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Die Kommentatoren und Schlagzeilenmacher am Tag danach sind sich überwiegend einig, endlich gehe es aufwärts in Deutschland. Der wirtschaftliche Aufschwung gewinne an Fahrt und habe jetzt auch den Arbeitsmarkt erreicht. Kontrovers diskutiert wird lediglich noch die Frage, ob »wir« augenblicklich die Früchte aus Schröders oder schon aus Merkels Reformen ernten könnten. Ein genauerer Blick in den kompletten Bericht der Arbeitsagentur aus Nürnberg führt allerdings bald zu Irritationen. Zunächst scheinen einige der als positiv ausgewiesenen Trends zu stimmen: Im März 2007 ist die Zahl der von Amts wegen registrierten Arbeitslosen gegenüber dem Vormonat um 114.000, saisonbereinigt (im Frühjahr gibt's regelmäßig mehr Arbeit) immerhin noch um 65.000 gesunken. Sie liegt jetzt noch bei 4,108 Millionen; gegenüber den Zahlen von vor einem Jahr soll es eine Abnahme um 869.000 gegeben haben. Der Bericht weist darauf hin, daß dies auf die gestiegene Zahl der Erwerbstätigen zurückzuführen sei. Doch hier zeigt sich eine auffällige Differenz: Es sind fast 300.000 mehr aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden, als bei der Zunahme in der Zahl der Erwerbstätigen wieder auftauchen. Ein Grund hierfür findet sich in dem Hinweis der Bundesagentur, daß sie »die systematische Überprüfung des Arbeitslosenstatus von Arbeitslosengeld II-Empfängern« verstärkt habe. Da fallen dann nicht nur die Unterstützungszahlungen nach Hartz IV weg, die Betroffenen melden sich nicht mehr und werden aus der Statistik gestrichen. Ähnlich ergeht es jenen, die in die Selbständigkeit als Ich-AGler gedrängt oder zur Annahme von Minijobs gezwungen werden. Sobald jemand 15 Wochenstunden arbeitet, zählt er nicht mehr als arbeitslos, obwohl in der Regel weiterhin Anspruch auf Leistungen nach Hartz IV besteht. Müntefering arbeitet ja daran, daß »wir« noch besser werden ... Noch größer werden die Irritationen beim Blick auf die Gesamtzahlen. So soll es im März 2007 noch 1,342 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld I gegeben haben, aber als »arbeitslos« aus dieser Gruppe zählen nur 1,020 Millionen Erklärt wird hierzu, daß alle, die zum Beispiel »vorruhestandsähnliche Regelungen« in Anspruch nehmen, nicht mehr mitgezählt werden – die betroffenen Älteren müssen ja erklären, daß sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Aus der Statistik fallen auch jene heraus, die sich »in einer Trainingsmaßnahme« (= Fortbildung, veranlaßt durch die Arbeitsagentur) befinden. Beide Streichungen aus der Statistik wurden unter Rot-Grün zur Verschönerung der Arbeitslosenzahlen vorgenommen. Ähnliches geschieht bei der statistischen Erfassung der Empfänger von Arbeitslosengeld II: Ausgewiesen für März 2007 werden 5,194 Millionen. Ihre Zahl ist gegenüber März 2006 sogar um 35.000 gestiegen. Aber als »arbeitslos« erscheinen davon nur 2,634 Millionen. Warum werden die übrigen 2,560 Millionen – fast die Hälfte – nicht mitgezählt? Als statistische Ausschluß-Gründe nennt die Arbeitsagentur »Schulbesuch« (erwünscht), »die Beschäftigung in einer Arbeitsgelegenheit« (= Ein-Euro-Jobber), »die Teilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme« (von der Agentur gefordert) »oder die Betreuung kleiner Kinder oder Angehöriger«. Korrekt wäre es meines Erachtens nur, die letzte Gruppe herauszurechnen. Alle anderen sind auf der Suche nach einer Beschäftigung und müssen in der Regel ihre »Qualifizierungsmaßnahmen« abbrechen, sobald sich eine Beschäftigung findet. Warum gelten sie nicht mehr als »Arbeitslose«? Die Bundesagentur zählt korrekt die Zahlen der Empfänger von Arbeitslosengeld I und II zusammen: »Alles in allem bekamen damit 6.427.000 erwerbsfähige Menschen Lohnersatzleistungen.« Niemand aus der Regierung oder aus der Phalanx der Medien-Meinungsmacher sollte behaupten, er wisse nicht, daß mehrere Millionen mehr in diesem Lande ohne ausreichenden Job sind als die jetzt vorwiegend zitierten 4,1 Millionen. Die eigene Behörde hat über sechs Millionen erfaßt. Fachleute schätzen, daß tatsächlich sieben bis acht Millionen Menschen auf der Suche nach einem Beschäftigungsverhältnis sind, in das sie ihre Fähigkeiten einbringen und von dem sie leben können. Nur der Aufbau eines Beschäftigungssektors im Öffentlichen Sektor, wo überall Personalmangel herrscht, sowie eine gesetzlich vorgegebene einschneidende Arbeitszeitverkürzung, etwa auf 28 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich (vgl. Ossietzky, 8/04), könnten den Irrsinn beenden, daß Millionen Menschen mit ihren Talenten brachgelegt sind und mit ihren Familien in Not und Elend gehalten werden. Stattdessen haben die Regierenden, beschleunigt in den letzten acht Jahren, mit ihren vielfältigen Steuergeschenken an die Unternehmen, mit dem Abbau der Arbeitnehmerrechte und dem Einreißen der Sozialstaatssicherungen wesentlich dazu beigetragen, daß die Kapitaleinkünfte steigen und steigen, weil die Löhne gedrückt und Vollzeitarbeitsplätze abgebaut werden konnten. Wenn zur Zeit – infolge eines konjunkturellen Zwischenhochs – wieder einige Hunderttausend Beschäftigungsverhältnisse aufgebaut werden, geschieht dies zu wesentlich schlechteren Bedingungen: Die Neuen müssen längere Wochenarbeitszeiten und bis zu einem Drittel abgesenkte Löhne akzeptieren. Indirekt kann dieser Skandal auch dem Bericht der Bundesagentur für Arbeit entnommen werden. Vermehrt müssen nämlich Lohnersatzleistungen nach Hatz IV an Arbeitnehmer auch in Vollzeitstellen gezahlt werden, weil ihr Verdienst nicht einmal den Sozialhilfesatz erreicht. Müntefering will sich jetzt auch dafür einsetzen, daß die Tarifparteien sich auf branchenbezogene Mindestlöhne einigen. Das kann dauern und wird zu heilloser Verwirrung führen (wie bei der Einführung des Nichtraucherschutzes), aber kaum bundesweit zu armutsfesten Einkommen. Und die Anweisungen des Arbeitsministers zur »systematischen Überprüfung des Arbeitslosenstatus« werden viele Arbeitssuchende unter wachsenden Druck setzen, sich weit unter Preis zu verkaufen. Nein, aus Münteferings Versprechungen sind keine Hoffnungen zu gewinnen. Sie erweisen sich als neue Bedrohungen für alle auf Arbeit Angewiesenen. Für die Kapitalseite sind sie ein beruhigendes Regierungsgemurmel.
Erschienen in Ossietzky 7/2007 |
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