Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Theaterbrief aus MünchenJochanan Trilse-Finkelstein An der Münchener Flaniermeile Maximilianstraße stehen sich die Kammerspiele und das Residenztheater beinahe gegenüber, nachbarlich, aber sehr anders. Seit Erich Ziegel und Otto Falckenberg über Hans Schweikart bis Dieter Dorn waren die Kammerspiele stets das bessere Theater, hatten das modernere Repertoire und vor allem die gescheiteren, geschickteren Schauspieler. Das Residenztheater stand eher für Repräsentation. Vor einigen Jahren hatte die Stadt den Vertrag mit Dorn nicht verlängert und Frank Baumbauer aus Hamburg berufen. Dorn wechselte auf die andere Straßenseite, ward »Staatsintendant«, nahm fast sein gesamtes berühmtes Ensemble mit und machte eben sein Theater weiter: aufklärerisch, poetisch, gemäßigt modern. Baumbauer wollte ganz modern sein, verfiel dem Mainstream, also dem »Regietheater« – und das wird eben immer provinzieller, klein an Substanz und Gestus. Ein jammervolles Beispiel: »Die Räuber nach Schiller« (Regie: Christiane Pohle). Darin ist nicht viel vom Klassiker übrig geblieben: kaum etwas vom Geschehen, eher die Tiraden von Franz und Karl und die von Spiegelberg. Die meisten Rollen sind gestrichen, die restlichen verstümmelt. Im Programmheft heißt es, die beiden Aufklärer Kant und Schiller seien »zutiefst über die katastrophalste Erfahrung ihres Jahrhunderts: den Umschlag der Französischen Revolution in Terror« erschreckt. Wer so das größte Ereignis nicht nur jenes Jahrhunderts, sondern auch des folgenden behandelt, muß in geistigem Sumpf landen. Bei Franz werden in dieser Inszenierung seine Religionskritik wie sein Rationalismus negativ herausgestellt, und Karl ist nur noch Räuberhauptmann. Die Vergleiche, mit denen die Inszenierung die Ursächlichkeit deutschen Versagens in NS-Zeit und Nachkrieg bis zu den Achtundsechzigern zeigen will, hinken so, daß sie gar nicht mehr gehen können. Solche Herabwürdigung hat Schiller nicht verdient. Den Schiller-Figuren waren Sätze des norwegischen Autors Mathias Feldbakken aus dem Roman »Macht und Rebel« in den Mund gelegt. Warum nicht gleich diesen Roman auf die Bühne der Kammerspiele bringen? Ein Schorsch Kamerun versuchte sich an der Adaption. Ihn interessierte weniger der Antikapitalismus des Romans oder die Verkommenheit der einstigen Subkultur, die heute Geschäfte macht, sondern der Nihilismus des Helden, also Rebel. Dafür gewann er den großen Schauspieler Sepp Bierbichler, der gern Opposition macht. Doch diese dünnleinene Figur vermag selbst er nicht auszufüllen – Rebell nur mit einem l! Die bescheidene Musik holt auch nichts heraus. Viel Vorschußlorbeeren erhält zur Zeit Jon Fosse: »Nach Ibsen der wichtigste und erfolgreichste Dramatiker Norwegens«. Höher geht es eigentlich nicht. Mich überzeugt eher der Lyriker. Zumindest die poetische Sprache. Sein Stück »Schatten« (Regie: Laurent Chétouane) spielt in einer Art Unterwelt. Eine Gruppe von sechs Menschen erinnert sich, spielt Szenen aus ihrem früheren Leben. Chétauane: »Was wir aus dem Zuschauerraum heraus erleben, ist ein von Toten gespieltes Theater. Diese Toten spielen mit dem, was wir ›Leben‹ nennen.« Doch das spielt sich nicht leicht. Die sechs Darsteller stehen mehr oder weniger geistreich kostümiert herum oder schreiten steif in einem wenig inspirierenden Raum umher. Keiner findet auch nur einen Moment eine Art überirdischen Ton, Hildegard Schmahl einige Male ausgenommen. Da bleibt nur bleierne Langeweile. Trotz aller Enttäuschungen noch einmal in diese Kammerspiele: Tschechows »Drei Schwestern«. Dieses Stück ist im Grunde nicht zu verderben, weil es so gut ist. Verheben kann man sich dennoch. Gespannt war ich auf Andreas Kriegenburg, Enfant terrible der Regie. Mit Einfällen und Ungezogenheiten allein geht es hier nicht. Kriegenburg hat sehr sauber beobachtet und seinen Text gelesen, Bilder gefunden (eigene Szenografie) und einen grandiosen ersten Akt geliefert: der goldene Käfig, der Puppensarg, die Lichtblume mit dem unfruchtbaren Loch, aus dem Nuß-Schalen herausfallen statt des befruchteten Lebens. Eine knappe halbe Stunde findet Welttheater statt. Aber das läßt sich nicht halten. Trotz etlicher anderer großer Bilder des Gefesseltseins wie die Wäscheberge im Finale. Und trotz kraftvoller Expressivität mancher Akteure. Einen Werschinin wie weiland Wolfgang Langhoff gibt es heute offenbar nicht mehr, auch nicht international, Bernd Grawert deutet die Gestalt kaum an. Überhaupt kommt wenig von den Männern. Die Schwestern selbst (A. Paulmann, S. Krappatsch, K. Schubert), die sich offenbar der besonderen Sorgfalt des Regisseurs erfreuen durften, reichen am ehesten an Tschechows kleine große Frauen heran. Auch an die russisch-vorrevolutionäre Zeit um 1900 wie an die gleißend überblendete graue Gegenwart in Rußland. Ohne plumpe Gewaltsamkeit. Über allem Gram ein Licht der Hoffnung. Die halbe Stunde im ersten Akt lohnt schon die Reise nach München – wann sieht man heutzutage noch so etwas? Zwei Abende verbringe ich auf der anderen Seite der Maximilianstraße – einmal in der Antike und einmal im 19. Jahrhundert. Zuerst die »Medeia« des Euripides (Schreibweise nach der Übersetzung von Peter Krumme) in einer Inszenierung von Tina Lanik. Einen mythisch-halbgeschichtlichen Raum schuf Magdalena Gut. Das Argonautenschiff hat Wucht, ist ein Zeichen. Neben einer noch zu nennenden Ausnahme ist es das einzige, was halbwegs dem Stoff und dem Stück angemessene Größe hat. Bin ich im falschen Theater? Hier mißlingt wieder das, was ich eben in Kriegenburgs erstem Akt so gerühmt habe: das Hervorgehen von Heutigem aus dem Alten, dem Mythischen. Statt dessen viel Unterwäsche von heute. Wenn Stephanie Leue so herumsteht, ist das zu traurig-niedlich. Man glaubt ihr keine Medeia – da steht eher Frau Meier von nebenan, die grad einen Ehekrieg hat. Wenn Dichtung nach 2500 Jahren noch wirkt, muß das seine Gründe haben: Themen und Konflikte langer Zeitläufe sind Gestalt und Form geworden – das verlangt Größe der Darstellung, gelingt hier aber fast keinem. Rainer Bock als Jason hatte sicher einen Mittelmaß-Mann im Sinne, der Macht hat und mehr haben will, und das kommt noch ins Bild; doch G. Lamprecht als Kreon und selbst St. Hunstein als Aigeus kommen über TV-Star-Manieren kaum hinaus. Einzig Lena Dörrie als Bote hat – trotz der dämlichen Turnschuhe und der überflüssigen Sonnenbrille – den großen Moment. Während ihres Botenberichts habe ich die Gewißheit, in einer antiken Tragödie zu sitzen. Das sind die Sternminuten der Aufführung. Und diese »Medeia« schneidet immer noch besser als die des Deutschen Theaters Berlin. Den Abschluß bildet Ibsens selten gespielter »Brand«. Was mag der Grund für das Residenztheater gewesen sein, dieses Stück aufzunehmen? Der Gedanke des Aufbruchs aus der Plattheit einer »Bleiernen Zeit«? Eines radikalen Aufbruchs, der mit Opfer und Selbstopfer verbunden ist? Das Vorbild, ein Gustav Adolf Lammers, war ein religiöser Eiferer, den Ibsen nicht verschont. Der Dichter, der in Italien selbst in Aufbruchstimmung gelebt hat, richtet Radikalkritik gegen sein eigenes Volk, gegen das eigensüchtige Bürgertum. Thomas Langhoff eliminiert in seiner Inszenierung die innerchristliche Thematik: Ihm kommt es mehr auf eine Kritik am realen heutigen Kapitalismus und auf den Versuch zum Aufbruch an, aber es ist ein Aufbruch, dem das Utopische, ja Illusionäre mächtig anhängt. Die Aufführung muiß als eine ausgewogene, geglückte Ensemble-Leistung gewürdigt werden.. Die fast gleichen Spieler wie in »Medeia« sind wie ausgewechselt: Hunstein als Brand, Leue als Agnes, Rainer Bock als Landrat und andere aus dem bewährten Ensemble, die wirklich auf dem Posten sind: Heide von Strombeck, Arnulf Schumacher, Stefan Wilkening und andere. Die Szene von Stefan Hagemeier vermittelt sowohl Eiszeit wie Aufbruch in Weite und Höhe. Man begreift einen Kernsatz: »In der Pflicht erfriert die Seele.« Die ganz große Linie sollte wohl die biblische Erzählung von Abraham und Isaak bilden, so wie sie der Philosoph Sören Kierkegaard erzählt hatte – die Befreiung von einem furchtbaren Gesetz, dem des Kindesopfers, freilich mit dem Hintersinne, daß große Geschichte und Aufbrüche nicht ohne Oper zu haben sind. Soweit, so gut! Doch mit einem eher poetischen als klaren Denker schleichen sich Verschämtheiten und Dunkelheiten ein. Darum: Es war ein bemerkenswerter Theaterabend, eine Bereicherung eines ausgelutschten Repertoires – eine Sternstunde des Theaters war es nicht.
Erschienen in Ossietzky 2/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |