Juristerey & Akten

Matthias Biskupek

Am Landgericht Neubrandenburg ging soeben ein Prozeß zu Ende, den wir zur Belehrung des geschätzten Publikums kurz referieren. Die Vorgeschichte beginnt vor einem Vierteljahrhundert. Vor Jahresfrist stand schon etwas dazu in Ossietzky (Heft 24/05).

Damals bei uns daheim – also in der DDR – verfaßten sowohl Tom Crepon als auch Werner Liersch je eine Hans-Fallada-Biographie. Beide wurden gedruckt. Liersch erhielt ein außerordentlich großes Presse-Echo im In- und Ausland (Ausland gleich BRD) und den Heinrich-Mann-Preis (DDR). In die BRD durfte er dennoch nicht immer nach Lust und Laune fahren – vielleicht weiß das geschätzte Publikum noch ums Grenz-Regime?

Im Jahr 1993, Liersch ist inzwischen Vorsitzender der Hans-Fallada-Gesell-schaft zu Carwitz, findet er in fernen Akten, daß Crepon geheime Mitteilungen an eine geheime Dienststelle gab. Möglicherweise, geschätztes Publikum, sagen Ihnen die Begriffe IM und MfS etwas? Aufgrund dieser Mitteilungen wurde Liersch eine Reise gen Westen verwehrt. Folglich mag Liersch einen Vortrag Crepons nicht goutieren, tritt als Vorsitzender zurück und aus der ganzen hübschen Gesellschaft für Fallada aus.

Wiederum ein Dutzend Jahre später schreibt die jetzige Vorsitzende der ganzen hübschen Gesellschaft, Patricia Fritsch-Lange – Ostler deuten aus dem Namen mit Häme die westliche Herkunft – in der Vereinszeitschrift Salatgarten einen Beitrag »Alles Stasi?«. P. F.-L., die westliche Verteidigerin redlicher Ost-Menschen, meint, C. habe Stasi-Kontakte haben müssen, weil staatlicher Leiter. Das ist gewiß eine interessante Ansicht. Liersch hingegen habe bei einem »mächtigen, das literarische Geschehen mitbestimmenden offiziellen Organ des Berliner Schriftstellerverbandes« ( ndl heißt das mächtige Organ – für Internet-Sucher) großen Einfluß gehabt. Außerdem habe er ein Parteiamt bekleidet. Das Parteiamt bestand in der Mitgliedschaft in einer APO-Leitung. (Das Internet führt auf Abwege, daher hier die Auflösung: »Abteilungs-Partei-Organisation«.) Auch habe Liersch, im Gegensatz zu Crepon, in den Westen fahren dürfen, 1979 zur Verleihung des Fallada-Preises an Erich Loest.

An dieser Stelle die unverbindliche Mitteilung, daß Loest den Preis erst 1981 erhielt und dazu ganz gewiß kein DDR-Bürger offiziell entsandt wurde. Auch kein DDR-Bürger Liersch.

Liersch fordert eine Gegendarstellung. Die findet nicht statt. Geschweige eine freundliche Entschuldigung. Also kommt es zu eingangs erwähntem Prozeß. Nun muß sich ein ordentliches deutsches Gericht mit einer gänzlich anders gearteten Welt, viel exakter und viel willkürlicher als die heutige, beschäftigen. Beim Akten-Lesen findet man: »Das MfS folgt zunächst Crepon und wollte Liersch nicht als Reisekader bestätigen. (Später) ... gab das Mfs doch sein Einverständnis für Werner Liersch als Reisekader. Allerdings wurde der Reisepaß dann zum beantragten Zeitpunkt vom Schriftstellerverband nicht ausgehändigt, obwohl er visiert in Panzerschrank lag.« (C. Baumann: »Das Literaturzentrum Neubrandenburg 1971–2005«; Anm. 133)

Also wie? Durfte Liersch fahren? Offiziell ja, real nein? Nahm er den Panzerschrank mit auf Westreise? Gab es im DDR-Schriftstellerverband denn keine Regelung, wie die Nichtaushändigung von Pässen zu erfolgen hat? Kann Liersch beweisen, daß er nicht gefahren ist? Gibt es fürs Nichtfahren Zeugen?

Ceterum censeo: Eine heutige Behörde muß beim Gerichthalten über eine sehr anders verfaßte Vergangenheit mit Schwierigkeiten rechnen. Das schwierige Rechenendergebnis des verhandelten Falles dürfen Interessierte suchen unter www.gesetze.2me.net/zpo_/index.html - 23 k

Erschienen in Ossietzky 24/2006