Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Bemerkungen
Nachtrag zu den NachrufenWer die Lücken in der Biografie des dahingegangenen Kunstsammlers und Autors Lothar-Günther Buchheim nicht würdigt, unterschlägt dessen Stärke als Meister des Ausrufezeichens in großer Zeit. Der Kriegsberichterstatter Buchheim hat die NS-Literatur bereichert. Wir gedenken seiner mit dem Hinweis auf ein bemerkenswertes Stück Prosa aus dem Jahr 1942, erschienen im »Jahrbuch der Deutschen Kriegsmarine«. Großadmiral Raeder leitet es mit folgenden Sätzen ein: »Das zweite Jahr des Großdeutschen Freiheitskampfes steigerte die Anforderungen an die Kriegsmarine und ihren Einsatz auf vielen Kriegsschauplätzen. Im Mittelmeer und Schwarzen Meer, in der Ostsee und im Nördlichen Eismeer, im Atlantik und in fernen Meeren standen ihre Männer und Schiffe im Kampf gegen seestarke Gegner, stolz auf Erfolge, unerschüttert durch Verluste. Für sie alle gilt die Meldung des Flottenchefs vom Schlachtschiff ›Bismarck‹: ›Wir kämpfen bis zur letzten Granate. Es lebe der Führer!‹ In solchem Geist liegt die Gewißheit des Sieges.« Dann beweist Buchheim, seinen Chef an sprachlicher Brillanz überbietend, daß er Geist von solchem Geiste ist: »Zerstörer gegen Zerstörer… Neue Scheinwerfer schießen ihre bläulichen Strahlen hoch, verfangen ihre Lichtkegel, lösen sich wieder, tasten weiter. ›Unsere Flieger! Sie greifen Plymouth an!‹ Feuersäulen steigen plötzlich hoch, verbreiten rötliche Helle über den Himmel. Wir beobachten den ganzen Angriff. Immer neue Feuersäulen steigen hoch. Über Plymouth ist der Himmel taghell. Unsere Flieger packen zu! Irgendwo da oben im Nachthimmel hängen jetzt unsere Kameraden in ihren Maschinen und jagen auf den Feind, wie wir hier auf dem nächtlichen Meer. Ein Gefühl stolzer, sieghafter Freude mischt sich mit der ungeheuren Spannung. Wir greifen an – unsere Flieger und wir!« Und die Marine-Hitlerjungen lasen weiter und weiter, sie konnten nicht genug davon kriegen, in Erwartung der letzten Granate. Karl-Heinz Hansen
Keine Rache an den SiegernUnterdessen holte das tv-Kollektiv an zwei ARD -Abenden die Flucht aus dem Osten von 1944 ff nach. Wir verstehen nun, in Ostpreußen lebten Gräfinnen, Freiherrn, Offiziere, Juristen, Instleute (Gesinde) und Zwangsarbeiter, darunter sogar ein Kommunist aus Frankreich. Sonst gab es keine Kommunisten, Juden, Arbeiter, Sozialdemokraten, dafür adlige Nazis und ein paar wenige Widerständler. Der gewiß verdienstvolle Egon Bahr fand in der anschließenden Diskussion bei Sabine Christiansen den Film sehr gut, weil er »Gute und Schlechte« zeigte, was nicht auf die Schauspieler gemünzt war. Dem einsam und allein in der Runde sitzenden Marek Cickocki, Berater des polnischen Präsidenten, verriet er, Polen sei von Deutschen »befreit« worden, was er aber nicht so meinte. Karasek wiederum fiel in seine Napola-Vergangenheit zurück, als er den Friedensvertrag von Versailles zur einzigen und wahren Ursache der Vertreibungen erklärte. Das erinnert uns an Martin Walsers Frau Mama, eine Gastwirtin, die aus Sorge um die Folgen von Versailles und ums Geschäft in die NSDAP eintrat. Der Flucht-Film und das anschließende Gespräch waren perfekt gemacht wie von der UFA nach Goebbels' Tod, Berlin wird sich nun endlich rückhaltlos am geplanten Zentrum gegen Vertreibungen freuen können. Dies alles läßt uns erwarten, daß die Reden der Stoiber und Folgender zu den Pfingsttreffen der Sudetendeutschen – Motto: Deutschland in den Grenzen von 1937 – auf Knopfdruck abrufbar sein werden; Beckstein übte das in der Sendung schon mal ein. Einen Höhepunkt erreichte der bayerische Innenminister, als er den Verzicht auf Rache in der Charta der Vertriebenen hervorhob. Da haben wir aber Glück gehabt, sonst hätte in den vierziger Jahren noch der dritten Weltkrieg als Rachefeldzug begonnen, und wir wären nie in den Genuß des Flucht-Zweiteilers samt dem erhebenden Diskurs zum Thema gekommen. Gerhard Zwerenz
Oscar für Marianne Birthler?»Auch wenn man den Film nicht für ein Meisterwerk halten muß: Ein starkes Stück ist er allemal,« schrieb der Kommentator der Stuttgarter Zeitung zur Meldung, daß der Film »Das Leben der Anderen« die begehrte Auszeichnung erhalten habe. Der Satz schillert. Die Redewendung vom »starken Stück« charakterisiert in der deutschen Standardsprache, deren sich die Zeitung gemeinhin befleißigt, eine Unverschämtheit oder einen Skandal. Umgangssprachlich, verstärkt durch das Bedürfnis nach marktschreierischer Reklame, ist dieser Bedeutung eine andere, entgegengesetzte, positive hinzugefügt worden, die das »starke« als ein beachtenswertes, hochwertiges, außerordentliches Stück heraushebt. Gewollter Doppelsinn oder nicht, der Kontext macht klar und an anderer Stelle des Blattes wird es formuliert: Erneut ist uns Deutschen bestätigt worden, daß wir wieder wer sind. Nach unseren Siegen im Export und dem meisterlichen Abschneiden im Handball nun auch mit dem Film. Die Bundesbeauftragte Birthler wird mit der Äußerung zitiert, daß viele Menschen durch diesen Film verstanden hätten, »welche katastrophalen Auswirkungen die SED-Diktatur auf das Leben in der DDR« gehabt habe? Hat sie nicht bemerkt und ist ihr von keinem ihrer vielen Mitarbeiter gesagt worden, daß sich die Filmhandlung in weiten Passagen, ja in ihrer Grundaussage quer zu allen Bestrebungen der Propaganda-Abteilung ihres Hauses entwickelt? Die sucht immerzu glaubhaft zu machen, daß die Leute im SED- und besonders im Staatssicherheitsapparat ideologisierte Fanatiker gewesen seien, die, koste es die anderen, was es wolle, eine Utopie, die des Kommunismus, verwirklichen und den Menschen ihre Weltvorstellung aufzwingen wollten. Wir sollen doch lernen: Utopie ist schlecht. Gut hingegen ist es, auf dem Teppich dieser Gesellschaft zu bleiben und den fleißigen Reformern zu vertrauen. Diese Version ergibt im heutigen Deutschland Sinn und lohnt die dafür aufgewendeten Gelder. Was aber hat Graf Henckel von Donnersmarck aufgeschrieben und auf die Leinwand gebracht? Die Mitarbeiter der Staatssicherheit waren Leute ohne Überzeugung und Skrupel, bedacht einzig auf ihren persönlichen Vorteil, Neid und Karrieresucht beherrschten sie. Keine ideologische Kampftruppe à la Birthler also, sondern eine Mafia. Das kann Abscheu gegen Methoden der Menschenüberwachung und -schikane erzeugen und läßt fragen, ob der Adelssproß nicht ein subversives Element sei. Hat er den Mächtigen der Bundesrepublik womöglich ein Kuckucksei gelegt? Denn die DDR ist als Staat mausetot, aber hierzulande vergeht keine Woche, ohne daß aus diesem oder jenem Anlaß darüber gesprochen wird, wieviel Überwachung, öffentlich oder geheim, dem Bürger noch zugemutet, von ihm akzeptiert werden kann. Ist derlei Filmhandlung nicht zusätzlicher Anstoß zum Nachdenken oder, schlimmer noch, zur Gegenwehr? Und bleibt dieser Anstoß auf das Herkunftsland beschränkt? Wie der Film exportiert wird, erreicht die Botschaft die Anderen und läßt sie über ihr Leben ins Grübeln kommen. Solches wird inzwischen als Reaktion von Filmbesuchern aus den USA schon berichtet. Die Freude über den Film und die Auszeichnung könnte sich trüben. Kurt Pätzold
Ostdeutsche BiographienWenn ein Herausgeber öffentlich zur Mitarbeit an einem Buch mit dem Titel »Die DDR war ein Teil meines Lebens« einlädt, kommt nicht unbedingt eine repräsentative Auswahl an Autoren zustande. Aber es ist ein facettenreiches Buch geworden, das M. Fraumann jetzt vorgelegt hat. 50 Frauen und Männer, geboren zwischen 1918 und 1971, berichten über ihr Leben in der DDR – ehrlich und kritisch. Einer von ihnen fühlte sich dermaßen unterdrückt, daß er einen Ausreiseantrag stellte und seither im Berliner Westen lebt. Im übrigen liest man in diesem Buch nicht die von westlichen Meinungsmachern immer gewünschten Klagen, wie entsetzlich man unter der Diktatur und unter den Staatssicherheitsbehörden gelitten hat. Fast alle Autorinnen und Autoren identifizieren sich nach wie vor mit der DDR und bezeichnen sie als ihr Land, ihre Heimat. Auch der Ausgereiste schreibt: »Meine Heimat ist drüben.« Aus den vielen unterschiedlichen Schilderungen wird ersichtlich: Die ökonomischen Gesetze des Sozialismus wurden ununterbrochen verletzt. Man ging davon aus, daß die Volkswirtschaft der DDR auf gesellschaftlichem Eigentum beruhe. In Wirklichkeit war es Staatseigentum, die Werktätigen hatten kaum Einfluß darauf, konnten keine Eigentümergefühle entwickeln und gingen nicht verantwortlich damit um. Lenin hatte einmal gesagt, daß der Sozialismus nur siegen könne, wenn die Arbeitsproduktivität die des Kapitalismus übersteige. Dieses Ziel wurde in der DDR nie erreicht – aus sozialen und humanen Gründen. Denn niemand durfte auf der Straße leben, jeder mußte mitgenommen werden. Solcher Humanismus beeinträchtigte die Arbeitsproduktivität. Wenn man die Beiträge der zwischen 1949 und 1971 Geborenen liest, stößt man häufig auf die Formulierung, daß es »so üblich« war: Man wurde »Pionier«, man ging in die FDJ, es gab viele und vielseitige Freizeitangebote, und man wollte dabei sein; sonst hätte man sich ausgeschlossen gefühlt. (Bei den zwischen 1930 und 1943 Geborenen liest man allerdings ebenfalls, daß es »so üblich« gewesen war, in die Kinder- und Jugendorganisationen der Nazis einzutreten. Zwar erkannten sie nach ihren Angaben schnell, daß Kriegsertüchtigung – auch für Mädchen – im Vordergrund stand, aber sie machten mit. Nur Einzelne versuchten, sich »zu drücken« – man mußte »dabei sein«, schon um nicht ungünstig aufzufallen. Unrechtsbewußtsein gab es nicht.) Etliche Interviewte wurden Mitglieder der SED, einzelne traten noch zu DDR-Zeiten wieder aus – wegen Unzufriedenheit mit den Verhältnissen beziehungsweise mit diesem und jenem. Einige wollten der SED beitreten, wurden aber nicht aufgenommen, weil sie keine Arbeiter waren. Alle aber litten unter den Problemen, die sich aus der Nichtbeachtung ökonomischer Gesetze ergaben, und sprechen mit Bedauern darüber. Viele erwähnen, daß der Westen von Anfang an der DDR Steine in den Weg gelegt habe. Im Kalten Krieg sei sie gezwungen gewesen, viele Produkte unter großen Mühen selbst zu entwickeln. Zudem habe die Sowjetunion als »großer Bruder« die Entwicklung erschwert; für ganz Deutschland habe die DDR Reparationen gezahlt. Alle, die sich über den 13. August 1961 äußern, waren froh, daß endlich das Loch gestopft wurde, durch das der DDR Millionenbeträge verloren gegangen waren. Die Westberliner hatten in Ost-Berlin nahezu umsonst einkaufen können, das konnten sie nun nicht mehr. Und die in der DDR ausgebildeten Experten konnten nicht mehr in Richtung Westen verschwinden. Die anfangs Enteigneten, vor allem die Großgrundbesitzer und Großindustriellen, waren immer bereit, ihr Eigentum mit allen Mitteln zurückzuholen. Sie haben es geschafft. Nur ein einziger ist mit dem, was ihm seit 1990 widerfuhr, ganz und gar zufrieden. Ein anderer sagt, man solle der DDR nicht hinterhertrauern. Alle aber haben 1990 einen Schock bekommen, von dem sie sich nur schwer erholen können. Brigitte Rothert M. Fraumann: » › Die DDR war ein Teil meines Lebens‹, Ein deutsches Geschichtsbuch 1918 – 2000«, Schibri Verlag, 299 Seiten, 15 Euro
Osten weiter gekipptDaß das gewesene DDR-Territorium das Armutsgebiet der größer gewordenen Bundesrepublik ist – und wohl auf Dauer auch bleiben wird –, pfeifen mittlerweile die Spatzen von sämtlichen Dächern. Politiker, Wirtschaftsweise und sonstige Schönredner der alleinseeligmachenden Marktwirtschaft pflegen die Probleme mit schöner Regelmäßigkeit als Hinterlassenschaften der »sozialistischen Mißwirtschaft« zu interpretieren und dieser alle Schuld in die Schuhe zu schieben. Wie stets strafen wissenschaftliche Untersuchungen ideologische Konstrukte Lügen: Der vom Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. erstellte »Sozialreport 2006« stellt fest, daß »die Stimmung im Osten weiter gekippt ist«, und spricht von einem »ganzen Bündel von Ursachen, von denen die wenigsten i n der Vergangenheit der neuen Bundesländer liegen«. Dieser statistischen Erhebung zufolge hat die »allgemeine Lebenszufriedenheit« in den fünf neuen Bundesländern den tiefsten Stand seit 1991 erreicht und liegt derzeit bei 41 Prozent. Die Unzufriedenheit konzentriert sich hauptsächlich in den Jahrgängen der Vierzig- bis Sechzigjährigen, also bei denen, die die DDR noch bewußt erlebt haben und von denen viele inzwischen in ein bodenloses Loch gefallen sind; die Arbeitslosenrate beträgt in dieser Generation 19 Prozent. Die Hoffnungen und Erwartungen auf eine positive Zukunft haben, wie das Forschungszentrum berichtet, einen absoluten Tiefstand, die Befürchtungen einen Höchststand erreicht. 62 Prozent der Befragten rechnen beispielsweise mit einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation, nur sechs Prozent mit deren Verbesserung. Kaum jemand glaubt noch an eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West in absehbarer Zeit. Elf Prozent der Befragten ordneten sich selbst der »Unterschicht« zu. Die Ergebnisse der »demokratischen Revolution« von 1989 werden mittlerweile skeptisch betrachtet. Aktuell haben 58 Prozent der Befragten kein Vertrauen zur Bundesregierung, 62 Prozent kein Vertrauen zum Bundestag. 15 Prozent gaben an, sie wollten am liebsten die DDR wiederhaben – hauptsächlich Arbeitslose und Jugendliche unter 25. Das häufig kolportierte Vorurteil vom »Osten als Hort des Rechtsextremismus« bestätigte sich in der Analyse bedingt. Fünf Prozent der Befragten äußerten Sympathien für rechtsradikale Parteien, 57 Prozent standen ihnen ablehnend gegenüber. Weit verbreitet sind einzelne rechtsextreme Ideen in politisch indifferenten Teilen der Bevölkerung. Die wachsende Unzufriedenheit hat sich bisher nicht in Sympathien für die Linke niedergeschlagen – der Anteil der PDS-Wähler stagniert seit dem Jahr 2000, im Jahr 2006 ist er sogar geringfügig zurückgegangen. Offenbar wird die hauptsächlich von ostdeutschen Landesverbänden der Linkspartei.PDS betriebene Politik der Schadensbegrenzung durch Mitregieren nicht als Alternative zur ständig wachsenden Verschlechterung der sozialen Lage wahrgenommen. Gerd Bedszent
Glücksschmiede USAEin Schwarzer in den USA, der sich als Vertreter durchs Leben schlägt, bekommt eine einmalige Chance: Ein Börsenhandelsunternehmen will ihn zum Makler ausbilden. Er wird den Posten allerdings nur bekommen, wenn er sich als Bester des zwanzigköpfigen Kurses erweist. Die Ausbildung bleibt unbezahlt, und er muß weiterhin Klinken putzen, um sich zu ernähren. Obwohl ihn seine Frau verläßt und er sich zusätzlich um seinen Sohn kümmern muß, erreicht er durch harte Arbeit sein Ziel. Auch daß sein Vermieter ihn wegen Mietschulden mitsamt dem Kind vor die Tür setzt, hindert ihn nicht daran. Das in der US-Verfassung vorgeschriebene »Streben nach Glück« bleibt ihm die Richtschnur für den Weg nach oben. Selbst in der Notunterkunft und in der Suppenküche büffelt er noch für die Abschlußprüfung. Selten ist neoliberale Ideologie so rein verkauft worden wie in Gabriele Muccinos Film »Das Streben nach Glück«, und selten war sie so sympathisch verpackt – insofern ist Hollywood ein Meisterstück gelungen. Die Hauptfigur, gespielt von Will Smith, etabliert sich nicht nur als Armer unter Reichen, sondern auch als Schwarzer unter Weißen und als besorgter Vater, der sich rührend um sein Kind kümmert. Angesiedelt ist die Handlung zwar zum Beginn der Präsidentschaft Ronald Reagans. Die darin enthaltene Lehre soll aber das Publikum von heute erreichen, das weltweit von Sozialabbau betroffen ist. Ihm wird hier ein – unrealistischer – Ausweg aus dem Dilemma präsentiert. Stefan Hug
Links, jüdisch, schwulHöhere Gewalt: Weil ich, von einer Grippe geplagt, bei einer Kundgebung der Atomwaffengegner im Februar 1962 in Stuttgart nicht reden konnte, sprang Fritz Lamm ein – was der SPD den Anstoß gab, ihrem Genossen nachzustellen und ihn schließlich aus der Partei zu verdrängen. So zu lesen in der jetzt erschienenen Biographie über den damaligen Delinquenten. Meine Erkrankung hat ihm, denke ich, letzten Endes nicht geschadet. Behaglich war es dem Linkssozialisten Lamm in dieser Partei ohnehin nicht gewesen. Das hatte er, gut begründet, in seiner kleinen Zeitschrift Funken schon deutlich genug zum Ausdruck gebracht. Fritz Lamm (1911–1977), der in Jugendjahren durch den deutsch-jüdischen Wandervogelbund »Kameraden« geprägt worden, dann zur Arbeiterbewegung gestoßen und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) beigetreten war, hatte unruhige Zeiten hinter sich: Schon zu Beginn der Nazizeit Prozeß und Haft wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Flucht in die Tschechoslowakei, weiter nach Frankreich, dort Internierung, schließlich Exil in Kuba. 1948 kam er nach Deutschland zurück und wurde sofort wieder politisch aktiv – bei den Falken und Jungsozialisten, als Betriebsrat und im Touristenverein Die Naturfreunde, später – nachdem ihn die SPD ausgeschlossen hatte – auch in linkssozialistischen Gruppierungen. Links, jüdisch, schwul – das waren Merkmale, die ihn zum Außenseiter machten. Bekümmert hat ihn das nie, mit einer Karriere hatte er sowieso nichts im Sinn. Er war ein ungewöhnlich begabter politischer Pädagoge und ein Redner, der sein Publikum aufzuwecken verstand. Aus der nachwachsenden Generation der »APO«, längst vor 1968, haben viele ihm ihre politische Sozialisation zu verdanken. A. K. Michael Benz: »Der unbequeme Streiter Fritz Lamm. Eine politische Biographie«, Klartext Verlag, 552 Seiten, 29.90 €
Franz Mehring? Wer war das?Die Namen Leopold von Ranke, Heinrich von Treitschke, Max Weber, Otto Hintze bis hin zu Hans-Ulrich Wehler und Joachim Fest waren schon gefallen, als kurz vor Ende der Veranstaltung gleichsam als Nachtrag und beiläufig erwähnt wurde, daß sich auch Marx und Engels mit treffenden Einschätzungen zum Gegenstand geäußert hätten. Der Hinweis war die Schlußbemerkung des in Cambridge lehrenden Historikers Christopher Clark, der ein dickleibiges Buch über die Geschichte Preußens von seinen Anfängen im frühen 17. Jahrhundert bis zu seiner Auflösung durch den Alliierten Kontrollrat im Jahre 1947 geschrieben hat. Das wurde am Nobelsitz von Bertelsmann, der früheren Alten Kommandantur Unter den Linden 1, einem zahlreichen geladenen Publikum vorgestellt, dem sich ein leibhaftiger Prinz von Preußen zugesellt hatte, dessen Anwesenheit der Veranstalter freundlich hervorhob. Den Laudator gab der Berliner Professor Jürgen Kocka hochlobend, wie erwartet werden konnte, aber mit Zurückhaltung anmerkend, daß die Darstellung um die Rolle des Staates kreise, was mit hochgradiger Zurückhaltung gegenüber Fragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte einhergehe. Das wurde im folgenden Podiumsgespräch bestätigt und lief darauf hinaus, daß ein Titel wie »Geschichte des preußischen Staates« dem Buchinhalt eher angemessen gewesen wäre. Darüber sprechend, gestand der Autor, einer seiner Antriebe habe sich daraus ergeben, daß neoliberale Vorstellungen und Praxis mit einer Geringschätzung des Staates einhergingen, die er nicht teile. Dieses eine einzige Mal reagierte die Zuhörerschaft erheitert, lag so doch der Vorschlag nahe, unter preußischer Fahne den Neoliberalen entgegenzutreten. Vordem war vom segensreichen Staatswirken bis hin zur Verbreitung ethischer Grundsätze schon die Rede gewesen. Da mußte vieles unbeachtet bleiben. Auch ein gewisser Franz Mehring und seine Schriften. Und es versteht sich nachgerade von selbst, daß sorgfältig vermieden wurde, auch nur einen einzigen Historiker zu erwähnen, der sich in DDR-Zeit, dem Hause nahezu vis-a-vis oder anderswo im ostdeutschen Staat, mit der Geschichte Preußens befaßt hatte. Wissenschaftsbetrieb hierzulande – as usual. Kurt Pätzold Christopher Clark: »Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947«, Aus dem Englischen von Richard Barth, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer, Deutsche Verlagsanstalt, 896 Seiten, 39, 95 €
Freundschaften, FeindschaftenIn der Buchmitte, der Ich-Erzähler Sam wird erstmals selbst Mittelpunkt des Romans »Ehrensachen«, gesteht er: »Eine Neigung zum zerstreuten Gerede hatte ich schon immer.« Ist das »zerstreute Gerede« unterhaltsame erzählerische Weitschweifigkeit, wird wohl niemand klagen. Eventuell wird dann und wann geseufzt und »schneller« gelesen. Louis Begley, Autor des Romans »Ehrensachen«, hat eine enge Beziehung und Bindung zu den großen jüdischen Erzählern von Alejchem bis Singer. Er hält sie in Ehren, um von ihnen zu profitieren, um Wert und Wichtigkeit des Romans zu bestimmen. Der Ich-Erzähler schildert die Geschichten dreier Harvard-Studenten, die sich Anfang der fünfziger Jahre an der Elite-Universität begegnen. Im Vordergrund des Romans steht das Schicksal des in Polen geborenen Henry Weiss, der sich in Harvard mit dem amerikanischen Namen White einschreibt. Henry will Amerikaner sein und ist doch kein Amerikaner. Seine jüdische Herkunft ist nicht zu verbergen. Wo immer er hinkommt, wem immer er begegnet, bereits das Wort »Jude« wird mit Befangenheit ausgesprochen. Jude zu sein heißt, ein Anderer zu sein. Heißt stigmatisiert zu sein durch das deklarierte Anderssein. Auch ohne den Davidstern sind die Juden Gezeichnete. So das Gefühl und die Gewißheit des Studenten Henry. Er duckt sich, wie er sich, gemeinsam mit der Mutter, einst vor den deutschen Faschisten versteckte, die Polen besetzt hatten. In Harvard, einem Hort des amerikanischen Geistes, ist der jüdische Migrant Henry subtilstem Antisemitismus ausgesetzt. In Harvard! In den freiheitlich-demokratischen USA. Jedenfalls in den Fünfzigern war dort Antisemitismus kein Makel, keine Schande. Was das für den jungen Mann Henry bedeutete, welche Folgen das für ihn hatte, wird im ersten Teil des Romans ausführlich in bewegten, bewegenden Geschichten erzählt. Geschichten auch von Widerstehen, Widersetzen, zu dem sich jede neue Generation gegenüber der Elterngeneration veranlaßt und verpflichtet fühlt. Der genaue Blick auf zwei Generationen macht den Roman zu einem Panorama der US-Gesellschaft. Je älter die Protagonisten werden, je internationaler die Karriere des Henry White, desto mehr wird der Roman »zerstreutes Gerede«. Auch nicht schlecht, obwohl der rhetorische Berichterstatter den Schilderer Begley immer mehr in den Schatten stellt. Kaum jemand wird den Roman »Ehrensachen« von Louis Begley vor dem Ende aus der Hand legen. Bernd Heimberger Louis Begley: »Ehrensache«, aus dem Amerikanischen Christa Krüger, Suhrkamp Verlag, 446 Seiten, 19.90 €
Walter Kaufmanns LektüreDiese Verzauberung beim Lesen, welch eine Nähe zu den Menschen und ihrer Landschaft, zu den Fischern und Fischerfrauen im fernen Westen Australiens, zu der Dorfgemeinschaft von White Point – sicher schwangen da meine australischen Jahre mit, meine Zeit australischer Seefahrt, die Erkundungen längs der Küsten. Doch auch ohne diese hätte mich das Buch in seinen Bann geschlagen: Tim Winton ist mehr als ein guter australischer Schriftsteller, er ist ein sehr guter Schriftsteller. Punkt. Künstlerische Qualität entsteht hier aus Visionen, aus Traumbildern des Autors: Ein entkräfteter Mann umarmt einen Boabbaum, ein Verzweifelter zertrümmert seine Gitarre, ein Kind wird durch den Staub geschleift... Luther Fox heißt im Roman der Mann, der nach einem furchtbaren Autounfall den Stiefel in die eigene Gitarre rammt, dem eigenen Lied auf die Kehle tritt und aus der einen Einsamkeit in eine andere flieht – fort aus seinem verwaisten Haus, nachdem der Bruder tot ist, die Schwägerin und auch deren Kinder tot sind, die er liebte. Zugleich flieht er auch aus der Verstrickung mit Georgie Jutland, die die Frau des Königs der Fischer von White Point ist, die Frau eines anderen. Zu tief war die Verstrickung, zu gefährlich die Verbindung – Fox mußte spurlos im hohen Norden Australiens verschwinden, und dort, auf der Insel vor Broome, völlig entkräftet, umarmt er einen Boabbaum. Mehr preiszugeben, verbietet sich, daß aber Tim Wintons Prosa kühl und lyrisch zugleich ist, derb und sensibel, und daß Klaus Beers Übersetzung den Rhythmus und Klang der australischen Redeweise wiedergibt, muß gesagt werden. Wintons Naturbeschreibungen beschwören durstiges Land unter brütender Hitze herauf, tropische Regenwälder an den Hängen zerklüfteter Berge, Blumenparadiese, Vogelparadiese, Schlangen, Krokodile, man glaubt die Urlaute im australischen Busch zu hören, den dumpfen Schlag der Brecher auf Strände. Kängurus jagen durch wüste Steppen, und unter azurnem Himmel tauchen Emus auf und Aborigines mit Speeren. Die Schilderungen von Luther Fox' Überlebenskampf auf der Insel sind dem Besten gleichzusetzen, das Jack London geschrieben hat. Und erst die Sprechweise der Menschen: wie Jim Buckridge sich ausdrückt oder Georgie Jutland oder Beaver, der Tankwart, in der Rede offenbaren sie sich. Tim Winton hat hingehört, kennt seine Landsleute genau, und auf sehr eigene, geradezu mystische Weise gelingt ihm ein Gleichnis: Luther Fox, der vom Überlebenskampf aufgeriebene Mann, dem Georgie Jutland auf jene ferne Insel nachreist, bringt letztendlich die Kraft auf, das Leben der Geliebten zu retten... »Der Singende Baum« ist ein Roman, der ungezählte australische Leser zu fesseln vermochte. Das wird auch hierzulande geschehen. Denn Tim Winton gehört zu den besten seiner Zunft. W. K. Tim Winton: »Der singende Baum«, Luchterhand, aus dem Australischen von Klaus Beer, 477 Seiten, 24 Euro
Liebe und PolitikModesta liebte in den 1930er Jahren die von den italienischen Faschisten verfolgte, depressive Joyce, von der sie sich in den 50er Jahren, gestützt auf ihre Liebe zu Nina, distanziert. Joyce ist in Rom kommunistische Parlamentsabgeordnete geworden. Jetzt will sie Modestas Zeitungsartikel »Wir sind alle Mörder« in wesentlichen Teilen kürzen, was sie, angepaßt an die Spielregeln des Parlamentarismus, mit dem lapidaren Hinweis rechtfertigt: »Wir müssen die Katholiken als Wählergruppe für uns gewinnen!« Modesta, die zündende Reden für die Kommunisten gehalten hat, zieht nach dieser Begegnung mit ihrer ehemals Geliebten eine kritische Bilanz. Das ist einer der Handlungsstränge dieses Romans, der viele aktuelle politische Fragen aufwirft, ohne ein politischer Roman zu sein. Er ist feinsinnig formuliert wie der Roman »In den Himmel stürzen«, in dem Goliarda Sapienza Modestas Leben bis zum dreißigsten Lebensjahr geschildert hatte. In der Fortsetzung »Die Signora« sehnen sich Modesta und Nina, als der Faschismus erledigt scheint, den Sozialismus auf schnellstem Wege herbei. Sie wollen eine Gesellschaft der Vielfältigkeit und Menschlichkeit. Doch als Modestas Sohn aus den USA zurückkehrt, tropft Wermut in ihre Vorstellungen. Jacopo erzählt, daß dort die »merkwürdigen Studenten, die nur in einem Fach spezialisiert« seien, vom Marxismus nichts wüßten. Sie dächten rassistisch und machten regelrecht Jagd auf Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Man dürfe nicht glauben, »daß mit dem Ende des Faschismus alles besser wird«. Die Autorin (1924–1996) hält in dem nun auf Deutsch vorliegenden zweiten Teil ihre fesselnde Erzählweise nicht durch, sondern springt zwischen Tagebuch, Theaterszenen und Prosa hin und her. Das erschwert die Lektüre. Gleichwohl: lesenswert. Jürgen Meier Goliarda Sapienza: »Die Signora«, Aufbau-Verlag, 377 Seiten, 22,90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlEine Berlinale-Reporterin allein hätte gar nicht zu beschreiben vermocht, wie »unfaßbar amerikanisch« Clint Eastwoods Gesicht ist, so daß die Berliner Zeitung zwei Berichterstatter (Anke Westphal und Marin Majica) mit dieser problematischen Aufgabe betraute. »Wie kriegen die jenseits des großen Meeres eigentlich diese Gesichter hin?« Wohin? Im Fall der Berlinale nach Berlin. »Mit Clint Eastwood ist ein Alt-Star des amerikanischen Kinos zu Besuch, und man staunt einfach mal wieder, wie unfaßbar amerikanisch dieses Gesicht ist. Die zwei Furchen auf den Wangen, schmale Augen unter grauen Augenbrauen-Büschen, graue Haare, die genauso lang sind, daß es lässig ist und nicht nachlässig. Der leuchtende (Batteriebetrieb?; F.M. ) Kranz aus Lachfältchen um die Augen, das zarte Rot auf den Wangenknochen, die dünnen Ohren ohne Ohrläppchen – ein Wüsten-Gesicht, ein Rocky-Mountains-Gesicht. Eines, das sagt: ›Ich bin jetzt ein japanischer Regisseur.‹ Und dabei grinst, wie eben nur so ein cooler Hund grinst.« Vor einiger Zeit machten wir auf dem Bahnhof von Helsinki die Bekanntschaft eines freundlichen Mannes, der genauso aussah wie Clint Eastwood auf der Berlinale. Er hatte ein unfaßbar finnisches Gesicht (allerdings ein Gesicht mit klimatisch bedingten dicken Ohren), eines, das allerdings nicht sagte, es sei ein japanischer Regisseur, sondern: »Darf ich Sie zum Kaffee einladen?« Da staunten wir einfach mal wieder. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 5/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |