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Ein Glücksumstand kam mir zu Hilfe: Ein berühmtes Stück gab mir ein Modell. »Die zwölf Geschworenen« von Reginald Rose aus dem Jahre 1956, verfilmt von Sidney Lumet, nun zu sehen im Berliner Kriminaltheater, das eher wie ein Gerichtsaal mit 180 Plätzen wirkt, eingerichtet von Manfred Bitterlich, geführt von Wolfgang Rumpf. Man kennt die Fabel: Ein vermeintlicher Täter (17 Jahr alt, der seinen Vater umgebracht haben soll) wird verurteilt: Elf Ja-Sager stimmen für schuldig, ein Nein-Sager für unschuldig. Laut Gesetz müssen indes die zwölf Geschworenen einstimmig urteilen. Nun beginnt der eigentliche Prozeß, ein Denkprozeß, ein Suchen nach Wahrheit, welches zum Recht und zum richtigen Richterspruch führt. Im Lichte dieses Prozesses enthüllt sich die Realität einer Gesellschaft von Ja-Sagern, in der es mutige Nein-Sager gibt, hier vertreten durch einen, gespielt von Arne Lehmann. Seine wichtigste Gegenspielerin ist die Ja-Sagerin von Katrin Martin. Ein solches Gericht wünschte ich mir einmal, um über die Täter des sogenannten Regietheaters zu richten. Wer ist eigentlich verantwortlich für diesen elenden Zustand einer ganzen Kunst, die zur Branche verkommen ist, obendrein Steuermittel vergeudet, um die Bühnen mit Blut, Kotze und Pisse zu bekleckern? Eine miese Inszenierung der harmlos-schönen Mozart-Oper »Idomeneo« kann zur Staats-, ja fast internationalen Krise führen die Regie-Zutaten haben nichts mit dem Werk zu tun. Eine »Zauberflöte« wird auf den Penis reduziert und zur Schlamm-Schlacht auf welches Niveau ist diese Gesellschaft gesunken! Eigentlich sollte das Deutsche Theater mit seiner Serie antiker Stücke eine Hauptstation meines Ganges sein. Unmöglich: Die »Orestie«, ihrer gesellschaftlichen und politischen Inhalte entkleidet, wird als Schlachtefest auf einem Bauernhof präsentiert, die »Medea« zur Hausfrauen-Klamotte verballhornt. Da bleibt mir nur die Rolle des Nein-Sagers, und trotzig gehe ich weiter. In die Parkaue, Berlin-Lichtenberg. Das Ensemble des Theaters an der Parkaue hat sich ebenfalls an einem antiken Stück versucht: »Antigone«. Mein Eindruck von dieser Inszenierung (Nora Somainis) ist zwiespältig. Der weibliche Kreon (Birgit Berthold) stört nicht, die Vorgeschichte wird aus dem Off richtig für das jugendliche Publikum erzählt, die Abstimmung mittels roter und gelber Karten durch das Publikum sei dahingestellt. Der Zweipersonenchor ist mißglückt (antiker Chor ist immer schwer zu machen) fragwürdig wird das Ganze durch seine unüberlegte Hinübernahme in die Gegenwart, obendrein im Interieur einer Lumpenwelt gespielt. Die staatstragenden Gesetze der antiken Welt (hier am Bestattungsbrauch vorgeführt) gelten heute nicht mehr, insofern wird das Stück unverständlich. Will man Zeitgenössisches auf der Bühne, soll man halt lieber Stücke spielen wie Thomas Freyers »Amoklauf«, das die Erfurter Schul-Katastrophe von 2002 reflektiert. Ein solches bemühtes Stück zum Laufen zu bringen, vermögen die Lichtenberger Akteure Theater als pädagogisch-analytische Provinz für hier und heute. Das mag auch für die Adaption von Kleists »Michael Kohlhaas« gelten. Die Frage: Wer hat da Recht, der allgewaltige Staat oder der anarchische Selbsthelfer, trifft ins Publikum. Immer wieder schaue ich mal in die kleinen Off-Off-Theater hinein, doch deren große Zeit scheint auch vorbei zu sein. Alles Klein-Klein-Spiel. In der Ackerstraße von Berlin-Mitte tobt sich tapfer das Orph-Theater aus: Mit Goethes »Iphigenie auf Tauris« in der Adaption von Fassbinder auf Ohnesorg-Niveau, ordinär und routiniert und halt a bisserl »modern«. Legt es zum übrigen! Im Ballhaus Ost (Prenzlauer Berg) die Gruppe »Lubricat« des Dirk Cieslak mit »Einfache Dienstleistung«. Soll Kapitalismus-Kritik sein, Auseinandersetzung mit einem neuen bösartigen Kapitalismus. Wäre nötig, doch diese ist gar zu dürftig. Die Schauspieler liefern Nummern (Service-Fachleute bewerben sich), die Zuschauer lachen das war's dann. Das Garn-Theater in der Kreuzberger Katzbachstraße mit »norway. today« ist auch nicht viel besser: Die Geschichte zweier junger Personen, die gemeinsam sterben wollen und sich dann verlieben, beruht auf einer wahren Begebenheit und ist wegen der hohen Suizid-Rate Jugendlicher aktuell. Das Stück von Igor Bauersima ist simpel gestrickt, nicht ohne Komik. In diesem Kellertheater wird es auf einem Holzgerüst ebenso simpel gespielt, nicht ohne Tapferkeit. Größere Beachtung verdient das »Theater 89« in der Torstraße, diesmal mit Hochhuths älterem Stück »Eine Liebe in Deutschland«. Es handelt von einer Liebe zwischen einer Deutschen und einem Polen 1941, die damals verboten war. Der Nazi Filbinger funkte da hinein und verursachte eine Tragödie; eine Teilveröffentlichung des Textes bewirkte 1978 den Rücktritt Filbingers als baden-württembergischer Ministerpräsident. Das Regie-Kollektiv Frank, Pfüller und Mihan führte das vielköpfige deutsch-polnische Ensemble mit Simone Frost und Helmut Geffke zu einem guten Erfolg des politischen Theaters! Hervorhebenswert Pfüllers Raumgestaltung. Die nächste Runde führte mich ins Theaterviereck um den Ernst-Reuter-Platz, also zur Tribüne und ins Renaissance-Theater, später zum Kurfürstendamm und wieder mal in die Schaubühne. Die Tribüne unter der neuen Leitung von Corinna und Thomas Trempnau und Helmut Palitsch kam gleich mit einer Handvoll neuer Stücke, von denen zwei kurz vorgestellt seien: »Claus Peymann kauft Gudrun Ensslin neue Zähne« von Christoph Klimke und »Die sexuellen Neurosen unserer Eltern« von Lukas Bärfuss. Bei Klimke erlebt die Ensslin als 66jährige die RAF-Zeiten nach. Waren die Opfer umsonst? Oder veränderten sie doch etwas? Das war nicht groß, aber spannend von Hannes Hametner urinszeniert. Das Stück von Bärfuss war bereits 2000 für Basel geschrieben, dort auch uraufgeführt worden. Hier inszenierten es Bernd Mottl und Friedrich Eggert. Es berührt sexuelle Tabus, besonders im Verhältnis kleinbürgerlicher Eltern und Kinder. Der sexuelle Weg der so sorgfältig erzogenen und abgeschirmten Tochter Dora ist eigentlich die Handlung. Sie sammelt Erfahrungen, auch »schmutzige ...« Ein ziemlich raffiniertes Stück, das Aufklärung betreibt und zugleich lüsterne Erwartung weckt. Wird langfristig sicher ein Publikumserfolg! Ähnliches wie letzteres, nur konventioneller, bietet das Renaissance-Theater, wo das gemacht wird, was dort eben schon lange gemacht wird: publikumswirksames Lustspiel mit leichtem Haut-Gout und einiger Schlüpfrigkeit, diesmal mit Michael Frayns »Verdammt lange her«, ein bisserl nackter Wahnsinn, wie man es von Frayn kennt, auch darüber gelacht hat. Lothar Kusche schreibt in diesem Heft darüber. Ich habe mich dort ein wenig vom Wahnsinn des Regie-Theaters erholen könne. Ähnliches auch im Theater am Kurfürstendamm. Da war ich lange nicht. Doch als ich las, daß man Molières »Menschenfeind« in Enzenbergers Fassung spielt, ging ich doch mal hin. Zumal Thomas Schendel, der mit zahlreichen Regisseuren ersten Ranges gearbeitet hat und derzeit auch am BE unter Peymann auftritt, den Alceste darstellt. Es hat sich gelohnt. Martin Woelffer, der oft mit gar zu leichter Hand inszeniert, traf den Nerv des Stückes, dessen ewige Gesellschaftsparty aus dem Jahre 1666 noch heute andauert (Enzensberger). Schendel konnte kaum besser sein. Die Frauen bildeten ein gutes Ensemble. Am Rande erwähnt sei die Jubiläumsaufführung zum 85. Jahrestag dieses Theaters mit der Komödie »Männerhort« von Kristof Magnusson. Das könnte vom Ton her auch von Woody Allen sein, hat aber im Witz wenig Tiefgang. Die Schaubühne war einst Stätte von Regie als hoher Kunst, nun steckt sie seit Jahren in den Niederungen des Regietheaters mit allen seinen Verkürzungen und Dimensionsverlusten, seiner kargen Menschlichkeit und seiner entfesselten Maschinenwut. Ich hatte allmählich die Lust an den quälenden Wiederholungen des Trist-Ewiggleichen verloren und war nur selten noch hingegangen. Nun gleich mehrfach: zu Shakespeare, Miller und Ravenhill. »Der Sommernachtstraum« war Ostermeiers erster Shakespeare. Von Shakespeare war wie üblich nicht viel übrig geblieben, viel Albernes kam dazu, aber es war wenigstens nicht verdrießlich, vor allem dank der Argentinierin Constanza Macras. Zuweilen zwar ordinär, war dem Rest-Shakespeare wenigstens die Erotik nicht weggekommen. Luk Perceval inszenierte Millers »Tod eines Handlungsreisenden« so ernst wie nötig die Tragödie des arbeitslos werdenden Willy Loman kam in der Gegenwart an. Mit Mark Ravenhill und dessen Schocker »Shoppen und Ficken« begann vor einem knappen Jahrzehnt damals in der Baracke des Deutschen Theaters Ostermeiers Laufbahn. Ein scheußliches Stück, einer scheußlichen Gegenwart entsprossen, doch provokant. Heute provoziert es kaum noch, sondern langweilt. Sein neues »Produkt«, eigentlich ein Drehbuch, dauert wenig mehr als eine Stunde; Ostermeier inszenierte den Monolog wohl daher auch im »Studio«. Die reflektierte Welt ist die zwischen Milliardengeschäften, Ölkrieg, Showbusiness und Al-Quaida-Terror: Sex, schaler Witz. Erkenntnisgewinn: Zero. Theaterfreude: Zero. Zeitungstheater, Niveau Boulevardpresse. Das kann ich auch am Kiosk haben. Schließlich wieder in Mitte, da wird es allmählich gewichtiger. Seit Wiedereröffnung des Gorki-Theaters unter neuer Intendanz gab es dort Werner Schwabs »Die Präsidentinnen«, im wahren Sinne des Wortes ein Scheiß-Stück weil der Kot die zentrale Metapher ist. Erna, Grete und Mariedl halten die Welt für beschissen und ziehen alles in den Kot. Eine schwarze, um nicht zu sagen, braune Messe. Der Welt Ende ist angesagt. Derlei Prophetien gab es oft, muß diese noch sein? Der Autor hat sich zu Tode gesoffen was bleibt als Botschaft? Die Wiener und Münchener Ur- und Erstaufführungen hatten noch etwas, doch der provokante Duft hat sich verzogen. Hervorragende Schauspielerinnen und ein halbwegs guter Regisseur haben sich abgemüht geblieben ist Langeweile. Gorki brachte auch Gorki: Die schwierigen »Kinder der Sonne«. Endlich! Man spielte in der neuen »Lernwerkstatt«. Richtig: Für Gorki müssen sie noch viel lernen, zum Beispiel. Dialoge sprechen, einen Gestus entwickeln. In die Volksbühne gehe ich oft: Dort kann man sich nach Herzenslust ärgern und manchmal freuen, jedenfalls auf Niveau. Über die wichtigsten Castorf- und Schlingensief-Produktionen ist hier gehandelt worden, auf Pollesch komme ich demnächst nun zu Marthaler. Über seine »Fruchtfliege« ist viel geschrieben worden. Satire auf Genetik? Monochrome Gedanken über Liebe und ihre Wirrnis? Preis des Singens? Anfrage an »eine« Zukunft? Von allem etwas und mehr oder weniger. So sind auch seine Inszenierungen. Man kann sie hintergründig nennen. Im übrigen hat die Fliege (Drosophila Vulgo) ein gleiches Recht, Kunstgegenstand zu sein wie andere Tiere, vom Drachen und Elefanten über den Löwen bis zur Lerche. So Marthaler. Und feierte sie im Gesang, worin auch von Liebe die Rede ist. Hier ist Regie erfinderisch, nicht zerstörend um jeden Preis, und kann lustig sein. Und bei ihm kann Regie Kunst der Interpretation sein, wie er jetzt an Horváths »Geschichten aus dem Wiener Wald« beweist. Anna Viebrock schafft Spielräume, leicht schäbige Orte, das seitliche Obergeschoß wirkt ein wenig überflüssig, weil kaum genutzt. Viel szenischer Spaß über Arrangements, Körperhaltungen. Die Schauspieler sind nicht alle vom besten, als Ensemble und darauf kommt es bei Horváth an freilich gut. Der Musiker Marthaler spart auch hier nicht mit musikalischem, manchmal plattem Witz, und gesungen wird auch, nach Fruchtfliegenart. Im Berliner Ensemble konnten wir den weltberühmten »Diener zweier Herren« in der ein gutes halbes Jahrhundert alten, fast ein Dutzendmal erneuerten Inszenierung Giorgio Strehlers vom Teatro Piccolo Milano bewundern. Mit Ferruccio Soleri als Arlecchino. Ein Fest auch der Schauspielkunst. Es gab den Glauben ans Theater wieder, den man hierzulande fast verloren hat. Theater nämlich auch als Fest des Lebens als Gegenteil des Todes, der offenbar weitestgehend die Herrschaft über hiesiges Theater übernommen hat. Laßt uns die Italiener preisen!
Erschienen in Ossietzky 25/2006 |
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