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Zu den vierzehn Vortragenden zählen: Jens Reich, Konrad Weiß, Marianne Birthler, Vera Lengsfeld, Markus Meckel, Rainer Eppelmann, Friedrich Schorlemmer und Joachim Gauck. Sie werden unter anderem schildern, wie sie in Gegnerschaft zur DDR-Diktatur gelangten, wie sie im Herbst 1989 zur deutschen Einheit und zu Vorstellungen eines ›dritten Weges‹ – zwischen DDR und Bundesrepublik, zwischen Marxismus und Marktwirtschaft – standen.« Leider erfahre ich die frohe Botschaft zu spät, sonst hätte ich unbedingt an Ort und Stelle hören wollen, wie revolutionär Herr Eppelmann gewesen ist und welchen dritten Weg zwischen Marxismus und Marktwirtschaft Frau Lengsfeld ging. Ich kenne leider nur unsere Vorstellungen vom dritten Weg aus dem Jahr 1956, als unsere revolutionären Genossen von Harich bis Janka in Bautzen verschwanden und danach weder staatlich gaucken noch ministrabel wie Eppelmann werden durften, die als »führende DDR-Oppositionelle« (Originalton FAZ) die DDR in die Entindustrialisierung sowie Massenarbeitslosigkeit führten, Kriege bis zum Hindukusch inbegriffen. Wir wissen aus den Geschichtsbüchern: Schon Napoleon setzte die Revolution mit Kriegszügen bis zum bitteren Ende fort. In Chemnitz übrigens lehrt nicht nur Eckhard Jesse, der »zehn Jahre danach« seine intellektuelle Revolutionsgarde von 1989 zur Siegesfeier um seinen Lehrstuhl versammelte, in der Stadt befindet sich auch der berühmt-berüchtigte Marx-Kopf, sächsisch Nischel genannt, von dem in wachhabenden Staatsschutzkreisen geraunt wird, der Alte rüste sich, demnächst für seinen Weg zwischen Marxismus und Marktwirtschaft zu demonstrieren. Aber Spaß beiseite. Was den »Dritten Weg« betrifft, verdanken wir diesen Begriff wie auch den vom »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« polnischen Genossinnen und Genossen. Als Ernst Bloch 1957 die Worte benutzte, verdächtigte Erich Mielke ihn des Trotzkismus. Bloch konnte das erst später bei einer Rede im Trierer Geburtshaus von Karl Marx klarstellen. Mag sein, Jesses »führende DDR-Oppositionelle« von 1989 wissen nichts darüber. Vielleicht sollte man 2009 eine treffendere Vortragsreihe in Chemnitz ansetzen, schließlich gibt es eine ganze Anzahl erinnerungswerter mit der Stadt verbundener Oppositioneller, alles Juden übrigens, Herr Professor! Genannt seien Walter Janka, in Chemnitz geboren, 1933 inhaftiert in Bautzen und im KZ Sachsenburg, 1957 in Ostberlin mit fünf Jahren Zuchthaus bestraft. Leo Bauer, in Chemnitz aufgewachsen, 1933 verhaftet, 1952 in Ostberlin durch das sowjetische Militärtribunal zum Tode verurteilt, später zu 25 Jahren Arbeitslager begnadigt. Nicht zu vergessen die Chemnitzer Stefan Heym und Stephan Hermlin, deren antifaschistischer Widerstand erst die Voraussetzungen schuf, daß 1989 bürgerliche Oppositionelle zu Wort kommen konnten, wenn es auch befremden muss, wie pünktlich zum Beispiel Vera Lengsfeld oder Rainer Eppelmann ihren Pazifismus mit dem Ende der DDR ins Kriegerische verwandelten. Soeben erschien im Kai Homilius Verlag der Band »Zwischen Aufbruch und Abbruch – Die DDR im Jahre 1956«. Falls die revolutionäre Garde um Professor Jesse etwas über ihre fernen Vorgänger erfahren möchte – aus diesem Buch könnten sie lernen, was es mit dem dritten Weg auf sich hat, einschließlich des Holzweges der Kolonisierung von 1989. Da das Chemnitzer Umland mit Mulde und Pleiße meine Geburtsheimat ist, die ich wegen meines Engagements für den dritten Weg 1957 verlassen musste, stehe ich dem dortigen aus dem Westen zugereisten Politwissenschaftler und seinen tapferen DDR-Oppositionellen gern für historische Auskünfte zur Verfügung, zumal in Sachsen wie dem gesamten Osten in Widerstandsfragen vorwiegend verordnete Lücken klaffen; das betrifft schon die Kriegsfrage von 1914 an. Auch habe ich als früher Oppositioneller von 1956/57 Fragen an die DDR-Oppositionellen von 1989, zum Beispiel was sie heute von ihrer Revolution halten in einem Land, das von der Jugend verlassen, von Industrie und Arbeitsplätzen befreit, von Hausärzten entblößt wird. Was erleben wir denn: Fabriken schließen, Ortschaften versteppen, ganze Siedlungen geraten unter die Abrißbirne, eine Bevölkerung, die 1989 noch hoffnungsfroh auf den Westen blickte, verfällt der Lethargie oder den braunen Lemuren, weil der allgemeine Rückbau durch Parteien und Staat längst einkalkuliert ist. Sollten wir DDR-Oppositionellen von vorgestern und gestern nicht einmal beim Marx-Nischel in Chemnitz darüber beraten, wo der Hase im Pfeffer liegt? Chemnitz, das goldene Tor zum Erzgebirge, war Mittelpunkt einer hochentwickelten Industrie- und Kulturlandschaft – sind da nicht wirkliche Revolutionäre gefragt, die voraussetzungslos bereit sind, es erneut dazu werden zu lassen? Auch ich setzte 1989 auf den dritten Weg zwischen Marx und Marktwirtschaft. Damit war alles andere als die Liquidierung sozialer Absicherungen gemeint. Doch jetzt erleben wir die Verödung eines Landstrichs zum Altersheim der Republik. Also wende ich mich direkt an den Professor und Politikwissenschaftler für Totalitarismusforschung, den Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung, Mitarbeiter der rechtsextremen Zeitschrift Mut , Extremismusexperten der Bundeszentrale für Politische Bildung, des Innenministeriums und des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit der Frage, ob es nicht höchste Zeit wäre für eine Chemnitzer Vortragsreihe zur prekären Lage im Lande Sachsen und zu den Hemmnissen der Vereinigung, Als Wehrmachtsdeserteur vom August 1944, DDR-Oppositioneller von 1956/57, als kritischer Schriftsteller in der DDR, der Bonner und Berliner Republik hätte ich einiges vorzubringen, woran es bei Frau Lengsfeld und Herrn Eppelmann mangelt: eine durchgängige Antikriegshaltung, die dem totalen Krieg die Waffenlosigkeit des totalen Friedens entgegenzusetzen wagt, statt nach jeder Niederlage erneut aufzurüsten und Bomben zu werfen. Die Konsequenz des dritten Weges ist die Sabotage jeder Kriegsgesellschaft. Wäre das nicht auch eine bedenkenswerte Aufgabe für einen Politikspezialisten? Der dritte Weg übrigens mag in Europa versäumt und verleumdet worden sein, in Lateinamerika und China wird er offenbar erfolgreich erprobt. Blühende Landschaften entstehen dort, wo Menschen die Abenteuer des Neuen suchen und nicht die alten kalten und heißen Kriege fortsetzen. Es wäre klüger, vom Marx-Denkmal aus in diese aufstrebenden Länder zu blicken, statt im Zustand der von den Ruinenbaumeistern verhängten Destruktion zu verharren. »In Mumien verliebt die einen, die andern in Gespenster«, so der Sachse Nietzsche, der das »eine rechte Schweineart« nannte.
Erschienen in Ossietzky 2/2007 |
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