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Weiter in die Irre gehen?Ernst Schumacher Daß sich der österreichische Schriftsteller Peter Handke »Unter Tränen fragend« noch während des NATO-Kriegs gegen Serbien im Jahr 1999 und im darauffolgenden Jahr an »zwei Durchquerungen Jugoslawiens« machte, sich der einseitigen Verdammung Serbiens als Kriegsverursacher verweigerte und schließlich am Begräbnis des früheren Präsidenten Milosevic, der auf Verlangen der Siegermächte vor einem Sondertribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt war, teilnahm, reichte noch im vergangenen Jahr aus, daß ihm Düsseldorfer Kommunalpolitiker unter dem Druck der »öffentlichen Meinung« den Heinrich-Heine-Preis absprachen, den ihm die Jury zuerkannt hatte. Dieser Mut, in politicis quer- und anders, jedenfalls selbständig zu denken und zu handeln und damit andere zu ermutigen, es gleichzutun, findet sich in Handkes neuem Theatertext »Spuren der Verirrten«, den Claus Peymann jetzt im Berliner Ensemble zur Uraufführung brachte, wenn überhaupt, so nur poetisiert, verblümt, verkleidet, in Gänze verfremdet wieder. Nicht in dramatischer, sondern in Prosaform schildert ein »Ich«, das sich als »Zuschauer« vorstellt, was es vor die Augen kriegt: Menschenpaare, Menschen zu dritt, schließlich in Gruppen, stellvertretend für Massen, wie sie miteinander umgehen, die ersten noch bemüht, durch Merkzeichen Spuren zu hinterlassen, die aber weggefegt werden. Aus berichteten Dialogfetzen, Verlautungen, Bekundungen läßt sich erschließen, daß ihr Tun und Lassen mehr und mehr von Gegensätzlichkeiten, Abhängigkeitsverhältnissen, Machtstreben bestimmt wird, so daß sie aneinander- und durcheinandergeraten, von einem »Dritten«, der einen »Ordnungshüter« zu spielen versucht, recht und schlecht befriedet, von einem Möchtegernhelden mitgerissen, von einem Zauberer fasziniert, durch sie in Verwirrung gebracht, verletzt, verwundet, blessiert, zwischen Schwachsinn und Wahnsinn richtungslos agieren. Unter diese Menschen von heute mischen sich auch mythische Figuren, Ödipus, Medea mit Tochter, biblische wie Isaak, der seinen Vater Abraham mit dem Messer bedroht, Hänsel und Gretel aus dem Märchen. Die Beschreibungen sind angereichert durch gedankliche Assoziationen des »Zuschauers«, die das Reale jederzeit ins Surreale (ver)zerren, das Ganze als Traum erscheinen lassen, paradoxal in Wesen wie Erscheinung. Erspürbar, erschließbar, folgerbar wird, daß »der Zuschauer« die Welt für aus den Fugen geraten, jedenfalls den Frieden für vertan hält, so daß (wieder) Krieg kommen wird, alle Werte umgestürzt werden und der mäßigende »Dritte« schließlich sogar die Zeit sich verflüchtigen und erlöschen sieht. Da hält es »der Zuschauer« nicht mehr aus, mischt sich ein, will für sein Geld nicht länger Scheintragödien sehen, bringt sich aber damit nur selbst zum Verschwinden, weil es keine Tragödien mehr gibt. Doch das soll dann doch nicht das letzte Wort sein. Wie im Pfingstwunder beginnen sich alle zu verstehen, richten sich an einer Parabel von einem verirrten Rotkehlchen auf und ermutigen sich: »Wie hat das Verirrtgehen, das Rutschen, das Stürzen, nein das Faststürzen mir doch den Blick geschärft.« – »Weiter in die Irre gehen. Beständiger verirrt sein.« Um diesem im Wortsinn »epischen Theater«, das vorrangig aus sprachlichen Versinnbildlichungen besteht, auf der Bühne zur sinnlich-sinnigen Erscheinung zu verhelfen, läßt Regisseur Claus Peymann fast zwei Dutzend Schauspieler einfach die Figuren so vorführen, wie sie beschrieben sind, und die berichteten Dialog- und Monologfragmente aufsagen. Den »Zuschauer« plaziert er vor der schwarzen Spielschräge (Bühnenbild: Carl-Ernst Herrmann), bis sich der Darsteller (Veit Schubert) ins Spiel einmischen darf. Es gibt eine schauspielerische Etüde nach der anderen zu sehen, die Darsteller dürfen sich was einfallen lassen, die Choreographie verrät deutlich die Bewegungsmuster der Inszenierung von Handkes Stück »Die Stunde, in der wir nichts voneinander wußten« im Wiener Akademietheater der neunziger Jahre. Profil können so recht nur Axel Werner als »Dritter« und Konrad Singer als derangierter »Held« gewinnen. Die unvermeidlichen Wiederholungen der Grundmuster lähmen und langweilen in zunehmendem Maße. Fazit: Mit seinem räsonierenden Draufblick auf die verkehrte Welt setzt Handke so recht nur die Jeremiade des »Traumspiels« von Strindberg fort: »Es ist schade um den Menschen«, und mit seiner Aufforderung zum Schluß, »weiter in die Irre zu gehen« und »beständiger verirrt zu sein«, erreicht er nicht einmal die Ironie des Beckettschen Eskapismus: »Wir sind gescheitert. Auf zum besseren Scheitern.« Alles in allem poetisches Theater, mit geistreichen Wortspielen und paradoxalen Verkehrungen aller Worte und Werte, aber für die Aktivierung der »geistigen Sinne«, um nicht mehr richtungslos umherzuirren, geradezu kontraproduktiv.
Anläßlich der Premiere wurde dem Autor Peter Handke der Berliner Heinrich-Heine-Preis 2007 übergeben. Mehr als 500 Unterstützer hatten nach dem Debakel des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preises 2006 auf Initiative von Rolf Becker, Käthe Reichel und Eckart Spoo das Preisgeld von 50.000 Euro aufgebracht – mit Spenden zwischen 2.50 und 5.000 Euro. Handke hatte von vorn herein erklärt, daß er das Geld nicht für sich persönlich verwenden möchte, sondern in serbische Enklaven im Kosovo weitergeben werde. Am Osterwochenende wird er es – oder Hilfsgüter im entsprechenden Wert – gemeinsam mit den drei Initiatoren und mit Claus Peymann, dem Intendanten des Berliner Ensembles, überbringen. Die Aktion verbindet sich mit der Hoffnung, »ein nicht nur episodisches Aufmerksamwerden« (Handke) für die Situation der verschwiegenen und vergessenen Opfer des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien zu bewirken. Red.
Erschienen in Ossietzky 4/2007 |
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