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Das zum alten Thalwiler Dorfkern zählende einstige Handwerkerhaus »Zur großen Hoffnung« bewohnten Konrad Farner und seine Familie erst seit 1954. Den Umzug aus einer engen Zürcher Stadtwohnung hatte die wohlhabende Verwandtschaft Marthas, der Frau des marxistischen Kunsthistorikers, möglich gemacht. Besonders stolz war Farner, den seine Freunde »Koni« nannten, auf das zweistöckige, den ganzen Dachstuhl ausfüllende Thalwiler Arbeits- und Bibliothekszimmer. Hinter seinem Schreibtisch hing, für den gegenübersitzenden Besucher unübersehbar, eine riesige Kopie von Picassos »Guernica«-Gemälde, das von sowjetischen Dogmatikern damals noch als »formalistisch« gerügt wurde. Das Original des weltberühmten Kunstwerks hängt inzwischen in der UNO zu New York. Die schmale Fensterfront des Raums gab den Blick auf eine liebliche Zürichsee-Landschaft frei. Aber nicht nur Konis Allerheiligstes war eine Kombination von Kunstgalerie und Büchermagazin. Auch längs dreier Wände des »Gartenzimmers« ragten die Büchergestelle flächendeckend hoch. Dort fand sich der »feministische« Teil einer Bibliothek, Werke von und über Frauen, darunter nicht wenige Rarissima. Der Mittelpunkt von Martha Farners Wohnbereich war der dielenartige, von einem riesigen Webstuhl beherrschte Hauptraum im Erdgeschoß des Hauses. An der komplizierten hölzernen Maschine, einem Original aus dem 18. Jahrhundert, saß sie täglich mehrere Stunden. Dieweil ihre Füße das Schiffchen flitzen ließen und die übrige Mechanik in Gang hielten, sorgten ihre Hände dafür, daß das Gewebe dicht und fehlerfrei geriet und die komplizierten Farbmuster stimmten. Auf diese Weise verdiente sie vermutlich den größeren Teil des Familienunterhalts. Ein paar Stufen tiefer hingen an der Wand Kupfer- und Stahlstiche aus dem 18. und 19. Jahrhundert und an den tragenden Balken des Raums etliche historische Hieb- und Schußwaffen. Zwei weitere schwere Säbel waren im schmalen Entrée links und rechts der Haustür montiert. Doch wer war nun dieser Dr. Konrad Farner? 1903 in einer wohlhabenden protestantischen Pfarrersfamilie geboren, hatte er in Frankfurt am Main, Köln und München Literatur, Kunstgeschichte, Philosophie, Volkswirtschaft und Staatswissenschaften studiert. Nach einem zusätzlichen Theologiestudium in Basel schrieb er seine Dissertation. Sie handelte von Thomas von Aquin und dem »überkommenen christlichen Eigentumsbegriff«. 1923 trat er der Kommunistischen Partei der Schweiz bei, was gleichbedeutend war mit dem lebenslangen Verzicht auf eine bürgerliche Gelehrten-Karriere. Sein Existenzminimum verdiente er sich von da an bald als Buchantiquar, bald als Graphikspezialist, Verlagslektor, Herausgeber oder auch als freier, finanziell wohl allzu freier Schriftsteller sowie als Mitarbeiter von Museen und Gestalter verschiedener Ausstellungen. 1941 heiratete er Martha Katharina Gensch aus dem streng katholischen Kanton Schwyz, 1944 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Partei der Arbeit (PdA), der Nachfolgeorganisation der 1940 vom Bundesrat verbotenen Kommunistischen Partei der Schweiz. Ab 1949 bemühte sich der inzwischen zum Mitglied des Zentralkomitees der Partei gewählte Gelehrte mit zunehmendem Engagement um das Zustandekommen eines ehrlichen Dialogs zwischen Marxisten und Christen und wurde von Geistlichen und anderen Vertretern verschiedener Glaubensbekenntnisse zu Vorträgen eingeladen. Seine Einstellung gegenüber Andersdenkenden und anderes Glaubenden mag ein repräsentatives Zitat belegen: »Es kann sich ... keinesfalls um eine Sache handeln, bei der es einen Ankläger gibt und einen Angeklagten. Es geht nicht um den Nachweis, daß der andere unbedingt im Fehler ist, daß er sogar ein Schuldiger ist; denn beide sind im Fehler, sonst hätten wir nicht den prekären Zustand der gegenwärtigen Welt; und beide sind Schuldige, nur mit dem zeitlichen – ausdrücklich: zeitlichen! – Unterschied, daß das Christentum bald zweitausend Jahre Geschichte, und zum Teil sehr schuldige Geschichte zu verzeichnen hat, der Marxismus erst hundert Jahre, aber zum Teil ebenfalls sehr schuldige Geschichte ...« Bemerkenswert sodann sein Essay über Rembrandt. Darin der zweifellos auch für Farner selber geltende, ausgerechnet 1956 zu Papier gebrachte Satz: »Von Bürgern gemieden, vom Volk nicht beachtet, von Künstlern verlästert, von Gläubigern bedrängt, von Wucherern belagert, von Bettlern umlärmt, von den Frommen verabscheut, nur von Hendrikje geliebt und begleitet – so schafft er weiter, berserkerhaft, nur seinem Ich folgend, nur seiner Kunst dienend, abseits, in Dunkel und Stille.« Farners kulturwissenschaftliches Hauptwerk: eine bis dahin einzig in der DDR erschienene, in der Schweiz dagegen nahezu unbekannt gebliebene zweibändige Monographie über den französischen Grafiker und Illustrator Gustave Doré. Ansonsten wäre über Koni Farner noch zu sagen, daß er gern schwarze Hüte trug, kombiniert mit hellen Mänteln, im Winter am liebsten solche aus Kamelhaar. Seiner gepflegten bürgerlichen Erscheinung wegen, zu der ein akkurates Schnauzbärtchen, eine gut sitzende Krawatte, eine randlose Brille mit feinem Golddraht-Gestell, Orientzigaretten der Nobelmarke Laurent sowie glattes, naßgescheiteltes Haar und imponierende Geheimratsecken gehörten, hätte man ihn für einen Angehörigen des gehobenen Mittelstandes alter Schule, kaum jedoch für einen radikalen linken Freigeist halten können. * Ich weiß nicht mehr, wie oft ich Martha, Koni und ihre beiden damals halbwüchsigen Kinder, Sibylle und Andreas, in dem von außen recht unscheinbaren Haus besuchte und oft bis tief in die Nacht mit Koni diskutierte. An eine ganz bestimmte Fahrt nach Thalwil und von dort zurück nach Zürich und abermals nach Thalwil und zurück erinnere ich mich indes noch sehr genau. Auf Wunsch Helene Weigels hielt Konrad Farner am 31. Oktober 1956 im Berliner Ensemble die Abdankungsrede für Bertolt Brecht. Auch aus ihr ein Leitgedanke: »... Dieser diesseitige realistische Optimismus ist, eben weil rea- listisch, ein pessimistischer Optimismus. Beispiel: ›Der gute Mensch von Sezuan‹ ... Das ist jener pessimistische Optimismus, den der kürzlich verstorbene Rechtsgelehrte Piero Calamandrei, eine der bedeutendsten Gestalten der italienischen Resistenza, als einen ›secondo ottimismo‹ bezeichnete, einen Optimismus also, der, nachdem er gründlich das Böse erkannt, fortfährt, tatkräftig an das Gute zu glauben, an das Gute, soweit es unter uns Sterblichen vorhanden ist, und nicht weniger an das Gute größeren Ausmaßes, das erst noch erstrebt und erkämpft werden muß.« Am Tag nach der Trauerfeier kehrte Konrad Farner nach Thalwil zurück, worauf am 16. November eine Aktion »Frei sein« in der Thalwiler Lokalzeitung ein Inserat veröffentlichte, in welchem »zur Wachsamkeit« aufgerufen und dem Unwillen der Einwohner Ausdruck verliehen wurde, »mit dem Schweizer Kommunisten Dr. Konrad Farner in der gleichen Gemeinde wohnen zu müssen«. Am selben Tag montierte man auf dem seinem Haus gegenüberliegenden Grundstück ein riesiges Plakat ähnlichen Inhalts. Schon wenig später versammelten sich vor Farners Anwesen die ersten Gaffer. Unter ihnen einige Figuren, die sich alsbald mit Farbtöpfen und Pinseln an der Hauswand zu schaffen machten, sie mit Haßparolen beschmierten. Andere stimmten weithin schallende Sprechchöre an, um den Hausbewohnern den baldigen Tod durch Aufhängen anzukündigen. Wie mir Martha Farner am Tag darauf erzählte, verbarrikadierten sie und Konrad nun in aller Eile ihre Türen und Fenster. Als gegen 19 Uhr auch noch die Hausglocke Sturm zu läuten begann, stopfte Martha einen Wattebausch in ihre Klingel, verabreichte den Kindern ein Beruhigungsmittel und brachte sie zu Bett. Darauf stellte sie sich ans Dielenfenster und beobachtete das Geschehen draußen durch eine Ladenritze. Auf dem abschüssigen Straßenstück vor ihrem Haus standen inzwischen, Kopf an Kopf, schon weit mehr als hundert Menschen, und noch immer erhielt die Menge weiteren Zulauf, und noch immer brüllten welche »Hängt ihn! Hängt ihn!« Auf das zum oberen Dorfteil führende Straßenstück hatte jemand einen riesigen roten Pfeil gepinselt und mit der Inschrift »Zum Kreml« versehen. Wie ich von Martha und Konrad Farners Tochter Sibylle erst viele Jahre später erfuhr, hätten die ihr und ihrem Bruder verpaßten Tranquilliser sie zwar tatsächlich »ruhiggestellt«, seien ansonsten aber wirkungslos geblieben. Sie beide hätten alles mitbekommen, was sich in jener Nacht weiter ereignete, und erinnerten sich noch immer genau an jedes Detail … * Es ging gegen 21 Uhr. Etwa um diese Zeit wählte Koni meine Nummer und beschwor mich, schnellstmöglich nach Thalwil zu kommen, es gehe um Leben und Tod. Eine knappe halbe Stunde später bog ich aus der Seestraße in die steil bergauf zum Farnerhaus führende Mühlebachstraße ein, erkannte aber schon nach der ersten Kurve, daß hier kein Durchkommen mehr war. Im Scheinwerferlicht meines Autos sah ich, wie sich ein Trupp junger Leute an einer etwa fünf Meter langen hölzernen Telefonstange zu schaffen machte, offenbar um sie als Rammbock zu verwenden. Ich wendete, so schnell ich konnte, fuhr zur nächsten ins Dorf führenden Abzweigung zurück und von dort zu dem beim Bahnhof untergebrachten Posten der Dorfpolizei. Dort fand ich drei gemütlich bei ihrem Kaffee sitzende Polizisten vor, denen ich meldete, was sich an der Mühlebachstraße gerade abspielte. Sie quittierten es mit amüsiertem Grinsen. Ich redete weiter auf sie ein, versuchte, ihnen klarzumachen, daß Gefahr im Verzug sei, doch in Bewegung setzten sich zwei von ihnen erst, als ich hinzufügte, ich sei Reporter und eben deswegen herbeordert worden, weil das, was hier laufe, sehr schlagzeilenträchtig sei. Als wir den Tatort erreichten, führten die Jugendlichen, angefeuert durch das rhythmische Hauruck-Gebrüll der Menge, bereits die ersten wuchtigen Stöße gegen Farners Haustür, schmetterten die schwere Stange immer gegen das festgefügte, mit schweren Eisenbeschlägen versehene, reichlich zwei Jahrhunderte alte Eichenholz-Portal. Noch widerstand es, doch wären die beiden Polizisten jetzt nicht endlich ihren Pflichten nachgekommen, wäre unweigerlich Schlimmes geschehen. Stand doch, wie ich ebenfalls erst am nächsten Morgen erfuhr, auf der Innenseite der umkämpften Pforte Koni mit gezücktem Kavalleriesäbel, fest entschlossen, die Klinge dem ersten Eindringling auf den Schädel zu schlagen. Nachdem sich die Lage etwas entspannt hatte, fiel mir auf, daß die Straßenlaternen abgeschaltet waren. Beleuchtet wurden der Schauplatz der Randale und die vielleicht 300 Personen, die jetzt unschlüssig und stumm auf der Straße herumstanden, von den Scheinwerfern eines mitten auf der Mühlebachstraße parkenden Autos. Von ihrem Licht erfaßt wurde auch ein sich auf dem oberen Teil der Straße etwas abseits haltendes Grüppchen auffallend gut gekleideter Herrn mittleren Alters. Als weiter nichts mehr geschah, drehten sie dem Schauplatz des Geschehens als erste den Rücken, schlenderten zum Parkplatz am Bahnhof, bestiegen dort ihre Mittelklassewagen und machten sich davon. Gegen 23 Uhr fuhr auch ich nach Hause, war jedoch am nächsten Morgen bereits um neun Uhr wieder in Thalwil. Wieder hatte Koni angerufen, schon in aller Herrgottsfrühe, und mich gebeten, ihn und seine Leute so schnell als möglich abzuholen. Sie seien in Thalwil ihres Lebens nicht mehr sicher, müßten untertauchen. Da die mit schweren Balken von innen verrammelte Haustür nicht passierbar war, ließ ich den Wagen vor einem kleinen, unterhalb des Hauses gelegenen Hof stehen. Von dort aus war das Farner-Grundstück durch den Garten einer Nachbarin erreichbar. Als erstes verstauten wir das Notgepäck. Danach ging es ans Abschiednehmen. Wieder standen Gaffer vor dem Haus und brüllten Obszönitäten zu uns herüber. Unter Tränen umarmte Martha ihre Nachbarin, dann stiegen wir ein und fuhren los, kamen jedoch nur bis zur langgezogenen Rechtskurve am Dorfausgang. Dort geriet mein Wagen unversehens derart heftig ins Schleudern, daß ich die Kontrolle über ihn verlor. Wir gerieten auf die Gegenfahrbahn, schlidderten knapp an einem uns in voller Fahrt entgegenkommenden Bus der öffentlichen Verkehrsbetriebe vorbei und kamen an der linken Bordsteinkante der Chaussee zum Stehen. Als Verursacher der Beinah-Katastrophe erwies sich ein zehn Zentimeter langer Zimmermannsnagel, den wir, nachdem sich mein Puls und der meiner Passagiere so weit beruhigt hatte, daß wir aussteigen konnten, aus der Seitenwand des linken Vorderreifens zogen. Dieweil wir das Notgepäck vom Farnerhaus zum Wagen schleppten, hatte mir ein um die Rettung der Welt vor dem Bösen bemühter Mitmensch den Bolzen in den Pneu gehämmert. * Unter dem unschuldigen Titel »Eine Demonstration in Thalwil« berichtete die Neue Zürcher Zeitung ein paar Tage später von einer Demonstration vor Farners Haus: Die bereitstehende Polizei habe aber dafür gesorgt, »daß keine Ausschreitungen vorkamen«. Angesichts der Haltung der Bevölkerung habe Farner am nächsten Tag »die Gemeinde verlassen und sich an einen sicheren Ort begeben, wo er die nächsten Schulungskurse der PdA in Muße vorbereiten« könne. In ihrer folgenden Ausgabe doppelte die Qualitätsgazette mit der Ergänzung nach, Farner habe »Thalwil im Auto des in Zürich, Silvrettaweg 5, wohnhaften Journalisten und Vorwärts -Mitarbeiters Marcel Brun« verlassen. Tags darauf steckten in meinem Briefkasten ein halbes Dutzend anonymer Drohbriefe. Hier der Wortlaut des rabiatesten: »Es ist besser, Du verschwindest ebenfalls wie Dein kommunistischer Milchbruder Farner. Wenn dies in den allernächsten Tagen nicht freiwillig geschieht, so wird Deine Bude gestürmt, und Du wirst dann nicht einmal mehr Gelegenheit finden, Dein Auto zu besteigen. Mit Schweinehunden machen wir kurzen Prozeß. Du stehst ständig unter Überwachung. Dein Hausmeister (Thönen, Hohlstraße) wird von der Aktion noch in Kenntnis gesetzt. Es dürfte ihm nicht gleichgültig sein, wenn sein Haus Deinetwegen eine ›Verschönerung‹ erleben wird. Es lebe Ungarn, in den Schweinestall mit den russischen Schweinen und ihren Anhängern! Komitee direkte Aktion.« Am selben Tag brachte die NZZ folgende Berichtigung: »Wir werden unter Präzisierung der im gestrigen Abendblatt (vergleiche NZZ Nr. 322) erschienenen Meldung aus Thalwil darauf aufmerksam gemacht, daß der kommunistische Journalist Marcel Brun, der mit seinem Auto Dr. Konrad Farner der Thalwiler Bevölkerung entzog, schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr am Silvrettaweg 5 wohnhaft ist.« Zu spät! Die Fassade des Hauses, in welchem ich bis vor ein paar Monaten gewohnt hatte, war bereits »verschönert«. Wer für den dabei entstandenen Schaden aufkam, ist nicht überliefert. Haftbar wäre für ihn wohl am ehesten die Redaktion der NZZ gewesen und mit ihr Dr. Bieri, der für die Haßkampagne gegen Farner hauptverantwortliche Redakteur. Wie Farner von Haus aus Theologe, avancierte er nach seinem Rücktritt aus der Redaktion zum Teilhaber einer renommierten Zürcher Privatbank. Zum letzten Mal sah ich Koni und Martha 1969. Das stürmische Jahr 1968 hatte auch in der Schweiz tiefe Spuren hinterlassen. Die Schriftsteller Max Frisch, Paul Nizon und Peter Höltschi inspirierte es zu einem Aufruf, Solidarität mit der von den »Rechtgläubigen« noch immer verfolgten und verfemten Thalwiler Familie zu üben. »Konrad Farner«, schrieben sie, »braucht Geld, ein Bürger dieses Landes, dem durch Boykott nach wie vor das Recht genommen ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen durch Arbeit, die er leistet …« Bald danach wurde Koni auch von Friedrich Dürrenmatt entdeckt: »Ich bin stolz auf ihn. Die Schweiz wäre noch ärmer ohne ihn, und weil sie ihn nicht zur Kenntnis nimmt, ist sie ärmer, als sie zu sein brauchte. Er hat das Pech, Schweizer zu sein, das Pech, in einem Lande zu leben, das die Zufriedenheit mit sich selbst zum politischen Kult macht ...« Worte, die, 15 Jahre früher ausgesprochen, weit schwerer ins Gewicht gefallen wären, Koni und seiner Frau jedoch immerhin die letzten Lebensjahre etwas erleichterten. 1971 wurde er zur Teilnahme an einer Ringvorlesung der Theologischen Fakultät der Universität Zürich eingeladen. 1972 erwirkten Zürcher Studenten für ihn einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät. Namhafte Verleger wie Rowohlt, Luchterhand und andere nützten den achtundsechziger Linkstrend kommerziell und publizierten einige seiner Schriften. Allerdings war Konrad Farner inzwischen aus der ihm zu »konservativ« gewordenen Partei der Arbeit ausgetreten. * Die restlichen Tage des infernalischen Jahres 1956 nützte ich zur immer wieder unterbrochenen Niederschrift meiner Spanien-Reportagen, zur Vorbereitung einer von der Weltbühne bereits im November bestellten nächsten Reportagenserie über Ägypten und den Sudan sowie zur Behebung einer schweren Ehekrise. Hinzu kam das zum ständigen Begleiter gewordene Kopfzerbrechen über die wirklichen Ursachen der politischen Katastrophe in Ungarn. War sie tatsächlich nur Stalin anzulasten, oder verbarg sich hinter ihr nicht doch weit mehr? Womöglich gar ein Geburtsfehler des aus der Oktoberrevolution von 1917 hervorgegangenen realsozialistischen Systems? Den Vorstellungen von Marx und Engels zufolge hätten die politisch und ökonomisch am höchsten entwickelten Länder der Erde den Qualitätssprung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung als erste schaffen und dabei den Schwächeren den Weg zum Fortschritt ebnen sollen. Doch stattdessen hatte der Erste Weltkrieg 1917 ausgerechnet das ökonomisch und politisch rückständigste und schwächste der in ihn verwickelten Großreiche auf diesen Weg gedrängt! Sollten sich die Gründerväter des Marxismus vielleicht deshalb niemals ausführlich über Möglichkeiten der Verwirklichung des Sozialismus in kraß unterentwickelten Ländern geäußert haben, weil sie einen solchen als gründliche Kenner der Weltgeschichte für aussichtslos hielten? Was aber, wenn es in der ständig größer werdenden Zahl der armen, von reichen Staaten ausgepowerten Länder dennoch zu Aufständen käme, wenn deren Bevölkerungen, ihrer Misere überdrüssig, ihr Schicksal entgegen aller theoretischen Bedenken kluger Philosophen schlicht und einfach in die eigenen Hände nähmen? Die weltgeschichtliche Antwort auf diese Frage fand ich in einer Reuters -Meldung vom 3. Dezember jenes Jahres. Ihr zufolge hatten Militärflugzeuge des kubanischen Diktators Fulgencio Batista ein kleines Schiff beschossen, das an der Südküste Kubas eine »revolutionäre Expedition« an Land zu setzen im Begriff war. Als deren Aufrührer sei – so der Agenturbericht – ein gewisser Fidel Castro ausgemacht worden. Zum ersten Mal in meinem Leben seinen Namen lesend, wünschte ich ihm und seinen Genossen von ganzem Herzen eine ungeheure Menge Glück.
Erschienen in Ossietzky 25/2006 |
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