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Auch erfand man bald Feinde außerhalb der angelsächsischen Territorien, wo Öl floß und falsche Religionen vorherrschten. Durchreisende Manager aus China erklärten vielsagend nebensächlich, sie wüßten schon, weshalb sie ihre große Mauer behielten. Schließlich hatten sowohl Adenauer als später Kiesinger bedeutungsvoll ausgerufen: »China, China, China!« Kein Wunder, daß Sachsen sich die Mahnung zu Herzen nahm. Chemnitz, das zu DDR-Zeiten Karl-Marx-Stadt hieß, ist das pulsierende Herz des Landes, wo man schon früher wußte, erst kommt das Kapital, danach der Sozialismus. Die Chinesen sahen das nach Mao ein und so führen heute Nervenstränge von Leipzig nach Peking, von Dresden nach Schanghai und von Chemnitz nach Hong-kong. Chemnitz und Zwickau mit ihrem weiten Umland Erzgebirge und Vogtland sowie den Flüssen Pleiße und Mulde bilden das Zentrum von Industrie, Kultur samt intellektueller und sportlicher Hochleistung. Zu Weimars Zeiten revolutionär, in den Hitler-Jahren widerständig, in der DDR ausgenutzt bis zum letzten Schweißtropfen, weiß die Berliner Republik damit nichts anzufangen. So wird das fleißige Sachsen eben zum Herzstück des rotgolden aufblühenden China. Chemnitz zeigt unverdrossen seinen Marx-Kopf vor, den Riesen-Nischel, der hier gut hinpaßt. Der junge Stephan Heym und der junge Stefan Hermlin mußten fortgehen, Walter Jankas Bruder wurde ermordet, er selbst mußte nach Bautzen, dann in die Welt hinaus und nach der Rückkehr erneut nach Bautzen. Wir könnten uns viele große Köpfe neben dem von Marx nach Chemnitz in eine Antifeldherrenhalle denken, den superben Geistesriesenkopf Ernst Blochs gleich dazu. Chemnitz als Eingangstor zu Sachsens Walhalla, wo statt der Götter und Helden die Widerständler und Verfolgten wohnen. Sachsen ist das Hoheitsgebiet dreier Stadtregionen. Chemnitz entwirft, trainiert, schuftet und wartet. Leipzig liegt an der Pleiße und hält Messe. Dresden verwaltet und repräsentiert. Das angehaltene Land gleicht einem riesigen Porsche, dem kurzsichtige und mißgünstige Politiker auch im dritten Jahrtausend nur die idyllischen Dimensionen eines Trabant(en) zuzumessen verstehen. Bald werden die Chinesen kommen und übernehmen. Bevor sie aber eintreffen, geht es ums Erwachen der Sachsen aus ihrem traumatischen Dämmerschlaf infolge der Eroberung durch den Alten Fritz, Napoleon, Kaiser Wilhelm, Ebert, Hitler, Ulbricht, die Russen, das Weltkapital, das nur siegte, um weiter nach Osten zu ziehen: Wach auf, du saurer Sachse! Sachsen, erinnert euch an euren genialen Urzustand der Erfinder, Tüftler und Abenteurer in Haus und Hof und weltweit. Wir wissen: Der Sachse meidet große Worte und Feierlichkeiten. Er geht auf den Friedhof und legt sich hin. Und steht wieder auf, wenn der Wecker klingelt, weil die Schicht ruft. Wir erklären uns die geheimnisvolle Geschichte der Sachsen so: Adam und Eva waren die Ursachsen. Zu Beginn der Zeitrechnung ist der Stamm einfach da. Als Westgermanen siedeln sie zwischen Niederrhein und Harz, setzen nach Britannien über, führen dort wie hier allerhand Kriege und werden durch Karl den Großen christianisiert, ohne zu wissen wozu. 4000 Sachsen soll er geköpft haben, es kann aber auch falsch berichtet oder übersetzt sein, ganz wie zu unseren ungenauen Zeiten. Später gibt es Kämpfe mit Herzögen, Erzbischöfen, Markgrafen und wie die Lotterbuben sich alle nannten. Alle Germanen von der Nordsee bis Coburg in Bayern waren irgendwann sächsisch, die Thüringer, Schlesier und Polen genossen es bis zur Neige, dann kam die Industrialisierung, und die Sachsen bauten sich von der Pleiße bis hinter die Elbe Musterfabriken, die wir seither in alle Welt verstreut wiederfinden, sei es, weil sie für den Export produziert wurden oder weil die Russen, als Sowjetmenschen verkleidet, Gefallen daran fanden. Als Preußen 1945 verging, nannten sich manche Sachsen Sachsen-Anhalter, um den Namen wenigstens teilweise zu retten, andere Sachsen gehören seitdem zu Brandenburg. Überdies sind die Urberliner zur Hälfte Schlesier und zur Hälfte Sachsen, die unter Ulbricht den Norden zu besiedeln suchten und von den Ostberlinern dafür als fünfte Besatzungsmacht definiert wurden. Inzwischen wandelten sich die meisten Sachsen in der Hauptstadt zu Urberlinern, und die Sachsen im Freistaat sind Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen, Schlesien und Sudetenland, wozu seit 1990 der neu eingedrungene West-Adel gehört, so daß von den vier Millionen Einwohnern, die bald auf drei Millionen schrumpfen, höchstens noch eine halbe Million Ursachsen sein können, abgesehen von den Chinesen, die in Zukunft bestimmen werden. Allerdings, wie meist in der Kulturgeschichte, zivilisieren die Besiegten ihre Besieger, so daß sie schnell ganz possierlich zu sächseln versuchen, als wären sie echte Landsleute. Wer könnte das besser beurteilen als wir Auslandssachsen, die wir durchs Land streifen auf der Suche nach den lieblichen Urlauten unserer Kindheit. Kurzum, seit der Westen den Osten besiegte, schreitet die Affenwerdung des Menschen per natürlicher Unzucht programmgemäß voran. Ein letztes Mal: Wahre sächsische Eingeborene gibt es bald nicht mehr oder auch: Alle Deutschen werden Sachsen, und so erhalten sie endlich eine gute und schöne Tradition mit Gegenwart und Vergangenheit, deren sie sich nicht zu schämen brauchen, sondern erfreuen können. Und wenn erst die Chinesen da sind, werden auch sie sächsisch.
Erschienen in Ossietzky 6/2007 |
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