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Zu prüfen ist vielmehr, welche Sichtweisen da angeboten werden. Einige davon sind geeignet, neofaschistischen Geschichtsbildern Zuträgerdienste zu leisten. Dazu ein paar Hinweise: I Nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik hat sich im Zuge der vielgestaltigen Aufarbeitung ihrer Geschichte eine neue Version der Totalitarismustheorie verbreitet, und zwar im Sinne einer Gleichsetzung des Grundcharakters des NS-Staates mit dem der DDR – simpel auftretend in der gängigen Redeweise von den »beiden Diktaturen in der deutschen Zeitgeschichte«. Diese Version dringt zunehmend auch in die historisch-politische Pädagogik ein. Bei einem geschichtlich nicht sonderlich aufgeklärten Teil des Publikums, besonders bei jüngeren Leuten, führt sie zu einer massiven Beschönigung der Verhältnisse in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Denn selbst gering informierten Zeitgenossen ist bewußt, daß die DDR keine Ausrottungskriege und keine Massenvernichtungslager betrieben hat – und da entsteht dann der Eindruck, so richtig schlimm sei es wohl auch in der sogenannten ersten deutschen Diktatur nicht zugegangen. Mit der genannten Version einer Totalitarismustheorie wird ferner ein zentraler historischer Sachverhalt verdeckt: der Zusammenhang zwischen den Interessen kapitalistischer Machtgruppen und den Praktiken des deutschen Faschismus. Wenn Faschismus und Kommunismus wesensgleich sind, wird unverständlich, wieso Kapitalisten – von Kommunisten bekämpft – Gefallen an einem faschistischen System fanden. II Nicht so populär wie die neue Totalitarismusdeutung, aber in neoliberalen Kreisen begierig aufgegriffen ist die (vor allem von Götz Aly unter die Leute gebrachte) neue Beschreibung des »Dritten Reiches« als einer historischen Inkarnation der Sozialstaatsidee; der NS-Staat habe nur bestimmte Minderheiten, vor allem die jüdische Bevölkerung, von materiellen Segnungen ausgegrenzt. Mit dieser Interpretation wollen Aly und andere auf dem Umwege über Faschismusgeschichte sozialstaatliche Ideen heute in Mißkredit bringen und dem Neoliberalismus Hilfe leisten. Unausgesprochen knüpfen sie an demagogische Formeln an, die in Westdeutschland in der Zeit nach 1945, zu Beginn des Kalten Krieges, auf Seiten der restaurativen politischen Kräfte beliebt waren: Das »Dritte Reich«, so wurde es damals ausgemalt, sei tatsächlich ein sozialistisches Regime gewesen; eben deshalb müsse man für alle Zeiten sozialistischen Ideen abschwören. Verdrängt und vernebelt wurde und wird dabei, daß der deutsche Faschismus an der Macht seinen ersten »inneren Krieg« gegen die sozialistische Arbeiterbewegung führte, in all ihren Varianten, und daß er systematisch die Arbeiterbevölkerung ihrer Rechte beraubte, die kapitalistische Verfügungsmacht grundsätzlich nicht antastete. III Zugleich greifen aber auch Neofaschisten vermehrt die Legende vom »Dritten Reich« als »Arbeiterstaat« wieder auf und nutzen sie als historische Folie, um ihre Propaganda heute als sozialen Protest, als Widerstand gegen den »raffenden globalen Kapitalismus« auszugeben. Nicht ohne Erfolg widmen sich auf ihre Weise neofaschistische Gruppierungen und Publikationen der bedrängenden »sozialen Frage« und versuchen, den Zorn über die soziale Demontage auf ihre politischen Mühlen zu leiten – berechtigten Unwillen also ins Faschistische umzulenken. IV Eine verfälschende Darstellung des Faschismus ist zur Zeit außerdem in einer ganz anderen Herkunftslinie zu erkennen, die sich selbst als antifaschistisch bezeichnet: bei den sogenannten Antideutschen. Die zutreffende historische Feststellung, daß der Faschismus einst seine machtfähigste und brutalste Ausformung in der deutschen Gesellschaft entwickelt hat, wird in der »antideutschen« Argumentation so fehlgedeutet, als wären faschistische Weltbilder und Bewegungen ihrer Grundsubstanz nach spezifisch deutsch – was weder der geschichtlichen noch der gegenwärtigen Realität entspricht. Diese Fehldeutung führt zu aktuellen Desorientierungen – dort etwa, wo der heutige US-Imperialismus im wesentlichen positiv beurteilt wird, weil damit ein antideutscher Machtpol gesichert sei. Aus dem Blick gerät dabei die Frage nach dem Zusammenhang imperialistischer und faschistischer Politikmuster; letzten Endes ist Faschismus dann nur noch als kollektiv-psychische Verirrung des deutschen Volkes zu erklären – eine völkische Betrachtungsweise, ironischerweise gepflegt von Antivölkischen, wie sie sich selbst darstellen. V Mit der »antideutschen« Argumentation berührt sich in manchen Punkten eine den historischen deutschen Faschismus instrumentalisierende politische Propaganda, die für schlichte Gemüter gedacht ist, aber weitreichende Wirkungen zeitigt: Seit dem Beginn der rot-grünen Regierungspolitik pflegen Prominente dieser beiden Parteien, ihr Einschwenken auf deutsche globale Militärambitionen und die Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr in den neuen Kriegen mit der emphatischen Begründung zu versehen, Deutschland könne und müsse eine Art historischer Wiedergutmachung leisten, indem nun durch deutsches Militär »ein neues Auschwitz verhindert« oder ein »islamischer Faschismus bekämpft« werde und so weiter. Solche Begründungen sind nicht nur dummdreist, sie sind auch absolut verantwortungslos im Hinblick auf geschichtliche Aufklärung. Wer beispielsweise die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien mit der Legende rechtfertigte, so werde eine »zweite Endlösung« durchkreuzt, hat innerlich von der »Bewältigung der deutschen Vergangenheit« längst Abschied genommen – da regiert allein das propagandistische Kalkül. Wie sich dies auf junge, über den Faschismus noch kaum informierte Menschen auswirken kann, ist unschwer erkennbar.
Erschienen in Ossietzky 7/2007 |
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