Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Tornados über SchleswigMartin Petersen Während des Zweiten Weltkriegs war mein Großvater auf dem norddeutschen »Frontflugplatz Schleswig-Land« bei Jagel stationiert. Schon 1935 hatte Görings Luftwaffe den ehemaligen Flugplatz Klosterkrug übernommen; von hier starteten deutsche Kampf- und Aufklärungsgeschwader auf ihre Totschlag-Touren ins europäische Ausland. Nach dem Krieg zog mein Großvater mit seiner Familie ins nahe gelegene Schleswig, wo ich viele Jahre später zur Welt kam. Seit meiner frühesten Kindheit ist wohl keine Woche vergangen, in der ich die Jageler Kriegsflugzeuge zuerst »Starfighter«, dann »Tornados« nicht am Himmel über mir gesehen oder gehört hätte. Die grauen Stahlvögel gehören seit vielen Jahrzehnten zum Schleswiger Himmel wie kreischende Möwen, kühle Brisen oder Quellwolken. Das Haus meines Großvaters steht in der ländlichen Siedlung Selk, aber deren idyllische Ruhe täuscht: Selk liegt in der Einflugschneise des nahen Fliegerhorsts. Meine Großmutter sie hatte wegen des mörderischen Eroberungs- und Vernichtungskriegs der ihr verhaßten Nazis zahllose Kieler Bombennächte durchbangt bekam jedesmal Herzrasen, wenn eine der Höllenmaschinen tief über unsere Köpfe hinwegdonnerte. Nicht selten fürchteten wir, gleich müßten alle Fenster des Hauses zerbersten. Ein einziges Mal sah ich die NATO-Flugzeuge aus nächster Nähe. Meine Eltern zwangen mich ich war noch ein Kind an einem Sonntagnachmittag zum »Familientag« nach Jagel. Mir gefielen die Uniformen und riesigen, dröhnenden Kampfflugzeuge nicht. Ich wäre lieber zu Hause geblieben, um mir im Fernsehen einen Film mit den Beatles anzusehen. Aber deren Botschaft »All You Need Is Love« war schon nicht mehr aktuell. Von jenem Tag an plagte mich ein oft wiederkehrender Alptraum, in dem eine Atombombe auf Jagel fiel. Im Traum sah ich die Flugbahn des Projektils, wurde vom weißen Atomblitz geblendet und hoffte in Todesangst, ich möge sofort sterben, nicht erst Tage oder Wochen später an den Folgen des Fallouts. Jahrelang hatte ich Angst: Immer wenn tagsüber ein »Tornado« über mir dahinschoß, verkrampfte sich mein Magen; immer wenn mittags um zwölf eine Luftschutzsirene aufheulte, raste mein Blutdruck in die Höhe. Das war wie jeden Tag ein bißchen sterben. Der Kalte Krieg ist lange vorbei. Ihn hat ein heißer, blutiger Krieg um Einflußsphären, Öl und andere knappe Ressourcen abgelöst. An diesem neuen Krieg beteiligt sich die Bundesrepublik mal offen, mal verdeckt. Als der Bundestag am 9. März ganz offen die Entsendung von sechs Jageler »Tornados« nach Afghanistan beschloß, jubelte ein Autor der Schleswiger Nachrichten , daß »endlich eine Debatte« ende, »die bisweilen absurde Züge angenommen hat«. In den Schles-wiger Nachrichten hat es seitdem überhaupt keine Debatte zum Thema gegeben mehr als eine Woche lang ist dort kein einziger Leserbrief zum »Tornado«-Einsatz abgedruckt worden. Kein Wort über Proteste gab es keine? Stattdessen erschien ein großer Bericht vom »Medientag«, an dem das Aufklärungsgeschwader »Immelmann« benannt nach einem deutschen Kampfpiloten des Ersten Weltkriegs, den die Nazis später als Kriegshelden verehrten sein Projekt im besten Kameralicht präsentierte. »Wir sind gut vorbereitet, gut ausgerüstet und hochmotiviert [...] Die Erfahrung aus dem Jugoslawien-Einsatz von 1995 bis 2001 hilft dem Geschwader, die Aufgabe mit Gelassenheit anzugehen«, ließ Oberst Thorsten Poschwatta die angereisten Journalisten wissen. Zwei Tage später brachte die Schleswiger Lokalzeitung einen Bericht über die riesigen Transportflugzeuge des Typs »Iljuschin 76«, die ständig zwischen Jagel und Afghanistan pendeln und insgesamt 600 Tonnen Bundeswehrmaterial zum Einsatzort bringen. Es stünden viele Neugierige vor dem Fliegerhorst, um die Transporte zu beobachten, schrieb ein Lokalreporter. Zu Wort kommen ließ er die Zivilisten nicht. Auch von den 120 Soldaten-Ehefrauen, die auf dem Fliegerhorst zu einer Informationsveranstaltung zusammenkamen, interviewte er keine einzige. Sollte die Bundestagsfraktion der Linkspartei mit ihrer Verfassungsklage scheitern, werden sechs der 46 Jageler Kampfflugzeuge Anfang April von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung persönlich nach Afghanistan verabschiedet, mit »großem Bahnhof«. Dort sollen sie mit dem Reccelite-Aufklärungssystem Bodenziele für britische und amerikanische Kampfflugzeuge erfassen. Doch der Zyklus von der »Tornado«-Sensorwahrnehmung bis zum Angriff nachfolgender Flugzeuge dauert laut Reccelite-Hersteller Rafael fast zehn Minuten das ist bei beweglichen Zielen viel zu lang. Außerdem verfügen die Jageler »Tornados« laut ARD über keine abhörsichere Funkverbindung, woraus einer der Piloten schloß: »Der einzig sinnvolle Einsatz wäre, auf erkannte Ziele selbst mit der Bordkanone draufzuhalten.« Hinzu kommt, daß die Taliban mit Boden-Luft-Raketen des Typs »FIM-92 Stinger« kämpfen, die eine Treffsicherheit von 90 Prozent besitzen. Um ihnen zu entgehen, müßten die »Tornados« 7,6 Kilometer hoch fliegen, aber für solche Höhen ist die Reccelite-Technik nicht ausgelegt. Also muß der Pilot todesmutig tiefer fliegen. Oder er läßt seinen Waffensystemoffizier welche Wortmonstren die deutsche Sprache bewohnen! zurückschießen, mit bis zu 8,2 Tonnen Munition pro Tornado: Denkbar ist der Einsatz von Anti-Radar-Raketen, Marschflugkörpern, Minen, Kleinbomben, Clusterbomben und lasergesteuerten Bomben bis zur 1000-Kilogramm-Klasse. Jeder in Schleswig kann sie sehen und hören, aber fast niemand nimmt noch von ihnen Notiz. Die »Tornados« sind längst Teil der Landschaft. Manchmal sehen sie aus wie kleine dunkle Flecken, die langsam über den Himmel wandern. Manchmal fliegen sie so tief, daß sich ihr Umriß abzeichnet. Ihre Turbinen klingen wie das bedrohliche Rauschen eines gigantischen Wasserfalls. Sechs »Tornados« operieren bald in Zentralasien, obwohl sich dafür laut Spiegel derzeit gerade vier Prozent der BundesbürgerInnen aussprechen; mehr als 50 Prozent fordern den vollständigen Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan. Aber der Bundesregierung ist das gleichgültig schließlich haben 72 Prozent der Abgeordneten für den kriegerischen »Tornado«-Einsatz gestimmt. Die BürgerInnen blieben danach seltsam stumm und unsichtbar. In Zeiten von Dumping-Löhnen und Hartz IV sorgen sie sich wohl vor allem darum, wie sie das nötige Geld für Brot, Miete und Strom zusammenkriegen. So ist das im modernen Deutschland: An die Stelle der alten Gesellschaft mit sozialer Absicherung und politischer Debatte tritt ein konformistischer Sicherheitsstaat, der nur noch mehr Unsicherheit erzeugt, den Menschen ihren politischen Mut raubt und vorgibt, sein Grundgesetz am Hindukusch zu verteidigen während er es mit Füßen tritt.
Erschienen in Ossietzky 6/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |