Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Intelligenz und VorurteilThomas Rothschild Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit – wo sollte dieser Grundsatz, den wir aus der Eidesformel vor Gericht kennen, gelten, wenn nicht in der Wissenschaft? Hat diese nicht sich selbst aufgegeben, wenn sie sich nicht der bedingungslosen Wahrheitssuche und -verkündung verpflichtet? Und doch… Als unter Idi Amin 30.000 Asiaten mit britischem Paß aus Uganda nach England flohen, ging die Jahre zuvor selbst emigrierte berühmte österreichische Soziologin Marie Jahoda mit ihren Studenten für das britische Innenministerium in die Flüchtlingslager. Bei ihren Untersuchungen dort stellte sich heraus, daß die Asiaten starke Vorurteile gegen die Afrikaner in Uganda hatten. Marie Jahoda verhinderte gegen den Widerstand von Studenten, die auf eine erste wissenschaftliche Publikation gehofft hatten, die Veröffentlichung des Berichts, weil es die Lage der Flüchtlinge, die es ohnedies schwer hatten, verschlimmert hätte, wenn bekannt geworden wäre, daß sie nicht nur Opfer von Rassenvorurteilen waren, sondern selber solche hegten. Ihr Prinzip war, nichts zu veröffentlichen, was anderen Menschen schaden könnte. Sie stand bis zu ihrem Lebensende zu der Überzeugung, daß Sozialwissenschaftler Resultate ihrer Arbeit zurückzuhalten hätten, wenn diese den Untersuchten mehr Elend als Gutes bescherten. In dieser Allgemeinheit kann man Marie Jahoda nur zustimmen. Ihr Prinzip spricht für eine bewundernswerte Moral, die heute, nicht nur in den Wissenschaften, selten geworden ist. Aber nicht immer läßt sich so eindeutig entscheiden, was wem schadet. Dem Plädoyer für die Unterdrückung oder Zurückhaltung problematischer Wahrheiten ließe sich entgegenhalten, daß sie irgendwann doch ans Licht kommen und die Tatsache ihrer Unterdrückung dann mehr Schaden anrichtet, als sie selbst hätten bewirken können. Bleiben wir beim Beispiel der Vorurteilsforschung. Wer sich mit diesem Thema beschäftigt, nähert sich seinem Gegenstand meist selbst mit dem Vor-Urteil, daß Vorurteile schädlich und zu bekämpfen seien. Die überwiegende Zahl der Vorurteilsforscher bemüht sich deshalb um Beweise für die Unrichtigkeit von Vorurteilen. Was aber, wenn sich zeigen ließe, daß Vorurteile stets einen »richtigen« Kern haben, der sich historisch erklären läßt? Daß die Übertragung statistischer Aussagen auf einzelne Individuen unzulässig ist, sollte sich von selbst verstehen. Wenn man jedoch Vorurteile als statistische Aussagen wertet, wenn man sie als Verallgemeinerungen von nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zusammenhang erkennbaren zutreffenden Beobachtungen und Einsichten analysieren und interpretieren kann, wenn man nachweisen kann, auf welchen Realien sie beruhen und wie diese verzerrt wurden – lassen sich dann (abträgliche) Vorurteile nicht effektiver bekämpfen, als wenn man sie einfach als Hirngespinste denunziert? Ist Aufklärung nicht eine wirksamere Strategie als Leugnung? Gibt es so etwas wie einen Nationalcharakter? Wenn man ihn bei jedem einzelnen Angehörigen einer Nation anzutreffen erwartet, gewiß nicht. Wenn damit aber gemeint ist, daß sich in der Geschichte bei einer Nation bestimmte Eigenschaften stärker herausgebildet haben als bei anderen, dann durchaus. Das »Vorurteil«, die Schotten seien sparsam, das so viele teils freundliche, überwiegend aber diskriminierende Witze hervorgebracht hat, beruht auf der Tatsache, daß ein armes Volk in einem dünn besiedelten, vor der Industrialisierung wenig ertragreichen Land gezwungen war, mit seinen Einkünften wirtschaftlich umzugehen. Besonders in Bezug auf den Antisemitismus sind Vorurteilsforscher peinlich darauf bedacht, ihn auf unbegründbare Vorurteile zu reduzieren. Die Panik, die das Wissen über die Folgen des Antisemitismus in der deutschen Geschichte auslöst, scheint eine nüchterne Analyse des Antisemitismus schwierig, wenn nicht unmöglich zu machen. Daß etwa das »Vorurteil«, Juden seien Geschäftemacher, zwar nicht auf jeden einzelnen Juden von heute zutrifft, seine Grundlage aber in der historischen Tatsache findet, daß Juden über viele Jahre hinweg jene Zinsgeschäfte besorgten, die den Christen verboten waren, ehe sich die keineswegs jüdische Deutsche oder Dresdner Bank um derlei kümmerte, ist allgemein bekannt und wird auch akzeptiert. Doch auch ein so feindseliges Vorurteil wie jenes, daß Juden stinken, läßt sich zurückführen auf die Vorliebe für bestimmte streng riechende Speisen, die jüdische Immigranten aus ihrer polnischen oder russischen Heimat nach Deutschland mitgebracht hatten. Das Vorurteil einer jüdischen Arroganz läßt sich unschwer ableiten aus dem für andere in der Tat provokanten Anspruch, einem »auserwählten Volk« anzugehören. Und das schmeichelhafte Vorurteil, Juden seien überdurchschnittlich musikalisch begabt und überdurchschnittlich intelligent, verdankt sich wohl einerseits der Tatsache, daß sie durch Berufsverbote in erhöhtem Ausmaß in künstlerische und intellektuelle Berufe abgeschoben wurden und daß sie andererseits gezwungen waren, sich durch intellektuelle Anstrengung gegen den grassierenden Antisemitismus zu schützen. Das könnte im Übrigen erklären, warum diese »jüdische Eigenschaft« in Israel den internationalen Durchschnittswerten an Dummheit gewichen ist. Nur ein böswilliger Leser kann dies mißverstehen als Behauptung, die Juden seien am Antisemitismus selbst schuld. Um Schuld geht es hier überhaupt nicht. Sondern um die Erklärung von Zusammenhängen, von Kausalitäten, von historischen Bedingungen. Schuldzuweisungen und Entlastungsbemühungen, also jedwede Instrumentalisierungsversuche sind in den Wissenschaften schlechte Ratgeber. Damit plädiere ich nicht etwa für eine Verabschiedung moralischer Fragestellungen, sondern für deren richtige Positionierung: Sie dürfen der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht vorgeschaltet sein. Nicht die Erforschung der Kernspaltung war das ethische Problem, sondern deren Anwendung. Anders formuliert: Nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind schädlich, sondern die Folgerungen, die möglicherweise aus ihnen gezogen werden. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Unter Linken besteht weitgehend Konsens, daß es keine biologisch bedingten Intelligenzunterschiede zwischen Menschen verschiedener Zugehörigkeit gibt. Man befürchtet, nicht ohne Grund, daß die Behauptung solcher Unterschiede als Grundlage für Bevormundung bis hin zur Vernichtung weniger intelligenter Gruppen führen könnte. Hier soll nun nicht diskutiert werden, ob es für Intelligenz, was immer das sein mag, tatsächlich genetische Voraussetzungen gibt. Hier geht es um die Frage, ob, wenn sich solche Bezüge nachweisen lassen, ihre Erforschung unterbunden und ihre Veröffentlichung verhindert werden soll. Die das befürworten, befürchten eine Diskriminierung der minder Intelligenten. Man könnte aber auch gerade umgekehrt argumentieren, daß Menschen, die genetisch bedingt mit geringerer Intelligenz geboren wurden, besonders gefördert werden müssen. Das wäre eine politische Entscheidung, die man aber hintertreibt, wenn man die Möglichkeit angeborener Unterschiede gar nicht erst untersucht. Der religiöse Glaube an einen gerechten Gott, der die Gaben auf alle Menschen gleichermaßen verteilt hat, die antimaterialistische Überzeugung, mit den Voraussetzungen von Intelligenz müsse es sich grundsätzlich anders verhalten als mit der Hautfarbe oder mit dem Schnitt der Augenlider, verhindert Maßnahmen wie die »kompensatorische Erziehung« oder die »positive Diskriminierung« und lädt den Benachteiligten die ganze Verantwortung für ihre Lage auf. Die Leugnung angeborener Unterschiede, der Verweis von »Vorurteilen« in den Bereich der Fiktion oder des aus der Luft gegriffenen Gerüchts können zu mindestens ebenso reaktionären Schlußfolgerungen verleiten wie die Vermutung, daß Gene und die Zugehörigkeit zu Kollektiven neben Sozialisation und Milieu das Leben eines Menschen wesentlich bestimmen. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Die Geschichte der Wissenschaften beweist, daß sich Forschungsergebnisse auf die Dauer nicht verheimlichen lassen, ja daß schon die Forschung allenfalls verzögert, nicht aber verhindert werden kann. Dem Versuch, problematische Erkenntnisse zurückzuhalten, ist in der Regel kein Erfolg beschieden. Darauf sollte man sich einstellen. Und alle Energie in die Abwägung und Beeinflussung der Folgen investieren, die wissenschaftliche Forschung mit sich bringt, statt die Forschung unterbinden oder verfälschen zu wollen.
Erschienen in Ossietzky 1/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |