Bundeswehr wohin?

Bernd C. Hesslein

»Von Freunden umgeben« – nach diesem Diktum des Einheitskanzlers Helmut Kohl in den neunziger Jahren wäre es an der Zeit gewesen, die Bundeswehr kräftig abzurüsten und ihre Aufgaben neu zu definieren. Aus der Verteidigungsarmee, einem furchterregenden Panzerkoloß, hätte ein deutsches Friedenskorps vorwiegend aus Polizei und Technischem Hilfswerk entstehen können, lediglich zu solchen internationalen Interventionen befähigt, die den Zielen der Vereinten Nationen dienen.

Zu einem solchen radikalen Wandel waren nach dem scheinbar siegreich bestandenen Kalten Krieg die Parteien der Bundesrepublik nicht bereit. Zu tief hatten sich die Denk- und Verhaltensmuster dieser verlorenen Zeit in den Hirnen eingegraben. Die NATO, das westliche Blockbündnis gegen die Sowjetunion, wurde nach Osten erweitert, und die USA als alleinige Supermacht zeigen sich seitdem noch schießfreudiger als zuvor. Die Bundesrepublik und auch die Bundeswehr, auf Schulterschluß an den Bündnisführer getrimmt, beschädigen dabei Grundgesetz und Völkerrecht.

Doch nun kommt von bisher unbekannter Seite Bewegung in die verfahrene Situation. Soldaten machen den Mund auf, trotz Bindung an Befehl und Gehorsam, unter Gefährdung ihrer Karriere, deren Insignien sie ständig auf den Schultern tragen. Zwei Stimmen waren es in jüngster Zeit. Unterstützung ist gefragt. Engagement tut not.

Der Major und Computerspezialist Florian Pfaff verweigerte jegliche Tätigkeit, die dem illegalen Krieg von George W. Bush gegen den Irak zugute käme. Seine Vorgesetzten schickten ihn in die Klapsmühle. Als die Militärmediziner ihn wachen Geistes befanden, wurde dem Widerspenstigen mit Degradierung und Entlassung gedroht. Rettung und Recht kam erst durch die Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005. In dem 126 Seiten umfassenden Urteil erklärte das Gericht die Gewissensentscheidung des Soldaten in allen Punkten und ohne Vorbehalt für Rechtens. Pfaff wurde im Dezember mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte gewürdigt.

Das Urteil von Leipzig müßte jedem deutschen Politiker und General zum Lehrstück werden. Doch die Bundeswehr hat eine Sprachregelung erlassen, und die Wehrpolitiker aller Couleur gehen der offenen Diskussion aus dem Weg. Wäre der Urteilstenor in ihren Köpfen, hätte wohl bei vielen Abgeordneten des Bundestages, als sie am 9. März über die Entsendung von »Tornado«-Flugzeugen nach Afghanistan zu entscheiden hatten, das eigene Gewissen über die Fraktionsdisziplin obsiegt.

Die fatale Mehrheitsentscheidung des Bundestages hat auch den Oberstleutnant und Diplompädagogen Jürgen Rose alarmiert. Als Mitglied des Streitkräfteunterstützungskommandos im Wehrbereichkommando IV in München ist er für die logistische Unterstützung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr zuständig. Die Entsendung der Aufklärungsflugzeuge trifft sein Gewissen, das ihn veranlaßte, eine sogenannte Dienstliche Erklärung an den Chef des Stabes des Wehrbereichskommandos zu schreiben. Darin heißt es: » … erkläre ich hiermit, daß ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann, den Einsatz von ›Tornado‹-Waffensystemen in Afghanistan in irgendeiner Form zu unterstützen, da meiner Auffassung nach nicht auszuschließen ist, daß ich hierdurch kraft aktiven eigenen Handelns zu einem Bundeswehrensatz beitrage, gegen den gravierende verfassungsrechtliche, völkerrechtliche, strafrechtliche Bedenken bestehen. Zugleich beantrage ich hiermit, auch von allen weiteren Aufträgen, die im Zusammenhang mit der ›Operation Enduring Freedom‹ im allgemeinen und mit der Entsendung der Waffensysteme ›Tornado‹ nach Afghanistan im besonderen stehen, entbunden zu werden.«

Die Antwort folgte auf dem Fuße. Sogleich wurde der kritische Oberstleutnant auf einen ruhigen Posten in seiner Dienststelle versetzt. Der Konflikt ist erst einmal zwischengelagert, doch die Kontroverse bleibt: Wieviel Mitverantwortungsrecht hat der in Sonntagsreden gepriesene Staatsbürger in Uniform? Oder hat die politische Entscheidung Vorrang vor dem Gewissen des Soldaten? Befehlsverweigerer waren in der Militärgeschichte oft nicht die schlechtesten Soldaten – im Gegenteil.

Erschienen in Ossietzky 6/2007