Werner René Schwab, Börsen-Astrologen

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Börsen-Astrologen

Alle Jahre wieder fühlen sich zur Jahreswende die hauptamtlichen Marktanalysten und Geldexperten berufen, gleich den Astrologen und Hellsehern die Wirtschaftsentwicklung des nächsten Jahres vorauszusagen. Einig sind sie sich zwar nie, aber diesmal fiel doch auf, daß die meisten Börsen-Gurus die Parole ausgaben: »Leute, kauft Aktien, denn es geht aufwärts.« Vor allem die Vertreter der Banken animierten zum Erwerb und redeten möglichen Privatanlegern ein: »Wenn Ihr jetzt nicht kauft, verpaßt Ihr die schönsten Gewinne.« Die Kurse würden im nächsten Jahr unaufhaltsam steigen. Zu den Verkündern dieser weihnachtlichen Frohbotschaft gehörten der Chef-Volkswirt der Deka-Bank, Ulrich Kaiser, der »Aktienmarkt-Stratege« der Westdeutschen Landesbank, Martin Gilles, der Chef der Deutsche-Bank-Tochter DWS (größte deutsche Fondsgesellschaft), Klaus Kaldemogen, und viele andere hochbezahle »Analysten«. Sie sehen den Dax-Index, der Ende Dezember bei 6600 lag, auf mindestens 7000 steigen, die südwestdeutsche Donner-Bank sprach sogar von 8000 Punkten. Mit einem Achselzucken taten sie die Gefahren ab, die von der Mehrwertsteuer-Erhöhung, von den Kosten für die Gesundheitsreform, von anderen staatlichen Sparmaßnahmen oder auch von der Wahrscheinlichkeit steigender Erdölpreise drohen. Es ist, als wäre die Tatsache spurlos an ihnen vorübergegangen, daß die Europäische Zentralbank eben erst den Leitzins auf 3,5 Prozent angehoben hat und weitere Verteuerungen für Kredite nicht ausschließt.

Das sind die gleichen Experten, die den Aktien-Aufschwung der letzten drei Jahre nicht vorausgesehen hatten. Dafür aber hatten sie zum Beispiel im Jahr 2000 den Privatkunden dringend den Kauf von »Nemax«-Aktien (neue Firmen, die unter dieser Bezeichnung an der Börse notiert wurden) empfohlen, weil deren Kurse rapide steigen würden. Wenig später sanken die Kurse rapide, und inzwischen werden »Nemax«-Aktien gar nicht mehr notiert. Die Käufer, die dem Rat der Experten folgend solche Papiere gekauft hatten, erlitten beträchtliche Verluste. Nicht aber die Banken, die am Verkauf von Aktien verdienen und für gutes Geld eben deshalb Experten beschäftigen, die dem Sparer Börsenentwicklungen weissagen.

Übrigens: »Voraussetzung für die Zuverlässigleit einer Expertise ist die durch keine materiellen Vorteile beeinflußbare Objetivität des Experten«, sagt das Brockhaus-Lexikon.