gesetze aus der Sowjetzeit überwunden werden. Ich finde es gut, daß die Diskussion über die Ehe nicht nur in Kirgisien, sondern auch in anderen Ländern des überwundenen Sozialismus wieder auflebt. Eine vom Berliner Kurier initiierte Befragung von Männern hat übrigens ergeben, daß über 40 Prozent in der Vielweiberei eine gute Lösung sehen. Zumeist lautete die Antwort: »Ja, ich bin dafür, aber wie erkläre ich das meiner Frau?« Ex-Bürger der DDR werden sich gewiß an die lächerliche Gewohnheit der Männer erinnern, einmal im Jahr – am 8. März – eine Schürze überzustreifen, den Tisch zu decken und mit zitternder Hand Kaffee zu servieren. Die in den Haushalten dadurch verursachten Schäden waren unüberhörbar und brachten die volkseigene Porzellan- und Keramikindustrie an die Grenze ihrer Kapazität. Diese Risiken werden deutlich vermindert, wenn die Hausarbeit auf mehrere Frauen aufgeteilt werden kann. Vorschläge dafür könnten durch die Redaktionen der Frauenzeitschriften im Zusammenwirken mit den Kirchenvorständen erarbeitet werden. – Wilhelm Wiedehopf (74), Frührentner, 83846 Weiberhof. * Bravo! Das possierliche Eisbärenbaby Knut soll als Maskottchen die Umwelt retten, damit bin ich einverstanden. Was den Politikern bisher nicht gelungen ist, soll nun ein niedlicher Knuddelteddy richten. Jeder konnte in Bild und Ton miterleben, wie Umweltretter Knut im Gehege des Berliner Zoos Umweltminister Gabriel empfing und sich von ihm das Umweltkonzept der Bundesregierung ins flauschige Ohr flüstern ließ. Nach der Konsultation warf sich das Plüschtier vor Begeisterung auf den Rücken und stellte seinen Unterkörper dem hohen Gast erwartungsvoll zum Kraulen zur Verfügung. Dieses Beispiel sollte Schule machen. So könnte sich der Finanzminister vor der Gesetzesvorlage im Bundestag mit Raubtieren austauschen und die Gesundheitsministerin könnte im Terrarium das Schlängeln üben. Das hätte den zusätzlichen Vorteil, daß die Öffentlichkeit stärker in die Entscheidungsfindung einbezogen würde, denn der Zulauf zum Zoo ist, wie wir alle wissen, größer als der Andrang zu den Sitzungen im Bundestag. – Lenelinde Löbinger, 10559 Berlin-Tiergarten. * Aus der UNO-Prognose, die Mitte März in Berlin vorgestellt wurde, geht hervor, daß die Weltbevölkerung bis zum Jahre 2050 wesentlich schneller wachsen wird als bisher gefühlt. Diese Tendenz ist bereits nachweisbar, vor allem in den 50 ärmsten Ländern der Erde. Jetzt verstehe ich, warum unsere Regierung zielgerichtet an der Durchlöcherung der sozialen Netze arbeitet: Je ärmer die Leute sind, desto mehr Kinder werden gezeugt, und die hat auch unser Staat dringend nötig, schon wegen der Massen von Rentnern. Das sollten sich die Menschen mal vor Augen führe, wenn sie an der Gesundheitsreform, den BAFÖG-Regelungen und anderen Einsparungen herumnörgeln. – Valentina Krause, Hebamme, 24616 Armstedt. Wolfgang Helfritsch
Darf Qualm uns quälen?Das kleine Haus unter Bäumen am See. / Vom Dach steigt der Rauch. / Fehlte er / Wie trostlos dann wären / Haus, Bäume und See Bertolt Brecht (Buckower Elegien)
Wo man raucht, da kannst Du ruhig harren, / Böse Menschen haben keine Zigarren. David Kalisch (Seume-Parodie)
Zu den eigentlichen Kern-Problemen eines großen Teils der deutschen Menschheit und insbesondere des hiesigen Presse-Wesens gehört nicht etwa die Kern-Energie und speziell die Frage, ob die unter dem Namen Großherzogtum Luxemburg auch aus Lehárs Operette »Der Graf von Luxemburg« bekannt gewordene Parlamentarische Monarchie als solche Kern-Energie produzieren und besitzen darf, sondern das für den Weltfrieden bekanntlich weitaus wichtigere Kern-Problem, ob man in deutschen Kneipen rauchen darf oder nicht. Thomas Mann hat sich zu dieser zentralen Frage der gesamten Erd-Bevölkerung, wie es scheint, nicht geäußert. Überliefert ist sein stolzer Ausspruch: »Wo ich bin, ist immer Deutschland!« Aber von einem Bekenntnis des Rauchers Mann, wo immer er sich auch befinde, sei das Rauchen allemal erlaubt, hat man nichts gehört. Solche Angelegenheiten werden bei uns nicht von moralischen Instanzen kommentiert, zu denen Mann sicher gehörte, sondern von den zuständigen Behörden mit Gesetzen und Verordnungen geregelt. Da wir nicht in einer Parlamentarischen Monarchie leben, sondern in einer Föderativen Zerstreutheit, bestimmen die jeweiligen Kleinstaatsmänner das Schicksal der Kneipen und der Raucher. Das Bundesland Hessen erwägt bereits, wenn wir gewissen Rauchzeichen aus Wiesbaden glauben dürfen, gewisse Ausnahmen von der Regel einzuführen, welche – es klingt märchenhaft, ist aber wahr – die Betreiber von Wasserpfeifen begünstigen. Ich möchte vorschlagen, auch die Konsumenten von Menthol-Zigaretten mit Sonderrechten auszustatten und sie gegebenenfalls in geschützten Reservaten anzusiedeln. Lothar Kusche
Press-KohlEine Bekannte von uns, die manchmal bei »Norma« einkauft, las auf dem dortigen Werbezettel: »Baron Lobkowicz Böhmisches Schwarzbier – gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot.« Böhmisches Schwarzbier nach deutschem Reinheitsgebot? Ich ahne, worum es sich handelt: um ein ebenso neues wie dünnes Europa-Bier. * Ulrich Seidler, führendes Beobachtungs- und Formuliertalent der hauptstädtischen Presse, sah in Leipzig eine Schiller-Inszenierung: »Wallenstein wird von Stefan Schießleder gespielt, einem stattlichen Mannsbild Anfang dreißig. Alles deutet auf Entschlußkraft: Wie er nach Diktatorentheaterart seinen kleidsamen Soldatenmantel wirft,« (wohin bitte?) »wie er die Kiefern mahlen läßt ...« Nachdem das Mannsbild seine Kiefern, also erst die Unter- und dann die Ober-Kiefern mahlen ließ und dieser Kiefernmüller die Kiefern vielleicht mittels seiner Kiefernmühle in Badesalz verwandelte, erfahren wir noch, »wie er seine Lesebrille aus dem Mantel kramt und auf die Nase katapultiert«. Der Heldendarsteller als Varietékünstler. Seidler bemerkte in der Aufführung auch Wollust. »Wollust. Die sich in manch hellem Augenblick ins Publikum übertragt. Das geht bei Heidi Ecks als Wallensteins Schwester ein bißchen zu weit. Sie stößt die staatsmännisch kalkulierten Argumente aus dem Unterleib hervor, und ihrem rampenorientierten Ganzkörpermuskelspiel entschnipseln die rhetorischen Figuren wie eingeschweißte Fertigware ...« Die Heidi-Ecks-Methode sei der Frau Bundeskanzlerin nicht zur Nachahmung empfohlen. (In Templin pflegt man die staatsmännisch kalkulierten Argumente nur mit monotoner Unterarm-Gymnastik zu untermalen.) »Buttler, Wallensteins Mörder, steht da wie ein überfütterter Haushund.« Hier fürchte ich, irrt sich unser Gewährsmann. Ein überfütterter Haushund steht nicht da. Der liegt da. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 7/2007 |
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