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Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 wählten 51 Prozent die NSDAP (Reichsdurchschnitt 37,4 Prozent), und bei den letzten halbwegs freien Bürgerwahlen im März 1933 gaben 68 Prozent ihre Stimmen der Nazipartei und deren Berliner Koalitionspartnern. In einer Massenveranstaltung kurz zuvor hatte der Göttinger Spitzenkandidat der NSDAP, Rechtsanwalt Hermann Muhs, in einer dreistündigen Rede vor 8000 Göttinger Bürgern zum »Säubern« des Magistrats aufgerufen, was dann auch bald geschah. Muhs selbst sollte danach noch eine steile Karriere machen: 1936 wurde er Staatssekretär in Hitlers Reichskirchenministerium, das er von 1941 bis 1945 leitete. Auch in der Universität wurden »Säuberungen« durchgeführt. Die bekanntesten Opfer der Vertreibung waren die Physiker James Frank, Max Born, Eduard Teller, Enrico Fermi. Am intensivsten aber wurde die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät »gesäubert«. Wie es dabei zuging, wer die Täter waren und wer darunter zu leiden hatte und wie die Göttingen Rechtswissenschaft später mit dieser Vergangenheit umgegangen ist, war Gegenstand einer Ringvorlesung der Juristischen Fakultät mit dem Thema »Kontinuitäten und Zäsuren«, angeregt vom Gründungsvorsitzenden des Forums Justizgeschichte e.V., Helmut Kramer, den Ossietzky -Leser als gelegentlichen Autor kennen. Die NS-Justiz brach nicht wie ein Platzregen Anfang 1933 über Deutschland herein. Sie war lange schon gedanklich vorbereitet, zum Beispiel von dem Staatsrechtler Carl Schmitt (1888–1984). Mit seiner antidemokratischen Rechtslehre, die auf ein »Führerprinzip« hinzielte, hatte er nach dem 1. Weltkrieg eine Reihe junger Juristen gewonnen, die dann mit ihm, dem »Kronjuristen des Dritten Reiches«, das NS-Recht einführten, und zwar oft so, daß das herkömmliche Recht nur umgedeutet, kein neues geschaffen werden mußte, so zum Beispiel das Schuldrecht durch den Schuldrechtslehrer Karl Larenz. Er schlug vor, den Paragraphen 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt beginnt, so auszulegen: »Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist.« Larenz war mit Ernst Forsthoff, dem berüchtigten Theodor Maunz und dem bedeutendsten Schüler Schmitts, Ernst Rudolf Huber, der Einpeitscher der neuen Staatsrechtslehre. Larenz und Huber standen in enger Beziehung zur Göttinger Fakultät. Sie können als »Paradebeispiele« dafür gelten, wie das NS-Unrecht gerechtfertigt wurde – und auch dafür, auf welche Weise es vielen Juristen nach 1945 gelang, ihre unselige Vergangenheit »umzuwidmen«, also auch wieder zu rechtfertigen (nicht nur bei den Theologen gibt es als zentrales Dogma die »Rechtfertigungslehre«) und dabei an alte Traditionen anzuknüpfen, die als gute Traditionen galten. Larenz und Huber wurden in der Vortragsreihe in besonderer Weise vorgestellt. Ab Mai 1933 arbeiteten sie in der Kieler »Stoßtruppfakultät« zusammen, wo sie ein Konzept ersannen, die juristischen Fakultäten von jüdischen und unliebsamen Kollegen zu »säubern« und die freien Lehrstühle mit eigenen Gesinnungskumpanen zu besetzen. Ihr Konzept verwirklichten sie erstmals an der Göttinger Fakultät. Ihr bekanntestes Opfer war der spätere Bundesverfassungsrichter (und Schwager Dietrich Bonhoeffers) Gerhard Leibholz. Für ihn als Vertreter eines demokratischen Staatsrechtes war kein Platz in einem »Führerstaat«, wie ihn Huber in seinem »Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches« 1939 beschrieben hatte: »Denn nicht der Staat als eine unpersönliche Einheit ist der Träger der politischen Gewalt, sondern diese ist dem Führer als dem Vollstrecker des völkischen Gemeinwesens gegeben.« »Nach 1945 tat sich die Universität schwer mit der Aufarbeitung der NS- Vergangenheit« – so beschreibt die Universität Göttingen, sehr untertreibend, heute ihre Nachkriegszeit. Nur zwei der zahlreich vertriebenen Professoren kehrten zurück, einer der beiden war der Jurist Gerhard Leibholz. Stattdessen fanden zahlreiche belastete Professoren in Göttingen bereitwillig Aufnahmen, so der führende Rassenhygieniker Fritz Lenz und der SS-Rassenjurist Wilhelm Ebel. Auch Hitlers Staatssekretär Hermann Muhs, über den im Entnazifizierungsverfahren gerade festgestellt worden war, er habe »den Nationalsozialismus außergewöhnlich befördert«, konnte ab 1952 in Göttingen wieder als hochangesehener Rechtsanwalt praktizieren. Den Höhepunkt der Wiedereinstellung von Hitlers willigen Gehilfen in den Universitätsbetrieb in Göttingen bildete die Berufung Hubers 1962. Dieser hatte 1946 in einem weinerlichen »Exposé« erklärt, er habe »Hitler verkannt« und sei schließlich, »von den Nazis angewidert«, zu einer »inneren Abkehr gekommen« – »mehr war nicht möglich«. Jedoch konnte, wie der junge Wissenschaftler Ewald Grothe in der Ringvorlesung berichtete , von einer »grundsätzlichen Abwendung vom Nationalsozialismus, Reue oder gar einem Eingeständnis von Schuld bei ihm keine Rede sein«. Eine Auseinandersetzung mit ihm sei von seiten seines jüngsten Sohnes Wolfgang, des derzeitigen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, seines Wissens nie erfolgt. Wohl aber haben Ernst Rudolf und Sohn Wolfgang ab 1973 Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts gemeinsam herausgegeben. Parallel zur Universität fand auch im Göttinger Rat die Restauration alter Zustände statt. Hier brachte es Adolf von Thadden zum stellvertretenden Oberbürgermeister, bevor er 1964 Mitbegründer der NPD und 1967 ihr Bundesvorsitzender wurde. Seinen Ratskollegen im selben Geist, Leonhard Schlüter, den Verleger rechtsextremer Autoren, der schon 1948 wieder von »einem neuen 1933« geschwärmt hatte, zog es in die FDP, mit deren Hilfe er seit dem 26. Mai 1955 als Kultusminister in der niedersächsische Landesregierung unter Heinrich Hellwege amtierte, bis er nach genau 14 Tagen auf Grund öffentlicher Proteste, auch in Göttingen, sein Amt wieder aufgeben mußte. Da hatte sein Parteifreund, der Rechtsmediziner Gottfried Jungmichel, mehr Glück: 1956 wurde es zum Oberbürgermeister in Göttingen gewählt (bis 1966). Er war 1938 als Ordinarius nach Göttingen gekommen mit den Spezialgebieten »Blutgruppen« und »Rassenhygiene« und der Empfehlung, daß »er schon in den Zeiten des Kampfes vor der Machtübernahme offen für die Bewegung eingetreten« sei. Während des Krieges war er häufig Gutachter zu der Frage gewesen, ob bei Unfällen von Wehrpflichtigen »Selbstverstümmelung« vorlag. (Nach Angaben von Friedrich Herber wurden im Zweiten Weltkrieg etwa 6200 deutsche Soldaten wegen »Selbstverstümmelung« mit dem Tode bestraft; s. Friedrich Herber: »Gerichtsmedizin unterm Hakenkreuz«, 2002.) Im Jahre 2001 behandelte der Göttinger Stadtrat einen Antrag der Grünen, dem »bekennenden Nationalsozialisten und praktizierenden Rassenhygieniker Gottfried Jungmichel« die 1977 verliehene Ehrenbürgerschaft posthum abzuerkennen. Dem Antrag wurde nicht stattgegeben. Inzwischen wurde durch Herbers Buch bekannt, daß auch Jungmichel als Gerichtsmediziner mindestens in einem Fall durch sein Gutachten zu einem Todesurteil beigetragen hat. Immerhin: Nach mehr als 60 Jahren fand eine Ringvorlesung statt ...
Erschienen in Ossietzky 5/2007 |
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