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Demnächst sind es einhundert Jahre her, seitdem Rosa Luxemburg im März 1907 die vorausgegangene Reichstagswahl als Abschied der deutschen Liberalen vom Gedanken an eine friedliche internationale Entwicklung charakterisierte, als Hinwendung zur »Weltpolitik« im Sinne von »Militarismus, Marinismus, Kolonialpolitik«. Was war damals im Verhalten des deutschen Bürgertums geschehen, das Anlaß zu einem solch weitreichenden Urteil gab? Eine aus Sozialdemokratie und Zentrum bestehende Mehrheit hatte am 13. Dezember 1906 den von der Regierung eingebrachten Nachtragshaushalt abgelehnt, der sich aus dem seit 1904 andauernden südwestafrikanischen Kolonialkrieg ergeben hatte. Bei der SPD folgte diese Entscheidung aus der innerparteilich nicht mehr unumstrittenen Ablehnung der Welt- und Kolonialpolitik der regierenden Kreise. Das 1870 gegründete katholisch-konservative Zentrum hatte sich seit einiger Zeit mit Mißständen, Verbrechen und Kosten deutscher Kolonialpolitik auseinandergesetzt. Dabei war Matthias Erzberger, Mitglied des Reichstags seit 1903, erstmals hervorgetreten. Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow, seit 1900 in diesem und im Amt des preußischen Ministerpräsidenten, verlas nach der Abstimmungsniederlage die kaiserliche Verfügung zur Auflösung des Reichstages und zu Neuwahlen. Er hatte seit dem sozialdemokratischen Wahlerfolg von 1903 auf eine Gelegenheit gewartet, mit einem solchen politisch-parlamentarischen Manöver »einen besser zusammengesetzten Reichstag« zu erhalten. Worauf konnten Bülow und sein Umfeld Ende 1906 die Zuversicht auf eine Wende gründen? Zunächst darauf, daß mit den internationalen Wirkungen der russischen Revolution von 1905 darunter der Massenstreikdebatte in der deutschen Arbeiterbewegung sich der entschiedene Antisozialismus bis in kleinbürgerliche Kreise verbreitete und vertiefte. Zudem boten der mit dem militärischen Einsatz und den Opfern in den »Schutzgebieten« geschürte Nationalismus und ein kriegerisch gestimmter, weltpolitischer Enthusiasmus neue Möglichkeiten der Massenbeeinflussung. Die Vorspiegelung äußerer Bedrohung und internationaler »Selbstbehauptung« erwies sich wie zuvor und seither als nützlich, um von inneren sozialen Konflikten abzulenken sowie demokratische Bestrebungen zurückzudrängen. Mit dem Entstehen der Nationalliberalen Partei 1867 waren einflußreiche großbürgerliche Kreise auf die Bismarcksche Strategie zur Gründung des Deutschen Reichs eingeschwenkt. Die nicht verpreußten Liberalen der »Linksliberalismus« oder »Freisinn« waren vor 1907 im Reichstag mit 36 Abgeordneten der Freisinnigen Volkspartei, der Freisinnigen Vereinigung und der (Süd-) Deutschen Volkspartei vertreten. Sie stritten seit den 1890er Jahren miteinander vor allem über das Verhältnis zur Arbeiterbewegung sowie zur Welt-, Kolonial- und Rüstungspolitik. Unter dem Einfluß des imperialen Zeitgeistes, der auch ihre Wähler und Anhänger erfaßte, gaben sie liberaldemokratische und progressive Positionen und Forderungen zunehmend auf. Im März 1906 verstarb Eugen Richter, der als Führer der Freisinnigen Volkspartei letzter namhafter bürgerlicher Gegner deutscher Kolonialpolitik geblieben war. Der Gründer und Direktor der Deutschen Bank, Georg von Siemens, hatte als Reichstagsabgeordneter der Freisinnigen Vereinigung seit den neunziger Jahren auf die Bejahung der Expansionspolitik gedrängt. 1903 war Friedrich Naumann zu dieser Partei gekommen, der in den Jahren zuvor als Führer des Nationalsozialen Vereins (seit 1896) und als politischer Schriftsteller auf deutsche Machtpolitik und Weltgeltung gerichtete Leitbilder eingebracht hatte. Die im Freisinn an der Spitze nachrückenden Politiker zeigten sich mehrheitlich bereit, gegen einzelne politische Zugeständnisse ihr grundsätzliches Nein zur Flotten- und Heeresrüstung sowie zu globaler Expansions- und Kolonialpolitik aufzugeben. Mitte Oktober 1906 hatten liberale Publizisten angesichts der Köpenickiade des Schusters Wilhelm Voigt noch mit Schadenfreude die Blamage des von ihren junkerlich-konservativen Gegnern dominierten Militärs kommentiert. Die hundertste Wiederkehr des Tages der Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt bot dafür einen geschichtsträchtigen Hintergrund. Die eigentliche antimilitaristische Bewährungsprobe lag jedoch für die verbliebenen Liberalen nicht in den Spalten der Feuilletons, sondern bei den anstehenden Entscheidungen über eine von Exzessen begleitete Kolonial- und Weltpolitik sowie über wachsende Steuerlasten für die weitere Hochrüstung. Sie wurde nicht bestanden. Die Mehrheit des Freisinns war nach der Auflösung des Parlaments darauf aus, sich der Aufnahme in eine als national zuverlässig geltende Regierungsmajorität würdig zu erweisen. Der Wahlkampf und die Tage der Haupt- und der Stichwahlen 25. Januar und 5. Februar 1907 mußten über den Ausgang des von der Regierung inszenierten weltpolitischen Abenteuers entscheiden. Schon am 14. Dezember 1906, dem Tag nach der Auflösung des Parlaments, lagen in der Reichskanzlei »Vorschläge zur Führung des Wahlkampfes durch die Regierung« vor: »Die Verhandlungen mit den Parteien müssen sofort stattfinden, denn wenn etwa erst Konservative und Freisinnige im Lande gegeneinander loszuschießen begonnen haben, ist eine Verständigung unmöglich.« Der Kanzler und sein Apparat griffen von Kontakten mit den Spitzen von Parteien, Fraktionen und Verbänden bis in die Wahlkreise koordinierend und vermittelnd ein. Ein Propagandafeldzug begann. Ein Komitee »Patria« und sein interfraktioneller Wahlfonds waren bereits Ende Oktober 1906 gebildet worden und wurden nun tätig. Robert Graf von Zedlitz-Trützschler, Hofmarschall beim Kaiser und preußischer Kultusminister, empfahl, »daß der Herr Reichskanzler eine Anzahl von hervorragenden Größen der Industrie und des Handels ... persönlich anregt, in ihren Kreisen die Sammlung eines solchen Wahlfonds zu organisieren«. Beim Reichskanzler wurden die Fäden gezogen und Mittel mobilisiert, unterstützt von der Kolonialabteilung, dem Reichsverband gegen die Sozialdemokratie, dem Flottenverein, einem Kolonialpolitischen Aktionskomitee und weiteren Verbänden und Institutionen. Die regierungsnahe Norddeutsche Allgemeine Zeitung setzte publizistisch die Wahldirektiven und politischen Ermahnungen der herrschenden Kaste um. Im »Silvesterbrief« einer auf Ersuchen des Reichsverbands gegen die Sozialdemokratie um die Jahreswende ergangenen Wahlbotschaft appellierte Bülow, alle bürgerlichen Kräfte gegen die SPD zusammenzuschließen. Das Zentrum galt nur insoweit als Gegner, als es an der Seite der Sozialdemokratie agierte und partiell die Kolonialpolitik der Regierung kritisierte. Für solche Eskapaden wollten ihm preußische, konservativ-protestantische Kreise bei dieser Gelegenheit einen Dämpfer verpassen. In wenigen, nationalistisch und antisozialistisch aufgeheizten Wochen überwältigten unzählige Broschüren, Flugbätter und publizistische Attacken die männliche Wählerschaft und das sonstige Publikum. Der Flottenverein versandte bis Mitte Januar knapp 20 Millionen Flugschriften, darunter »Die Wahrheit über unsere Kolonien«, »Für die Kämpfer in Südwestafrika« und »Lügen des Herrn Erzberger«. Am Handbuch für nichtsozialdemokratische Wähler des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie hatten Vertreter aller »staatserhaltenden« Parteien mitgearbeitet. In einem Wahlflugblatt der Freisinnigen Volkspartei hieß es: »Wir können und wollen unsere Truppen , die unter harten Strapazen und Entbehrungen einen tapfern und zähen Kampf gegen einen grausamen Feind führen, nicht der Not und dem Hunger preisgeben . Der Kampf muß durchgeführt werden, bis der Aufstand völlig niedergeworfen ist. Wie man auch zur Kolonialpolitik und den großen Opfern, die sie erfordert, stehen mag, darüber kann es für einen deutschen Mann keinen Zweifel geben: Unsere kämpfenden Jungen in Afrika lassen wir nicht im Stich!« Mit den Wahlergebnissen trafen in der Reichskanzlei Siegesmeldungen und patriotische Treueschwüre aus den künftigen Blockparteien, von Verbänden und Vereinen, Korporationen und Klubs, Politikern, Unternehmern und Professoren ein. »Rote Flagge über Bremen gefallen«, meldete A. Koering, Cigarren en gros: »Heil Kanzler heil«. Der Nationalökonom Karl Helfferich, Direktionsmitglied der Deutschen Bank, telegrafierte aus Konstantinopel Glückwünsche der Hoffnung, »daß wir in naher Zeit die Fortsetzung der Bagdadbahn über den Taurus in Sicherheit bringen können«. Freisinnige siegten nun »gegen schwarz und rot« oder über die »rote Internationale«, »für Kaiser und Reich« oder gar »für deutsche Ehr und deutsche Macht«; »deutsche Männer« sandten »deutsche Grüße« und so weiter und so fort. Die Wahl erbrachte jedoch für die regierenden Kreise keineswegs den erstrebten überwältigenden Erfolg. Die SPD verlor zwar 38 von zuvor 81 Mandaten. Bei sehr hoher Wahlbeteiligung sank ihr Stimmenanteil um knapp drei Prozent. Diese Verluste wurden als Sieg der nationalen Kräfte ausgegeben; sie resultierten jedoch vorrangig aus dem veränderten Stichwahlverhalten der bürgerlichen Parteien. Absolut gewann die Arbeiterpartei rund eine Viertelmillion Stimmen dazu und blieb stärkste Partei. Das Zentrum wahrte mit 105 Abgeordneten (1903: 101) seine Positionen. Der Zentralverband Deutscher Industrieller richtete am 6. Februar eine Glückwunschadresse an den Reichskanzler und bekräftigte, daß der »mit der Auflösung des Reichstags aufgenommene Kampf einzig gegen die vaterlandslose, kulturfeindliche Sozialdemokratie gerichtet sein konnte und in der Tat gerichtet war«. Dafür versichere der Verband die Regierung auch seiner künftigen Unterstützung. Wilhelm II. hatte Anfang Januar gesagt, Deutschland werde alles niederreiten, was sich ihm in den Weg stellt. Der bürgerliche Publizist Maximilian Harden bemerkte dazu wenig später, vor der Stichwahl: »Wer die kaiserliche Terminologie noch nicht kennt, konnte glauben, ein neidischer Nebenbuhler des Reiches solle niedergeritten werden. Wir hatten verstanden, daß Wilhelm wieder der Sozialdemokratie Vernichtung androhte; der Partei, für die sich soeben ein Drittel aller deutschen Wähler erklärt hatte.« Post festum wurde eine Sponsoren- und Beitragsliste für den Wahlkampffonds dem Kaiser vorgelegt, der »seiner hohen Anerkennung für die Opferwilligkeit der Spender Ausdruck« verlieh. Bald wurden Politiker der Freisinnigen stärker bei Ordensverleihungen berücksichtigt, denn Bülow erblickte »hierin ein nicht zu unterschätzendes Mittel, um die Herren bei guter Stimmung zu erhalten«. Aus der Reichstagswahl ging der Bülow-Block hervor, in dem der Freisinn, Nationalliberale sowie Deutsch- und Freikonservative über 220 von 397 Mandaten verfügten. Diese Mehrheit verabschiedete unter anderem das Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908 sowie Neufassungen des Börsengesetzes und der Bestimmungen gegen Majestätsbeleidigung. Der Block scheiterte dann im Sommer 1909 an der Reichsfinanzreform: Theobald von Bethmann Hollweg löste Bülow als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident ab und führte das Reich in die Militärdiktatur und die Verbrechen des Ersten Weltkriegs. Die sogenannte Hottentottenwahl von 1907 war der Schlußpunkt eines historischen Prozesses, in dem der deutsche Liberalismus zivilistische, dem militärischen Griff nach Weltmacht widersprechende Ideen beiseite ließ und sich zum imperialen Politikmuster bekannte. Das hatte langfristige Folgen in der Weimarer Republik, als die bürgerlichen Parteien dem aufkommenden Faschismus nichts mehr entgegenzusetzen hatten; zu Beginn des »Dritten Reiches«, als die Liberalen im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zustimmten; und bis heute, wo die liberalen oder liberal gewordenen Parteien wie auch ihre im Reichstag sich aufhaltenden Parlamentarier keinerlei Neigung zeigen, den globalen Militäreinsatz der Bundeswehr grundsätzlich in Frage zu stellen. Hottentotten sind nicht mehr im deutschen Visier, aber weltweit wimmelt es von Terroristen wer will da schon durch Drückebergerei auffällig werden? Und die einstigen »Reichsfeinde«, die Sozialdemokraten, üben sich längst in nationalmilitärischer Loyalität; von den Zentrumsnachfolgern in den Unionsparteien ganz zu schweigen. Professor Dr. Ludwig Elm hat an der Universität Jena Geschichte gelehrt. Er hat zehn Jahre der DDR-Volkskammer und vier Jahre dem Bundestag angehört.
Erschienen in Ossietzky 2/2007 |
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