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Takahara trauerte um Stalin wie um einen Vater. Obwohl unsere Lebensläufe sich glichen, wir beide nahezu dreißig waren, links von der Mitte seit langem, unterschied sich unser Verhältnis zu Stalin. Für mich war er eher ein Symbol gewesen als ein Mensch von Fleisch und Blut. Vorsicht! Hatte es nicht auch eine Zeit gegeben, als ein Bild von Väterchen Stalin mit der Pfeife an meiner Arbeitszimmerwand in Sydney hing? Es hing dort, bis Olga Kaplan aus Minsk es vom Haken nahm: »Laß das, dafür weißt du zu wenig.« Doch nicht jener Warnung wegen entzog ich mich der Gedenkstunde, sondern weil ich kein Japanisch verstand. Takahara aber, schon im schwarzen Anzug, blütenweißem Hemd, schwarzer Krawatte, ganz in Trauer, sah mich lange an. Ich spürte, meine Verweigerung war für ihn wie eine Gotteslästerung Stalin war tot, der große Stalin war tot, Väterchen Stalin! Schweigend durchquerte er den Garten der Steine, in sich versunken, mal hier, mal dort verweilend, und es war, als hätte für ihn die Gedenkstunde schon begonnen. »Wirf es mir nicht vor«, sagte ich ihm, »was nützte es, wo ich doch kein Wort verstehe.« Er war zu höflich, zu sehr mein Freund, zu sehr von japanischer Art, als daß er Vorhaltungen geäußert hätte. Sein Ausdruck blieb reglos, undurchdringlich, ich konnte nur ahnen, was er dachte. Trotzdem blieb ich bei meinem Entschluß, und nachdem wir uns getrennt hatten, ging ich lange noch durch die Gassen und Gärten der Stadt und sah Takahara erst Tage später unweit von Tokio wieder, dort wo sie den Flugplatz ausdehnten, eine zusätzliche Rollbahn bauten für amerikanische Jagd- und Bombenflugzeuge und die Bauern sich vor die Baufahrzeuge auf den Boden warfen, von dem sie lebten, der ihnen genommen war und wo bald in Scharen die Polizisten mit Knüppeln und Tränengas anrückten. Dort sah ich Takahara in Parka und Jeans, mit roter Armbinde am linken Arm, und wie die Bauern hatte er sich vor die Fahrzeuge geworfen, um sie aufzuhalten. Ich sah, wie Polizisten sich auf ihn stürzten, ihn auf die Füße rissen und abführten. »Takahara«, rief ich, »Takahara!« Doch mein Rufen ging im Dröhnen der Motoren unter. Er sah und hörte mich nicht, und ehe sie ihn in das Polizeifahrzeug stießen, wandte er sich, die Faust zum Gruß erhoben, den Bauern zu, die noch immer mit ihren Leibern die Rollbahn blockierten. * Wir hatten, seit ich in Berlin lebte und nicht mehr in Australien, den Kontakt zueinander verloren vergessen aber hatte ich Takahara nicht. Und als mich nach dreißig Jahren mein Weg wieder nach Japan führte, ich abermals in Kyoto bei einer Gruppe Literaten zu Gast war, die sich den deutschen Klassikern zu Ehren »Freunde von Weimar« nannte, fragte ich nach ihm sie würden ihn doch kennen, den langjährigen Kollegen. Meine Frage löste Schweigen aus. Mit undurchdringlichen Mienen saßen sie rund um den schweren Tisch der Bibliothek und vermieden, mich anzusehen. Manch einer blickte durch die hohen Fenster in den Garten hinaus zu den Hügeln unterm Himmel, andere schienen plötzlich nur für die Bücher in den Regalen ein Auge zu haben. Ich konnte es nur hinnehmen, daß sie schwiegen. »Er war mein Freund«, fügte ich leise hinzu, »der einfühlsame Übersetzer eines meiner Romane.« Ich nannte den Titel in der Hoffnung, größeres Entgegenkommen auszulösen und wirklich, daß mir am Ende die Auskunft nicht verwehrt wurde, hatte mit der in dem Roman beschriebenen Folterung eines Kommunisten in einem Gestapokeller zu tun. Der greise Gelehrte, den sie bestimmt hatten, mir zu antworten, betrachtete mich aufmerksam, ehe er den letzten Aufschrei des Gefolterten zitierte. »Stalin bricht Hitler das Genick«, sagte er verhalten, in vorzüglichem Deutsch, und leise fügte er hinzu: »Aber auch das Genick unzähliger Getreuer hat Stalin gebrochen auch Takaharas.« Auch Takaharas? Im Geiste sah ich den Freund im Garten der Steine, sah ihn wie damals, schlank, hochgewachsen für einen Japaner, mit ernstem Ausdruck und einem nachsichtigen Lächeln um die Lippen, als er sich von mir trennte und über die geschwungene Brücke, die zum anderen Ufer des Teiches führte, meinen Blicken entschwand. Takahara ein Opfer Stalins, er, der Redner jener Gedenkstunde? Der Greis nahm meinen Widerspruch lächelnd hin und erst als ich erfuhr, daß Takahara sich nach den Enthüllungen Chruschtschows von allem und jedem zurückgezogen hatte, um danach wie ein Einsiedler zu leben, begriff ich sein Lächeln als nachsichtig. Es war ein Gleichnis, als er derart von Takahara sprach. Takahara lebte, in Abgeschiedenheit zwar, aber er lebte. Seine Tätigkeit an der Universität hatte er aufgegeben, Übersetzer war er geblieben, allerdings nicht länger von Gegenwärtigem, sondern von Poesie und Prosa vergangener Epochen: Kleist, Büchner, Lenz, auch Goethe. »Besonders Goethe«, betonte der Gelehrte, »des Dr. Faustus wegen und des Bundes mit dem Teufel.« Takaharas Abkehr von der eigenen Gläubigkeit habe ein Zerwürfnis mit sich selbst heraufbeschworen und zu einer geistigen Zersplitterung geführt, die nur in der Gemeinschaft mit anderen zu lindern gewesen wäre. »Er öffnet die Tür für keinen, verwehrt uns allen das Haus. Es ist, als hätte er die Abgeschiedenheit wie ein Dornenkleid übergeworfen und glauben Sie mir, sollten Sie zu ihm vorzudringen versuchen, wird er sich auch Ihnen verweigern, wie er sich uns allen verweigert hat. Erkennen Sie nun, daß auch er ein Opfer Stalins ist?« Das war keine Frage, und, wohl spürend, daß nichts hinzuzufügen blieb, richtete der Gelehrte den Blick durch die Fenster zum Garten, über den sich wie ein Schleier die Dämmerung senkte.
Erschienen in Ossietzky 1/2007 |
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