von Maximilian Mayer
Die Volksrepublik China importiert heute aus über fünfzig Ländern Öl. Sie unterhält mehrere strategische Energiepartnerschaften, etwa mit Saudi Arabien, Venezuela, Angola, Rußland und Iran. Als Investor, Handelspartner, Kreditgeber und Entwicklungshelfer ist China insbesondere im Mittleren Osten und in Afrika zu einem zentralen Akteur avanciert. Die rasante weltumspannende Entfaltung von Chinas Energiediplomatie kam für Europa und die USA überraschend, war das Land doch bis vor knapp zehn Jahren noch ein Nettoexporteur von Mineralöl gewesen.
Teile der europäischen und US-amerikanischen Öffentlichkeit neigen dazu, China für dieses Handeln zu dämonisieren. Der SPIEGEL (13/2006) spricht von einem "brachialen Expansionskurs" der Chinesen, die ihre Energieinteressen entweder "skrupellos durchboxen" oder sich "heimlich, still und leise Exklusivrechte sichern". In Verbindung mit dem oft skizzierten Szenario, das globale ökologische Gleichgewicht sei bedroht, wenn "alle Chinesen Auto fahren" würden, wird ein China-feindlicher Diskurs bedient, der dreierlei verschweigt: die strukturellen Beschränkungen durch die Dominanz der westlichen Staaten, innerhalb derer sich Chinas Energiediplomatie entwickelte; die Tatsache, daß Produktionsstätten aus westlichen Ländern in massivem Umfang nach China verlegt werden und dort nicht nur zur Nachfragesteigerung wesentlich beitragen, sondern auch von den günstigen Energiepreisen profitieren; sowie die Anstrengungen der Volksrepublik im Sektor erneuerbarer Energien.
Während der letzen 25 Jahre liegt das Wirtschaftswachstum in China bei durchschnittlich acht Prozent. Der Ausbau der industriellen Produktion und städtischen Infrastruktur, der zunehmende private Personenverkehr und das Wachstum der urbanen Mittelschicht führten zu einem immensen Anstieg des Energieverbrauchs. Chinas eigene Erdölproduktion konnte nicht dementsprechend ausgeweitet werden, weshalb das Land zunehmend auf den Weltmarkt zurückgreifen muß.
Als chinesische Ölfirmen begannen, größere Mengen Rohöl zu importieren, stammten knapp 70 Prozent aller chinesischen Importe aus lediglich drei Ländern. Nachdem der Anteil des Öls aus den Golfstaaten zwischenzeitlich auf über 60 Prozent angestiegen war, gewinnt seit der Jahrtausendwende Afrika immer mehr an Bedeutung. Heute bezieht China bereits über 30 Prozent aller Rohölimporte aus Afrika, Tendenz steigend. Neben Saudi Arabien, Rußland, Iran gehören Angola und Sudan zu den führenden Öllieferanten.
China war vor allem deshalb in der Lage, seine relative Abhängigkeit von Erdöl aus dem Mittleren Osten zu verringern, weil es unzählige kleine und kleinste Lieferbeziehungen etablierte. Diese machen heute rund 40 Prozent des gesamten Einfuhrvolumens aus. Gerade in "nicht-traditionellen" Förderländern, vorwiegend in Afrika, gehört China inzwischen zu den wichtigsten Akteuren bei der Erschließung und Ausbeutung neuer Rohstofflagerstätten. Umfangreiche Explorationstätigkeiten chinesischer Ölfirmen haben etwa im Sudan zu unerwarteten Produktionssteigerungen geführt.
Aufgrund von Chinas Verwicklung in die Iran-Atomkrise debattieren Sicherheitsexperten, inwieweit Peking wegen seiner Ölinteressen bereit ist, die Beziehungen zu den USA und zur internationalen Gemeinschaft zu belasten. Allerdings ist Chinas Engagement in Iran (und Sudan) keineswegs mit dem Ziel entstanden, sich auf eine Konfrontation mit den USA einzulassen. Vielmehr war es paradoxerweise ein Ergebnis der Wettbewerbsschwäche der chinesischen Ölfirmen, die als Nachzügler in der internationalen Energiewirtschaft nach den wenigen verbliebenen Nischen suchten. Zudem wollte China verhindern, daß sein steigender Importbedarf zu einem direkten Kollisionskurs mit den USA führt und konzentrierte sich zunächst auf Öllieferländer, die nicht traditionelle Partner westlicher Importstaaten waren. Aus dieser notgedrungenen Ausweichbewegung wurde jedoch eine heikle Belastungsprobe für die chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Zugleich darf nicht übersehen werden, daß Chinas Interessen über die sichere Versorgung mit Erdöl weit hinausgehen. Die enge Kooperation mit dem Iran, in deren Rahmen China wiederholt mit seiner Vetodrohung eine UNO-Resolution gegen den Iran verhinderte, dient auch einer latent anti-amerikanischen Anti-Hegemoniepolitik sowie geostrategischen Zielen in der Golfregion und Zentralasien.
Nachdem sich die Iran-Atomkrise nach zahlreichen gescheiterten Vermittlungsversuchen im Frühjahr 2006 zuspitzte, scheint sich indes ein leichter Kurswechsel abzuzeichnen. China reduzierte auf Betreiben der USA massiv seine aktive Beihilfe in Form von Atomtechnologie und Waffenlieferungen. Peking entsandte nicht nur Unterhändler, um die iranische Regierung zu Konzessionen zu bewegen, sondern stimmte im Juli 2006 erstmalig für eine Resolution, die dem Iran eine konkrete Frist setzte, den Forderungen der UNO nach einer bedingungslosen Aufgabe seiner Urananreicherung Folge zu leisten.
In Kritik geriet China insbesondere wegen seines Engagements in Sudan. Die dortige Militärregierung führt im Westen des Landes (Darfur) einen brutalen Bürgerkrieg. Dem Unmut der Europäer gegenüber Chinas Energiepolitik liegen jedoch auch andere Entwicklungen zugrunde. So sprach der russische Präsident Putin im März 2006 bei einem Treffen mit der chinesischen Führung von Erdgaslieferungen, was Politiker in Europa zu der Befürchtung veranlaßte, nun einen Abnahmekonkurrenten zu haben. Zweifelsohne drücken die Chinesen bei ihren Energiegeschäften mehr als ein Auge zu, wenn es um die Transparenz und Rechtsstaatlichkeit ihrer Partner geht. In Nigeria kaufte sich das Pekinger Unternehmen CNOOC in eine private nigerianische Ölgesellschaft ein, von der Indien wegen undurchsichtiger Eigentumsverhältnisse die Finger ließ. Mit dem Militärregime in Burma, das wegen seiner Menschenrechtsverletzungen weitgehend isoliert ist, wurde der Bau einer Pipeline vereinbart.
Doch die Reaktion der Europäer gleicht eher der eines schlechten Verlierers, der sich überrumpelt fühlt. Es geht nämlich nicht nur um Chinas angebliche Versuche, weltweit Erdöl- und Erdgasvorkommen zu kontrollieren. Die Volksrepublik ist auch jenseits von Energie- und Sicherheitsfragen ein unumgänglicher Faktor der Weltpolitik geworden, etwa in der Entwicklungspolitik. Ein Grund dafür ist, daß China keinerlei Bedingungen für wirtschaftliche Zusammenarbeit stellt (mit Ausnahme der Nichtanerkennung Taiwans). Vielmehr betont die Volksrepublik die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, während westliche Geldgeber im Duktus von Good Governance immer höhere Standards für Transparenz sowie Partizipations- und Kontrollmechanismen voraussetzen. Erst Ende Juni diesen Jahres verlängerte Peking eine Niedrigzinskreditlinie, die mit Angola im Jahr 2004 im Gegenzug für Ölkonzessionen ausgehandelt worden war, um weitere 2 Mrd. US-Dollar. Dadurch wurden langwierige, die Transparenz im Ölsektor und Korruption betreffenden Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) hinfällig, von dem Angola ursprünglich einen Entwicklungskredit beziehen wollte. Chinas zumindest bei der Armutsbekämpfung erfolgreiche Entwicklungspolitik, die mehrere Hundert Millionen Menschen über die Armutsgrenze verhalf, hat inzwischen Vorbildcharakter in Afrika und Zentralasien erlangt. Anziehungskraft besitzt insbesondere auch seine Wirtschaftpolitik, die trotz WTO-Beitritt keineswegs auf staatliche Regulation und Marktsteuerung verzichtet. Demgegenüber steht das dogmatische wirtschaftspolitische Rezept des Neoliberalismus, das Weltbank und IWF beharrlich den afrikanischen Ländern verschreiben.
Doch der "Patient" leistet Widerstand. Die grundsätzlich skeptische Haltung vieler Länder des Südens gegenüber den neoliberalen Konzepten von Liberalisierung und Marktöffnung wird von nichts besser symbolisiert, als dem offensichtlichen Scheitern der WTO-Verhandlungen. Vor diesem Hintergrund kann China seine Ölinteressen im Doppelpack mit einer Entwicklungspolitik durchsetzen, die sich für afrikanische Staaten vielleicht nicht als bessere Alternative, sicher jedoch als das kleinere Übel erweist. Allerdings, das zeigt eine neue Analyse der Weltbank, sind mit Chinas (und Indiens) rasant wachsenden Importen und Auslandsinvestitionen größte Chancen für afrikanische Länder verbunden.
Maximilian Mayer: Die Energiepolitik Chinas, in: Gu, Xuewu/Kupfer, Kristin (Hg.): Die Energiepolitik Ostasiens. Bedarf, Ressourcen und Konflikte in globaler Perspektive, S. 17-40, Campus 2006.
Maximilian Mayer ist assoziiertes Mitglied des Lehrstuhls für Politik Ostasiens an der Ruhr-Universität Bochum.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 298.
Autarkie und ihre Grenzen
Durch Kohlevorkommen und Ölfelder ist China bisher in der Lage, etwa 88 Prozent seines "Energiehungers" durch Eigenproduktion zu decken. Die größer werdende Versorgungslücke kann weitgehend erfolgreich durch Importe gestopft werden. Die Energiesicherheit in China ist jedoch in anderer Hinsicht von katastrophalen Entwicklungen betroffen: Durch die extensive Nutzung von Kohle (China ist der weltweit größte Produzent und Verbraucher), die meist mit ineffizienten Verbrennungstechniken einhergeht, wird die Umwelt sehr in Mitleidenschaft gezogen. Anhaltende Luftverschmutzung beeinträchtigt die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen.
China ist bereits heute der zweitgrößte Produzent von Kohlenstoffdioxidemissionen und belastet trotz eines Pro-Kopf-Energieverbrauchs, der noch immer weit unter dem weltweiten Durchschnitt liegt, das globale Ökosystem in zunehmendem Maße. Allein im Jahr 2004 beliefen sich die durch Verschmutzung bedingten wirtschaftlichen Verluste laut einer sicherlich sehr gemäßigten Schätzung des nationalen Statistikamts und Umweltschutzbehörde auf 64 Mrd. US Dollar. Das entspricht drei Prozent des chinesischen Bruttosozialprodukts.
Worüber die internationale Debatte um Chinas Energiepolitik oft schweigt, ist der Versuch der chinesischen Führung, ein neues, zumindest nach offizieller Lesart nachhaltiges Energiesystems aufzubauen. Die Volksrepublik zählt bereits jetzt zu den am schnellsten wachsenden Märkten für regenerative Energien wie z. B. Wasserkraft. Wegen ihres enormen Potentials und ihrer dezentralen Einsetzbarkeit werden regenerative Energieträger von der Zentralregierung als strategische Instrumente betrachtet. Mit ihnen lassen sich nicht nur die als rückständig geltenden westlichen Regionen Chinas elektrifizieren und entwickeln, sondern auch ausländische Investoren anlocken. Zugleich bieten sie die langfristige Perspektive, Chinas momentan zunehmende Abhängigkeit von importierter Energie wieder zu verringern. Doch ist gerade der Ausbau der Wasserkraft von Ambivalenzen geprägt: Einerseits verfügt China über mehr als 50 Prozent der weltweit existierenden "kleinen Wasserkraftwerke" und plant bis 2020 bestenfalls acht Prozent seines Elektrizitätsbedarfs mit Hilfe dieser erneuerbaren Quelle abzudecken. Andererseits werden in Folge von gewaltigen Dammprojekten wie am Yangtse oder am Nu Fluß Millionen von Menschen umgesiedelt - von der großflächigen Vernichtung von Ökosystemen ganz abgesehen.
https://sopos.org/aufsaetze/45db988b3d7eb/1.phtml
sopos 2/2007