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Reader's Digest , Augustheft 2006: Bert Brecht, 1898 in Augsburg geboren: größter deutscher Dichter des 20. Jahrhunderts und zugleich sein größter Opportunist? Auch 50 Jahre nach seinem Tod im August 1956 schillert sein Bild noch in vielen Farben. Er war klein und häßlich, das Mäusegesicht voller Pickel, und er roch nicht gut. Witternd hob seine Umgebung die Nase, schon in seinen Gymnasialjahren wie noch in der Zeit, da er der »Chef« am Berliner Ensemble war: Dieser »Chef«, man wußte es, hielt nicht viel von Körperpflege… Ich bin einer der Betroffenen, denn ich mußte als Assistent, später Co-Regisseur immer dicht beim »Chef« sitzen. Und ich erinnere mich deutlich: Es roch nach Schwefel. Und das Mäusegesicht hatte nicht nur Pickel, sondern auch zwei herausragende Raffzähne. Allerdings erinnere ich mich auch, daß der »Chef« ungehalten war, wenn man unrasiert, übernächtigt oder mit einem überhängenden Geruch zur Probe kam. »Verschwiemelt«, so seine Redensart, »kann man weder denken noch inszenieren.« Er brauchte auch immer Tageslicht und ließ im Probenraum stets alle verdunkelnden Vorhänge vor den Fenstern wegziehen
Frankfurter Allgemeine , 9. Juli 2006: Verbürgt ist jedenfalls, daß Brechts graue Arbeiterkluft, seitdem er sich das leisten konnte, aus dem besten Material und maßgeschneidert war. Gesichert ist weiterhin, daß seine Ballonmützen vom besten Ballonmützenmacher der Stadt angefertigt wurden. Und seine Nickelbrille mit dem Kassengestell war in Wirklichkeit aus Titan und furchtbar teuer… Was uns Heutige (wie Herr B. uns nennen würde) naturgemäß an die Sex Pistols erinnert, die ja ihre Fetzen und Lappen … auch nicht aus der Altkleidersammlung hatten, sondern aus Vivienne Westwoods schicker Boutique. An die Ramones mit ihren kunstvoll geschlitzten Jeans … Kurzum, wer heute rückwärts schaut, meint Brecht in der Reihe zu entdecken mit jenen populären Stars, für welche die aufwendige Inszenierung des eigenen Außenseitertums immer ein integraler, wenn nicht gar wesentlicher Teil des eigenen Werks war … Erst kam seine Fresse. Dann die Moral. Wobei auch ein so schäbiger Dandyismus immer eine Tendenz zum Totalitären hat: Warum nicht auch die Welt nach dem eigenen Bild formen. Der »Maßschneider« hieß Gleichfeld und war Zuschneider der Herrenabteilung der Kostümwerkstatt der Deutschen Staatsoper, wo auch die Kostüme für das Berliner Ensemble angefertigt wurden. Er verdiente sich etwas nebenbei, indem er private Aufträge annahm, was nicht nur für Brecht, sondern auch für uns Assistenten günstig war, zumal das Tuch dort bezahlbar war. Ballonmützen ließ Brecht eigentlich nur auf der Bühne zu, zum Beispiel beim Attaché in seinem Stück »Herr Puntila«, seine eigenen »Berliner Schiebermützen« erwarb er meist nach längerem Suchen von kleinen Händlern, bei denen sie noch zu haben waren. Auch beim Kassengestell aus Titan muß ich enttäuschen: Denn was ich da, wenn der »Chef« Schauspielern etwas zu vehement vorspielte, oft wieder vom Boden aufheben mußte, war – im Gegensatz zu meiner exklusiven »randlosen Brille« – aus gewöhnlichem Draht und Horn. Auch das mit der »Arbeiterkluft« muß ein wenig korrigiert werden. Brecht und wir alle mochte diese leichten weiten Jacken – nicht, um wie Arbeiter auszusehen, sondern weil sie bequem waren (Arbeiter hätten solche »Kittel« niemals angezogen). Brecht selbst nannte sich, was Kleidung betraf, »Erfinder des drehbaren Männerhalses«. Wer aber das mit der Titan-Brille selbst nachprüfen will: Die Brecht-Erben bieten gerade alle Brillen und Spazierstöcke Brechts im Internet zum Kauf an.
Frankfurter Rundschau, 10. August 2006: Man nahm den »Frauenbenutzer« und »Stalinkopfpreisträger«, den »Freizeitkonfuzianer« und das »Scheusal mit Talent« (Thomas Mann) ins Visier. 1998 schien Brecht böser als je zuvor, als ob man seine Boshaftigkeit betonen müßte, damit der Mann überhaupt im Gedächtnis haften bliebe. Man delektierte sich am Schreckensbild des »ewigen Fürsorgezöglings« (Manthey), und Elfriede Jelinek verurteilte ihn als einen Mann von ausgesprochener Oralität, »der dauernd den Schnabel aufsperrt und unermüdlich alles darin einsammelt, was ihm da hineingeworfen wird«. Kein Kommentar Reader's Digest, Augustheft 2006 : Der Krieg ist vorbei … Doch Brecht ist nun mal Brecht: In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen … Zunächst beantragt er die Einreise in den Westen. Die wird ihm verweigert. Ein Achselzucken. Dann geht er eben, die zuvor mit Hilfe von Egon Erwin Kisch erworbene tschechoslowakische Staatsangehörigkeit in der Hinterhand, nach Ost-Berlin.
Ein Antrag für die Einreise in den Westen, um sich dort niederzulassen, sowie eine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft sind selbst in Brechts FBI-Akten nicht verzeichnet. Hingegen gibt es einen Brief des »staatenlosen Subjekts Berthold Brecht« an einen amerikanischen General, in dem Brecht gegen die amerikanische Weigerung protestiert, ihn auf seinem Weg nach Berlin, wo er am (Ost-) Berliner Deutschen Theater zu arbeiten gedenkt, durch Westdeutschland (Westzone) reisen zu lassen: »Ich befürchte, … daß Ihre Beamten viele Mitglieder der deutschen Widerstandsbewegung gegen Hitler jetzt … nicht nur nicht unterstützen, sondern behindern, und zwar wegen ihrer sozialen Ansichten« (Brecht, September 1948). Brecht muß den Weg über Salzburg und Prag nehmen. In Salzburg bietet der Komponist von Einem dem »Staatenlosen« an, ihm einen österreichischen Paß zu verschaffen, wenn er für Salzburg einen neuen »Totentanz« schreibt. Der Entwurf wird als »zu sozialkritisch« abgelehnt, die Bürokratie aber arbeitet unverdrossen weiter, bis Brecht, inzwischen längst Staatsbürger der DDR, zu seiner Überraschung auch Staatsbürger Österreichs wird.
Frankfurter Allgemeine, 9. Juli 2006: Was aber, mag jetzt mancher fragen, ist denn aus dem Ernst geworden, aus Brecht, dem Weltverbesserer? Daß er ein Opportunist war gegenüber sozialistischen Autoritäten, muß hier vielleicht nicht noch einmal erwähnt werden… Und Frieda Grafe hat endlich die Luft herausgelassen aus dem Brechtschen Weltverbesserungspathos. Im Jahr 1931 entstand, nach einem Drehbuch von Brecht, der Film »Kuhle Wampe«, dessen Moral man ohne Bedenken auf den Schlußdialog reduzieren darf: »Wer soll denn die Welt verändern?« fragt da ein Kleinbürger. Und die Proletarierin antwortet: »Die, denen sie nicht gefällt.« In einem Aufsatz übers Kino jener Zeit (und dabei anspielend auf einen Propagandafilm der Nazis) fragt die Kritikerin Frieda Grafe weiter: »Hat dem SA-Mann Brandt die Welt etwa gefallen? Und hat er sie nicht verändert?« Da (um B.B. ein letztes Mal zu zitieren) hat sie eben leider recht. Kein Kommentar
Der Tagesspiegel, 14. August 2006 (Brechts Todestag): Erich Mielke und des Dichters Herzschlag – Hatte Brecht vor, Strafanzeige gegen Stasi-Spitzen zu stellen? Mußte er deshalb sterben? Auf den Spuren eines seltsamen Tondokuments. Ein toter Brecht, verbrämt und verklärt zum sozialistischen Klassiker, war für die DDR-Staatsmacht vor 50 Jahren bequemer als ein lebender Brecht. Und für die Staatssicherheit? Eine Brecht-Akte in der Gauck-Birthler-Behörde … gibt es freilich nicht. Doch existiert eine … bislang unbekannte, unbeachtete Rede des Stasi-Chefs Erich Mielke, die im Ton der Abrechung Brechts Tod erwähnt: »… und daß deshalb also der bekannte Schriftsteller (Pause) und, äh, Dramaturg Brecht Strafantrag stellen wollte gegen also einen leitenden Funktionär der Staatssicherheit.« Hier hält Mielke kurz inne … und fährt in Berliner Dialekt mit falschem Dativ und Betonung auf dem zweiten Wort fort: » Und dann ist Brecht erlegen einen Herzschlag.«… Aber Werner Hecht, zu DDR-Zeiten langjähriger Chefdramaturg am BE, … der über Leben und Wirkung B. Bs. mehr weiß als jeder andere Sterbliche, sagt nur verblüfft: »Ich habe von dieser Rede noch nie gehört … Ich hätte auch vermutet, daß die den Brecht loswerden wollten. Und wenn man aus Mielkes Bemerkung den heimlichen Triumph über irgendeine Art Sterbehilfe der Stasi herauslesen und dann auch beweisen könnte, wäre das natürlich ein Coup, zumal in diesem Jubiläumsjahr!« … Eine Studie des Mediziners Hans Karl Schulten, die im Jahre 2000 die ärztlichen Befunde Brechts von 1956 noch einmal prüfte, ergab …, daß Brugsch (und andere) Brecht vor seinem Tod »statt Verordnung einer Diät und einer schon damals als obsolet angesehenen Immunisierung in ausreichend hoher Dosierung Antibiotika hätten geben müssen … Bemerkenswert bleibt immerhin, daß der Stasi-Chef, der in seinen Reden oft brutal offen als politischer Killer vom »kurzen Prozeß« gegenüber »Schuften« und »Drecksäcken« sprach, den »äh, Dramaturgen Brecht« Monate nach dessen Tod so konkret mit einem »Herzschlag« erwähnt
In den ersten Augusttagen 1956 arbeiteten Brecht und ich in Buckow an der Vorbereitung der Uraufführung des Stücks »Die Tage der Commune«. Wir arbeiteten allein, da Benno Bessons Rückkehr aus dem Urlaub sich verzögert hatte. Brecht erholte sich von einer Viruserkrankung, weshalb er immer nur zwei Stunden hintereinander arbeitete, er arbeitete aber sehr intensiv und mit Spaß. Als eine deutliche Schwächung eintrat, schlug ich vor, die Arbeit zu unterbrechen, was Brecht ablehnte. Er kenne sich in der Medizin aus, schließlich habe er einmal zwei Semester Medizin studiert. Er selbst steuerte seinen Wagen, als wir zu einer »Kreidekreis«-Probe für die bevorstehende London-Tournee nach Berlin zurückfuhren. Brecht bat die Schauspieler über das Bühnenmikrofon, ihn nicht zu fragen, wie es ihm gehe; wenn es ihm besser gehe, werde er sich von selbst melden. Als es ihm am folgenden Sonntag schlechter ging, versuchte Helene Weigel vergeblich, Professor Brugsch zu erreichen. Am Montag rief Brecht mich an, sagte die Arbeit für Montag ab. Er wollte am Dienstag früh, also am 14. August, anrufen, um unbedingt noch eine neue Verabredung zu treffen, da er am Abend zu einer Kur zu Dr. Schmitt nach München fahren wolle. Dienstag früh waren Besson, Peter Palitzsch und ich bei Elisabeth Hauptmann, um über die Planung für die Zeit der Abwesenheit Brechts zu sprechen. Als wir bis Mittag von Brecht nichts hörten und auch im Berliner Wohnhaus an der Chausseestraße niemanden telefonisch erreichten, baten wir Dr. Tsouloukidse, den Theaterarzt, nach Brecht zu sehen. Dr. Tsouloukidse rief gleich zurück, daß Brecht einen Herzinfarkt habe, der, da schmerzlos, wahrscheinlich schon vier Tage alt sei. Er verständigte das Regierungskrankenhaus, das sofort Ärzte und Geräte schickte, und Dr. Tsouloukidse bat uns, bestimmte Medikamente in Westberlin zu besorgen. Besson fuhr sofort los, und da er keinerlei Papiere zum Grenzübertritt hatte, sagte er den Sicherheitskräften an der Grenze am Brandenburger Tor: »Genosse Brecht ist in Lebensgefahr.« Er konnte sofort passieren, bekam die Medikamente, aber jede Hilfe kam zu spät. Werner Hecht war übrigens nie Chefdramaturg am BE. Er hat Brecht nie persönlich kennengelernt
Erschienen in Ossietzky 3/2007 |
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