Erben ohne soziale Verantwortung

Otto Meyer

Auf diesen Richterspruch aus Karlsruhe haben alle zukunftsfrohen Erben schon lange gewartet, denn jetzt besteht Aussicht, daß in Deutschland bald gar keine Erbschaftssteuer mehr gezahlt werden muß. Das Bundesverfassungsgericht hat am 30. Januar entschieden, daß die derzeit noch erhobene Erbschaftssteuer auf höhere Vermögen nicht der Verfassung entspricht, weil die Vermögenswerte steuerlich ungleich erfaßt werden.

Geldvermögen werden bisher in der Höhe erfaßt, wie die Bank sie zum Zeitpunkt des Erbfalls ausweist, bei Immobilien, Ländereien und Betrieben dagegen läßt der Fiskus nicht den augenblicklichen Verkaufswert, sondern wesentlich niedrigerer Werte gelten. Deshalb müsse die Regierung bis 2008 eine verfassungsgemäße Regelung für die Erbschaftssteuer schaffen, forderten die Richter in Karlsruhe.

Mit fast identischer Begründung hatten sie vor gut zehn Jahren das Gesetz über die bis dahin erhobene Vermögenssteuer gekippt. Auch damals mahnten sie Gleichbehandlung in der steuerlichen Veranlagung der unterschiedlichen Eigentumstitel an. Und die Regierung Kohl erledigte diese Aufgabe mit bravouröser Einfachheit: Sie stellte die verlangte Gleichbehandlung aller Eigentümer her, indem sie die Vermögenssteuer generell aussetzte. Kein Reicher muß seither mehr Steuern auf sein Vermögen zahlen.

Man braucht deshalb nicht mit besonderen prophetischen Gaben gesegnet zu sein, um voraussagen zu können, daß im Ergebnis der Beratungen der Bundesregierung die Erbschaftssteuer ebenfalls einfach bei niemandem mehr erhoben wird. Alles andere wäre viel zu kompliziert. Die »Zeitung für Deutschland«, die FAZ , bejubelte das Urteil schon mit der Leitartikel-Überschrift »Schleichender Tod einer Steuer«.

Nahe Angehörige erfreuen sich im Erbfall bisher schon hoher Freibeträge: Für den Ehepartner bleiben 307.000 Euro, für jedes Kind 205.000 Euro steuerfrei. Erst auf Summen, die darüber liegen, greift der Staat zu. Zunächst mit einem moderaten Steuersatz von sieben Prozent, der allmählich ansteigt bis auf 30 Prozent bei Erbvermögen über 25,565 Millionen Euro. Rotgrün hatte im Zuge der Eichelschen Steuerreformen schon die Steuerprogression gesenkt. Im Jahre 2006 erbrachte die Erbschaftssteuer daher bloß noch 3,76 Milliarden Euro gegenüber 4,28 Milliarden Euro zwei Jahre zuvor. Damit ist die BRD unter den größeren Industrienationen bisher schon konkurrenzlos großzügig; in den USA zum Beispiel erbringt die Erbschaftssteuer (gerechnet am Bruttoinlandsprodukt) dreimal mehr, in Frankreich viermal mehr.

Doch immer noch betrachten unsere Reichen die hiesige Mini-Erbschaftssteuer als ein Ärgernis, das sie zu vermeiden trachten. Der FAZ -Leitartikler als Prämium-Ideologieproduzent für die staats- und kapitaltragenden Kreise folgert aus dem bisher schon geringen Anteil der Erbschaftssteuer an den Gesamteinnahmen des Staates (mit »nicht einmal einem Prozent«), hier handle es sich nur noch um eine »Bagatellsteuer«, die »mehr der Befriedigung sozialer Gerechtigkeitsgefühle als der Finanzierung des Staates« diene. Deshalb ist sein Vorschlag an die Regierung, »die Todessteuer zu streichen«. Denn unsere Kapitalisten müssen doch heute nicht mehr auf »Gefühle« der Bevölkerung – gar nach Gerechtigkeit – Rücksicht nehmen?!

Die Stichworte »Gemeinschaftsaufgaben« oder »Soziale Verantwortung« standen jedenfalls nicht auf den Lehrplänen der Kinder der Reichen. Auch hat ihnen niemand gesagt, daß sie sich ihres Kapitaleigentums nur erfreuen können, solange der staatliche Gewaltapparat mit Justiz und Polizei es ihnen durch seine Erb- und Eigentumsgesetzgebung garantiert. Sie wurden erzogen in dem Glauben, weder auf staatlichen Schutz noch auf den sozialen Frieden angewiesen zu sein – warum sollten sie für etwas ihnen anscheinend Nutzloses sich ihr Erbe schmälern lassen lassen?

Erschienen in Ossietzky 3/2007