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Und unsere eigenen Rotsocken wären mit den Rothäuten zusammen schon mal eine ganz andere Macht. Würde dann noch der Leipziger U-Bahn- und ICE-Tunnel ausgebaut und unterirdisch am Tausendundixten Tag gar Leipzig, Warschau und Prag – mit Kurzhaltepunkt Dresden – verbinden, könnte Sachsens Glanz in diesem Städte-Triangel wieder so bedeutend werden wie nach Preußens Gloriazeiten mit Friedrichs Reitern und Spionen mit ohne ICE. Aber Sachsens Glanz würde immer noch trügen, denn es hätte seinen Weg vom unseligen Tapetenwechsel zum seelischen Kostümwechsel immer noch vor sich. Nur gemach, auch dann ist Sachsen noch nicht abgesoffen …« Der Briefschreiber, Hartwig Runge aus Leipzig, war unter dem Pseudonym Ingo Graf ein geschätzter, erfolgreicher DDR-Schlagersänger, der sich nach der Wende als Liebhaber einer Nationalhymne gefiel, die er nach der Musik von Joseph Haydn mit Texten von Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Johannes R. Becher und Bertolt Brecht zusammenmixte – ein Kunstwerk mit Sinn und Witz, eine Hymne gar mit Verstand, was bei Nationalhymnen ein Widerspruch in sich ist. Endlich erfand er den explosiven Satz vom Anteil der Arbeitslosigkeit an der Affenwerdung des Menschen, womit er dem sächsischen Sarkasmus klassische Qualitäten verlieh. Gern greife ich die postmodernen Paradoxien im Brief auf, um sie angemessen weiterzuführen. Tatsache, die Sowjetunion hätte sich, statt aufzugeben, besser Sachsen anschließen sollen, das im Bündnis mit Polen wie zu Augusts des Starken Zeiten, dazu unter Einschluß von Prag, Berlin und Brandenburg unschlagbar modern geworden wäre, zumal mit China als Musterpartner, denn erst kommt das Fressen und dann die Moral, erst der Kapitalismus, dann der Sozialismus. So ist von den gelben Roten zu lernen, wie man das Kapital mit Marx globalisiert, daß ein Lackschuh draus wird. Lernt also lachen, Genossen, euer Ernst ist furchtbar genug. Wer seine schönsten Träume verleugnet, fällt den Angstträumen anheim. Kaum hatte ich das notiert, erhielten wir Post von Karl May. Er schrieb unter dem Titel »Brief des letzten Sachsen an die werte Nachwelt«: »Sachsen war immer ein fleißig aufblühendes Land voller Menschen aus Fleisch und Blut. Die Bastei war der Balkon, von dem aus man bis Ultimo blicken konnte, das Erzgebirge der ostwestlich sich hinziehende Kamm, von dem Bäche und Flüsse zu Tale strebten, als wäre Europa noch in Ordnung gewesen. Liebe Chinesen, wenn ihr nun hier im Landes-Naturschutzpark Sachsen euren wohlverdienten Jahresurlaub verbringt, denkt an uns, wie wir einst an die letzten Indianer Amerikas dachten. Was die Karl-May-Festspiele waren, sind nun die Sachsen-Opern, die Nietzsche-Krimis und Bloch-Dokumentationen, letzte kulturelle Überbleibsel einer tragischen Endzeit, in der das Volk der Sachsen sein Reich zwischen Pleiße, Elbe und Neiße gegen die Übermacht mißgünstiger Feinde verteidigte, die es erst aufkauften und dann verkommen ließen, statt seine guten und reichen Anlagen zu nutzen. Die sächsische Kulturgeschichte ist eine rasante Kurzgeschichte. Nach Widukind und den Königen entstanden an den Flüssen Fabriken, auf den Bergen Burgen und in den Städten Schlösser und Rathäuser. Die tüchtigen Sachsen wurden Werk- und Bergarbeiter, Erfinder, Entdecker sowie Dichter und Denker. Im Lande baute man Kraftwagen, die hießen Horch, DKW, Auto-Union, Trabi, dann VW und Porsche, doch da herrschten schon die neokolonialen Krisenzeiten, in denen die Epoche der verlängerten Werkbänke begann, die bald kürzer und kürzer gemacht werden mußten, weil die Automobil-Importe aus dem chinesischen Weltreich anschwollen wie die Bäche und Flüsse Sachsens zu Zeiten der Schneeschmelze. Man weiß nicht genau, wann die vielen jungen Frauen außer Landes gingen und die verbliebenen in den Gebärstreik traten. Die Medizinhistoriker geben den immer engeren modischen Jeans die Schuld. Eine andere Sparte, die Psychologen, nennt es Fortpflanzungsunlust, gar Fortpflanzungsmelancholie beziehungsweise Zeugungsverweigerung. Eine dritte Wissenschaftsschule beruft sich auf Umfrageergebnisse aus der Zeit der vorletzten Sachsengeneration, als die Frauen schon davongegangen und nur noch kleine Männergrüppchen anzutreffen waren. In dieser Ära strömten immer mehr Chinesinnen und Japanerinnen kurzfristig und lustfreudig ins Sachsenland, es mutete an wie in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als Hamburger und Kölner Blondinen an die Adria – Rimini zum Beispiel – reisten, der virilen Italiener wegen. Die endlich wieder geforderten Sachsen-Männer erwiesen sich als willig und fruchtbar, wovon heute eine ganze Anzahl Halbsachsen in Asien zeugen, von denen manche gar ein sächsisch getöntes Chinesisch sprechen, was die Qualität ihrer urtümlichen Gene von Elbe und Pleiße beweist. Natürlich blieb die Wunderwirkung sächsischer Lenden in den Mega-Städten Asiens nicht verborgen, was die Anzahl der in den Freistaat einreisenden Urlauberinnen gewaltig emporschnellen ließ. Dergestalt erreichte die Übernachtungsfrequenz im Lande ungeahnte Höhen, doch starben die zeugenden Männer im Dauerdienst des Fremdenverkehrs dahin, und aus war‘s mit dem autochthonen Freistaatsvolk. Im Jahre 2077, wir wissen es, durfte Sachsen sich auf Antrag als Staatsbad der Chinesischen Volksrepublik anschließen.« Soviel von Karl May. Wer aber auch immer den Namen Mays heute als Pseudonym nutzt, er lügt so wahr wie der echte. Oder Karl May ist auferstanden wie die deutschen Kriegshelden im Fernsehen, denen wir nun bei Kampfeinsätzen bis zum Hindukusch nachfolgen sollen. In der FAZ las ich: »Die Toten kehren wieder zum Tanz.« Tatsächlich saß Karl May als Wiedergeborener am 24.3.2007 ab 22.15 Uhr bei Phönix in der Sendung Forum Pariser Platz , auferstanden aus der Asche, wo Professor Stürmer die friedenserhaltende Besetzung Afghanistans verteidigte wie Hitler einst Stalingrad, General Reinhard die 1990 von Bonn versprochene Friedensdividende als dringend notwendige neue Aufrüstung erklärte und Gregor Gysi die Steinzeit-Runde mit jedem ihm zugebilligten vernünftigen Satz besoffen reagieren ließ. Karl May, der sich als Toter von Stalingrad ausgab und listig zur Nachahmung empfahl, beschloß die Sendung mit folgenden Quizfragen, denen wir uns anschließen. Was ist richtig: Erhielt Grass als SS-Mann das Ritterkreuz? Wird Wolf Biermann nun auch Ehrenbürger von Washington und übernimmt George W. Bush die Laudatio? Wer die zutreffende Antwort gibt, darf zur Belohnung die nächste Phöni x-Runde moderieren.
Erschienen in Ossietzky 7/2007 |
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