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Das kleine Bild ist Teil der Ausstellung »Wahnsinn Sammeln – Outsider Art aus der Sammlung Dammann«. 70 Werke »psychiatrieerfahrener« Künstler zeigt bis zum 22. April das Hamburger Barlach-Haus in Kooperation mit der Sammlung Prinzhorn der Uniklinik Heidelberg. Das Basler Ehepaar Dammann hat diese Bilder und Objekte erworben. Outsider-Art – eine Fortentwicklung des von Jean Dubuffet geprägten Begriffs »Art Brut« – ist zum Sammelobjekt geworden, vermarktet auf Kunstmessen. Fünf Mark für ein Unica-Zürn-Aquarell – das war einmal. Die Künstler, oft Anstaltsinsassen, haben am wenigsten davon. August Walla, der von 1936 bis 2001 lebte, lange Zeit in der Landesnervenklinik Gugging bei Wien, aus der ein Teil der Exponate kommt, wurde dort von dem Psychiater Leo Navratil entdeckt, der ihn zu vermarkten begann, den »August«, wie er ihn nennt. Der Beitrag im Katalog zur Ausstellung über Walla stammt von Navratil. Allerdings mit dem kritischen Hinweis der Herausgeber (Thomas Röske, Bettina Brand-Claussen und Gerhard Dammann), daß der »auf magische Welten fixierte Psychiater die Dimensionen dieser Katastrophe« nicht wahrzunehmen vermochte. Immerhin erfährt der Leser so nebenbei, daß Walla, als er sieben Jahre alt war, also 1943, im Erziehungsheim »Am Spiegelgrund« begutachtet wurde. Er überlebte wohl nur, anders als viele Kinder dort, die umgebracht wurden, weil er in ein anderes Heim kam. Theodor Wagemann galt als schwachsinnig und wurde von den Nazis zwangssterilisiert. Später, so erfahren wir, habe er immer wieder Hitler gezeichnet und seine Bilder mit Namen und Kommandos versehen. Ausgestellt ist nur ein religiös anmutendes Blatt. Kirche oder Militär und Krieg als Auslöser für psychische Erkrankungen – immer wieder drängen sich beim Lesen der Lebensläufe diese Einflüsse auf. Doch manche Psychiater interpretieren in die Bilder der schwer Verstörten nur ihre eigenen Obsessionen hinein. So sah Navratil 1965 in der Zeichnung seines Patienten Wilhelm nicht die Granaten und Kreuze und den Spaten des Totengräbers, sondern die »gebärende Urhöhle, das Sinnbild des mütterlichen Schoßes«, und die Granaten sind bei ihm Insekten, die »in phallusähnlicher Gestalt das männliche Wesen« darstellen. Michel Nedjar, 1947 in Frankreich geboren, Sohn eines jüdischen Schneiders aus Algerien. Fast seine gesamte Familie wurde von den Nazis in Konzentrationslagern ermordet. Er, der als Kind gerne mit Puppen spielte, schafft sich nun Gefährten, verletzt wirkende Fetisch-Figuren aus Abfallmaterial. Zertretene Bierdosen, alte Handschuhe, Bindfäden, Bürsten ergeben magische Wesen. Seine Bilder und Collagen spiegeln sein Trauma wider. Ein Mann, schwarz, der Körper wie verkohlt, ein Schaf in sich bergend. Oder ein Mensch als Abdruck nur auf Zeitungspapier. Ein Teil der Kunstwerke stammt aus dem Atelier »La Tinaia« in Florenz, einer 1964 gegründeten Einrichtung, die psychisch Kranken ein unabhängiges, freies Zusammenleben und Arbeiten ermöglicht – ohne schwere Psychopharmaka und andere Zwangsmittel. Die großen farbstarken oder düsteren Bilder von Giordano Gelli, 1928 geboren, zeigen zwei Menschen, in Konfrontation sich gegenüberstehend oder durch ein schwarzes Tuch miteinander verknüpft. Ein weißes Pferd kann zum Verbündeten des Paares werden – wie eine Vision im Dunkel. Gellis Tonskulpturen wirken archaisch grimmig. Seine schrecklichen Erlebnisse während des Krieges hatten ihn in die Psychiatrie gebracht. Die 1946 in Florenz geborene Franca Settembrini kam 1976 zur »La Tinaia«-Werkstatt, versuchte, sich durch Malen zu beruhigen. Ihre neben einem roten Vogel schlafende Frau im grellen Kleid wird bedroht vom »grauen Gespenst«, das mit gefletschten Zähnen über ihr hockt. Die »Feministinnen«, schwarz, mit wildem Haar und erhobenen Händen, aufbegehrend in schreiendem Rot – in ein katholisches Institut paßten sie wohl nicht. Als die Künstlerin 1984 dorthin verlegt wurde, verbot man ihr das Malen. Adelheid Duvanel, 1936 in Basel geboren, wurde schon als Jugendliche psychiatrisch behandelt. Sie ist heute fast nur als Schriftstellerin bekannt. Peter von Matt schrieb über sie. Als bildende Künstlerin, die zartfarbige, versponnene Zeichnungen hinterließ, die Geschichten zu erzählen scheinen, ist sie noch zu entdecken. Viele ihrer Bilder sind jedoch verschollen oder wurden von ihrem Ehemann zerstört, der auch Maler war, in konventionellem Stil. Adelheid Duvanel starb 1996. Man hat sie mit Sylvia Plath oder Anne Sexton verglichen und mit Robert Walser. Mit ihm teilt sie auch ihren absurden Tod. Man fand sie erfroren im Wald, nicht im Schnee – im Juli. (Katalog 224 Seiten, 24 Euro)
Erschienen in Ossietzky 2/2007 |
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