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An alles Mögliche dachten sie: an die Bundeswehreinsätze im Ausland (Beck), die Schuldenkasse (Steinbrück), die Krankenversicherungen (Merkel), die Arbeitslosenversicherung (Stoiber), die Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung (Opposition von Lafontaine bis Westerwelle). An die Bedürftigsten dachten sie nicht: eine notleidende Berufsgruppe, deren Tätigkeit, die Aufarbeitung der SED-Diktatur, von herausragender nationaler und gesellschaftlicher Bedeutung ist. Ihre finanzielle Lage ist prekär, und die Ursachen liegen offen zu Tage. Kein Geringerer als Hubertus Knabe, der nimmermüde Streiter gegen Kommunismus, für Freiheit und Menschenrechte, hat sie präzise und einprägsam benannt: »Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand zur Friedlichen Revolution im Herbst 1989 hat sich das Bild der SED-Diktatur zunehmend verklärt ... Daß die ... Vereine, Gedenkorte und Institutionen der nostalgischen Verklärung der DDR nicht ausreichend entgegenwirken können, findet seine Ursache vor allem in deren unzureichender finanzieller Unterstützung.« Der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen (s. Ossietzky 22/06) steht mit seiner Klage nicht allein, mit ihm klagen: Joachim Gauck, Vorsitzender der Vereinigung »Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.«, Rainer Eckert, Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, Rainer Eppelmann, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Hunderte von Opferverbänden, Bürgerkomitees und viele andere. Ihre Klage scheint mehr als berechtigt, denn, »wir haben«, so der eben erwähnte Rainer Eckert, »was die DDR angeht, inzwischen einen hervorragenden Forschungsstand. Es handelt sich um die besterforschten Gebiete der deutschen Nationalgeschichte. Das Problem ist, es fehlen konkrete Forschungen zu einzelnen Orten, zu einzelnen Haftanstalten, zu einzelnen Lagern, zu einzelnen Gebäuden der SED und Ähnliches. Hier muß nachgelegt werden.« Der Mann hat Recht, es muß »nachgelegt«, in das System der Aufarbeitung der SED-Diktatur muß mehr Geld eingespeist werden. Es ist ein Unding, daß in einer Zeit, in der den ALG-2-Empfängern das Geld hinterhergeworfen wird, die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR für ihre 2205 Beschäftigten jährlich nur über einen Etat von 101,74 Millionen Euro verfügt. Dringend beschleunigt werden muß die Rekonstruktion der sogenannten vorvernichteten Akten der sammelwütigen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Von 1995 bis 2005 konnten per Hand ganze 322 Sackvoll Papierschnitzel zusammengefügt werden. Die restlichen 16.278 Säcke bedürfen dringend der Bearbeitung, aber für das vom Fraunhofer-Institut entwickelte Rekonstruktionsverfahren sind nur lächerliche 57,3 Millionen Euro veranschlagt worden. Mit der doppelten Summe könnte der Schnitzelsalat wesentlich schneller ab- beziehungsweise aufgearbeitet werden, und wir alle würden endlich die ganze Wahrheit über die DDR erfahren. Untragbar ist auch der Zustand, daß die Stasi-Unterlagenverwalterin Marianne Birthler nur über Außenstellen in Berlin, Chemnitz, Dresden, Erfurt, Frankfurt/O, Gera, Halle, Leipzig, Magdeburg, Neubrandenburg, Potsdam, Rostock, Schwerin und Suhl verfügt. Mit dem Einsatz von wenigen Millionen Euro könnten in allen Kreisstädten Birthler-Filialen eingerichtet werden, damit alle tatsächlich Ausgeforschten Einblick in ihre Unterlagen bekommen und immer mehr Menschen die betrübliche Nachricht erhalten, daß das MfS hinterhältigerweise über sie gar keine Akten angelegt hatte. Unerträglich ist der Zustand, daß die verdienstvolle Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unter der Leitung des Revolutionshelden Eppelmann nur einen Jahresetat von vier Millionen Euro hat und aus dem »Vermögen der SED« im zurückliegenden Jahr lediglich ein Kapital von 55 Millionen Euro zugewiesen bekam, so, als ob sie nicht mindestens das Drei- oder Vierfache verdient hätte, um den Opferverbänden mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ein Skandal sondergleichen ist es auch, daß an der ehemaligen Grenze zwischen dem untergegangenen und dem übriggebliebenen deutschen Staat nicht mehr als 40 geförderte Grenzmuseen bestehen. Auch hier könnte, ja müßte »nachgelegt« werden. Ist es nicht ein Hohn, daß für das Mauergedenkkonzept in Berlin bloß 38 Millionen Euro veranschlagt werden? Noch skandalöser allerdings ist es, daß DDR-Diktatur-Oberaufarbeiter Knabe sein segensreiches Werk in Hohenschönhausen mit gerade einmal zwölf Mitarbeitern verrichten und jetzt schon drei Euro Eintritt verlangen muß. Dabei hat er nur allzu recht, wenn er feststellt: »Wenn man in der Gesellschaft wirklich etwas erreichen will, gerade bei Schulen und der nachwachsenden Generation, muß der Gedenkort sozusagen an der Haustür liegen.« Vielleicht nicht an jeder Haustür, aber mindestens in jedem Ort mit über 1.000 Einwohnern. Mit 50 bis 100 Millionen Euro dürfte hier schon allerhand zu machen sein, und das Patent, wie man Folterzellen nach dem Muster des Hohenschönhausener »U-Bootes« entwirft, könnte Knabe ja kostenlos beisteuern. Bedenkt man, wie die Abgeordneten des Bundestages aus demokratischer Verantwortung bisher die Mittel für die DDR-Aufarbeitungbranche bewilligten, dann dürfte kein Zweifel bestehen, daß sie, wenn ein entsprechender Regierungsentwurf vorläge, auch bereit sein würden, zusätzliche Steuermittel dafür zur Verfügung zu stellen und die Arbeitslosen, die von Hartz I bis IV Betroffenen und die Jahr für Jahr ärmer werdenden Rentner mit strengen Ermahnungen abzuspeisen. Sollten allerdings die Verantwortlichen der Gedenkstätten für die Opfer des Nazi-Regimes aufmucken, deren Koordinator Thomas Lutz das »dramatische Bild hinsichtlich der Finanzierung der täglichen Arbeit« und deren »Existenznöte« beklagt, dann genügt es, sie, und letztmals sei er zitiert, an die Worte des Hubertus Knabe zu erinnern, der sich im Ausschuß für Kultur und Medien des Bundestages dafür aussprach, alles dafür zu tun, über die »beiden Diktaturen« in Deutschland aufzuklären – und zwar so: »Man kann die Opfer nicht gegeneinander aufrechnen, sondern man muß sie selbstverständlich addieren. Daraus ergibt sich das ganze Grauen dieser Zeit.« Bekanntlich fielen der Naziherrschaft durch Massenrepressalien, Eroberungskrieg und industrielle Menschenvernichtung 60 Millionen Frauen, Männer und Kinder zum Opfer. Der Mann, der den Hitler-Faschismus so bagatellisiert – ohne daß sich in dem Ausschuß auch nur eine Stimme des Protestes erhob –, darf weiter auf Staatskosten eine Einrichtung leiten, in der jährlich etwa 150.000 Menschen, vor allem herbeigekarrte Schüler und Studenten, »aufgeklärt« werden. Zu Knabes Gästen gehörte kürzlich auch Bundespräsident Horst Köhler. Er mahnte: »Wir dürfen die Erinnerung an das SED-Unrechtsregime nicht verblassen lassen.« Der Bundestag muß mehr, viel mehr Geld dafür geben.
Erschienen in Ossietzky 24/2006 |
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