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Ein Leben lang geliebt zu werden, ohne eine Gegenleistung erbracht zu haben, bedingungslos geliebt zu werden trotz seelischer Grausamkeit und rücksichtsloser Ichbezogenheit: ist das nicht der typische Männertraum? Mußte der »Brief einer Unbekannten«, so sympathisch er die gedemütigte Frau macht, so kritikwürdig er den egozentrischen Geliebten erscheinen läßt, nicht einer männlichen Phantasie entspringen? Wir begegnen diesem Männertraum auf Schritt und Tritt. Doc Holliday, der lungenkranke Alkoholiker und Freund des Western-Helden Wyatt Earps, ist einer seiner Protagonisten, und Ferenc Molnárs Liliom gehört an prominenter Stelle in diese Reihe. Nun kann man sich empören über die fiktiven Frauen, die jenen lieben, der sie mißhandelt. Man kann sich empören über die (männlichen) Autoren, die sie und ihr Verhalten erdichtet, vielleicht erträumt haben. Man kann den Männertraum als Männertraum kenntlich machen, ihn anklagen. Aber erklärt das irgend etwas? Der Männertraum ist keine reine Phantasie. Er hat seine Grundlage in einer realen Erfahrung. Auch jenseits der Träume, jenseits der Literatur, des Theaters, des Films lassen sich Frauen hundert- und tausendfach gefallen, wogegen sie sich wehren müßten, lieben sie denjenigen, der sie tatsächlich oder im metaphorischen Sinne schlägt, und dementieren die Anzeige des Nachbarn, der die Schreie der Geschlagenen gehört hat. Das Bild von der freiwilligen Unterwerfung ist also nicht aus der Luft gegriffen – und mehr noch: Es ist nicht nur ein Frauenbild. Wie anders soll man es sich erklären, daß Angestellte einen Arbeitgeber verteidigen, der sie ausbeutet und schurigelt? Daß Menschen Tätigkeiten verrichten, die ihre Würde beleidigen, und jenem, der sie ihnen abverlangt, noch dankbar sind? Und daß Natascha Kampusch über den Tod eines Mannes getrauert hat, der sie in unvorstellbarer Weise gedemütigt und gequält hatte? Die besinnungslose Wut, mit der Internetnutzer auf einen bemerkenswerten Erklärungsversuch von Rainer Just in der Zeitschrift Wespennest und die vorabgedruckten Auszüge im Standard und der Frankfurter Rundschau reagiert haben, beweist nur, daß die Dummheit, zumal unter dem Schutz der Anonymität, weitaus verbreiteter ist als die gewissenhafte Analyse. Unerfreuliche Zustände verschwinden nicht, indem man sie leugnet. Sie bedürfen der Erklärung. Und – was eigentlich eine Platitüde sein sollte – die Erklärung von Gewalt bedeutet nicht deren Rechtfertigung. Warum liebt Julie Liliom bis zum Ende und über das Ende hinaus? Ist sie Masochistin? Gehört die Unterwerfung unter Gewalt unhinterfragt zum weiblichen Rollenbild? Wenn dem so wäre: worin läge der Konflikt dieses Stückes? Oder handelt es sich nur um eine Männerphantasie? Darauf hätten wir gerne eine Antwort. Oder wenigstens den Versuch einer Antwort. Die platte Demonstration einer Alternative, die das Bewußtsein einer Julie und ihrer Entsprechungen im wirklichen Leben überschreitet, hilft da nicht weiter. Luise, die zuvor von einem ihr unbekannten Mann auf die Hand geschlagen worden ist – in Karin Henkels aktueller Inszenierung am Stuttgarter Staatstheater wird sie, wie schon ihre Mutter Julie, mit einem brutalen Fausthieb ins Gesicht blutig geschlagen –, fragt ihre Mutter: »Ist es denn möglich, daß man einen heftigen, einen so ganz furchtbar heftigen Schlag bekommt … und daß es doch gar nicht weh tut?« Und die Mutter erwidert: »Es ist möglich, mein Kind…daß einen jemand schlägt…und daß es doch gar nicht weh tut …« So endet, in der Übersetzung von Alfred Polgar, Ferenc Molnárs »Liliom« aus dem Jahr 1909. Uns Heutigen erscheint dieser Dialog schwer erträglich. Man wird ihn gewiß nicht als Aufforderung verstehen dürfen, das Verprügeln von Frauen zu bagatellisieren, und Molnár macht das, dem sentimentalen Schluß zum Trotz, eigentlich klar. Die ganze »Vorstadtlegende« denunziert Lilioms Verhalten. Aber sie macht zugleich verständlich, daß und warum auch Menschen wie Liliom geliebt werden. Im Stuttgarter Schauspiel jedoch kommen die zitierten Sätze nicht vor. Luises Mutter ist am Ende gar nicht mehr vorhanden, weil ihre Darstellerin für die Rolle der Luise benötigt wird. Für alle, die es ohne diesen Fingerzeig nicht begreifen, hat die Regie durch die Doppelrolle verdeutlicht, daß sich im Schicksal Luises das Schicksal ihrer Mutter zu wiederholen droht, wie ja auch Liliom, als ihm eine himmlische Chance gewährt wird, wieder genauso handelt wie zuvor, ein frühes Beispiel von Sartres Existentialismus, den dieser in »Das Spiel ist aus« mit einer sehr ähnlichen Konstruktion illustriert hat. An der Stelle von Molnárs Pointe steht jetzt Luises plakativer Aus- und Aufruf: »Ja, es ist aus – für immer.« Damit man ihr diese Resolutheit abnimmt, muß sie vorher mehrmals »ficken« sagen. Das steht zwar auch nicht bei Molnár, macht aber aus dem »Strizzi«, dem »Hallodri« Liliom einen potentiellen Sexualverbrecher. Das später verhunzte Klischee von »harter Schale und weichem Kern« aber ist für Molnárs melodramatische Tragikomödie konstitutiv und daher unverzichtbar. Traut das Theater den Zuschauern nicht zu, daß sie zu einer eigenständigen Kritik am Bühnengeschehen fähig sind? Glaubt es wirklich, daß da unten im Dunkeln jene sitzen, die das Verprügeln von Frauen für nachahmenswert halten? Man stelle sich vor: Rick bekommt am Ende, auf dem Flughafen, einen Wutanfall, erschießt Victor Laszlo und heiratet Ilsa in der nächstgelegenen Kirche. »Casablanca« wäre kaputt. So funktionieren Melodramen nicht. Der Stuttgarter Schluß ruiniert Molnárs Konstruktion. Die Dramaturgie verhält sich im Grunde ebenso bigott wie die Nachbarn Julies, die genau zu wissen meinen, was gut für sie sei. Solche Besserwisserei mag moralisch einleuchten – dramaturgisch und in gewisser Hinsicht auch politisch ist sie ohne Verstand. Julie, die wie die Regisseurin und die Dramaturgin eine Frau ist, zugleich aber, im Gegensatz zu ihnen, eine Angehörige jener Unterschicht, hat nämlich etwas begriffen, was der Inszenierung, die ihr das letzte Wort abschneidet, entgangen ist: daß Liliom, darin ein Nachfolger Woyzecks, in seiner ganzen Grobheit und Rücksichtslosigkeit ein im doppelten Sinne gebrochener Charakter ist, ein Depravierter, der unfähig ist, seine Gefühle anders als durch physische Aggression auszudrücken; er hatte nie die Gelegenheit hatte, sozial verträgliche Formen der Konfliktlösung zu erlernen. Das ist ja auch heute noch keineswegs ungewöhnlich. Übrigens nicht nur in der Unterschicht. Liliom bezieht sein Selbstbewußtsein aus seinem Erfolg als Ausrufer im Vergnügungspark. Er ist ein Meister der vorformulierten Phrasen. Für Privates fehlen ihm die Worte. Sein Platz ist im Getriebe des Volksfests, wo Raufereien zum Alltag gehören. Hausmeister will er nicht sein. Selbst ein beschädigtes, psychisch verstümmeltes Individuum hat noch Anspruch auf Würde und kann sogar geliebt werden. Wer, wenn nicht die Liebende (und wäre sie nur der Phantasie eines Mannes entsprungen), hätte darüber zu entscheiden? Man erinnert sich an die Empathie, die der analphabetischen KZ-Aufseherin in Bernhard Schlinks »Vorleser« allenthalben zufloß. Wie kommt es bloß, daß dem, der seine Frau schlägt, vorenthalten wird, was man Hanna Schmitz gewährt, die Hunderte von Frauen in einer Kirche verbrennen ließ? »Liliom« wurde 1909 geschrieben. Fünf Jahre davor war Leos Janaceks »Jenufa« uraufgeführt worden, die zur Zeit gleich neben dem Schauspielhaus, in der Stuttgarter Oper zu sehen ist. Darin bescheinigt die Titelfigur einem Mann, der ihr zuvor die Wange mit einem Messer aufgeschlitzt hat, daß er eine schöne Seele habe. Das unerwartete Happy End verheißt Jenufas Hochzeit mit diesem Mann. Ein Glück, daß sich Kompositionen nicht so ohne weiteres ändern lassen. Sonst wäre die Oper sehr viel früher zu Ende: wenn Jenufa nämlich der Welt erklärt, daß es – »für immer« – so nicht sein dürfe. Das wäre irgendwie schade. Schon wegen der Musik.
Erschienen in Ossietzky 6/2007 |
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