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Solche Bewertung ist immer Geschmackssache: Würde man mich nach dem größten Liebesfilm meiner kurzen Zeiten fragen – es wären zwei oder drei andere Kinostücke. Viele meiner Altersgenossen haben mal Vivian Leigh und Olivia de Havilland bewundert, aber ich habe diese Wind-Romanze nicht gesehen, obwohl man sie gesehen haben muß. Na ja, ich werde auch den dazugehörigen Roman von Margaret Mitchell nicht mehr lesen. (Wann soll ich das denn tun und warum eigentlich? Red und Gordon B. Mitchells feine Jazz-Aufnahmen sind kürzer und mir sympathischer als eine vierstündige Leinwand-Legende. Musik staubt auch nicht so.) In der deutschen Erstaufführung des lustigen Ron-Hutchinson-Stücks »Mondlicht und Magnolien« (Renaissance-Theater Berlin) begegnen uns David O. Selznick, seine Sekretärin (Miss Poppenghul), Regisseur Victor Fleming und der prominente Drehbuchautor Ben Hecht. Kaum hatten die »Wind«-Dreharbeiten angefangen, als Selznick sie stoppte, weil er merkte, daß er den falschen Regisseur engagiert und ein trotz (oder wegen?) zahlreicher Umarbeitungen untaugliches Drehbuch in der Hand hatte. Der Regisseur flog raus und das Buch in den Papierkorb. »In der bisherigen Version würde der Film weit über sieben Stunden dauern.« Du meine Güte! Damit das Projekt, in das er und manche andere schon viel Geld investiert hatten, doch noch zustande kam, nahm der vielseitig aktive Produzent Fleming und Hecht gewissermaßen in Geiselhaft: Er sperrte sie (und sich) in sein Büro ein. Hecht hatte früher bereits ein Buch hergestellt – ohne Kenntnis der Romanvorlage – und soll nun in fünf Tagen ein neues vorlegen. Zur Ernährung des literarischen Teams bestimmt Selznick Eiswasser (ohne Whiskey), Bananen und Erdnüsse (Gehirnkost, redet man mir ein, seien Walnußkerne, welche den Hirnwindungen ähneln). Zur Filmproduktion wurden seit eh und je viele Mitarbeiter gebraucht, mehr aber noch verbraucht, verschlissen. Der Kinohistoriker Jerzy Toeplitz zitierte in seiner fünfbändigen »Geschichte des Films« Gavin Lamberts »Statistik über den Anteil der einzelnen Regisseure« an der letzten Fassung des Wind-Films: »Victor Fleming – 45 Prozent; Sam Wood – 15 Prozent; William C. Menzies, verantwortlich für die Anwendung der Farbe und die Inszenierung der Massenszenen – 15 Prozent; George Cukor – 5 Prozent; Reeves Eason, Regisseur des zweiten Teams – 2 Prozent; die restlichen 18 Prozent – Aufnahmen verschiedener Mitarbeiter, Trickaufnahmen und so weiter.« Toeplitz fügte hinzu, hier fehle der Name »des inoffiziellen Mitregisseurs Selznick«, und Fleming meinte, daß »David nicht nur den Film produziert, sondern auch das Drehbuch geschrieben und es zur Hälfte inszeniert hat«. Nun müssen Sie sich vorstellen, wie drei Mimen der Sonderklasse die Konzentration und Verpuffung von Kino-Energie, sich steigernd und die Mitspieler steigernd, auf der Bühne hör- und sichtbar machen: Jürgen Tarrach (Selznick), Boris Aljinovic (Ben Hecht) und Guntbert Warms (Fleming), unterstützt von Barbara Kowa (Miss Poppenghul). Sie können sich das natürlich nur vorstellen, wenn Ihnen bewußt ist, daß Sie es in diesem Fall mit Schauspielern zu tun haben, die Charakterdarsteller und zugleich Charakterkomiker sind. Zum Schluß ist der Bühnenboden nicht nur mit Bananenschalen und zerdrückten Erdnußschalen übersät, sondern auch mit unsichtbaren Kleeblättchen. Denn hier hat sich ein konzentrierter Glücksfall abgespielt. Ein Glücksfall für das Renaissance-Theater, für die Regisseurin Tina Engel, für den produktiven Autor Ron Hutchinson, für uns alle und für die Akteure, die diesen Glücksfall heraufbeschworen haben. Es war nicht das erste Mal, daß der bewundernswerte Aljinovic seine große Kunst auf einem kleinen Sofa entwickelte. Und ich kann mir gar nicht ausmalen, Selznick sei nicht mit Tarrach identisch und würde seine Einfälle wie dieser sprudeln lassen, vorspielen, vorsingen und die Leute darin einwickeln. Allerdings gönnt sich ein amerikanischer Filmproduzent einen anderen Schreibtisch als jenes Postamtsmöbel, das ihm Werner Hütterli (Bühnenbild) auf dem Trödelmarkt besorgt hat.
Erschienen in Ossietzky 4/2007 |
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