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RechenkunstMitte März will das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Reform der Unternehmenssteuer beschließen, auf den sich CDU/CSU und SPD geeinigt haben. Durch Absenkung der Tarife werde »die Wirtschaft« – gemeint sind die Kapitalgesellschaften – »30 Milliarden Euro einsparen«, läßt uns das Haus Steinbrück wissen. Da aber dasselbe Haus stetig über die klamme Staatskasse klagt, erhebt sich die Frage, wie das durch solchen Verlust an Einnahmen entstehende Loch in den Staatsfinanzen gefüllt werden soll. Die Ministerialen besänftigen diese Sorge: Der Verlust werde nur fünf Milliarden Euro betragen, denn »25 Milliarden kann die Wirtschaft durch Verzicht auf Steuervorteile selbst aufbringen«. Eine seltsame –Rechnung: Konzerne, die 30 Milliarden »einsparen« und davon 25 durch großzügigen Verzicht dem Staat wieder zuschieben? Mag sein, daß sie es könnten, aber warum sollten sie es tun? Schließlich sind sie noch nicht dermaßen verarmt, daß sie der Dienste findiger Steuerberater entraten müßten. Marja Winken
An die LokalpresseImmer wieder, wenn unsere gerechten Richter Recht sprechen, muß ich an den Erfinder von Hartz I bis IV denken, der, weil ihm alle seine 44 Straftaten ganz doll leid tun, mit einer Geldbuße und einer Bewährungsstrafe davongekommen ist und weiter mit seinen Nutten kuscheln darf. So großzügig kann natürlich nicht jeder an den schwedischen Gardinen vorbeiflutschen. Da hat es den brandenburgischen Museumschef Ernst Rutsch härter erwischt. Er hatte sich für sein Museum im Ritter-Kahlbutz-Dorf Kampehl mit Zustimmung eines Bahnbediensteten ein ausrangiertes Bahnhofsschild unter den Nagel gerissen. Diese menschenverachtende Tat muß er jetzt 30 Tage lang im Gefängnis Wulkow bereuen, da er die Strafgebühr nicht zahlen kann. Moral: Das Geld ist hin, das Schild ist futsch – der Hartz ist draußen, drin der Rutsch! – Zacharias Zweifler (78), Jungrentner, 99610 Wundersleben. * Meine Familie lebt seit vielen Jahren im schönen Bad Doberan. Da wir sowohl Ostsee- als auch Eisenbahnfans sind, ist es bei uns üblich, auch in der kühleren Jahreszeit ab und zu mit dem »Molly« nach Heiligendamm zu dampfen, in dem alten Kurbad herumzuspazieren und von dort aus in unsere Stadt zurückzuwandern. Das wird jetzt immer schwieriger, da die Sicherheitsvorbereitungen für den G-8-Gipfel im Juni Heiligendamm zum Reservat machen. Da werden hohe Metallzäune auf Betonblöcken errichtet, Stacheldrahtballen ausgerollt, öffentliche Wege gesperrt und Tabu-Zonen angelegt. Das versteh' ich ja noch, die Politiker möchten schließlich in Sicherheit vor dem Pöbel über die Menschenrechte reden und ungestört baden gehen. Wie ich jedoch der Presse entnommen habe, kostet allein die zwölf Kilometer lange Sperranlage um den Ort zwölf Millionen Euro, und dazu mußte der Landtag extra einen Nachtragshaushalt verabschieden. Der McPommersche Steuerzahler wird also für seine eigene Aussperrung zur Kasse gebeten. Könnte man das nicht wenigstens so handhaben, daß an jedem Zaunfeld eine kleine Tafel angebracht wird, aus der hervorgeht, welcher Steuerzahler für das einzelne Segment aufkommt (zum Beispiel: »Dieser Stacheldrahtabschnitt wurde aus den Steuererträgen von Willibald Schultze und Friedhelm Fischkopp finanziert«)? Ähnliche Aufschriften habe ich an den Mauern um die Stadt Rothenburg gesehen, allerdings mit dem Unterschied, daß das Geld dort freiwillig gespendet wurde. Wenn man diese Praxis auf Heiligendamm übertragen würde, könnten sich die Bürger besser mit dem Gipfel identifizieren, und manch ein Regierungschef würde sich vielleicht sogar bei dem einen oder anderen Mecklenburger persönlich bedanken. – Friedhelm Fischkopp (68), Lotse i. R., 18209 Bad Doberan. * Zur Vermeidung weiterer Probleme im Berliner Hauptbahnhof, für dessen Fehlkonstruktion außer dem Wetter keiner verantwortlich gemacht werden kann, unterbreite ich der Öffentlichkeit folgende Vorschläge: 1. Das Betreten des Haltepunktes erfolgt bis zum Abriß des Gebäudes auf eigene Gefahr. 2. Der Zugverkehr wird um den Bahnhof herumgelegt. Die Millionen, die die neuen Gleisanlagen kosten werden, fallen bei den bisherigen Bahnhofskosten kaum noch ins Gewicht. 3. Der ehemals als Hauptbahnhof konzipierte Glasbehälter wird zum Wintergarten des Regierungsviertels umgestaltet oder für eine ständige Bundesgartenschau verwendet. 4. Das Reichstagsgebäude wird zum Hauptbahnhof umgestaltet. Das Brandenburger Tor wird als Hauptportal in das Ensemble eingebaut. – Karl Kranepuhl (73), Projektierungsingenieur a. D., Am Biberbau, 13465 Berlin. Wolfgang Helfritsch
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Solo für Monica Bleibtreu»Nachtgespräche mit meinem Kühlschrank«, Komödie von Klaus Pohl im St. Pauli Theater, Hamburg, Regie Felix Bachmann. Soloabend plus Hosenrolle für die wundervolle Monica Bleibtreu. Das wollte ich sehen. Inhalt: Alternder Schauspieler, verarmt, unbeschäftigt, wird unerwartet für eine Theaterrolle angefragt, einen Drehtag, zum Casting für einen Werbefilm. Aufwind. Dialog mit dem Kühlschrank. Der brummt und wackelt seine Antworten, pfützt sein Tauwasser vor sich hin. Alsbald: Hoffnungen zerschlagen, Kühlschrank verkauft. Bunzel/Bleibtreu noch tiefer abgerutscht. Guter Einfall. Danach nur Blasses, Mattes, endlos wiederholt. Ein paar Geistesblitze. Mehr nicht. »Traumrolle für Frau Bleibtreu« sagte die Öffentlichkeitsarbeit. Davon träumte auch der Betrachter beim Betreten des hübschen Rotsamttheaters. Doch die alte Bühnenweisheit bestätigt sich. Wird ein mit noch so großem Talent, Erfolg und Erfahrung gesegneter Schauspieler allein gelassen, kann seine Kunst nicht erblühen. Stück und Regie müssen ihn beflügeln. Dann hebt der Mime ab, nimmt uns mit. Nicht an diesem Abend. Der Kunstflug fand nicht statt. Was Monica Bleibtreu kann, wissen wir aus Film, Fernsehen und Theater. Sie ist mitreißend. Außerordentlich. Sie wird geliebt für das Besondere ihrer Kunst. Im Haus am Spielbudenplatz wurde wohl deshalb gejubelt. Anne Dessau
Der Aufklärer Karl GassDer ideenreiche Dokumentarfilmer ist nun auch bundesweit bekannt. International war er es spätestens Anfang der 60er Jahre, als er die Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche mitgründete, zu deren wichtigsten Beiträgen seine eigenen zählten. Seine unorthodoxe Methode der Nachwuchsförderung und seine Ausstrahlung auf Arbeits- und Denkprozesse wurden ebenso sprichwörtlich wie seine aufklärerische politische Haltung. Umstrittene Streifen wie »Schaut auf diese Stadt« (eine Darstellung des 13. August 1953, die allzu primitiver westlicher Propaganda widersprach, allerdings die tragischen Folgen des Mauerbaus noch kaum in den Blick nahm) oder »Zwei Tage im August« (über die Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki), streitlustige wie »Feierabend« oder »Asse« und unstrittig maßstabsetzende wie »Das Jahr 1945« und »Eine deutsche Karriere« stehen für knallharte Recherche und wirkungsvolle, nicht nur an den Verstand, sondern auch ans Gefühl appellierende Präsentation. Hier agierte einer zeitlebens neugierig und tatendurstig, reagierte geistig beweglich wie standpunktfixiert. Nun ist er 90 und wird mehrmals gefeiert: am 10. Februar im Filmmuseum Potsdam und am 16. Februar im Rathaussaal seines Wohnortes Kleinmachnow, jeweils 19.30 Uhr mit der Wiederaufführung seines letzten Filmes »Nationalität: deutsch«. Eines der vier Bücher, welche Karl Gass nach 1990 herausbrachte, enthält den Text jener Schulchronik aus dem Anhaltinischen, die diesem Film zugrunde liegt: das 20. Jahrhundert in der Handschrift eines Schulmeisters. Die anderen arbeiten Preußen-Historie und Preußen-Kult ab. Der gebürtige vitale Rheinländer, der seit Jahrzehnten in Brandenburg lebt, profilierte sich damit zum radikalsten Kritiker der friderizianischen Allüren mancher Neodemokraten. Ossietzky- Leser hatten Gelegenheit, Proben seiner rigiden literarischen Entzauberung der Potsdamer Garnisonkirche als »Militärtempel der Hohenzollern« schon vor Jahren kennenzulernen. Karl Gass ist selbst in seinem jetzigen hohen Alter der streitbare Aufklärer geblieben. Auch dazu können wir ihm und uns nur gratulieren. Harald Kretzschmar
In memoriam Gerd HirschauerSo wird heutzutage Zeitgeschichte geschrieben: Bettina Röhl, inzwischen auch bei Sabine Christiansen präsent, behandelt in ihrem Buch »So macht Kommunismus Spaß!« nicht nur die Wege und Irrwege ihrer Eltern und der Zeitschrift Konkret , sondern bietet auch gleich noch Deutungen des Zustandes der Linken insgesamt in den westdeutschen 1960er Jahren an; dabei weist sie zum Beispiel der Zeitschrift werkhefte ihren politischen Platz zu. Dies geht bei ihr folgendermaßen: Das damals maßgebliche KPD-Mitglied Manfred Kapluck berichtete intern über ein Gespräch, das er mit dem KPD-Genossen Richard Hiepe geführt und worin dieser wiederum ein Gespräch mit dem KPD-Genossen Klaus Rainer Röhl wiedergegeben habe. Röhl sei an die Zeitschrift werkhefte beziehungsweise deren Redakteur mit dem Vorschlag herangetreten, dieses Blatt zugunsten seiner Zeitschrift einzustellen, wofür dann Konkret regelmäßig eine »christliche Seite« bringen werde. Bettina Röhl zieht aus diesen Erzählungen über Erzählungen einen apodiktischen Schluß: Die werkhefte seien ein »rein ostfinanziertes Produkt« gewesen. Wer sich in der oppositionellen Szene Westdeutschlands in den Nachkriegsjahrzehnten auch nur halbwegs auskennt, wird diese Geschichte unschwer als leichtfertigen Blödsinn erkennen. Die Zeitschrift werkhefte (im Untertitel zunächst als Blatt »katholischer Laien«, dann als Zeitschrift »für Probleme der Gesellschaft und des Katholizismus« bezeichnet) erschien ab 1946 in München, gegründet von jungen Katholiken der Kriegsgeneration, die aus ihren Erfahrungen in der NS-Zeit heraus mißtrauisch gegenüber der Amtskirche geworden waren. Unter der redaktionellen Leitung von Gerd Hirschauer entwickelten sich die werkhefte zu einem Organ derjenigen, die autoritäre und deutschnationale Prägungen des Katholizismus nicht länger hinnehmen, eine Indienstnahme des westdeutschen Katholizismus für die Zwecke der Unionsparteien nicht akzeptieren und der Remilitarisierung eine Absage erteilen wollten. Hier erschien damals auch der Protest-»Brief an einen jungen Katholiken« von Heinrich Böll. Bis zu ihrer Einstellung in den 1970er Jahren waren die werkhefte das Spachrohr der linkskatholischen Richtung in der außerparlamentarischen Opposition, sie traten ein für die Ostermärsche der Atomwaffengegner und die Bewegung gegen die Notstandsgesetze, skeptisch freilich gegenüber manchen Attitüden der Studentenrevolte. Niemals haben sich die werkhefte in irgendeine Abhängigkeit von einer Partei begeben, und ihre Charakterisierung als »ostfinanziert« ist absurd. Politisch und journalistisch waren es Welten, die zwischen dem peniblen Gerd Hirschauer und dem publizistischen Abenteurer Klaus Rainer Röhl lagen, was dessen Tochter Bettina ohne große Mühe hätte in Erfahrung bringen können. Gerd Hirschauer hat nach den werkheften viele Jahre lang die vorgänge der Humanistischen Union redigiert, sorgfältig und fernab von jedem Opportunismus, so wie man das von ihm gewohnt war. Im Januar dieses Jahres ist er im Alter von 78 Jahren gestorben – ein kritischer politischer Publizist, dessen Lebensarbeit gewiß im Cicero -Milieu unserer Tage kein Verständnis mehr finden kann; und da mag es nicht verwundern, daß Bettina Röhl zu seinen werkheften nichts anderes eingefallen ist, als dieser Zeitschrift fälschlich nachzusagen, sie sei eine Kreation der SED-Westabteilung gewesen. »Vergangenheitsbewältigung« eben. In dem derzeit marktgängigen Stil. Arno Klönne
Ein religiöser SozialistUlrich Peter, ausgewiesener Fachmann zur Geschichte der sozialen Bewegungen, des religiösen Sozialismus und der Kirchen im 20.Jahrhundert, hat in einem Buch über Aurel von Jüchen die Lebensgeschichte eines unbeugsamen Sozialisten und Pastors und zugleich die politische, kulturelle, wirtschaftliche und ideologische Geschichte Deutschlands im 20.Jahrhundert geschrieben. Aurel von Jüchen erlebte seine Kindheit in der Kaiserzeit, studierte in der Weimarer Republik, bewährte sich in den Jahren des NS-Faschismus als Antifaschist im evangelischen Pfarramt und optierte in der unmittelbaren Nachkriegszeit in der sowjetischen Besatzungszone sozialistisch. Die Entwicklung zur stalinistischen Diktatur ließ ihn als radikal-demokratischen Sozialisten wieder unbequem werden. 1950 wurde er in Schwerin vom NKWD entführt, in sowjetischer Regie zunächst ohne Prozeß inhaftiert und dann zu 25 Jahren Straflagerhaft in Workuta verurteilt. Nach Solidaritätsaktionen und Adenauers Verhandlungen in Moskau kam er 1956 frei und lebte von da an in West-Berlin. Gezeichnet von diesen Erfahrungen engagierte sich von Jüchen zunächst als »Kalter Krieger«, übrigens auch gegen die 68er, analysierte dann aber wieder zunehmend kritisch die Realitäten an der Seite von Albertz, Gollwitzer, Heinemann, solidarisierte sich mit Linken und Autonomen, trat für die Opfer von Berufsverboten ein, wurde aktiv zur Verteidigung der demokratischen Rechte und trug dazu bei, den Religiösen Sozialismus zu rekonstruieren und zu reaktivieren. Der ihm theologisch und politisch nahestehende Ulrich Peter (eine Genera- tion jünger) schildert von Jüchens Lebensstationen einfühlsam und kenntnisreich im jeweiligen Kontext. Ein gut lesbares, fesselndes Buch. Hartmut Dreier Ulrich Peter: »Aurel von Jüchen (1902 – 1991). Möhrenbach – Schwerin – Workuta – Berlin. Ein Pfarrerleben im Jahrhundert der Diktaturen«, Stock & Stein Verlag, 472 Seiten, 39.50 €
KriegstagebuchMit Eifer und finanziellem Aufwand betreiben Staatsmänner der Berliner Republik wilhelminische Traditionspflege. Da kommt ein kleines publizistisches Heilmittel gerade rechtzeitig: Gisela und Dieter Riesenberger haben in Auswahl ein Tagebuch herausgegeben, das der in Wien aufgewachsene, dann in Berlin politisch aktive jüdische Schriftsteller und Verleger Alfred Hermann Fried während des Ersten Weltkrieges im Schweizer Exil geschrieben hat. Fried, Mitstreiter Bertha von Suttners, Gründer der Deutschen Friedensgesellschaft (1892) und der Zeitschrift Die Friedens-Warte , war einer der wichtigsten Protagonisten des Pazifismus vor 1914, 1911 wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Scharfsinnig kommentiert er in seinem Tagebuch die Kriegstreiberei und die militärisch-kriminiellen Aktivitäten der wilhelminischen Eliten und gibt Einblicke in jene Mentalität, die ein Menschenschlachthaus zum »Stahlbad« hochjubelte. Ein nicht nur historisch aufschlußreiches Dokument, das zugleich an einen zu Unrecht vergessenen Repräsentanten des »anderen Deutschland« erinnert. A. K. Alfred Hermann Fried: »Mein Kriegstagebuch. August 1914 bis Juni 1919«, Donat Verlag, 384 Seiten, 18.80 €
Walter Kaufmanns LektüreBert Brechts letzte Jahre werden in diesem schlichten und zugleich einfühlsamen Text durch die Augen einer Frau betrachtet, die weit jünger als er und seine letzte Liebe war: Isot Kilian. Über sie schrieb Brecht: »Die Freundin, die ich jetzt habe und die vielleicht meine letzte ist, gleicht sehr meiner ersten. Wie jene ist auch sie leichten Gemüts, wie bei jener überrascht mich tiefere Empfindung ...« Ditte von Arnim, der sich Isot Kilian spät im Leben anvertraute, hat diese karge Notiz Brechts mit Leben erfüllt, hat die späte Liebe des alternden Dichters gestaltet und die Beziehung der beiden in all ihren Phasen nacherlebbar gemacht. Zugleich gelang es ihr, die Hamburger und Berliner Nachkriegsjahre zu zeigen – die Hamburger, weil Isot Kilian eng mit Wolfgang Borchert verbunden war, die Berliner eben wegen ihrer Liebe zu Brecht. Man erfährt viel über das damalige Treiben rund um den Schiffbauerdamm, bekommt Einblicke in die Theaterwelt, besonders in die des Berliner Ensembles, und in das politische Geschehen jener Jahre bis hin zu den dramatischen Ereignissen des 17. Juni, zu denen Brecht, die Kilian und fast alle Theaterleute um Brecht Stellung bezogen. Und in die jeder auf seine Weise involviert war. Wir werden auch einbezogen in das Erlebnis Paris. Für die junge Frau an der Seite Brechts war es berauschend: die intimen Cafés, der Markt, die Geselligkeit im Kreis von Brechts französischen Freunden und nicht zuletzt der grandiose Erfolg des Berliner Ensembles. Auch liefert uns Ditte von Arnim eine Charakterstudie Brechts, Erkenntnisse über sein Wesen und seine Eigenarten. Neben ihren Schilderungen sind es die Auszüge aus Isot Kilians eigenen Aufzeichnungen, die bewahrheiten, was Brecht über die »letzte Freundin« geschrieben hat. Walter Kaufmann Ditte von Arnim: »Brechts letzte Liebe. Das Leben der Isot Kilian«, Transit Verlag, 188 Seiten, 18.80 €
Keiner braucht ihnSehr sympathisch ist er nicht: sitzt auf der Parkbank mit einem alten Schulkameraden, schwadroniert, weiß alles besser und verachtet die, die Erfolg oder auch nur eine ABM-Stelle haben. Ein armer, gescheiterter Mann. Sogar Betteln hat er schon versucht, aber damit hat er aufgehört, weil er auch da übersehen wurde. Niemand braucht ihn, sogar der ihm zuhörende ehemalige Schulkamerad kommt nur unwillig zu dem monatlichen Treffen. Bergheimer ist ein Versager. War der Unfall schuld, der ihm das Bein kostete? Ist es der fehlende Mut, die umschwärmte Frau anzusprechen? Hat schon die Kindheit im Dorf, wo er nicht ganz dazugehörte, diese Entwicklung eingeleitet? Jens Wonneberger hat ein sprödes, antwortloses Buch geschrieben. Es passiert eigentlich nichts. Dennoch knistert es: Solche wie Bergheimer mit ihren nicht gelebten Biographien, ihren Sehnsüchten und ihrer Wut bergen Spannungen und Gefahren und spiegeln eine Gesellschaft, in der die Bergheimers immer mehr werden. Die Gesellschaft will und braucht sie nicht und guckt weg. Jens Wonneberger, 1960 geboren, aufgewachsen in Sachsen, studierte Bauingenieurwesen und war als Hilfsarbeiter tätig – also ein Aussteiger zu DDR-Zeiten und nun Schriftsteller, seit 1992, erfährt man. Sein erster Roman, »Der Mann mit dem Spaten«, 1999 erschienen, handelt von einem Friedhofs-Hilfsarbeiter, das zweite Buch, »Infarkt« (2005), verwebt die Schicksale von vier Menschen aus dem »Supermarkt« –, Schicksale kleiner Leute, von DDR-Autoren wie Anna Seghers, Hans Marchwitza, Volker Braun oder Kerstin Hensel immer sehr wichtig genommen. Wonneberger hat bewußt oder unbewußt dieses Erbe aufgenommen. Er kennt seine Helden genau. Mitleidlos und ungeschönt beschreibt er die Macken und Wunden der Gescheiterten, nicht ohne Humor und ein Quäntchen Sympathie von Querdenker zu Querdenker. Die Sorge um diese Entwicklung legt er dem Leser ans Herz. Da lebt und arbeitet in Dresden ein Schriftsteller, dem die Medien kaum Aufmerksamkeit schenken. Aber er verdient sie. Christel Berger Jens Wonneberger: »Die Pflaumenallee«, Steidl Verlag, 224 Seiten, 18 €
Press-KohlWeihnachten, das Fest der brennenden Christbäume, der schamlosen Reklame, der ausgesetzten Säuglinge und des lieblichen Glockengeläuts in morschen Kirchtürmen und des erfrischend schrecklichen Dröhnens der Warnsirenen, mit denen die Feuerwehr die Transporte überfressener Wohlständler zu den Magen-Auspumpungs-Anstalten musikalisch begleitet, scheint vorüber zu sein, natürlich nicht endgültig. Nikolaus, der manchmal auch während eines Toilettenbesuchs liest, wenn dort bedrucktes Papier liegt, fand im Werbemagazin der Handelskette Plus das verführerische Angebot: »Touching-Toilettenpapier, je 10 mal 150 Blatt. Sanft und sicher. Mit Elchmotiv und Spekulatius-Duft! « Indes beschenkte Nikolaus seine Herzensfreundin nicht mit diesem Non- Plus -Ultra-Knüller. Das Elch-Motiv hätte Miriam ohnehin nicht zu Gesicht gekriegt. Und Spekulatius ist vielleicht nicht so ungesund, wie Zimtplätzchen neuerdings sein sollen. Aber wer weiß! Vom Filmstar Jack Nicholson stammt der Seufzer: »Es ist immer wieder bedrückend, wie aktiv Frauen zu Weihnachten werden.« Und Mark Twain versicherte: »Wenn ich noch einmal Stille Nacht höre, kann ich für nichts mehr garantieren.« * Bei einem »ersten Treffen« von »Kulturstaatsminister« Bernd Neumann mit dem »neuen Berliner Kulturstaatssekretär« André Schmitz verriet der Neumann (laut dpa ) dem Schmitz: »Berlin hat ein Finanzproblem.« Wie meint er das: ein Finanzproblem? * Am 29. Januar 2007 war ein Dichter im Berliner Brecht-Haus, das folgendermaßen eingeladen hatte: »Richard Pietraß im Gespräch mit Günter Kunert. Der alte Mann spricht mit seiner Seele (mit Gespräch). 20.00 Uhr.« Also Kunert sprach mit seiner Seele, und zwar mit Gespräch, und außerdem sprach Pietraß mit Kunert. Und ich ging wegen meines Schnupfens nicht hin, weil es im Zirkus manchmal so zieht. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 3/2007 |
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