Heinz Kersten, Deutscher Herbst im März

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Deutscher Herbst im März

Für die tonangebenden Medien und viele Politiker ist der »Fall Klar« vor allem Anlaß, Kapitalismuskritik zu delegitimieren, mit Terrorismus gleichzusetzen und damit das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Frage zu stellen. Am deutlichsten Guido Westerwelle: »Wer unsere Grundordnung (!) nicht anerkennt, hat keine Gnade verdient.« Während das rechtsstaatliche Gewissen der FDP, der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum, aber auch Bundestagsabgeordnete von Grünen, SPD und Linkspartei betonten, Klars Äußerungen dürften bei Entscheidungen über seine Begnadigung keine Rolle spielen, disqualifizierte sich der als intellektuelles Aushängeschild der Sozialdemokraten geltende Bundestagsvizepräsident Thierse mit dem Urteil, daß der Häftling »keine Begnadigung verdiene«.

Kaum verwunderlich, daß die CSU-Troika wieder einmal ihr christliches Mäntelchen ablegte und gegen »einen unverbesserlichen terroristischen Verbrecher« (Beckstein) schäumte, der »nie auf freien Fuß kommen« (Söder) dürfe, sondern »hinter Gittern bleiben« (Stoiber) müsse. Ich wünschte den Gnadenlosen einmal die Erfahrung von wenigstens einem Monat Knast, und dies unter jenen schwersten Bedingungen, die für Klar zwei Drittel seiner Haftzeit galten. Wer sich an dessen Interview mit Günter Gaus vor einigen Jahren erinnert, kann vielleicht ungefähr ermessen, was mittlerweile über 24 Jahre Haft bedeuten.

Um so weniger kann man Klars Unbeugsamkeit den Respekt versagen, auch wenn er gewußt haben muß, daß sich seine Grußbotschaft an die Rosa-Luxemburg-Konferenz ungünstig auf sein Gnadengesuch auswirken könnte und – laut Arnold Schölzel, Chefredakteur der jungen Welt – »Leute aus seiner Umgebung ihn davor gewarnt haben«. Auch ohne Warnung reagierte bereits ein Lehrer aus einer Berliner Schule auf die Folgen: Zum Geburtstag Rosa Luxemburgs am 5. März hatte er ein Seminar »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden« für seine Schüler bestellt, trat aber sechs Tage zuvor von seiner Absicht zurück.

Zur aktuellen RAF-Debatte gehört, daß man das zeitliche Umfeld des »Deutschen Herbstes« – Vietnam-Krieg und Straffreiheit für NS-Verbrecher, um nur zwei Stichworte zu nennen – ausklammert, ohne das die Motivation einer damals in den Terrorismus abgeglittenen radikalen Linken nicht zu verstehen ist. Und an damals erinnert, daß auch die Anti-»Sympathisanten«-Hetze jetzt Wiederauferstehung feiert.

Seinerzeit vertrieb der später als Justizmörder entlarvte baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger Claus Peymann von seinem Intendantenposten am Stuttgarter Theater, weil der gewagt hatte, zu einer Spende für Gudrun Ensslins Zahnbehandlung in Stammheim aufzufordern. Heute hält die Berliner CDU Peymann als Intendanten des Berliner Ensembles nicht mehr für tragbar, weil er, nachdem er Klar schon einen Praktikanten-Platz angeboten hat, sich nun auch noch zu dessen Äußerungen bekennt, die nur das ausgesprochen hätten, »was der weitaus größte Teil der Weltbevölkerung außerhalb von Westeuropa und Amerika denkt«.