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Prozeßbeobachtung soll der Justiz besondere Aufmerksamkeit signalisieren und dazu beitragen, daß die gerichtlichen Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden. Über drei Gerichtsverfahren, an denen der Autor als Prozeßbeobachter für drei Bürgerrechtsorganisationen teilgenommen hat oder noch teilnimmt, soll hier berichtet werden. * Europäischer Gerichtshof, Luxemburg: Das Gericht beschäftigte sich 2006 mit der Terrorliste der Europäischen Union. Auf dieser Liste sind Einzelpersonen und Organisationen aufgeführt, die als »terroristisch« gelten. Dazu gehören neben der baskischen ETA und der irischen IRA auch die kurdische Arbeiterpartei PKK und ihre Nachfolgeorganisation sowie die iranische Widerstandsorganisation der Volksmudjahedin, die gegen das Mullah-Regime kämpft, ohne in Europa Gewalttaten zu verüben. Die Listung hat für die betroffenen Personen und Gruppen existentielle Folgen: Ihre Konten werden gesperrt, Vereinsvermögen eingezogen, alle Sozialleistungen eingestellt mit dem Effekt, ihre soziale Existenz zu vernichten. Hinzu kommen staatliche Überwachungsmaßnahmen, Paßentzug, Reiseverbote; den Anhängern gelisteter Gruppen droht der Widerruf ihres Asylstatus sowie die Verweigerung von Einbürgerungen. Mehrere Betroffene klagten gegen ihre »Listung« unter ihnen die Volksmudjahedin. Ende 2006 erklärte das Europäische Gericht den Beschluß des EU-Rates aus dem Jahre 2002, die iranische Oppositionsgruppe auf die Liste zu setzen und ihre Gelder einzufrieren, für rechtswidrig und nichtig. Der Organisation sei keinerlei Rechtsschutz gewährt worden; sie hätte aber über die Grundlagen eines solch gravierenden Ratsbeschlusses informiert werden müssen. Diese Unterlassung sei eine schwerwiegende Verletzung garantierter Verteidigungsrechte. Folge dieses Richterspruchs: Die Volksmudjahedin müßten unverzüglich von der Liste gestrichen, die eingefrorenen Gelder freigegeben und sämtliche Sanktionen und Restriktionen aufgehoben werden. Doch am 30. Januar hat der EU-Ministerrat verkündet, die Volksmudjahedin würden »nach wie vor in der EU-Liste« geführt. Vor einer endgültigen Entscheidung werde der Rat die nunmehr angeforderte Stellungnahme der Organisation prüfen. Die weitere Listung und damit die Aufrechterhaltung der Sanktionen und Restriktionen während der Prüfphase ist ein schwerer Verstoß gegen das Gerichtsurteil. Der Fall hat weitergehende Bedeutung. Denn mit ihrer Terrorliste greift die EU im »Kampf gegen den Terror« zu einem Mittel, das rechtstaatlichen, menschenrechtlichen und demokratischen Standards Hohn spricht: Die Liste beruht auf einer rein politisch-exekutiven, nicht auf einer parlamentarischen Entscheidung. Zumeist gründet sich die Entscheidung auf dubiose Geheimdienstinformationen, wobei sachfremde Interessen und Willkür den Ausschlag geben können. Das Zustandekommen der Liste und ihr Inhalt unterliegen keiner demokratischen Kontrolle. Die gesamte Liste gehört folglich auf den Prüfstand. * Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Mannheim: Am 13. März 2007 fand die Berufungsverhandlung um das Berufsverbot gegen den Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy statt. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hatte seine Klage in erster Instanz abgewiesen. Dem Lehrer war vom Land Baden-Württemberg 2004 die Einstellung in den staatlichen Schuldienst hauptsächlich mit der Begründung verweigert worden, er habe sich in der »Antifaschistischen Initiative Heidelberg« politisch betätigt einer legalen Initiative, die sich gegen fremdenfeindliche und neonazistische Bestrebungen engagiert (s. »Ossietzky« 19/04). Schon einen Tag nach der Hauptverhandlung hob der VGH den Bescheid des Oberschulamtes aus dem Jahre 2004 auf, und damit hat auch das in einer illiberalen und staatsautoritären Diktion verfaßte erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe keinen Bestand ein klares Signal gegen regierungsamtliche Versuche, die Berufsverbotspraxis vergangener Jahrzehnte wiederzubeleben. Der VGH als höchstes Verwaltungsgericht Baden-Württembergs hält dem Oberschulamt in wünschenswerter Deutlichkeit vor, Csaszkóczy zu Unrecht die Einstellung in den Schuldienst des Landes wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue verweigert zu haben. Das Berufungsgericht wirft der Behörde letztlich Einseitigkeit und Unfähigkeit vor: So habe das Oberschulamt wesentliche Beurteilungselemente, etwa das tadellose Verhalten des Klägers im Vorbereitungsdienst, nicht hinreichend berücksichtigt. Damit sei das Amt »den Anforderungen an eine sorgfältige und vollständige Würdigung des Sachverhalts und der Person des Klägers nicht gerecht geworden«. Die dem engagierten Antifaschisten vom Schulamt vorgehaltene »Sündenliste«, die vom Verfassungsschutz zusammengestellt worden war, sei im übrigen »nicht geeignet, die Annahme mangelnder Verfassungstreue zu rechtfertigen« schließlich hatte Csaszkóczy allemal nur verfassungsrechtlich verbriefte Grundrechte wahrgenommen, so etwa der Meinungs-, Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit. Die Lauscher des Verfassungsschutzes, der den Kläger schon über zehn Jahre lang überwacht, erhielten damit eine schallende richterliche Ohrfeige. Jetzt ist das Land Baden-Württemberg am Zug, das dazu verurteilt wurde, den Antrag des Klägers auf Einstellung in den öffentlichen Schuldienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Auch wenn damit noch keine unmittelbare Einstellung verbunden ist, so doch die Hoffnung, daß die Schulbehörde nicht noch einmal aus Gesinnungsgründen so schamlos mit Michael Csaszkóczys Lebenszeit spielt. * Landgericht Dessau (Schwurgericht): Hier findet ab 27.03.2007 ein Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte statt, die mutmaßlich für den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich sind. Der 21jährige Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone war Anfang 2005 in angetrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einem Bett in der Arrestzelle Nr. 5 und ließen ihn allein zurück. »Verhinderungsgewahrsam« zur »Eigensicherung« hieß das. In dieser rundherum gekachelten Sicherheitszelle verbrannte er am 7.1.2005 bei lebendigem Leib. Todesursache: Hitzeschock. Trotz Hilferufen und Todesschreien, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren, trotz Alarmzeichen des Feuermelders reagierten die wachhabenden Beamten nicht rechtzeitig. Erst als die Leiche des qualvoll Verbrannten fast schon verkohlt war, bequemte sich einer der Polizisten, wie es in der Anklage heißt, nach dem »Rechten« zu sehen und schließlich die Feuerwehr zu alarmieren. Die Aufklärung dieses Todesfalles wurde mehr als zwei Jahre lang verschleppt. Zwar hatte die Dessauer Staatsanwaltschaft gegen die beiden Polizeibeamten Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge (durch Unterlassen) und fahrlässiger Tötung erhoben aber das Landgericht ließ die Anklage lange nicht zu und stellte das Strafverfahren zwischenzeitlich gegen einen der Beamten wieder ein. Bei ihren Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft bereits gravierende Widersprüche ignoriert, sich schon frühzeitig auf die Version einer Selbstanzündung festgelegt und damit die Einlassung der Angeklagten übernommen: Das Opfer habe die schwer entflammbare Matratze, trotz vorheriger Durchsuchung und Fesselung, selbst angezündet - mit einem Feuerzeug, das bei der Personenkontrolle übersehen worden sein soll und das nach dem Brand erst bei einer zweiten Zellen-Durchsuchung gefunden wurde. Erst auf Veranlassung von Freunden konnte eine zweite Obduktion durchgeführt worden, die einen Nasenbeinbruch und eine Verletzung des Mittelohrs zu Tage brachte, Verletzungen, die Jalloh vor seinem Feuertod erlitten haben mußte. Das Landgericht wird drängende Fragen klären müssen: Ist Oury Jalloh vor seinem Tod mißhandelt worden? Darf die Polizei einen Betrunkenen mit fast drei Promille in einer Zelle an allen Gliedmaßen fixieren, ohne ihn zu beaufsichtigen? Wie gelangte ein Feuerzeug, trotz intensiver Durchsuchung, in die Zelle und warum wurde es erst so spät gefunden? Wie kann ein stark alkoholisierter Mensch, der an Händen und Füßen fixiert worden ist, ein Feuerzeug aus der Hosentasche fingern und dann eine feuerfeste Matratze anzünden? Weshalb haben die Angeklagten angeblich die Todesschreie nicht gehört und warum nicht auf den Rauchmelder reagiert? War die Gegensprechanlage tatsächlich extra leise gestellt und der Feuermelder zweimal ausgeschaltet worden? War es Selbsttötung, die durch rechtzeitiges Reagieren hätte verhindert werden können, war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Mord aus rassistischer Motivation, worauf einige Umstände hindeuten könnten? Ein Gutachten bestätigt jedenfalls: Hätten die Polizeibeamten sofort reagiert, hätte Jalloh gerettet werden können. Dieser Prozeß hat auch deshalb große Bedeutung, weil es immer wieder vorkommt, daß Angehörige sozialer Randgruppen wie Obdachlose, Junkies, Flüchtlinge und Schwarze in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen; häufig bleiben solche Fälle unaufgeklärt und ungesühnt. Nach einer Studie der Universität Halle haben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 123 Menschen den Polizeigewahrsam nicht lebend verlassen; dabei hätte jeder zweite Todesfall verhindert werden können .
Rolf Gössner ist für die Internationale Liga für Menschenrechte, den Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein und das Komitee für Grundrechte und Demokratie als Prozeßbeobachter tätig. Der Prozeß um Jallohs Feuertod wird von einer internationalen Beobachterdelegation begleitet, an der auch der Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr, Anwälte und Schriftsteller aus Frankreich, Großbritannien und Südafrika teilnehmen.
Erschienen in Ossietzky 6/2007 |
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