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Die neuen Siedler haben in dem hinteren Teil des Feldes, der als inoffizielle Mülldeponie genutzt worden war, mit den Aufräumarbeiten begonnen, um auch dort kleine Hütten aufstellen zu können. Ein Haufen quirliger Kinder wirbelt um uns herum für sie scheint dies alles ein großer Abenteuerspielplatz zu sein. Stolz nehmen sie mich an die Hand und rufen: »Komm, ich zeig' dir unser Grundstück!« Unser Grundstück. Die im Süden von Buenos Aires gelegenen Städte zählen zu den prekärsten Wohngebieten Argentiniens. Im Jahre 2004 stufte die Diözese von Quilmes (sie umfaßt die Großstädte Quilmes, Berazategui und Florencio Varela mit zusammen etwa 1,16 Millionen Einwohnern) 51Prozent ihrer Einwohner als arm oder extrem arm ein. 33 Prozent konnten zwar die zum Überleben notwendigen Nahrungsmittel erwerben, hatten jedoch keinen ausreichenden Zugang zu Gesundheit, Bildung und Kleidung; 18 Prozent hatten nicht einmal genug Geld für die Grundnahrungsmittel. Die Arbeitslosenstatistiken versagen angesichts Hunderttausender, die als Tagelöhner, Sammler, Straßenverkäufer, Hausmädchen ein paar Pesos am Tag verdienen. Wer zu den Begünstigten eines Plan Social zählt, bekommt 150 Pesos im Monat (etwa 40 Euro). Eine kleine Zweizimmerwohnung kostet hingegen mindestens das Doppelte, und die Preise steigen ... Landbesetzungen sind daher für sehr viele Menschen der einzige Ausweg, um einem Leben auf der Straße zu entgehen. Der Staat reagiert nicht immer mit gewaltsamen Räumungen. Da es kaum staatlichen Sozialwohnungsbau oder andere Programme zur Lösung der vorhandenen Existenznöte gibt, kann nach zähen Verhandlungen mit der Stadtverwaltung des öfteren ein Bleiberecht erzielt werden. Mit Glück. Denn manchmal kommt es auch zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, oder die Verwaltung schickt eine Truppe ausrangierter Polizisten, die nun auf eigene Rechnung arbeiten, um Häuser anzustecken und die Siedler gewaltsam zu vertreiben. Die Atmosphäre an diesem ersten Tag der Besetzung ist daher angespannt. Ein Jeep der Polizei patroulliert um das Feld herum, während wir von Familie zu Familie gehen. Ich bin mit einer Gruppe vom »Centro Angelelli« hier, einem Netzwerk von Basisinitiativen aus der Umgebung. Diese Initiativen entstehen, wenn die Bewohner der Armenviertel in ihrem Umfeld Verbesserungen erreichen wollen sie kämpfen für das Recht auf Wasser, auf Sicherheit, auf ausreichende Ernährung, kämpfen gegen die schwer vermeidliche Flucht der Jugendlichen in die Drogensucht, gegen die Hoffnungslosigkeit. Viele von ihnen betreiben ein kleines Gemeinschaftszentrum mit Suppenküche. Hier in Florencio Varela, am äußersten Rand des Großraums Buenos Aires, haben sich nun mehrere solcher Initiativen zusammengeschlossen. Sie helfen und unterstützen sich gegenseitig und können ihre Interessen so auch gegenüber der Stadtverwaltung besser geltend machen. Außerdem arbeiten in diesem Netzwerk solidarische Aktivisten, die selber nicht aus den Armenvierteln stammen, ein Hochschulstudium genossen haben oder andere Kenntnisse besitzen, die sie für die gemeinsame Sache einbringen können. So berät zum Beispiel ein Anwalt in Fällen von sexuellem Mißbrauch und häuslicher Gewalt, oder er gibt sein Wissen darüber weiter, welche Bürgerrechte die Armen gegenüber dem Staat einfordern können. Dies ist in einem Land, dessen politische Kultur jahrzehntelang von Repression und politischem Klientelismus geprägt war, immer noch keine Selbstverständlichkeit. Das Centro Angelelli hat, unterstützt von der katholischen und evangelischen Kirche, auch bei dieser Landbesetzung mitgeholfen. Zunächst ging es nur um die Umsiedlung von dreißig Familien, deren kleine Karton- und Sperrholzhütten am Rande einer Baugrube voll Wasser liefen, als die winterlichen Regenfälle einsetzten. Doch als das Vorhaben in der Umgegend bekannt wurde, strömten immer mehr Bedürftige zusammen, und schon in der ersten Nacht der Besetzung kamen statt der geplanten dreißig über zweihundertfünfzig Familien zusammen. Die später Hinzukommenden mußten mit dem hinteren Teil des brachliegenden Feldes vorlieb nehmen wo Berge von Müll lagern. Doch auch sie sind Gewinner im Vergleich zu den vielen anderen, die im Verlauf der nächsten Wochen flehenden Blickes um Aufnahme in die Siedlung bitten werden. Frauen, die mit sechs, sieben Kindern auf der Straße leben müssen und die nun wieder kein Glück haben, sondern zurückgeschickt werden, weil einfach kein Platz mehr ist. An diesem nebelverhangenen Morgen stehen kleine Gruppen von Menschen um Lagerfeuer vor ihren Hütten und wärmen ihre Hände. Sie haben die ganze Nacht damit verbracht, den Boden zu vermessen. Ein Aktivist mit Landbesetzungserfahrung hat geholfen, die Grundstücke einzuteilen, zukünftige Straßenzüge und Häuserblocks festzulegen. Fürs spätere Zusammenleben ist es wichtig, daß jedes Grundstück einem Mindestmaß entspricht (in diesem Fall stehen jeder Familie 10 mal 20 Meter zu) und daß die Siedlung nicht spontan entsteht, sondern gut geplant ist. Außerdem ist darauf zu achten, daß sich die Siedler gut organisieren und eine funktionierende Interessenvertretung aufbauen. Jeder Block wählt einen Delegierten, der alle anderen über die Verhandlungen mit Polizei und Stadtverwaltung informiert. Er hilft Streitigkeiten unter den neuen Nachbarn zu schlichten, Widerstand bei Räumungsgefahr auf die Beine zu stellen, und er informiert die Krankenschwester der Caritas, falls eines der Kinder krank wird. Später, wenn es darum gehen wird, über die Versorgung mit Strom und Wasser oder auch über die rechtliche Anerkennung der Siedler mit der Stadt zu verhandeln, wird sich die hier entstandene Organisationsform zn bewähren haben. Die erkämpften Parzellen werden im Gegensatz zu Besetzungen im ländlichen Raum Argentiniens, aber auch Paraguays oder Brasiliens nicht als Anbaufläche dienen, die den Lebensunterhalt der Siedler garantiert. In einer Gegend, in der Blei und andere Umweltgifte aus verseuchten Böden und Grundwasservorräten schon sichtbare Spuren auf den Zähnen kleiner Kinder hinterlassen, wäre das sowieso undenkbar. »Wir wollen uns hier eine Zukunft aufbauen, ein eigenes Haus, ein Heim,« sagt Susana, als wir mit ihr und einigen anderen Delegierten am Ende der ersten Woche vor der Hütte sitzen, die sie mit ihrem Mann Paco aus Brettern und Planen gezimmert hat. Wir wärmen uns dankbar an den Strahlen der Sonne, die zur Begrüßung der neuen Siedler auf diesem kargen Stück Land nun auch einmal hervorschaut. Ein Matetee macht die Runde, in den Gesichtern der Menschen lese ich Erschöpfung, aber auch Stolz der erste Schritt ist getan. Für die hübsche Frau mittleren Alters, der eine ganze Reihe Zähne fehlt, geht ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Ihre zuversichtlichen Züge verhärten sich, als sie an die letzten Jahre zurückdenkt, in denen sie auf der Straße gelebt hat oder höchstens mal ein paar Monate bei Verwandten unterkommen konnte. Susana spricht nun mit fester Stimme »Mich kriegen die hier nicht mehr weg. Von mir aus können sie versuchen, uns rauszuschmeißen. Ich bleibe. Ich werde mich widersetzen. Was auch passiert: Zurück auf die Straße gehe ich nicht. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens.«. Ich empfinde Bewunderung für diese Frau, die nicht einfach hinnimmt und aufgibt, sondern für eine menschenwürdige Unterkunft kämpft. Aber solche wie Susana gibt es viele in dieser Siedlung viele, denen das Leben übel mitgespielt hat. Rosa verlor alles, als ihr Sohn drogensüchtig wurde: Sie kam von der Arbeit nach Hause, in ein leergeräumtes, verpfändetes Haus. Maria wurde als kleines Mädchen von ihren Eltern gegen ein Haus eingetauscht. Kaum eine von den Frauen hat noch keine Gewalt- oder Mißbrauchserfahrung gemacht. Doch nun schließen sie sich zusammen, stehen nicht mehr nur für sich allein; sie schmieden Pläne, eine Suppenküche einzurichten, damit die Kinder der neuen Siedlung zumindest eine warme Mahlzeit am Tag bekommen. So kämpfen diese Menschen jetzt gemeinsam für einen kleinen Platz in der Gesellschaft wenn auch an ihrem Rande. Susana und Paco arbeiten (wie viele ihrer Nachbarn) als Cartoneros in der Hauptstadt. Das heißt, sie fahren nachts mit einem ausgebrannten Zug ohne Sitzbänke, einem Geisterzug, aus dem südlichen Vorort in die Hauptstadt. Dort ziehen sie mit ihren Karren durch die Straßen und sammeln wiederverwertbare Reste wie Karton und Plastik aus dem Müll der Haushalte und Geschäfte. Sie gehören zu dem großen Heer der Nadies , der Niemande, die der Normalbürger, der schick gewandete Porteño (so der gebräuchliche Ausdruck für einen Bewohner der Hauptstadt Buenos Aires, es leitet sich von »puerto« ab, heißt übersetzt also Hafenstadtbewohner), nicht genauer anzuschauen wagt. Denn spätestens seit der Wirtschaftskrise im Jahre 2001 weiß er: Das soziale Gewebe ist brüchig und der Graben zwischen ihm und den glücklosen Bewohnern der Armenviertel nicht so tief, daß das Elend nicht herüberschwappen könnte. Seitdem hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Einstweilen sind Susana und Paco dankbar für die neue Chance, die diese Landbesetzung für sie bedeutet. Mit dem mühsam erkämpften, spärlichen Cartonero-Verdienst wollen sie sich hier ihr Haus bauen. Sie genießen mit uns den ersten Moment der Erleichterung nach den letzten anstrengenden Tagen und schlaflosen, kalten Nächten. Die Räumungsgefahr ist noch nicht vorbei, viele harte Monate ohne Strom und ohne fließendes Wasser stehen den Siedlern noch bevor, Tuberkulose im Winter, Seuchengefahr im Sommer. Doch für den Moment gilt es, die kleine Atempause zu genießen, sich gemeinsam unbesiegbar zu fühlen und miteinander zu lachen sich den Rücken zu stärken für das, was noch kommt. Noch einmal macht der Mate die Runde. Diesen Moment teilen wir. Ihn kann uns keiner nehmen. Johanna Katharina Strohecker ist als Stipendiatin des Nordelbischen Missionszentrums Volontärin im Centro Angelelli, Florencio Varela, Argentinien.
Erschienen in Ossietzky 24/2006 |
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