Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Eigentum darf nicht tabu seinGregor Schirmer Das deutsche Grundgesetz enthält in seinen Artikeln 14 und 15 den Schutz des Eigentums, seine soziale Bindung und die Möglichkeit der Sozialisierung. In eine ganz andere Richtung geht der gescheiterte Verfassungsvertrag für Europa, den Angela Merkel nun als EU-Präsidentin in seiner »Substanz« retten will. Nach Artikel 14 Absatz 1 ist die Verfügungsmacht des Eigentümers nicht absolut. »Inhalt und Schranken [des Eigentums] werden durch die Gesetze bestimmt.« Absatz 2 lautet: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Das ist eine verbindliche Richtlinie für den Gesetzgeber und für die Gerichte sowie eine politisch-moralische Orientierung für Politik und Wirtschaft. Die Gesetze müssen die Interessen der Eigentümer und die der Allgemeinheit ausgleichen. So das Bundesverfassungsgericht. Absatz 3 legt fest, daß eine Enteignung »nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig« ist. Artikel 15 bestimmt: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.« Von dieser Befugnis zur Sozialisierung hat der Gesetzgeber zwar noch nicht Gebrauch gemacht, aber was bisher nicht war, muß nicht immer so bleiben. Die politische Rechte sieht in Artikel 15 eine »potenzielle Bedrohung der Wirtschaftsordnung«, weshalb die FDP-Fraktion im Bundestag kurzerhand die Aufhebung von Artikel 15 beantragt hat (Drucksache 16/3301 vom 8.11.2006). Das Bundesverfassungsgericht hat die »wirtschaftspolitische Neutralität« des Grundgesetzes verkündet. Das Grundgesetz enthält keine »unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung« (BVerfGE 50, 290, 336), also auch keiner kapitalistischen in neoliberaler Ausformung. Es ist offen für eine andere, über den Kapitalismus hinausweisende Ordnung. Artikel 18 gibt dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, das Grundrecht auf Eigentum, wenn es »zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht« wird, für »verwirkt« zu erklären. Der Kompromiß über die Offenheit des Grundgesetzes für eine grundsätzliche Änderung der Eigentumsordnung war eine Konsequenz aus der Verflechtung von Großkapital und Faschismus, die verantwortlich war für Terrorherrschaft und Krieg. Dieser verfassungsrechtliche Standard ist nach meiner Meinung für die politische Linke in Deutschland unverzichtbar. Er hat nicht verhindert, daß die Bundesrepublik einen neoliberalen und antisozialen Kurs eingeschlagen hat. Er macht die Schaffung von Gemeineigentum nicht zur Pflicht. Er fordert nicht zu totaler Verstaatlichung und pauschalen Enteignungen auf, was ohnehin kein vernünftiger Sozialist wollen kann. Aber er ermöglicht eine differenzierte Ausformung der Eigentumsordnung, in der Gemeineigentum an wirtschaftlichen und finanziellen Großunternehmen und an Gütern der Daseinsvorsorge in verschiedenen Formen dominieren würde. Einem Verfassungsvertrag für die Europäische Union, der diesen Standard nicht sichert, sondern gefährdet, kann man nicht zustimmen. Schauen wir uns daraufhin den durchgefallenen Verfassungsvertrag an. Artikel III-425 des Verfassungsvertrags lautet: »Die Verfassung läßt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt.« Eine gleichlautende Bestimmung enthielten schon der Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 (Art. 222) und alle Nachfolgeverträge, zuletzt der EG-Vertrag in der Fassung von Nizza von 2001 (Art. 295). Wird damit die Neutralität der EU-Verfassung gegenüber den Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten und die freie Entscheidung der Mitgliedstaaten über ihre Eigentumsordnung gesichert? Läßt diese Bestimmung den Standard des Grundgesetzes in der Eigentumsfrage wirklich »unberührt«? Wenn man den Zusammenhang mit anderen Bestimmungen des Verfassungsvertrags beachtet, muß man auch für die Zukunft diese Fragen verneinen. In Artikel I-3 Abs. 2 wird als Ziel der Union ein »Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb« proklamiert. Ein solcher Marktrigorismus orientiert auf eine privatkapitalistische Eigentumsordnung und läßt kaum Raum für deren Veränderung. Noch direkter wird im Teil III des Verfassungsvertrags bestimmt: Die Wirtschaftspolitik der Union muß dem »Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« entsprechen. Die Währungspolitik ist ebenfalls diesem Grundsatz verpflichtet (Artikel III-177, III-178 und III-185). Das ist die Festschreibung des Kapitalismus und Neoliberalismus als Verfassungsgebot. Das Recht der Mitgliedstaaten zur freien Gestaltung ihrer Eigentumsordnung wird damit ausgehebelt. Wenn man hinzunimmt, das nach Artikel I-6 die EU-Verfassung und das übrige Unionsrecht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten, auch vor deren Verfassungsrecht haben, dann kann von einer Sicherung der grundgesetzlichen Standards in der Eigentumsfrage durch den oben zitierten Artikel III-425 des Verfassungsvertrags nicht die Rede sein. Die nationalstaatlichen Regelungen für Ausübung der Eigentumsrechte werden neoliberalen Grundsätzen unterworfen. Keine Bestimmung der Verfassung und des sonstigen Gemeinschaftsrechts darf so ausgelegt werden, als schlösse sie die Vergesellschaftung von Grund und Boden, von Naturressourcen und von einzelnen Wirtschaftsbereichen aus oder als verlangte oder begünstigte sie die Privatisierung bestehenden Gemeineigentums. Die Charta der Grundrechte der Union, die Teil des Verfassungsvertrags ist, enthält einen Artikel II-77 über das Eigentumsrecht. Abs. 1 lautet: »Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.« Wenn man sich diese Bestimmung im Kontext zu anderen Bestimmungen genauer ansieht, kommt man zu einem ähnlichen Ergebnis wie bei der Analyse der Bestimmung über die Eigentumsordnung. Die Regelung entspricht in etwa dem Artikel 1 »Schutz des Eigentums« des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1952. In der (überflüssigen) Erklärung in der Schlußakte zum Verfassungsvertrag »betreffend die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte« wird dargetan, daß um Gotteswillen nicht über die in der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehenen Einschränkungen des Eigentums hinausgegangen werden darf. Warum eigentlich nicht? Die Regelung des Eigentumsrechts im Verfassungsvertrag bleibt insofern hinter dem Artikel 14 des Grundgesetzes zurück. Es fehlt die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Ist das ein zu vernachlässigender Schönheitsfehler, der durch postulierte soziale Ziele der EU kompensiert wird? Nein. Unter den Zielen der Union in Artikel I-3 wird der »soziale Fortschritt« von neoliberalen Zielen überlagert. Bei den Werten der Union in Artikel I-2 fehlt die Sozialstaatlichkeit. Artikel III-117 enthält eine vage Bestimmung, daß die Union in ihrer Politik »der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes ... Rechnung« trage. Ungenauer geht's nimmer. Im Übrigen bezieht sich dieser Artikel nicht auf den Teil II über die Grundrechte, sondern auf den Teil III des Verfassungsvertrags. In einer solchen Grundsatzfrage wie der des Eigentums ist jedoch Eindeutigkeit anstatt vager Floskeln geboten. Dazu ist eine Ergänzung von Artikel II-77 nötig: »Eigentum verpflichtet. Die Verfügung über das Eigentum und seine Nutzung müssen auch sozialen Belangen, dem Umweltschutz und anderen Erfordernissen des Gemeinwohls entsprechen.« Man kann einwenden, daß unter 27 kapitalistischen EU-Mitgliedstaaten in der Eigentumsfrage keine Übereinstimmung herstellbar ist, nicht einmal unter den Linken in diesen Staaten. Das mag sein. Man kann aber fordern, daß die Bundesregierung in den Verhandlungen über eine EU-Verfassung Positionen vertritt, die dem Grundgesetz nicht widersprechen. Und man muß von deutschen Linken erwarten, daß sie einer Verfassung die Zustimmung verweigern, die den Standard des Grundgesetzes verläßt, den neoliberalen Kapitalismus zur Verfassungsnorm erhebt, eine andere Ordnung faktisch als verfassungswidrig denunziert. Die Linke muß für eine Verfassung eintreten, die für demokratischen Sozialismus offen ist, statt diesen Weg mit der Eigentumsfrage zu versperren.
Erschienen in Ossietzky 6/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |