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März identische Gründungsdokumente programmatische Eckpunkte, Satzung und Finanzordnung verabschieden. Das Projekt kann an diesen Hürden noch hängen bleiben, aber die Entschlossenheit der meisten handelnden Personen läßt erwarten, daß am 16. Juni in Berlin ein Gründungsparteitag der neuen Linkspartei stattfinden wird. An diesem Tag wird vermutlich mindestens jeder zweite Redner die Worte »geschichtlich« und »historisch« in den Mund nehmen. Außer den dort Versammelten werden die meisten Menschen in Deutschland und erst recht in Europa oder gar in anderen Erdteilen sich das entweder gar nicht oder eher schulterzuckend anhören. Damit haben sie recht. Ob eine politische Tat wirklich geschichtliches Gewicht erhält, stellt sich in der Regel erst im weiteren geschichtlichen Prozeß und in der Rückschau nach wenigstens einem Jahrzehnt heraus. Auf 100 Ereignisse, von denen die Akteure glauben, sie wohnten einer geschichtlich bedeutsamen Handlung bei, kommt eines, das wirklich geschichtlich bedeutsam ist. Die Frage, ob diese Parteigründung tatsächlich in ihrem Gewicht in eine Reihe gestellt werden kann mit der Fusion, die Mitte 1875 in Gotha stattfand, oder mit der Vereinigung von SPD und KPD in der Sowjetischen Besatzungszone im April 1946, kann getrost noch eine Weile auf Antwort warten. Die Namenswahl der neuen Partei vergrätzt viele Linke. »Die Linke« auch noch in Großbuchstaben ist durch die Wahl des bestimmten Artikels »die« ein in den Parteinamen gegossener Alleinvertretungsanspruch. Vielleicht ist die Großmäuligkeit, die da zum Ausdruck kommt, nur aus dem Eifer und Überschwang des schwierigen Fusionsprozesses zu erklären wir werden sehen. Damit sind wir schon bei einer zentralen Erwartung derjenigen Linken, die im ersten Halbjahr des neuen Jahres nicht Stunde um Stunde auf einer der unendlich vielen Beratungen verbringen werden, die solchen Vereinigungen vorangehen: Nicht so dick auftragen, bitte! Eine parlamentarische Kraft links von der SPD kann die Bedingungen für die Durchsetzung einer anderen Politik in diesem Land verbessern aber diese Partei wird weder der Nabel der Welt noch der Nabel der Bewegung sein. Entweder sie gedeiht in Demut und Bescheidenheit, oder sie gedeiht nicht. Ein längst verstorbener politischer Denker aus Westdeutschland war erst 25 Jahre alt, da wußte er schon: »Die gesetzgebende Gewalt macht das Gesetz nicht, sie entdeckt und formuliert es nur.« (Karl Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, in: MEW 1, S. 260). Wenn das weiterhin richtig ist nichts spricht dagegen , dann steht die Bescheidenheit dieser neuen Organisation ungewollt schon im Paragraphen 1 ihrer Satzung, die für die neue Partei als Daseinsbestimmung definiert: »Sie hat den Zweck, insbesondere durch die Teilnahme an Wahlen auf allen politischen Ebenen an der politischen Willensbildung im Sinne ihres Programms mitzuwirken.« Demnach sind die Parlamente aller Ebenen die Hauptbetätigungsfelder dieser Partei dort aber, das wissen Marxisten, werden die Gesetze, die das Leben eines Volkes regeln, nicht gemacht, sondern eben nur in Formulierungen gegossen. Gemacht werden die Gesetze im politischen Ringen außerhalb der Parlamente. Der zweite Rang ist kein schlechter Platz, aber klar muß sein: Wenn Marx recht hat, ist die neue Partei für die Gestaltung dieses Landes zweitrangig. Vor Häme sei allerdings gewarnt. Denn daß die Partei nicht so wichtig ist wie die sie tragende Bewegung, bürdet allen Linken außerhalb der Parteigliederungen eben die entscheidende Verantwortung auf: für die Bewegung zu sorgen, die dann hoffentlich in dieser Partei ihren parlamentarischen Arm findet. Und mit Marx, der damals in einem Alter war, das gemeinhin als ungeduldig gilt, sei auch davor gewarnt, vom neuen Jahr Wunder zu erwarten: »Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen.« (Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, S. 386). Ohne Zweifel wachsen Verdrossenheit und Unzufriedenheit bei denen, die immer brutaler von der Teilhabe am produzierten Wohlstand und an der politischen Mitbestimmung in diesem Land ausgeschlossen werden. Das Programm der großen Koalition läßt erwarten, daß ihre Politik immer mehr Menschen zu dem Gedanken drängen wird, daß es so nicht weitergehen kann. Die Linken, wo auch immer sie organisiert sind oder gar nicht , haben gemeinsam die erstrangige Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Wirklichkeit Möglichkeiten erhält, sich zum Gedanken zu drängen so wie Ossietzky zweiwöchentlich daran mitwirkt, Stolpersteine wegzuräumen, die die Herrschenden mit der Macht ihrer riesigen Lügenmaschinen den Erkenntnisprozessen in den Weg rollen. * Die Gefahr, daß die entstehende Partei Monopolansprüche gegenüber allen Linken erhebt und ihnen dann letztlich Unterordnung unter die jeweilige Taktik ihrer Führung abfordert, ist absehbar, jedenfalls nicht auszuschließen und je schwächer die innerparteiliche Demokratie, desto größer ist diese Gefahr. Eine schlimme Vorstellung: Die Fraktionsführung im Bundestag oder in einem Landtag verlangt von allen Linken Unterstützung für von ihr ausgehandelte Kompromisse. Ossietzky , für die Rolle eines Parteiblättchens ohnehin ungeeignet, wird immer auf seine Eigenständigkeit bedacht sein und einer Partei, die sich Die Linke nennt, kritische Fragen nicht ersparen. Red.
Erschienen in Ossietzky 1/2007 |
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