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»Größte Herausforderung«– unter dieser Überschrift berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung über »islamistischen Terror« in Baden-Württemberg, wie ihn der Landesinnenminister Heribert Rech jetzt in einer Bilanz politisch motivierter Kriminalität beschrieben hat. Da bekommt man einen Schrecken – solche Zustände im ansonsten idyllischen Ländle! Rech hat den »islamistischen Extremismus« als »enormes Problem« für seine Polizei herausgestellt und erneut seine »Null-Toleranz-Linie« beschworen. Allerdings enthält sein Report auch Zahlen: »Politisch motivierte Ausländerkriminalität« (unter diese Rubrik füllt auch »islamistischer Terrorismus«) ist in Baden-Württemberg im Vergleich der Jahre 2005 und 2006 um 1,7 Prozent angestiegen – von 58 auf 59 Straftaten. In demselben Zeitraum sind »fremdenfeindliche Straftaten« (unter »Extremismus Rechts« rubriziert) um 34,4 Prozent von 221 auf 297 Delikte angestiegen. Insgesamt werden in dieser Rubrik 1.351 Straftaten vermeldet. Nicht fehlen darf bei einem deutschen Innenminister der Hinweis auf eine Steigerung bei den »linksextremen« Straftaten: um 48,9 Prozent von 2005 auf 2006; das waren dann 685 Delikte. Der Anstieg ist auf das Verwenden durchgekreuzter Hakenkreuze bei Anti-Nazi-Demos zurückzuführen, teilt die Statistik mit. Das ist jetzt nicht mehr strafwürdig. Hier gibt es also keine gesteigerte »Herausforderung«. Es zeigt sich: Statistik kann auskunftsfähig sein. Marja Winken
Von Hitler geprüftGeneräle werden gewöhnlich steinalt, waren es meist schon in der Jugend – im Gegensatz zu ihren Opfern. 93jährig starb Bernd Freiherr Freytag von Loringhoven, Träger des Deutschen Kreuzes in Gold, in den Jahren 1944 und 1945 Adjutant bei den Generalstabschefs des Heeres, Heinz Guderian und Hans Krebs. In der Zeit vom 20. April bis zum 30. April 1945 diente er als einer der Getreuesten im Führerbunker in Berlin, wo er sich persönlich von Hitler verabschiedete. Bei der Aufstellung der Bundeswehr wurde er 1956 General und später ihr stellvertretender Generalinspekteur. Männer wie er waren offenbar unentbehrlich, damit der alte preußisch-militaristische Geist erhalten blieb. Vom Antikommunismus ganz zu schweigen. Karl-Heinz Walloch
Kriegsflughafen LeipzigDer Flughafen Leipzig/Halle entwickelt sich immer mehr zu einem jener Orte der »verdeckten Teilnahme« (Gerhard Zwerenz in Ossietzky 5/2007) Deutschlands am Krieg der USA gegen den Irak. Seit dem 23. Mai 2006 fliegen die als zivile Maschinen getarnten Lufttransporter der World Airways im Auftrag der US Air Force regelmäßig den Flughafen in Schkeuditz an. Hier werden die Flugzeuge auf ihrem Weg von oder nach Bagdad aufgetankt und die US-Soldaten verpflegt. Im zweiten Halbjahr 2006 wurden exakt 332 Zwischenlandungen mit jeweils rund 300 Kriegern gezählt; via Leipzig wurden also etwa 100.000 US-Soldaten aus oder in den Krieg befördert. Für die World Airways hat die Verlegung ihrer europäischen Hauptbasis vom irischen Shannon nach Sachsen den Vorteil, daß Hin- und Rückflüge in den Irak in einem Ritt stattfinden können. Für ihre Bereitschaft, indirekt am Irak-Krieg teilzunehmen, kassierte die Mitteldeutsche Flughafen AG im vergangenen Jahr circa 1,3 Millionen Euro, das Doppelte erhofft sie für 2007. Der Ausbau des Leipziger Flugplatzes zu einem Kriegsflughafen beschränkt sich aber nicht auf die Funktion eines Drehkreuzes zur Unterstützung des Irak-Krieges. Bereits im März 2006 wurde Leipzig zum Heimatflughafen für zwei russische Großflugzeuge Antonow 124-100. Im Rahmen des Programms »Strategic Airlift Interim Solution« – der »Übergangslösung im strategischen Lufttransport«, bis die Bundeswehr mit dem Airbus A400M über eigene Lastentransporter verfügt – transportieren sie weltweit für die NATO und die EU militärisches Gerät. Speziell für diese Maschinen übernahm am 17. Januar der stellvertretende Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Heinz Marzi, eine neue Wartungs- und Instandsetzungshalle. Allein für die Bundeswehr waren die beiden Großraumtransporter in den vergangenen zwölf Monaten knapp über 1000 Flugstunden unterwegs, um militärisches Gerät in »Einsatzländer« (Marzi) zu bringen. Widerstand gegen die Nutzung des Leipziger Flughafens durch Bundeswehr und NATO sowie als Drehscheibe im Irak-Krieg entwickelt sich langsam, aber sicher. Inzwischen hat sich eine »AG Flughafen natofrei« gegründet, und ein gemeinsames friedenspolitisches Forum der Linkspartei.PDS und des Friedenszentrums e.V. hat das Thema Kriegsflughafen Leipzig/Halle zur öffentlichen Debatte gestellt. Öffentliche Proteste werden folgen. Edmund Schulz
Europas Demokratie-Defizit»Die verfassungsmäßigen Kompetenzen der staatlichen Organe in den Mitgliedstaaten, vor allem der Parlamente wie des Bundestages, sind ... einem substanziellen Aushöhlungsprozess ausgesetzt.« Diese ernste Mahnung vor einem Demokratieabbau in der Europäischen Union stammt von einem Mann, den die Bundeskanzlerin und derzeitige EU-Ratspräsidentin Angela Merkel nicht leichthin übergehen kann: von Roman Herzog, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, dann Bundespräsidenten und inzwischen Vorsitzenden des Konvents zur Ausarbeitung der Grundrechte-Charta der EU. Es ist beizender Tobak, wenn er die Frage stellt, »ob man die Bundesrepublik Deutschland überhaupt noch uneingeschränkt als eine parlamentarische Demokratie bezeichnen kann«. Herzog und sein Mitautor Lüder Gerken, Direktor des neoliberalen »Centrums für Europäische Politik« , diagnostizieren kritisch, daß die nationalen Regierungen in Brüssel als ihre eigenen Gesetzgeber fungieren, was den Grundsätzen der Gewaltenteilung widerspricht. Sein Rezept – »ein vollwertiges Europäisches Parlament als Legislative« und Rückstufung des Rats zu einer Zweiten Kammer – hilft aber nur, wenn man die EU zum Bundesstaat macht. Und das will keiner, nicht die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Regierenden, und es setzt eine Volksabstimmung voraus. Einigen Vorschlägen Herzogs kann ich nur beipflichten. So, wenn er einen »abschließenden Kompetenzkatalog« verlangt, »der Umfang und Grenzen der EU-Zuständigkeiten festlegt«, damit klar wird, wofür die EU zuständig ist und was in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleibt. Oder seine Idee, neben dem Europäischen Gerichtshof einen eigenständigen Gerichtshof für Kompetenzfragen aus Richtern der Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten einzurichten. Und vor allem stimme ich ihm zu, wenn er davor warnt, »in einem zweiten Anlauf den europäischen Verfassungsvertrag ungeachtet der Ablehnung in Frankreich und Holland und einer deutlich skeptischen Haltung der Bevölkerung auch in anderen Mitgliedstaaten doch noch durchzusetzen«. Damit stellt er sich Angela Merkel frontal entgegen und widerspricht ihrem Credo von der Rettung der »Substanz« des Verfassungsvertrags. Die Kontroverse unter Christdemokraten zeigt, worauf es jetzt ankommt: auf einen alternativen Verfassungsentwurf und eine öffentliche Diskussion darüber. Diether Dehm
Der Segen der FluchtEndlich zeigte »die Flucht« aus Ostpreußen ihre segensreiche Seite. Mit mehr als elf Millionen Zuschauern war der gleichnamige Film der »erfolgreichste Film im Ersten seit zehn Jahren«, jubelte ARD -Programmchef Günter Struve, und für den deutsch-französischen Gemeinschaftskanal arte brachte er mit fast zehn Prozent Marktanteil schon einige Tage zuvor die höchste Quote in dessen elfjähriger Geschichte. Zu diesem Erfolg trug die Bild -Zeitung bei, die vorab eine Serie gestartet hatte, in der täglich »Zeitzeugen über ihre Erlebnisse bei Flucht und Vertreibung« berichten durften. Über so viel Aufmerksamkeit an ihrem Thema zeigte sich auch die Landsmannschaft Ostpreußen höchst erfreut. In ihrem ostpreussen-info empfahl sie gleich alle Fernsehbeiträge in den öffentlich-rechtlichen Sendern, die Anfang März zum Thema »Flucht und Vertreibung« ausgestrahlt wurden; es waren 18. Die Landsmannschaft sieht offenbar beste Gelegenheit, daß die Anzahl der Deutschen, die »Schlesien und Ostpreußen als deutsch empfinden« (nach ihren Angaben 24 Prozent) und »bedauern, daß diese Gebiete unter polnischer und russischer Verwaltung stehen« (angeblich 40 Prozent), weiter zunimmt, ihre Botschaft also noch mehr Zustimmung erfährt. Diese Botschaft steht in ihrer Satzung, die seit 1948 zwar mehrfach überarbeitet wurde, im Kern jedoch gleich geblieben ist. In der Präambel (Fassung von 2002) wird sie so formuliert: »... Die Ostpreußen sind von ihrer angestammten Heimat seit dem Jahre 1945 unter Bruch des Völkerrechts und Verletzung der Menschenrechte getrennt. Die Landsmannschaft Ostpreußen setzt Ostpreußen in seiner Gesamtheit ... fort ... In diesem Rahmen strebt sie das Recht auf die Heimat im friedlichen Wandel an. Dabei setzt sie sich ... insbesondere für die Wiedergutmachung des Vertreibungsunrechtes und die Rückgabe des konfiszierten Vermögens ... ein.« Die Landsmannschaft Ostpreußen bildet mit 20 anderen Landsmannschaften und 16 Landesverbänden den »Bund der Vertriebenen« (BdV) mit Erika Steinbach MdB als Präsidentin und stellt mit ihrem Vorsitzenden Wilhelm von Gottberg einen seiner sechs Vizepräsidenten, den wohl einflußreichsten. Der BdV wird »staatlich gefördert, weil an der Erfüllung seiner Aufgaben ein Bundesinteresse besteht« (Näheres zur Finanzierung s. Wikipedia unter »Bund der Vertriebenen«). Hartwig Hohnsbein
Ehrenburg und die Bild -ZeitungAm 6. März, einen Tag, nachdem der zweite Teil der Fernsehschmonzette »Die Flucht« ausgestrahlt worden war, versprach die Bild -Zeitung unter der Überschrift »Haben die Russen auf Be-fehl vergewaltigt?« Antworten auf »die wichtigsten Fragen zum ARD -Drama«. Nun könnte man freilich an diesen Film eine ganze Reihe von Fragen stellen: Warum zum Beispiel stellt er – entgegen den historischen Tatsachen – den Adel als den eigentlichen Motor zur Flucht dar und nicht die Dorfschulzen? Und warum bemüht sich der Film um Differenziertheit, auf die er bei der Schilderung der Deutschen bedacht ist, nicht auch bei der Darstellung der Sowjetarmee? Die Fragen der Bild -Zeitung sind andere: »Warum waren die Russen so grausam? Stimmt es, daß sie auf Befehl vergewaltigt haben?« Bild leugnet in seiner Antwort nicht den brutalen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, nicht die 20 Millionen Sowjetbürger, die dabei ums Leben kamen, fügt dann aber hinzu: »Als die Rote Armee im 4. Kriegsjahr Ostpreußen erreichte, wurden ihre Soldaten von ihren Offizieren und durch Aufrufe des Schriftstellers Ilja Ehrenburg aufgestachelt, grausame Rache an der Zivilbevölkerung zu nehmen. (›Wir werden sie totschlagen!‹)« Die Geschichte, wonach Ilja Ehrenburg die Rote Armee aufgestachelt habe, sich an der Zivilbevölkerung zu vergehen, ist ebenso alt wie verlogen. Ihr Urheber ist kein geringerer als Hitlers Pro-pagandaminister Joseph Goebbels. Daß die Bild -Zeitung sie nun wieder ausgräbt, ist typisch. Alle paar Jahre wird sie aus der Versenkung hervorgeholt und einem nichtswissenden oder nichtswissenwollenden Publikum als erneuertes Vorurteil eingeimpft. Daß es tatsächlich einige Flugblätter Ehrenburgs gibt, in denen die Losung »Töte den Deutschen« ausgegeben wird, dient dann als Beleg der blindwütigen Rachsucht eines Dichters, den Goebbels' Propagandamaschinerie zur Inkarnation alles Bösen erklärt hatte. Vom Kontext dieser Flugblätter, in denen übrigens nirgends zur Rache an der Zivilbevölkerung oder zu Vergewaltigungen aufgerufen wird, und zum Zeitpunkt ihres Entstehens schweigen sich diejenigen, die sie immer wieder hervorzerren, zumeist aus. Als die faschistische Wehrmacht 1941 die Sowjetunion überfällt, wird Ilja Ehrenburg Zeuge folgender Szene: Sowjetsoldaten haben Hemmungen, auf die Angreifer zu schießen, in der Hoffnung, man könne die deutschen Arbeiter in Wehrmachtsuniformen doch für die Sache des Sozialismus gewinnen und davon überzeugen, daß es nötig sei, das Hitlerregime auch im eigenen Land zu bekämpfen. Auf solche Vorkommnisse reagieren die Flugblätter Ehrenburgs, der bereits den spanischen Bürgerkrieg und den Fall von Paris miterlebt hatte. In seinen Artikeln und Flugblättern beschreibt der Schriftsteller, der als Kriegsberichterstatter an der gesamten Front unterwegs ist, die Naziverbrechen, die er beobachtet, und die Notwendigkeit, die Aggressoren zu bekämpfen. Die Ehrenburg-Biographin Lilly Marcou betont in diesem Zusammenhang, daß sich der Ton der Flugblätter in dem Moment änderte, als die Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad die Kriegswende herbeiführt (Lilly Marcou: »Wir größten Akrobaten der Welt«, Berlin 1996, S. 211). Im Kontext des Kriegs in Ostpreußen kann von »aufstachelnden Flugblättern« keine Rede sein. Auch die Legende vom »erbitterten Stalinisten« Ehrenburg ist nichts als eine die Goebbels-Propaganda fortschreibende Lüge. Daß Ehrenburg als Spanienkämpfer, Schulfreund Bucharins, kosmopolitischer Europäer, avantgardistischer Schriftsteller und Mitbegründer des Jüdischen Antifaschistischen Komitees die Stalinschen »Säuberungen« überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Und es war Ehrenburg, dessen Romantitel »Tauwetter« zum geflügelten Wort für die Zeit nach dem XX. Parteitag der KPdSU wurde. Bild als Organ des ordinärsten Antikommunismus und Deutschnationalismus wird einen der geistreichsten Schriftsteller seiner Epoche sicher weiterhin verleumden. Die Gebildeten aber werden sich dessen Werk nicht nehmen lassen. David Salomon
Aitmatows WiederkehrIch muß zugeben, daß mich die Lektüre eines russischen Vorabdrucks in der Moskauer Zeitschrift Drushba narodow (Völkerfreundschaft), der sich nachträglich als Fragment erweist, nicht ermutigte. Die deutsche Ausgabe fesselte zu-nächst vor allem durch die beeindruckenden Kapitel über den titelgebenden Schneeleoparden Dschaa-Bars, der gegen die Alters-Vereinsamung ankämpft und sich an jugendliche Liebe und Führerschaft erinnert. Man muß den Roman zu Ende gelesen haben, um in der Gesamtschau zu erkennen, daß Aitmatow mit dem »Schneeleoparden« ein bedeutendes, herausragendes Werk geschaffen hat. Der zentrale Konflikt entspringt der Genehmigung der einen Dollarregen verheißenden Jagd auf die vom Aussterben bedrohten Schneeleoparden durch die zuständige Verwaltung für zwei arabische Prinzen einerseits und dem Versuch einer als Treiber angeheuerten, von »Taschtanafghan« geleiteten Truppe, von den Prinzen 20 Millionen Dollar zu erpressen. Taschtanafghans einstiger Klassenkamerad Arsen, der jetzt als Englisch-Dolmetscher für die Prinzen in seinen Geburtsort am Tienschan-Gebirge gekommen ist, sollte die während der Treibjagd in eine Höhle gedrängten Prinzen ultimativ über ihre Gefangennahme und die Bedingungen der Freilassung informieren. Im Falle ihrer oder seiner Weigerung würde er mit ihnen sterben. Das konnte als Krimi angelegt sein – und liest sich auch so spannend –, aber in Aitmatows Roman fügt es sich bis ins kleinste Detail in die Gesetzmäßigkeiten der »Marktwirtschaft«, auf den Punkt gebracht: die Bisnes-Epoche . Business, das Prinzip »Geld ist der Gott dieser Epoche«, bewegt fast alle Handlungselemente. Das wertet im Rückblick schon den ersten der drei Teile des Romans auf - wie die etwas blaß bleibende Liebe Arsens zur Opernsängerin Aidana, die sich vom Showgeschäft korrumpieren ließ, samt dramatischen Begleiterscheinungen - und läßt aus Arsens Epilog ein historisch vertieftes Persönlichkeitsbild entstehen, in dem die Auseinandersetzung zwischen Töten und Nichttöten nicht zur Ruhe kommt. Zur Katharsis führt die Romanhandlung über Arsens neu gewonnene Liebe zur einstigen Bibliothekarin und jetzigen »fliegenden Händlerin« Elesa. Ihre Empörung über die Preisgabe der Umwelt gegen Geld trägt dazu bei, daß Arsen während des Jagdbeginns aus der anfänglichen Erstarrung ausbricht und sowohl die Jagd als auch die Millionen-Erpressung vereitelt, was er mit dem Tod bezahlt. Wie wenig das in der Gesellschaft ändert, zeigen freilich die wütenden Reaktionen der meisten um ihren erhofften Gewinn betrogenen Mitbürger, während Elesa fast zur »Ewigen Braut« wird. Aitmatows schöpferischer Mythen-Bezug ist im Roman zwar nicht handlungsauslösend wie in der Legende von der Gehörnten Weißen Hirschmutter im »Weißen Dampfer«, doch die Legende von der »Ewigen Braut« eint Arsens unterschiedliche Erlebens-Abschnitte durch das Bekenntnis zu einer Liebe, deren Kraft und Tiefe sogar unabwendbaren Tragödien standhält. Die Wunder – realistischer Literatur ohnehin nicht fremd – setzen ihrerseits mythologische Glanzlichter: so die zweimalige geheimnisvolle Warnung Arsens durch Schwalben und eine Art Himmelfahrt des zusammen mit Arsen tödlich verletzten Schneeleoparden. Aitmatow, dessen Werke die Perestroika vorbereiteten und der dann an Gorbatschows Seite für sie eintrat, hat mit dem neuen Roman nach deren Niederlage künstlerisch Position zu einer »Wertegemeinschaft« bezogen, deren höchster Wert der Mehrwert ist. So ist er über alle Umbrüche hinweg seiner eigenen Maxime treu geblieben, die Literatur müsse »selbstlos ihr Kreuz tragen«, sie müsse »in die Kompliziertheit des Lebens eindringen, damit der Mensch alles Gute und Würdige... liebt und behütet«, wie er 1971 in seiner Autobiographie schrieb. Leonhard Kossuth
Tschingis Aitmatow »Der Schneeleopard«, aus dem Russischen von Friedrich Hitzer, Unionsverlag Zürich, 320 Seiten, 19.90 €
Eine erzgebirgische KindheitAuf dem Titelbild steht er in einer kurzen Trägerhose stolz mit einer großen Zuckertüte. Da wird nicht viel drin gewesen sein. Es ist das Jahr 1943. Aus dem Blickwinkel des Kindes ist die Welt noch schön, sogar wundersam. Aber in das beschauliche Leben in dem erzgebirgischen Dorfe, in dem Klaus Walther seine Kindheit verbringt, mischen sich amerikanische Flugzeugabstürze, Kriegsgefangene, Bonzen, Durchhalteparolen und Todesmeldungen von der Front. Die Wismut kommt ins Gebirge, die Russen mit Stalin als Standbild und Adolf Hennecke nebst Frida Hockauf. Die kleinen Leute versuchen, mit diesen Gegebenheiten wenn nicht fertig zu werden, so doch mit einfacher Schläue durchzukommen und der Borniertheit auszuweichen. Der Großvater mit der ewigen Tabakspfeife steht hier als typischer Erzgebirgler jener Zeit. Mit den Äußerungen dieses gelungen gestalteten Großvaters über Tun und Lassen der Leute damals schafft Klaus Walther viele humorige Details, und es ist auch ein Schuß Ironie dabei. Die entsteht eben aus der kindlichen Sicht auf die Dinge, auch aus dem Eifer, wissen zu wollen. Die frühe Lesesucht des Jungen ist auffällig, sie gleicht seine Unsportlichkeit aus. Er fühlt sich in seiner Welt dadurch nicht benachteiligt. Köstlich zum Beispiel, wie der Junge Pionier Klaus Walther »Timurhilfe« – so nannte man in der DDR nach einem vielgelesenen Kinderbuch selbstlose Hilfe für Schwächere – pflichteifrig betreibt und einer alten Frau den Handwagen fortzerrt. Sie aber rennt erschrocken hinterdrein und schreit »Hilfe! Hilfe! Diebe!« Wieder einmal geht die Welt nicht so auf wie gewollt. Anrührend, wie der Junge vor dem toten Großvater steht und zum ersten Mal fühlt, daß sie bei aller Nähe kaum körperliche Berührung hatten. Danach aber hat er sich immer gesehnt, nach Kontakt mit Menschen seiner Umgebung. Ein leises, behutsames, eindringliches Buch über Leben und Sterben, über Enttäuschung und Hoffnung. Wolfgang Eckert Klaus Walther: »Der schöne Monat Mai«, DTV, 8,50 €
Leicht verwischt, gut erläutertHeinrich Manns Adreßbuch im Format 11,5 mal 9 Zentimeter, das er 1926 anlegte und bis 1940 führte, enthält auf 62 Seiten 450 Einträge. Von den 374 Namen sind einige mehrfach aufgeführt – wegen Adressenwechsels. Die zumeist mit Bleistift geschriebenen Namen und Anschriften sind leicht verwischt: Spuren der Vergänglichkeit Das jetzt von Christine Fischer-Defoy herausgegebene Buch zeigt den Interessierten, welche vielfältigen Kontakte Heinrich Mann pflegte. Die Herausgeberin hat alle Namen mit Erläuterungen versehen und auch viele bisher nicht bekannte Fotos hinzugetan. Damit wird der Band zu einem Geschichtsbuch, aus dem man erfährt, was in den Jahren von 1926 bis 1940, zuerst in Deutschland, später im Exil, aus den Menschen wurde, mit denen Heinrich Mann Umgang hatte. Und was sich damals in Europa zutrug. Karl-H. Walloch
Christine Fischer-Defoy (Hg.): »Heinrich Mann – ›Auch ich kam aus Deutschland...‹ – Das private Notizbuch 1926–1940«, Verlag Koehler & Amelang, 276 Seiten, 24,90 €
Eine Frau berühmter MännerLouise Eisler-Fischer war so attraktiv wie klug. An der Seite berühmter Männer stand sie selbstbewußt und dabei immer hilfsbereit ihre »Frau«. Lou, wie Freunde sie nannten, teilte mit Hanns Eisler die schweren Jahre im amerikanischen Exil und mit Ernst Fischer die Zeit, da er mit der parteioffiziellen kommunistischen Doktrin brach. Immer war sie »Stütze« – als Beraterin, Mitbeschafferin der nötigen Finanzen (so jobbte sie in den USA als Sprachlehrerin, Kindermädchen und Putze), als Mitarbeiterin (mit Fischer schrieb sie den Dialog-Roman »Prinz Eugen«), als Chauffeurin, Köchin, Sekretärin, Gastgeberin. Für den Dienst an ihren Männern ließ sie das Eigene liegen. So gibt es begonnene Erzählungen, ein Romanfragment, eine unbeendete Autobiographie. Daß dies nun gesammelt und gut kommentiert, angereichert mit Briefen und Presseartikeln, an die Öffentlichkeit kommt, ist ein Akt der Gerechtigkeit für diese interessante Frau und ein Mosaiksteinchen in der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Und zudem ist es amüsant, denn Louise Eisler war talentiert. Ihre Geschichten haben etwas Besonderes: In zutreffend beschriebenen Milieus ergeben sich überraschende Konstellationen, und Historisches ist dabei kein beliebiger Hintergrund. Schade für die Leser, daß es Fragmente blieben. Für Louise Eisler dagegen gab es eben Wichtigeres. Christel Berger Louise Eisler-Fischer: »Es war nicht immer Liebe«, Texte und Briefe. hg. von Maren Köster, Jürgen Schebera und Friederike Wißmann, Sonderzahl Verlag Wien, 275 Seiten, 22 €
Pioniergang in der InnenweltMit 19 Jahren folgte Dorothea Buck der Leuchtspur eines Sterns ins Wattenmeer, entging wie durch ein Wunder dem Ertrinken und wurde mit der Diagnose »Schizophrenie« in die Anstalt gesperrt. Gut zwanzig Jahre später, inzwischen zum fünften Mal interniert, konnte sie ihre Erfahrungen in den Dunkelzonen der Psyche zur Erkenntnis bündeln; sie begriff ihre Psychose als einen Initiationsweg der Selbstfindung. Sie war damit geheilt und ist es geblieben seit einem halben Jahrhundert. Sie brachte Kunde mit von einem inneren Kontinent, der auf keiner Landkarte des Geistes verzeichnet war. Furchtlos hat sie diesen Kontinent vermessen, unbeirrt durch die Entwürdigungen des Anstaltslebens. Seit ihr Buch »Auf der Spur des Morgensterns – Psychose als Selbstfindung« 1990 zum ersten Mal erschien, damals noch unter dem Pseudonym Sophie Zerchin, können wir wissen, wie sich von innen anfühlt, was Psychiater mit dem Schreckenswort »Schizophrenie« belegen. Sie hat gezeigt, daß Wahnvorstellungen nicht das sinnlose Nebengeräusch eines schadhaften Gehirns sind, sondern Bedeutung haben, exzentrisch vielleicht und mitunter bedrohlich, aber nicht jenseits von dem, was Menschen, indem sie fühlen und verstehen, miteinander verbindet. Und manchmal eine Chance zur Erweiterung der Persönlichkeit. Man darf das eine geistige Pionierleistung nennen, auch wenn sie der puren Intuition entsprang; erst nachträglich, ihre Erfahrungen verarbeitend, hat Dorothea Buck die Schriften von Sigmund Freud und C. G. Jung studiert. Der Psychiatrie, die traditionell, ganz wider den Geist naturwissenschaftlicher Empirie, die inneren Erfahrungen der Psychotiker für irrelevant erklärt hatte, legt sie nahe, eine sträflich mißachtete Erkenntnisquelle endlich zu nutzen. Den Patienten aber nimmt sie ein Stigma, befreit sie aus der Rolle bloßer Objekte ärztlichen Handelns und gibt ihnen ihre Würde als autonome Subjekte zurück . Der Blick weitet sich; ein Umdenken hat eingesetzt. Auf vielen psychiatrischen Kongressen hat Dorothea Buck ihre Erfahrungen vorgetragen und neue Perspektiven gezeigt. Als Mitbegründerin und dann Ehrenvorsitzende des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen setzt sie sich mit Vorträgen, Eingaben und Petitionen für die Rechte der Psychiatriepatienten ein – bis heute. Am 5. April feiert Dorothea Buck in Hamburg ihren 90. Geburtstag. Hans Krieger
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Diese und jene KatastrophenWährend Wissenschaftler allerorten vor der Klimakatastrophe warnen, entwickelt der bayerische Wirtschaftsminister Erwin Huber – als Nachfolger Edmund Stoibers im Vorsitz der CSU ausgekungelt – ein ganz anderes Horrorszenario: Wir Deutschen würden »zu einem Volk von Kleinwagenfahrern degradiert« ( Ossietzky 4/07). Hier zeigt sich ein ganz besonderes, ein ausgesprochen christlich-soziales Menschen- und Weltbild: Die einen sorgen sich um die Zukunft des Planeten, die anderen um die Zukunft großprotziger Autos. Ist die Evolution des Menschen so angelegt, daß mit dem Hubraum von Personenwagen zugleich der Hohlraum im menschlichen Kopf zunimmt? Thomas Rüger
Walter Kaufmanns LektüreFragen Sie bitte ihr Kind, ob es weiß, daß in China Frösche leben, die ihre Weibchen mit einem Vogelzwitschern anlocken, daß sich Brieftauben am Verlauf der Autobahn orientieren; daß Elefantenschildkröten über 150 Jahre alt werden können und daß in den Magen eines Eisbären bis zu 70 Kilogramm Futter passen. Sollte sich die Antwort in ungläubigem Kopfschütteln erschöpfen, dann kaufen Sie ihm Roland Knauers und Kerstin Vierings Büchlein mit dem programmatischen Titel »Was du schon immer über Tiere wissen wolltest«, das Seite für Seite noch weit mehr Erstaunliches festhält. Zum Beispiel daß sich die Sprache der Schwertwale vor der kanadischen Küste von der neuseeländischen Walsprache so stark wie das Deutsche vom Japanischen unterscheidet. Oder daß Häsinnen ihren Nachwuchs in der Dämmerung mit einer Art hochkonzentrierter Kondensmilch säugen und sie dann schnellstens verlassen. Warum schnellstens? Füchse können Häsinnen am Geruch aufspüren, nicht aber kleine Häschen, die geruchlos sind. Denken Sie an Ostern! W. K.
Roland Knauer / Kerstin Viering: »Was du schon immer über Tiere wissen wolltest«, illustriert von Antje von Stemm, Bloomsbury, 135 Seiten, 9.90 €
Erinnerungen an den SanitäterWie bekämpft man Schlaflosigkeit? Manche zählen Schäfchen, die über Hürden springen und sich kahl rasieren lassen, damit aus ihrer Wolle Original-Kamelhaarmäntel gefertigt werden. Meine Schlummersorgen suche ich zu vergessen, indem ich insgeheim und völlig lautlos zwei oder drei schöne deutsche Lieder singe; die lernten wir kennen, als man uns zu Soldaten machen wollte (was in meinem Fall glänzend mißlang). »Hoch, ein dreifach Hoch, ein dreifach Hoch / Dem Sanitätsgefreiten Neumann, / Der, ja grade der / Die graue Salbe hat erfunden! / Früher mußte man sich plagen, / Die Läuse aus dem Pelz zu jagen. / Heute wendet jedermann / Neumanns graue Salbe an!« An dieser Stelle kommt mir meistens gleichnamiger Kulturstaats- beziehungsweise Staatskulturminister in den Sinn. Ob der jetzt wohl schläft? Nein. Gewiß entwirft der KSM just in diesem Moment eine seiner abenteuerlichen Ansprachen. Und wenn ich an die nur denke, schlafe ich sofort tief ein. Lothar Kusche
Press-Kohl»Mittags bei Konnopke unter dem (mittlerweile leicht baufälligen) U-Bahn-Viadukt« kann man Bratwurst essen und, falls man Reporterin der Berliner Zeitung ist, Sensationen erleben. «... In dem Moment klackst ein Taubenschiß neben den Pappteller von Frau Silberlocke. Die, als hätte sie es nicht bemerkt, verzehrt ungerührt ihre Wurst zu Ende. Die anderen blicken nach oben, direkt ins Auge des Schmutzfinks. Sie sitzt in ihrem Himmel aus Eisen und beäugt arglos die Wirkung ihres Werks.« Ist ihnen aufgefallen, daß Schmutzfink nicht nur zweigeschlechtig, sondern auch einäugig zu sein scheint? * In der Zeitschrift Kunst + Kultur (1/07), die im Auftrag der Gewerkschaft ver.di von Burkhard Baltzer redigiert wird, folgte auf die dezent mysteriöse Überschrift »Eine Aura. Wer weiß?« der Untertitel: »Erinnerungen an Ryszard Kapusinski seines Verlegers«. Ein kompliziertes Puzzle. Wer mag der Ryszard seines Verlegers sein oder gewesen sein? Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 6/2007 |
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