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In etwas längeren Fassungen konnte man wenigstens lesen: »Das Ehrenamt hat für den deutschen Sport enorme Bedeutung. 2,8 Millionen Bürger, zwei Drittel davon Männer, engagieren sich ohne Bezahlung in Sportvereinen. Dies entspricht bei Bemessung eines Stundenlohns von 15 Euro einem jährlichen Wert von 8,5 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Sportentwicklungsbericht des Bundesinnenministeriums. Die 670 Seiten umfassende Studie ... soll bald den Landessportbünden als Arbeitsgrundlage zur Verfügung gestellt werden.« Mühelos läßt sich prophezeien, daß die Landessportbünde auf derlei »Grundlagen« gern verzichten würden, wenn die Bundesregierung – und vor allem das dafür zuständige Innenministerium – nicht nur kostenaufwendige 670-Seiten-Studien verschicken, sondern zum Beispiel die Summe, die für die Entsendung von »Tornados« nach Afghanistan anfällt, dem Breitensport zukommen lassen würde. Das klingt möglicherweise grotesk – schon weil sich garantiert viele zu Wort melden, die dringendere Verwendung dieser Summe anmahnen würden –, ist aber bei scharfem Licht betrachtet durchaus realistisch. Denn die erwähnten 2,8 Millionen Bürger dürften sich in der Regel um mindestens fünf Sporttreibende kümmern, zumeist Jugendliche, die sich für ihren Sport und daher in der Regel wenig für Alkohol- oder Drogenexzesse interessieren. Das wären um die 14 Millionen Bürger. Und das »kümmern« ist nur denen zu danken, die ohne einen Cent Entlohnung jedes Wochenende damit verbringen, dieses Interesse zu fördern. Um deutlicher werden zu lassen, was diese 2,8 Millionen Null-Euro-Tätigen für die Gesellschaft tun, habe ich mir Einblick in den Etat der B-Jugend-Fußballmannschaft des BSC Marzahn verschafft. Damit jeder der rund 20 Spieler in einem Trikot auf dem Fußballplatz erscheint, in dem er sich nicht schämen muß, zudem auch einen Trainingsanzug hat, vor, während und nach dem Spiel einen Happen essen und vor allem mehr als einen Schluck trinken kann, werden im Jahr 6450 Euro benötigt. Woher kommen die? Ronny Range, der »Chef«, dessen 16jähriger Sohn einer der zwanzig ist, betreibt ein Baugewerbe und stiftet Jahr für Jahr 2000 Euro. Die Liste der von ihm überzeugten Sponsoren führt elf Namen auf. Eine Apotheke zum Beispiel beteiligt sich mit 50 Euro. Dennoch: Zwischen den Ausgaben und den Einzahlungen der Sponsoren klafft eine Differenz von 800 Euro, die im wesentlichen durch den Jahresbeitrag gedeckt werden kann. Aber: Würde der Bauhandwerker morgen in die Insolvenz geraten, könnte übermorgen Gefahr drohen, dass die B-Jugendmannschaft aus der Verbandsliga abgemeldet werden muß. »Schneller, höher, weiter« ist eine Losung, die schon in der Antike galt. Für die Volleyballmannschaft des SC Potsdam gilt sie nur in Grenzen. Die Mannschaft steht an der Spitze der 2. Bundesliga, und die Experten rechnen demzufolge damit, daß sie nach Ende der Saison in die höchste deutsche Spielklasse aufsteigt. Wird sie aber nicht, weil sie dann zum Beispiel längere Reisen unternehmen müßt. Dafür reicht ihr Etat nicht. Ihre herausragende Spielerin fühlt sich zwar pudelwohl in der Mannschaft, wird sie aber dennoch verlassen, weil sie – siehe die Losung der Antike – mit den Besten spielen will. Derlei Informationen waren vonnöten, um klarzumachen, daß in diesem Land Millionen Bürger sich unbezahlt um die Gesundheit junger Menschen kümmern und dafür höchsten Respekt verdienen. Vor allem, weil – abgesehen von jenem 670-Seiten-Bericht und den 18 Worten in der Zeitung – kaum jemand ihre Haltung und Leistung würdigt. Oder kann sich jemand erinnern, daß Bayern München kundgetan hätte, auch nur drei Prozent seiner Stadioneinnahmen an den Jugendsport abzuführen? Im Osten des Landes sind unter den Tausenden »namenlosen« Trainern und Betreuern allerdings viele, die sich noch gut daran erinnern, daß sie nicht einen Teil ihrer Freizeit dafür aufwenden mussten, Sponsoren abzubetteln. Zu DDR-Zeiten floß das Geld zwar auch nicht in Strömen, aber es gab immerhin Gesetze, die die Überweisungen regelten. So gingen sechs Prozent der Rücklaufgelder der Gewerkschaftsbeträge an die Betriebssportgemeinschaft, und der Betrieb konnte sie obendrein aus dem Kultur- und Sozialfonds fördern. Die Dimension dieses Fonds hing allerdings von der Planerfüllung des Betriebes ab. Um eine Vorstellung zu vermitteln, sei die Berliner Bau-Union genannt, die 1988 der Sportgemeinschaft 80.000 Mark überwies. Der Plan war erfüllt worden, und vom »Profit« profitierten auch die Sportler. Demnächst feiert man im »Ossiland« den fünfzigsten Jahrestag der Gründung des Deutschen Turn und Sportbundes. Hohe Gäste werden nicht erwartet, denn dieser Millionen-Sportverein zählte zu den vielen »Ungeliebten«, die man seit 1990 mit – meist einfallsloser – übler Nachrede ins Abseits zu drängen trachtete. Vielleicht ist der DTSB sogar das mit Abstand ungeliebteste DDR-Erbe, weil die »richtigen Deutschen« vierzig Jahre lang den »anderen Deutschen« in den Stadien hinterherrennen mußten. Wer sich je sportlich betätigt hat, weiß, daß nichts so schwer zu ertragen ist wie Serien von Niederlagen – noch dazu in solcher politischen Konstellation. In Konkret hatte Erdmute Beha kurz vor den Münchner Spielen 1972 die Situation mit den im Westen gebräuchlichen Vokabeln so beschrieben: »Bei den richtigen Deutschen finden die Spiele statt. Von den falschen Deutschen werden sie gewonnen. Kurz vor der Katastrophe stellen die federführenden Deutschen fest, wie sogenannt diese Siege sein werden.« Um in Erinnerung zu rufen, welche Reflexe die DDR-Triumphe auslösten, sei hier ein sicher von vielen respektierter Zeuge zitiert. Hans Blickensdörfer, der außer Sportreportagen auch renommierte Literatur schrieb (seine Autobiografie »Die Baskenmütze« wurde in 18 Sprachen übersetzt) berichtete1976 für die Stuttgarter Zeitung von den Olympischen Spielen in Montreal. Er hatte den Mut zu schreiben, was er empfand: »Man kann gegen die nationalistischen Aspekte des Medaillenspiegels angehen wie man will. Er bleibt Olympias beliebtester Blickfang, und wenn man hineinguckt, schaut einem mit stolzer und ernster Würde die DDR entgegen. Giganten wie die UdSSR und die USA können weder so blicken, noch haben sie Grund dazu. Gegenüber den Posters, die sie auf der Landkarte ausmachen, ist die DDR eine Briefmarke. Olympisch gesehen ist sie freilich zur blauen Mauritius avanciert und nicht vergleichbar mit anderen kleinen Ländern, die olympische Geschichte machten. Als die Nurmi, Irtola und Kolehmainen aus den finnischen Wäldern traten, um dem Langlauf eine neue Dimension zu geben, bewunderte die Welt das kleine skandinavische Land ... aber während die Finnen nur mit ihren Langläufern und Speerwerfern glänzten, hat die DDR ein olympisches Universalfeuerwerk von nie gesehener Brillanz losgelassen. Selbst die sowjetischen Freunde ... reiben sich die Augen. Total verunsichert aber sind die Amerikaner, und es gibt, nachweisbar, in ihrem Lager einige Athleten, die der DDR Erfolg über Erfolg gönnen. Nicht, weil sie Kommunisten wären ... aber der ›american way of life‹ setzt der Züchtung von Olympiasiegern Grenzen, die es im Arbeiter- und Bauernstaat nicht gibt.« Aber Blickensdörfer machte noch eine andere Entdeckung: »Während erfolgreiche DDR-Athleten ... Autogramme gaben, saß Delegationsleiter Manfred Ewald mit den Erfolglosen bei einem festlichen Abendessen im Dachrestaurant des Luxushotels Chateau Champlain und gab einem amerikanischen Reporter, der Kornelia Ender zu entdecken versuchte, folgende Antwort: ›Hier finden Sie keine Sieger. Wir sind eine große Gemeinschaft und wollen auch den anderen für ihre Anstrengungen danken und zeigen, wie stolz wir auf sie sind.‹ Auch das machte Eindruck. ›Das gibt's bei uns nicht einmal für die Sieger‹, staunte der Amerikaner.« Blickensdörfer verzichtete auf die Feststellung, daß es solche Empfänge in bundesdeutschen Camps nie gab. Verlierer? Die überließ man Bild . Zur Probe ein paar Zeilen, die den bundesdeutschen Verlierern der Spiele von 2004 galten: »Gold blieb ihnen versagt. Sie hätten es auch nur verdient im Dreikampf: ›Jammern, klagen, schönreden.‹ Wasser zu wellig, Wind zu stark, Tempo zu hoch, Druck zu groß, Konkurrenz gedopt. Es verging kein Tag ohne Blech holen und Blech reden.« Die DDR-Ergebnislisten kann man in den Annalen noch nachlesen. (Am Rande: Als die deutschen Leichtathleten aus Athen 2004 ganze zwei Silbermedaillen mitbrachten, hatten auch die beiden erfolgreichen Damen Geburtsorte in ihren Pässen stehen, die einst zur DDR gehörten.) Damit ist aber auch erklärt, warum gerade im Sport mit so anhaltend blindem Eifer die DDR-Delegitimierung betrieben wird. Als die Verbreitung der Legende vom angeblich grenzenlosen DDR-Doping im Gestrüpp der fast täglich enthüllten BRD-Dopingskandale an Schwung verlor, wurde die Stasikeule ausgepackt. Die wird heute noch geschwungen. Inzwischen mehrten sich allerdings die Stimmen derer, die dazu rieten, das Gewäsch zu beenden und stattdessen endlich Erfahrungen des DDR-Sports zu nutzen. Man erinnerte sich der Kinder- und Jugendsportschulen, etikettierte sie neu, scheiterte aber daran, daß die soziale Voraussetzung fehlte: Talente haben heute keine Chance, wenn sie in einer Hartz-IV-Familie heranwachsen. Ratlos sucht man nach Auswegen. Die könnten vielleicht sogar zu jener Geburtstagsparty führen, obwohl einige altbundesdeutsche Experten schon zu verstehen gaben, daß ihnen an einem Platz in einer der hinteren Reihen gelegen wäre. Sie möchten nicht in die Optik der möglicherweise auftauchenden Fernsehkameras geraten, dieweil noch immer gilt: Die da feiern, sind die »falschen Deutschen«.
Im Widerspruch zur herrschenden Lehre, wonach die bundesdeutsche Politik als alternativlos zu gelten hat, erinnert Ossietzky in einer Artikelserie daran, daß auf deutschem Boden jahrzehntelang – teilweise sehr erfolgreich – andere Lösungen gesellschaftlicher Probleme ausprobiert worden sind. Die DDR förderte den Breitensport nicht zuletzt durch den Bau von Schwimmhallen und anderen Sportstätten, die unentgeltlich benutzt werden konnten; dies war die Basis, auf der sich der Spitzensport entwickeln konnte. Seit der Wende sind Schwimmhallen geschlossen worden, weil die armen Kommunen der reichen BRD nicht mehr dafür aufkommen konnten oder wollten; zwecks Personaleinsparung wurden Öffnungszeiten verkürzt, und die Eintrittspreise wurden dermaßen erhöht, daß Arme draußen bleiben müssen. Unsere Serie, die mit Beiträgen über das Bildungswesen (Heft 5/07) und über das Sammeln und Wiederverwerten von Abfällen (Heft 6/07) begann, wird fortgesetzt.
Erschienen in Ossietzky 7/2007 |
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