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Frankfurt »like Frankreich«Seit 2003 beobachtet der Filmemacher Martin Kessler im Rahmen eines »dokumentarischen Langzeitprojekts« die Proteste und Bewegungen gegen die Demontage des Sozialstaats. Zwei Filme sind bisher entstanden: »Neue Wut« (2005) und »Kick it like Frankreich – Das Leben der Studenten«, der am 15. November in Frankfurt am Main Premiere hatte. 500 Euro soll vom Winter 2007 an das Studieren in Hessen pro Semester kosten. Ursprünglich hatte die mit absoluter Mehrheit regierende CDU unter dem derzeit mal wieder korruptionsverdächtigen Roland Koch geplant, von Studenten, die nicht aus der EU stammen, und von Doktoranden bis zu 1.500 Euro zu kassieren. Daß am 5. Okober in Wiesbaden eine leicht modifizierte Gesetzesvorlage beschlossen wurde, ist ein Verdienst der Protestbewegung. Der Film ruft alle Stationen der Proteste in Erinnerung. Man erlebt das peinliche Versagen des Senats der Frankfurter Universität, der sich nicht schämte, das Bezahlstudium offen zu unterstützen. Man sieht die Autobahnblockaden, die Besetzung des Frankfurter Hauptbahnhofs und die ausgelassene Stimmung bei den Aktionen: Volksfestatmosphäre. Man sieht aber auch, wie die Polizei ein Studentencafé stürmte, 49 Personen verhaftete und viele von ihnen verprügelte. Martin Kessler gelang es, den Zusammenhang zwischen Sozialabbau, Gewerkschaftsforderungen und den Studentenprotesten zu zeigen. Der Traum der Landesregierung, daß die Proteste nach der Verkündung des Gesetzes abflauen, wird wohl nicht in Erfüllung gehen. Im Anschluß an die Filmpremiere beteiligten sich etliche Besucher gleich an einer kleinen Spontandemonstration durch die Innenstadt. Die freiwillig gleichgeschalteten Fernsehsender werden den Film wohl ebenso wie schon »Neue Wut« ignorieren. Termine und Bestellmöglichkeiten findet man unter www.neuewut.de. David Salomon
RadikaleresNein, über die Seelen-Wehwehchen, die Hitparaden und Soap-Serien bevölkern, hat Franz Josef Degenhardt nicht gesungen. Es ging um Verletzungen, die der »mainstream« der Herrschenden reißt. Mitte der sechziger Jahre in »Väterchen Franz« besang er »das Hasenschartenkind, das biß, wenn's ›bitte‹ sagen sollt'«. Menschen, die als »Aussatz« galten. Dazu gehörte »Horsti Schmandhoff« nicht. Ein Siegertyp. Horsti Schmandhoff, der »kurz vor Stalingrad zwölf Stalinorgeln, fünfzig Iwans plattgefahren hat … der den Drecksack General Paulus in den Arsch getreten hat«, der dann nach dem Krieg »im offnen Jaguar mit Mütze, Pfeife, Schal, / ein Mädchen auf dem Nebensitz, sehr blond und braun und schmal, / im Schrittempo durchs Viertel glitt, genau vor Strathmanns Haus / mal eben Gas zugab, der rechte Arm hing 'raus«. Schmandhoff als »missing link« zwischen Postfaschismus und Freihandelsreligion. Und so wurde er irgendwo in Schwarzafrika »des Präsidenten Ratgeber … Kumpanen, da, gesteht Euch ein, / da wolltet Ihr genau wie Horsti Schmandhoff sein.« Die Visitenkarte jeder Gesellschaft ist das Zungenschnalzen für ihre Herrenmenschen. »Wenn der Senator erzählt«! Und wie der zum »Wackelsteiner Land« gekommen ist! Na, indem »der Bub« beim Milchholen Pfennig für Pfennig zusammengespart hat. So wurde er dann auch Besitzer des Wackelsteiner Ländchens mit vier Hüttenwerken und Kumpel des Verkehrsministers. Tellerwäscher-Lügen & -Legenden aus deutschen Landen! Die neue CD »Dämmerung«, in Ossietzky 23/06 schon kurz erwähnt, ist eine Fundgrube an seelischem Material, durch das Kapitallogik schimmert, »progressiv dynamisch mit Fantasie aber sachlich«: Massenentlasser und deren »rot-grüne Brüder« wie der »Wildledermantelmann … der so langsam, langsam, langsam driftet nach rechts«. Reformer wie Hombach & Heil hat es halt schon immer gegeben. Und es gibt sie in allen linken Parteien. Sie tun sich wichtig, indem sie links die rechte Karte spielen – sowas verdient Schutz & Zungenschnalzen der Konzern- und BND-Medien. Wie stark diese Karrieristen in der Linken werden, liegt an Delegierten. Und am Einsatz von Künstlern. Mitte der Achtziger ließ Degenhardt eine dieser neoliberalen Frühgeburten für den Fall der Unbewohnbarkeit der Erde »riesige Städte im Meer« entwerfen. 2002 sang er im »Quantensprung«: »Ja, der Krieg des 21. Jahrhunderts hat begonnen./Es ist ein Kreuzzug gegen das Böse, den Terreur, / mit Bomben, Brot und bald Atomraketen. / Und warum wohl nicht! … Und wir Deutschen machen wieder mit. / Und das ist auch gut so.« Sein Sarkasmus ist kein Zynismus. Was bei Degenhardt populär ist, ist nicht populistisch – die Menschenliebe gibt die Trennschärfe. In seinen Chansons schuf er auch den modernen Entzivilisierern entgegengesetzte Charaktere. »Rudi Schulte«, den alten Kommunisten, mit seinen Beschädigungen, seinem Starrsinn und doch seiner beispielgebenden, an Brecht erinnernden Freundlichkeit. »Mutter Mathilde«, »Natascha Speckenbach« und die vielen roten Kämpfer durch den grauen Alltag, die es zu ehren gilt, dort, wo die Titelseiten und Vorabendserien nur Chefärzte, Staranwälte, Promis und Popstars kennen, Unbeschädigte, nicht mehr Erschütterbare. Dagegen die große Ballade von »Joss Fritz«, dem Bauernführer mit List, langem Atem und großer Sinnlichkeit. Der immer Bündnisse schmiedet. Für Reformen, die nicht reformistisch sind, sondern Radikaleres auslösen, wie Martin Luther Kings Kampf um die Bürgersteige oder wie der Ruf nach »Land für Kleinbauern« von Degenhardts Vorbild Lenin. Der Künstler muß nicht unbedingt Bündnisse schmieden, solange seine Kunst derart wirksam ist. Aber ohne Bündnis mit Künstlern vermag die Linke gar nichts – weder innerparlamentarisch und schon gar nicht außerhalb. Diether Dehm
General HansWeltbühne- Autoren wie Theo Balk, Willi Bredel, Alfred Kantorowicz, Erika und Klaus Mann, Gustav Regler, Ludwig Renn, Bodo Uhse und Erich Weinert erzählen in ihren Büchern über den Spanienkrieg von »General Hans«, dem Freund, Genossen und Kampfgefährten. Gemeint ist Hans Georg Kahle, besser bekannt als Hans Kahle, geboren 1899, gestorben 1947, der selber auch als Autor der Weltbühne zu finden ist. In der Ausgabe vom 29. März 1932 kritisierte H.G. Kahle unter der Überschrift »Funk in Fesseln« das Radioprogramm, das schon damals, nachdem fast vier Millionen Empfangsgeräte registriert waren, als Machtinstrument sehr ernst genommen werden mußte – bevor Goebbels es ganz in die Hand bekam. »Nationalsozialistische Kundgebungen und kirchliche Feiern nehmen im Programm viel Raum ein, während die Zensurstreiche nach links eine beliebig zu verlängernde Liste füllen«, rügte der Autor. Er gab viele Beispiele und bilanzierte: »Der Rundfunk von heute ist keine Tribüne des Fortschritts und der Freiheit, sondern die Kanzel der Reaktion und des Muckertums.« Kahle war preußischer Kadett, Leutnant im Ersten Weltkrieg und bis 1921 Kriegsgefangener in Frankreich gewesen. Nach seiner Rückkehr brauchte er mehrere Anläufe, um seinen Weg unter den neuen Verhältnissen zu finden. Bei einem Aufenthalt in Mexiko lernte er Alfons Goldschmidt kennen, von dem Siegfried Jacobsohn 1918/19 viele Beiträge in der Weltbühne veröffentlicht hatte. Goldschmidt machte Kahle mit marxistischen Gedanken vertraut. 1927 begann Kahle, für die Blätter des Münzenberg-Konzerns zu schreiben, und einige Jahre zeichnete er verantwortlich für den Arbeitersender , eine linke Funkzeitschrift. 1933 emigrierte er nach Frankreich, in die Sowjetunion und zurück nach Frankreich, dann im Auftrag der »Roten Hilfe« nach Asturien. Mit Beginn des Spanienkrieges wurde er erneut Soldat. Als Bataillons-, Brigade- und Divisionskommandeur verteidigte er die spanische Republik, gemeinsam mit vielen anderen Autoren der Weltbühne , die wie er mit Wort und Tat gegen Franco und dessen deutsche und italienische Verbündete kämpften. Nach dem verlorenen Krieg begann die nächste Etappe der Emigration in England. Dort wurde Hans Kahle bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 interniert und nach Kanada gebracht. 1942 freigelassen, arbeitete er in England wieder als Journalist für die deutschsprachige Emigrationspresse sowie für englische und amerikanische Zeitungen und Zeitschriften, und er verfaßte einige Schriften zur militärischen Lage. Im Januar 1946 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde für seine kurze verbleibende Lebenszeit Chef der Landespolizei in Mecklenburg-Vorpommern. An ihn erinnert hier sein Sohn Hans-Peter Kahle
Kindheitsmuster im Moskauer Exil1931, da war sie vier Jahre alt, zogen ihre kommunistischen Eltern mit ihr von Berlin nach Moskau. Sie wohnten im Hotel »Lux«. Das Kind hatte eine russische »Gruscha«, dann ging es in eine deutsche Schule, nach deren Schließung (wegen der Verhaftung vieler Lehrer) in eine russische. Als der Krieg begann, war sie plötzlich eine »Deutsche«, doch sie bewies im Internat und Komsomol, daß sie für den Sieg der Roten Armee fieberte. Kindheit also unter ungewöhnlichen Umständen, zusätzlich kompliziert geworden durch heutiges Wissen über die damalige Zeit der Verhaftungen, des Mißtrauens und der Ängste. Wie schreibt man darüber nach einem erfüllten Leben in der Sowjetunion, dem Land, für das sich die Autorin nach Kriegsende bewußt entschieden hatte? Waltraut Schälicke stützt sich vor allem auf die aufbewahrten Briefe, die sie als Heranwachsende mit den Eltern und einer Moskauer Schulfreundin gewechselt hat. Das ist eine Mischung von Pubertätsgeheimnissen und -problemen, sozialistischen Glaubensbekenntnissen und Alltagsdetails. Besonders letztere machen das Buch interessant. Noch nie habe ich so anschaulich erfahren, wie man sich um Essen und Kleidung kümmern mußte oder wie ein Schultag verlief. Und da leuchtet viel Normales im Ungewöhnlichen auf: Elternliebe und gelegentlich Mißverständnisse, Schulsorgen und Ferienfreuden. Im Krieg hungerte man oft und fror, aber der Glaube an den Sieg und die Überlegenheit der »Unseren« gab ungeheure Kraft. Detailreich und authentisch entsteht ein bisher unbekanntes Bild damaligen Lebens und Denkens der Menschen ihrer Umgebung. Aus heutiger Sicht altersweise darüber nachzudenken, versagt sich Waltraut Schälicke zumeist, obwohl sie – wie sie schreibt – schon in ihrer Studentenzeit das Sowjetsystem kritisch zu sehen begann. Derartige Widersprüche färben ein Buch, und der Leser muß selbst entscheiden: Ist es dadurch besonders interessant, oder fehlt ihm eine wesentliche Dimension? Christel Berger Waltraut Schälicke: »Ich wollte keine Deutsche sein«, aus dem Russischen übersetzt von Karl Harms, Frank Preiß und Ruth Stoljarowa, Karl Dietz Verlag Berlin, 343 Seiten, 24.90 €
Kasachische LeuchtfeuerDamals war ich »Botschafter«: Forschender internationaler gegenseitiger Literaturvermittlung verpflichtet, wurden wir Lektoren des DDR-Verlags Volk und Welt in den Partnerländern vielfach so genannt. Und was gab es da – frei von Profitorientierung – zu entdecken, zum Beispiel in Kasachstan! Über Muchtar Auesows Dilogie »Vor Tau und Tag« und »Über Jahr und Tag«, die wir 1958/1961 deutsch herausgaben, schrieb ich damals: »Mit seinem Roman hat Auesow ein monumentales Werk geschaffen, das weit mehr darstellt als ein künstlerisches Lebensbild Abais, des kasachischen Dichters, Philosophen, Aufklärers, Humanisten ... Zum Inhalt wurde eine ganze historische Epoche des kasachischen Volkes.« In einer Rezension 1981 zu Abisch Kekilbajews geschichtsphilosophischem Roman »Das Minarett« hob ich als faszinierendes künstlerisches Stilmittel »eine Art von orientalischen Denkspielen« hervor: Intellektuelle Spannung entsteht etwa, wenn die Großkhanin dem Timur Lenk dreimal einen wurmstichigen Apfel überbringen läßt – mit dramatischen Folgen für die junge Khanin und den Baumeister des Minaretts. Die Poesie von Olshas Sulejmenow (»Im Azimut der Nomaden«, 1981), im Spannungsbogen zwischen Internationalismus und nationaler Geschichtserkenntnis entstanden, lieferte mir mit einer programmatischen Gedichtzeile den Nachwort-Titel für eine Lyrik-Ausgabe: »Die Berge nicht erniedrigend, die Steppe zu erhöhn«. Das sind drei Beispiele, aber es waren rund fünfundzwanzig Werke aus Kasachstan, die damals nicht zwischen nichtssagenden Rekordzahlen verlegter Bücher untergingen. Die Republik Kasachstan, seit 1991 souverän, bietet – initiiert durch ihren Botschafter Kairat Sarybay – in jüngster Zeit vielfältige kulturelle Selbstdarstellungen. Neben Konzerten mit begabten Musikern, neben Gemälde-Ausstellungen einer internationalen Künstlervereinigung, die von der Botschafter-Gattin Leyla Mahat – selbst originelle Malerin und Dichterin – gegründet wurde, hat die Botschaft eine »Kasachische Bibliothek« ins Leben gerufen, die auf der jüngsten Frankfurter Buchmesse mit einer Neuerscheinung eröffnet wurde: Abdishamil Nurpeissows Roman-Dilogie »Der sterbende See«, worin der Autor die Tragödie des Aralsees als menschliche, in Konsequenz global ökologische Tragödie erkundet (siehe Ossietzky 19/02). Die vom Dagyeli-Verlag eingesetzte »kasachische Lateinschrift« sollte für weitere Ausgaben der »Kasachischen Bibliothek« kein Vorbild sein – zumal sie in Kasachstan selbst noch nicht eingeführt ist. Diese Bibliothek, auf zwanzig Titel angelegt, wird einige damals in der DDR erschienene Werke enthalten, aber – über Nurpeissows Dilogie hinaus – auch Neuentdeckungen. Unter diesen könnte gerade deutsche Leser der Roman »Das Haus des Heimatlosen« von Herold Belger interessieren, der als Sechsjähriger die Deportation der Wolgadeutschen 1941 miterlebte und zu einem Kasachisch, Russisch und Deutsch beherrschenden Autor und Übersetzer wurde (s. Ossietzky 25/03). In einer Publikation »Goethe und Abai« vorangekündigt ( die horen 216), wird die erste deutsche Buch-Ausgabe mit Gedichten des kasachischen Nationaldichters erscheinen, um dessen Schicksal sich die Auesow-Dilogie rankt. Da sei zum Schluß meine Wiedergabe eines der Lebensbilanz hochgesteckter Ziele gewidmeten Gedichts zitiert, das der 1845 Geborene drei Jahre vor seinem Tod 1904 geschrieben hat: All mein Hoffen vertan, seine Blätter vergilbt. / Was ich immer erhofft - nichts hat sich erfüllt. / Fast erdrückt es mein Herz, ersteht meinem Blick / der vergangenen Zeit vielversprechendes Bild. // Nicht das Leben verflog – nur ein flüchtiger Traum. / Hätt ich lieber gelebt, statt auf Träume zu baun. / Jeder sieht´s: Keine Kraft mehr hab ich im Arm, / auch mein Herz ist verglüht, selbst die Sonne wärmt kaum. // Steppen-Luftbildern gleicht vieler Mitmenschen Wort. / Lug und Trug bieten sie einen schändlichen Hort. / Abhold Frieden und Treu sinnen sie nur auf Streit. / All dies, Freunde, bedenkt, wenn ihr euch um sie sorgt. Leonhard Kossuth
Lebensklugheit und FabulierkunstZwei Generationen, zwei Frauen im Kontrast: Lily Brett und Angela Krauß. Beiden Suhrkamp-Autorinnen ist gemeinsam, wie sie die Welt anschauen. Das macht etwas mit ihnen, und darüber schreiben sie. Die eine in New York, die andere in Leipzig. Zwei Weltbürgerinnen. Dichterinnen. Sie verdichten ihr Erlebtes und Erdachtes. Krauß' Kosmos ist, seit 1989, die Welt. Die durchstreift sie nach dem Sinn des Lebens und Liebens. »Wie weiter« ist der Titel ihrer neuesten Arbeit. Darin sammelt sie Menschengeschichten zu dem Thema. Im Lande der Tartaren, in Amerika, in Leipzig. Sanft, klar und äußerst genau ist ihre Sprache. Poesie. Sie spinnt einen seidenen Lebensfaden, zeigt uns ihr Gespinst, bestärkt uns, behutsam, mit Respekt allem Lebendigen zu begegnen. So lernte sie es von der Mutter, von Haustieren und ihren drei Liebesmenschen. Es ist die weiseste, heiterste, melancholischste, hinreißendste Lektüre über Leben, Lieben, Insichruhen und Beisichsein, über das Denken an Abgründe, ohne in sie einzutauchen. Kluge, leuchtende Prosa. Ein schmales Bändchen berstend von Lust und Liebe, Achtsamkeit und Toleranz. Lily Bretts Kosmos ist New York, die Stadt. Und die Geschichte ihrer Familie, ihres Volkes. Sie ist Jüdin. Das schimmert durch alle Texte dieser Erzählerin, die süchtig macht. Mit jedem Buch schüttet sie ihr Füllhorn voller Wunder über uns. Skurrile Gestalten, verrückte Beziehungen, pralles Leben und wundersame Widerstände verknüpft sie zu ihren witzigen Geschichten mit dem asche-grauen Untergrund. Protagonist ihres neuen Buches »Chuzpe« ist ein jüdischer Vater, heiter, gelassen, selbstbewußt, der mit 87 Jahren in NY ein Restaurant für Polnische Klopse eröffnet und seine Tochter damit in Verzweiflung treibt. Der ganze Kosmos in einem polnischen Fleischklößchen. Aberwitzig, grotesk und weise. Lebensklugheit und Fabulierkunst sind beiden Frauen gemeinsam. Ihre Handschriften sind unverwechselbar, die Humorlagen und Gefühlsebenen grundverschieden. Und beide bieten reines Lesevergnügen. Anne Dessau Lily Brett: »Chuzpe«, Suhrkamp Verlag, 333 Seiten, 19.80 €; Angela Krauß: »Wie weiter«, Suhrkamp Verlag, 117 Seiten, 14.80 €
Nimmermüde NeugierWas für ein Weib! Das mag so mancher Mann gedacht haben, der Lou Andreas-Salomé begegnete. Meist waren es nicht unbedeutende Männer. Friedrich Nietzsche wollte sie ehelichen. René Maria Rilke, dem sie den Namen Rainer gab, soll der gewesen sein, der sie entjungferte. Da war Lou längst mit Friedrich Carl Andreas verheiratet, dem sie das Versprechen abnahm, eine Ehe ohne körperliche Kontakte zu führen. Und wer war dieser Professor Andreas, der sich das von dieser Frau gefallen ließ? Von ihm ist in dieser Bildbiographie über Lou Andreas-Salomé (1862–1937) wenig, zu wenig zu erfahren. Frieda von Bülow schrieb 1895 an Ricarda Huch über die Freundin: »Sie glaubt von Naturanlage Dichter zu sein, aber ich glaube das nicht. Sie zergliedert und reflektiert zu stark.« Das war treffend, zutreffend geurteilt. Louise/Lolja/Lou, die gebürtige Petersburgerin, war eine vielgelesene Schriftstellerin, bevor sie eine vielbeachtete, mit Sigmund Freud fest befreundete Psychoanalytikerin wurde – eine Frau, die viele überforderte, weil sie viel forderte. Von der Familie ebenso wie von den Freunden. Faszination übten sowohl ihre »kindliche Reinheit« wie ihre »geistige Leidenschaft« aus. Erfrischend, unverstellt schrieb Lou Andreas-Salomé 1927 in einem Brief an Freud über die »Sonnenseiten« des Alterns: »Bei mir geht es in der Tat so weit, daß ich noch immer geradezu neugierig bin, was im Wunderknäuel Leben es wohl noch alles abzustricken geben wird ...« Was für eine Frau! Mit einer Vielzahl bislang nicht veröffentlichter Fotos und Texte geht diese Dokumentation über alles hinaus, was bisher über sie publiziert wurde. Bernd Heimberger Ursula Welsch, Dorothee Pfeiffer: Lou Andreas-Salomé, Bildbiographie, Reclam Verlag Leipzig, 200 Seiten, 19.90 €
Walter Kaufmanns LektüreVon Fegefeuer keine Spur, eher ein glimmendes Flämmchen. Daß ich mich bis zur letzten Zeile dieses Buches durcharbeitete, ist einer Redakteurin des Neuen Deutschland anzukreiden, die hineingezogen war »in diesen psychologisch feinsinnigen, sprachlich gekonnt ausgearbeiteten Text«. Ihr vertraute ich. Hinzu kam, daß mit einer »Geschichte von einem glücklich verheirateten Mann« geworben wurde, dessen Frau samt Auto spurlos verschwindet, was zu einer Suche quer durch Amerika führt, die den Mann »mit jeder Stunde tiefer in seine Erinnerung und näher an die Wahrheit« bringt. Mitnichten – nirgendwohin bringt sie ihn, allenthalben gerät er in eine Scheinwelt, und immer wieder dachte ich beim Lesen: überreizt, flach, krankhaft. Erinnerung, Frustration und Verlust verschroben und zerrieben sich ineinander – nichts blieb von Wirkung. In einer Zeit, da sich US-Autoren wie Philip Roth, John Updike, Richard Powers Themen zugewandt hatten, die ihre Landsleute, nicht selten auch die Welt bewegten, legte John Haskell ein Werk vor, das – so »sprachlich gekonnt« es auch sein mag – ein Gros der Leser enttäuschen wird. Ich halte es für ein Blendwerk. Walter Kaufmann John Haskell: »Amerikanisches Fegefeuer«, übersetzt von Volker Oldenburg, Tropen Verlag, 263 Seiten, 19.80 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlAuf der Brot-Tüte steht: »Back-Factory«, was eigentlich Rücken-Fabrik heißt, aber mich tröstet der launige Zusatz: »Wir machen frisch günstig«, na bitte. Hier gibt es auch ein »Kulturkaufhaus«, und dessen »Chef wartet nicht auf Gesetze«, sondern auf Kundschaft, versteht sich, so daß er nicht untätig verharrt, bis die »Freigabe der Ladenöffnungszeiten in Berlin im Amtsblatt veröffentlicht« wird. Und so ruft er uns lauthals zu: »Dussmann öffnet schneller länger!« Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 24/2006 |
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